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Siebentes Kapitel.

Der Neujahrstag war nicht vergangen, ohne daß Edgar und Hortense Frieden gemacht hätten. Sie war so unglücklich gewesen am vorigen Abende, daß es von seiner Seite nur weniger Worte bedurfte. »Ist denn Ihre Liebe mir vom Leben gegeben worden?« fragte er, als sie ihm weinend vorwarf, daß er ihre Liebe, wie alles Andere, gering geschätzt habe. »Ich meine, Ihr Herz hat mir sie gegeben,« setzte er hinzu, »und das Leben hat dabei nichts gethan, als uns getrennt, so viel seine Schranken trennen können.«

Hortense dachte, daß solche Worte nicht zu theuer erkauft werden könnten, und vergaß Alles, um sich an ihnen zu trösten und zu beruhigen. Es war schauerlich, welche Macht er über diese Frau hatte.

Zwischen ihm und Mathilden war noch Alles rein, ihm war, als habe er einen neuen Stern entdeckt, so klar schien sie in seine Seele. Ihr Hinneigen zu ihm auf gewöhnliche Art auszulegen, kam ihm nicht in den Sinn; bei jeder andern Frau hätte er es gethan; hier war er zum erstenmale bescheiden. Vielleicht war diese neue Tugend schlimmer, als sein alter Fehler der Anmaßung; vielleicht sah er auch in Mathilden noch nicht das Weib. Gewiß ist es, daß er sie mit Bedeutung begrüßte, als er in den Saal trat, wo man sich zum Frühstück versammelte. »Haben Sie auch noch nichts vergessen?« fragte er. Sie schüttelte lächelnd den Kopf.

»Ich werde immer an diesen Sylvesterabend denken,« sagte er, setzte sich zu ihr und verließ sie nur, um ihre Mutter, die eben hereintrat, zu begrüßen, ohne daran zu denken, wie er durch seine Worte die Schläge dieses jungen Herzens heftig und schnell gemacht hatte. Auch Alexander dachte nicht an solche Möglichkeit; er war selbst darüber beruhigt, daß Mathilde Hortensens Leidenschaft gesehen hatte. »Ihre Seele wird nicht getrübt,« hatte er zu Frau von Hain gesagt, als sie vor einigen Tagen darüber gesprochen hatten, und selbst diese strenge Frau hatte in Mathildens ganzem Benehmen nichts finden können, was einen Tadel gerechtfertigt hätte. Keiner konnte sich solche Reinheit mit einer Leidenschaft zusammendenken, und Alle vergaßen, daß nichts reiner ist, als das glühende Sonnenlicht. So wurde Mathildens Verderben, was eigentlich ihr herrlichstes Lob war; Keiner beschützte sie, weil Alle ihr unbedingt vertrauten; Alle glaubten sie unverändert, und doch regte kein Frühling sich unruhiger und treibender, als ihre Jugend.

Daß sie nur aus Unschuld schuldig werden würde, beweiset der Brief, den sie in der einzigen freien Stunde, welche ihr heute blieb, an Heinrich schrieb und Frau von Bayer mitgeben wollte. Er lautete, wie folgt:

 

»Lieber, lieber Heinrich!

Wenn Du mich an dem heiligen Abend begrüßt hast, wo Jeder seine Lieben erfreut, so schreibe ich Dir am Neujahrstage, wo Jeder für seine Lieben betet. Ob ich es für Dich schon gethan? Du wirst nicht zweifeln; dennoch sage ich Dir's, und dann küsse ich Dir im Geiste die immer so heiße Stirne, unter der es manchmal so unruhig ist, und sage: bleibe mein Heinrich! Nun bist Du doch mit Deinem Neujahrsgruß zufrieden?

Wir sind mit Deinen Geschenken sehr zufrieden gewesen. Die Kinder haben Deinen Namen, als den eines großmüthigen Gebers, in ihre Tagebücher geschrieben und wollen alle auch an Dich schreiben; ich habe jedesmal, wenn mir Hände und Füße draußen schön warm waren, dankschuldigst, wie Frau Henne sagt, an Dich gedacht. Nur gestern, als wir das neue Jahr begrüßten, hab' ich Dich vergessen; da war ein Anderer mächtig in meiner Seele; Edgar bot mir seine Freundschaft, und ich konnte an weiter nichts als an diese herrliche Gabe denken.

Lieber Heinrich, Du hast hohe Männer zu Brüdern. Von Alexandern fühlt es kein Herz so, als das Deine; aber von Edgarn muß ich Dir es sagen, denn da fühlst Du es nicht. Ich glaube selbst, Du liebst ihn nicht recht; – Heinrich, das wäre schweres Unrecht. Was Du einst von ihm sagtest – er sei kalt – das glaube nicht länger, er ist es nicht; aber Du mußt an seinem Herzen anklopfen, wenn es sich Dir öffnen soll. Willst Du es thun, Heinrich, um meinetwillen, um Deinetwillen, damit Du ihn erkennest und noch einen Bruder zu lieben habest? Nein, Du wirst nicht meine Bitte abweisen.

O, wenn ich einen Zauberstab hätte – da wollt' ich jetzt etwas schaffen. Alexander würde ein Fürst in einem schönen, märchenhaften Lande, Edgar der Schützer seines Thrones; er zöge wider die Feinde, käme siegreich heim, und ich gäb' ihm die Siegespreise. Auch Du müßtest mit uns sein, Du holtest Dir aus Gefahren eine wunderschöne Prinzessin. Unser Leben wär' ein Traum. Oder, wenn wir vor Jahrhunderten in Venedig wären geboren worden: Alexander wäre Doge gewesen, Edgar hätte auf dem Meere gekämpft – wir wären die stolzesten und glücklichsten Edlen der stolzen Stadt gewesen. Wenn ich Edgarn ein Schicksal geben könnte, das seiner werth wäre! Warum sind die alten Zeiten vorüber? O, nur von Venedig laß Dir von ihm erzählen, da wirst Du nicht mehr sagen, daß er kalt sei. Von dem, was hier vorgegangen, soll ich Dir nichts erzählen. Wilhelm will sich das nicht nehmen lassen. Auf ihn verweise ich Dich also. Er will seinen Brief dem guten Herrn von Bayer anvertrauen; ich gebe den meinigen der liebenswürdigen Frau. Ich habe jetzt zum erstenmal den Reiz der Geselligkeit kennen gelernt, nur mit der Räthin bin ich weniger bekannt geworden. Jetzt aber –«

 

Und sie schloß herzlich, doch flüchtig, und eilte, sich zu dem letzten gemeinschaftlichen Spaziergange anzuziehen, der die Gesellschaft unter dem heute wolkenlosen Winterhimmel weit auf den Wiesen und am Forst hinführte. Erst als der Tag sich neigte, kam man zurück und machte dann dem Garten, dessen Gänge immer vom Schnee rein gehalten wurden, einen Abschiedsbesuch. Alexander ließ sich von seinen Gästen versprechen, daß sie einmal im Sommer wiederkommen wollten, um den Garten auch im Grün kennen zu lernen. Alle versicherten, daß sie ihn selbst jetzt schön fänden, und wirklich warfen die schönen Bäume so sanfte blaue Schatten auf den stillen Boden, und der schweigende Kanal schimmerte so mild zwischen ihnen hervor, daß man die Natur in ihrem Schlafe nicht friedlicher sehen konnte. »Goczyn ist mir sehr lieb geworden,« sagte Frau von Bayer, »und ich danke Ihnen herzlich, daß Sie uns eingeladen haben.« – »Wenn der Junge nicht wäre,« sagte ihr Mann, »so möcht' ich gleich hier bleiben; aber der wird der Tante gewiß schon mehr Noth gemacht haben, als nöthig ist, um das Glück seiner Gesellschaft in jedem Augenblicke fühlbar zu machen.« Frau von Bayer schalt ihn, daß er so von dem Knaben spreche, da dieser doch das ruhigste Kind sei, er schlug mit einem Seufzer, der viel sagte, die Augen komisch zum Himmel auf.

Edgar hatte bei dem Spaziergange Frau von Hain geführt; er fühlte eine hohe Achtung vor diesem strengen, aber vollkommen lauteren Charakter, und wunderbar genug war es ihm gelungen, ihr Wesen zu mildern, so daß sie, was sie an ihm nicht billigen konnte, schweigend auf sich beruhen ließ und eine Unterhaltung mit ihm nur abbrach, wenn ihre Kinder ihrer Aufmerksamkeit bedurften. Auch heute war ihr Gespräch an Inhalt reich gewesen, und erst im Garten trat Edgar zu Mathilden. »Als Sie herkamen,« fragte er, »wie erschien Ihnen da dieser Garten?« – »Wunderbar;« antwortete sie, zugleich von der Erinnerung an jenen Abend tief erröthend. »Ich hoffe, in diesem Sommer wieder herkommen zu können,« sagte er, indem er nach dem Schloß blickte, welches jenseit des Grabens in der Abendröthe stand; »dann müssen Sie mir erlauben, Ihnen hier vorzulesen. Wo ist Ihr Lieblingsplatz?« »An der Mauer, beim Pförtchen;« antwortete sie. »Das ist auch meiner;« sagte er lächelnd; »Sie sehen, wie schön sich das trifft. Sie müssen mir aber auch erlauben, Ihnen beim Kränzewinden zu helfen, wenn ich auch Heinrich dabei in das Amt komme.« – »Ich will Ihnen Alles erlauben,« antwortete Mathilde, auch lächelnd; »um was ich Sie aber bitten werde – sagen Sie doch Heinrich, daß Sonnenstrahl sich wohl befinde; der Schimmel und er sind große Freunde, und ich habe es in meinem Briefe vergessen, was mir nicht gut aufgenommen werden wird.« – »Wagt denn Heinrich Ihnen etwas übel zu nehmen?« fragte Edgar. »Er hat es noch nicht gethan,« sagte sie; »aber ich habe auch noch nicht vergessen, Sonnenstrahl zu erwähnen. Ich war heute zu eilig.« Die Gartenthür ging auf; Alexander hatte sie, zur Rückkehr in das Schloß einzuladen, geöffnet; Mathilde und Edgar folgten den Uebrigen, die schon voran gingen.

Als am andern Tage der Kanal im Morgenlicht schimmerte, ging Mathilde allein sinnend daran auf und nieder; der Wagen mit den neuen Freunden war schon aus dem Gesichte, und sie dachte ihnen nach, bis Wilhelm seine Schwester suchen kam, um ihr etwas, das Edgar beim Einpacken ihm geschenkt, zu zeigen und dabei von Edgarn zu sprechen, welcher auf die Einbildungskraft des Knaben in der Sylvesternacht einen tiefen Eindruck hervorgebracht hatte. »Hast Du gesehen, wie er aussah, wie die Bilder – seine Ahnenbilder?« fragte der Knabe, und Mathilde, die diesem Bruder immer sehr nahe geblieben war, selbst jetzt noch als Frau, erzählte ihm nun eifrig einige Sagen von dem Schlosse, die er noch nicht kannte und auf deren schauerlichem Grunde das Bild Edgars ihm immer wunderbarer erschien. »Wollen wir nicht in den Wald gehen?« fragte er dann; »da hat er gejagt.« Sie gingen auf dem einsamen Wege in die schweigenden Schatten und blieben lange fort. Als sie wiederkamen, ahnte Niemand, daß eben ein neues Band sich zwischen dem Knaben und der jungen Frau gewebt hatte. Diese selber wußte es nicht; aber sie war von nun an fortwährend mit Wilhelm zusammen, und wenn sie alte Ritterbücher, oder was über Venedig nur irgend Auskunft geben konnte, eifrig lasen, so fand sich immer wieder ein Punkt, von welchem aus sie den Gegenstand ihrer beiderseitigen kindlichen Begeisterung, die hohe, ernste Gestalt Edgars, in einem neuen Lichte betrachten konnte.

Alexander sah an diesem Tage seinen Pächter, von welchem er die halbjährige Zahlung erwartete, nachdem der junge Mann wie gewöhnlich die Zinsen schon berichtigt hatte und die Empfangscheine darüber mitbringen konnte. An der Summe aber, die noch zu entrichten blieb, fehlte der größte Theil, und Alexander mußte auf eine lange Erzählung von Unfällen hören, die im letzten Halbjahre den Pächter getroffen haben sollten und es ihm unmöglich machten, das Pachtgeld für den Augenblick vollständig zu zahlen. Der junge Mann sprach mit großer Bescheidenheit, sagte: nur die dringendste Nothwendigkeit habe ihn dazu bringen können, seinen Verpflichtungen zum ersten Male nicht ganz treu nachzukommen; er hoffe mit Bestimmtheit, er werde bei dem nächsten Termine im Stande sein, das Fehlende nachzuzahlen, und bat Alexander, im Fall er es ja bedürfen solle, es einstweilen von der Caution zu nehmen, welche nach dem Pachtvertrage sehr bedeutend hätte sein müssen, in der That aber nicht so viel als die halbjährige Pacht betrug, indem Alexanders Großvater, der durch eine vollkommene Sorglosigkeit die Herrschaft ganz heruntergebracht hatte und deswegen zur Verpachtung gezwungen worden war, auch nach dieser nicht Anstand genommen hatte, immer Gelder aufzunehmen und dennoch immer Geld zu brauchen und sich deshalb mehr als einmal von der Caution hatte Vorschüsse geben lassen, die dann der Pächter sich von dem Pachtgeld wieder hatte nehmen müssen. Die Caution zu ergänzen, war dem leichtsinnigen Manne nie eingefallen, sein Sohn hatte auch nie daran gedacht, und hätte er daran gedacht, so wäre es gewiß gewesen, um die ganze Caution für überflüssig zu finden und sie nur liegen zu lassen, weil sie einmal niedergelegt war; und so war es denn bis jetzt bei ihrer Unzulänglichkeit eben so geblieben, als bei dem alten Vertrage. Auch jetzt fand Alexander kein Bedenken, in den Vorschlag des Pächters einzugehen, und da er das Geld wirklich gerade brauchte, so wurde sogleich das Nöthige deswegen verabredet, und der bescheidene junge Mann entfernte sich mit nochmals wiederholten Entschuldigungen, so wie mit der Versicherung seiner lebhaften Dankbarkeit für das ihm bewiesene Vertrauen. Diese letzte Aeußerung fiel Alexandern auf, und wäre nicht etwas Anderes dazwischen gekommen, so hätte er vielleicht eine Spur verfolgt, die ihn zu wichtigen Entdeckungen geführt haben würde; so aber erhielt er in demselben Augenblicke einen Brief, in welchem sein Hauptgläubiger, ein reicher Kaufmann aus der Residenz, ihm auf Johanni die Summe von dreißigtausend Thalern kündigte, weil er gesonnen sei, sich selber anzukaufen. Das war keine angenehme Aussicht; Alexander schrieb sogleich an Edgar und an Herrn von Bayer, sprach davon mit seiner Schwiegermutter, dachte in den folgenden Tagen nicht ohne große Sorge darüber nach und vergaß so gänzlich den Pächter. Vom Herrn Faß und seiner romantischen Tochter hörte er nichts weiter.

Mathildens Geburtstag war eigentlich nur für die Kinder ein Fest, da Alexander ernsthaft war und Frau von Hain seine Besorgniß theilte. Am andern Morgen reiste auch sie ab, und die nächsten Tage zogen sehr einförmig hin, so daß Mathilden mehr als einmal eine ungewöhnliche Sehnsucht nach Schlaf überfiel und es wirklich nöthig war, daß der folgende Posttag ihr sowol von Edgar, als auch von Herrn und Frau von Bayer sehr überraschende Glückwünschungsbriefe brachte. Die der Freunde waren von artigen Kleinigkeiten begleitet; Edgar schickte ihr in schönen Bänden die beiden venetianischen Trauerspiele Byrons. Dazu schrieb er:

»Es sind kaum acht Tage, daß ich von Ihnen Abschied nahm, und doch dünkt mich, daß schon eine lange Zeit zwischen uns liege. Ist es, weil ich mich nach Ihnen sehne? Ich muß es glauben, obwol Sehnsucht mir bisher ein ganz fremdes Gefühl war. Doch Sie haben zugleich mit Ihrer Mutter ja schon ein neues in mir erweckt, hohe Achtung vor weiblichen Charakteren. So ist es auch möglich, daß ich mich sehne.

Was soll ich Ihnen zu dem heutigen Tage sagen? Es giebt der hergebrachten Worte so viel, daß man nicht recht weiß, welche man wählen soll. Auch dünken mich Ihnen gegenüber alle diese Redeformen so gewöhnlich – vielleicht weil Sie so eigenthümlich sind, vielleicht weil ich bei Ihnen mehr fühle? Halten Sie sich, an welchen Grund Sie wollen, oder nennen Sie mich ungezogen – gewiß ist es, daß ich gar nichts sage. Man muß so oft gezwungen schweigen, warum nicht auch einmal, wenn es einem gerade einfällt? Genug, ich schweige; urtheilen Sie, wie Sie wollen.

Ich sende Ihnen zwei Bücher, in denen Sie Venedig finden werden so furchtbar und so groß, wie es war. Ich weiß, daß Alexander Byrons Werke doppelt hat; aber ich weiß auch, daß Sie erst Bekanntschaft damit machen wollten, und ich wünsche, daß Sie gerade diese Dichtungen durch mich kennen lernen mögen; einmal, weil nichts venetianischer ist, als sie; dann, weil ich Angelina bisher für unwahr gehalten habe, für einen schönen Traum. Es ist wahr, aber doch immer nur für einen Traum. In Ihnen aber ist mir die Wirklichkeit einer solchen Reinheit erschienen, und deswegen, Mathilde, empfangen Sie Ihr Bild im Gedichte aus meiner Hand. In den beiden Foscari mögen Sie sehen, wie ich Venedig geliebt haben würde, wenn es meine Vaterstadt gewesen wäre. Freilich jetzt wär' es eine Qual, Venetianer zu sein – doch ich schweige auch hier.

Heinrich hab' ich erst einmal gesehen und zwar im Buchladen, wo er noch überdies finster wie philosophische Abhandlung aussah. Auf meinen Auftrag von Ihnen erhielt ich keine Antwort. Schon früher war ich bei ihm gewesen, hatte ihn aber nicht gefunden. Zu mir ist er nicht gekommen. Ich sehe, daß er wirklich mein Bruder ist; er fängt mit dem größten Glück an, mir in der Unerträglichkeit nachzuahmen. Ich bitte Sie, liebe Mathilde, ihm recht eindringlich vorzustellen, er möge sich ein anderes Vorbild wählen. Wenn ich Ihnen gegenüber unwahr sein dürfte, so würd' ich sagen: die Räthin empfehle sich Ihnen. Sie thut es aber nicht, sie spricht auch nicht von Ihnen. Sie Beide passen nicht für einander.

 

Uebrigens hab' ich das Vorgefühl einer Krankheit. Ich suche mich zu zerstreuen, bis sie zum Ausbruche kommt. Dann wünschen Sie etwas von Ihrer Sanftmuth

Ihrem

Sie verehrenden Edgar

 

Mathilde trug Brief und Bücher freudig zu Alexandern, der sich liebevoll theilnehmend bewies. »Du hast ein Vorurtheil besiegt, wo es sich der Mühe lohnte,« sagte er, »und das freut mich sowol um Deinetwillen, als auch weil Edgar jedes gute Gefühl kennen lernen sollte.« – Was den Schluß des Briefes betraf, so sagte er Mathilden, nicht ängstlich zu sein; dergleichen Vorgefühle seien meist schon die wirkliche Krankheit, das heißt eine allgemeine Verstimmung der Nerven.

Alexander erhielt auch die nächsten Posttage sowol von Edgarn als von Herrn von Bayer keinen Brief und war schon im Begriff, wieder zu schreiben, als ein Brief von einem ihm dem Namen nach bekannten Kaufmanne ihn plötzlich aus aller Sorge befreite, indem der Kaufmann ihm anbot, unter denselben Bedingungen mit derselben Summe in die Stelle dessen, der ihm gekündigt hatte, einzutreten. Er habe, setzte der Kaufmann hinzu, diesen bedeutenden Gewinnst eben bei einem glücklichen Handelsgeschäft gemacht, und wünsche nun ihn gewissermaßen vor sich selber sicher anzulegen, indem er leicht in Versuchung kommen könne, ihn in neuen Geschäften zu wagen, wenn er ihn in Papieren gleichsam zur Hand liegen hätte. Alexander, der noch von England her gewohnt war, sich das Geld immer nur in Massen zu denken, fand in diesem ungewöhnlichen Anbieten einer so bedeutenden Summe nichts als einen guten Zufall, schrieb sogleich einwilligend zurück, theilte Edgarn die Beendigung dieser Angelegenheit mit und überließ sich nun ungestört wieder seinen gewöhnlichen Beschäftigungen, von denen die mit Mathilden ihm mehr und mehr anziehend wurde, da eine ganz neue Entwickelung in ihrem Geiste begonnen hatte, so daß kein Tag, ohne Wachsthum ihrer Gedanken verging. Dabei war sie glühend froh, wie in den ersten Wochen ihrer Verheirathung, und that Alles mit einer innern Lust. Wäre Alexander jetzt plötzlich warm geworden, so hätten alle diese Keime, welche Edgar mit Blick und Stimme in ihr hervorgerufen hatte, sich in prangenden Blüthen für Alexander entfaltet, und in jeder Blüthe hätte der Samenstaub künftigen Glückes gezittert. Aber Alexander blieb wie er war, und die Knospen blieben verschlossen und warteten auf einen Andern, dem sie zu Blüthen werden sollten.

Heinrich schwieg lange; endlich schrieb er an Mathilde:

»Du wirst einen Brief von mir erwartet halben und ich wäre auch gern dem Beispiele Andrer gefolgt, aber ich konnte nicht. Ich will aufrichtig sein, wie immer – es wird mir selbst jetzt schwer zu schreiben; Dein Brief hat mich tief verletzt. Du bist also auch wie andere Frauen, Mathilde; wer Dir nah ist, der ist Dir der liebste. Die Freundschaft, die Du mir gegeben, – die ich höher, als alles Glück schätzte, und nie ganz verdienen zu können glaubte – Du hast sie auch für Andre in Bereitschaft und giebst sie, wie sich eben die Gelegenheit findet? Ich gestehe, wenn Du mir es nicht selbst gesagt hättest – ich hätte es Keinem geglaubt.

Und wem hast Du sie gegeben? Ich wollte nichts sagen, müßt' ich mit einem andern theilen – aber mit Edgar! Bei meinem Worte, der verdient es nicht. Er muß einen Zauber haben, der die Menschen blind macht, daß sie nicht sehen, wie er ist – ich wollt' es sonst nicht glauben und muß es nun – aber Deiner werth ist er nicht, und die Freundschaft, die er Dir bot, hättest Du von Dir weisen sollen, wie etwas, das Dich beflecken würde. Du sprichst von Märchenträumen – gut, in den Märchen ist von Gaben die Rede, welche dem Anschein nach köstlich sind, aber dem, der sie empfängt, Verderben bringen. Edgars Freundschaft ist eine solche; wär' ich Dir nahe gewesen, er hätte sie Dir nicht geboten, ich hätte Dich mit Gewalt fern von ihm gehalten. Aber nun scheint es zu spät, oder kannst Du noch auf mich hören?

Deinen Versuch, mich zur Liebe zu ihm überreden zu wollen, wirst Du wol nicht mehr wiederholen. Ich bin entschieden in Liebe, wie in Abneigung; auch können nur schwache Naturen sich in Beidem verändern.

Uebrigens hat auch Wilhelm mir des Längeren und Breiteren über Edgar geschrieben. Wenn er ihn zu seinem Traumbild wählen will – immerhin, aber zu meinem Freunde wächst Wilhelm dann nicht auf. Daß Du mit der Räthin fremd geblieben bist, ist das einzige Gute in dieser segenlosen Zeit. Eine Vertraulichkeit mit ihr hätte noch gefehlt!

Lebe wohl, Mathilde; aber schreibe mir nicht mehr von Edgar. Denke an die Sage von den zwei Brüdern; die Stelle könnte noch einmal zwei Brüder und eine Schwester zusammen sehen; aber ich würde nicht wie Jaromir schweigend fortgehen.«

Mathilde trug auch diesen Brief zu Alexander und war nicht wenig unwillig auf den Schreiber. »Was bildet er sich denn ein?« fragte sie; »soll ich etwa Niemand anders gut sein als ihm, und noch dazu einem, der mir eben so nahe steht, als er, und den Du auch lieb hast? denn Du hast Edgar doch lieb, Alexander?«

»Mir stehen beide gleich nahe,« antwortete Alexander, »nur Jeder in verschiedener Art: Edgar als Freund, Heinrich als Zögling. Du aber,« fuhr er fort und sah lächelnd in ihr heißgeröthetes Gesicht, »Du mußt mit Heinrich Nachsicht haben; denn er ist eifersüchtig.«

»Aber das hat ja keinen Sinn und Verstand,« sagte Mathilde; »man ist eifersüchtig auf seine Geliebte oder seine Frau, aber doch nicht auf seine Schwägerin.«

»Warum nicht?« fragte Alexander; »wenn man die Schwägerin so verehrt, als Heinrich Dich, dann kann man es wol sein, man kann auf Jeden, den man liebt, eifersüchtig sein. Bist Du es noch nie gewesen?«

»Nein;« antwortete sie naiv; »ich habe noch nie Ursache dazu gehabt.«

»Desto besser für Dich,« sagte Alexander lächelnd; »aber deswegen darfst Du den armen Heinrich nicht verurtheilen. Du magst Dich wol etwas sehr lebhaft über Edgar geäußert haben, und das hat ihn verletzt, um so mehr, da er sich sagen kann, daß er besser ist, als Edgar.«

»Besser, als Edgar – o, Alexander!«

»Gewiß, liebes Herz; ich bin hier unparteiisch, Du.kannst mir glauben. Edgar hat weit mehr Eigenschaften als Heinrich; er blendet mehr, er ist auch interessanter, aber der reinere Charakter ist Heinrich. Sieh, das Verhältniß mit der Räthin – Du hast es gesehen; ich darf mit Dir darüber sprechen – man kann es höchstens mit der Leidenschaft der Frau, mit den leichten Grundsätzen der Welt entschuldigen, aber billigen doch nie. Nun, Heinrich würde nie ein solches eingehen, das bin ich überzeugt; ich bin auch sicher, daß er selbst in den nächsten und gefährlichsten Jahren sich bewähren wird; dagegen macht Edgar, wie Du siehst, von der Gelegenheit Gebrauch, ohne sich von irgend einer Schranke zurückhalten zu lassen.«

»Du hast Recht,« sagte Mathilde, »aber deswegen brauchte Heinrich doch nicht so zu schreiben.«

»Da hast Du auch Recht;« antwortete Alexander; »ich gebe Dir auch die Erlaubniß, ihn auszuschelten, aber Du mußt auch bedenken, daß bei Heinrich jetzt gerade die Zeit der Erhabenheit ist, wo Alles mit ihm auf die Spitze der Gefühle muß. In unsere Sprache übersetzt, sagt sein Brief nichts, als: ich bin wüthend, daß Du Edgarn so liebenswürdig gefunden hast; ich allein will von Dir liebenswürdig gefunden werden. Zu einer Wiederholung der schauerlichen Brüdergeschichte wird es hoffentlich nicht kommen.«

Die Sage, auf welche Heinrich so drohend angespielt hatte, war eine von denen, welche in der Chronik von Schloß Goczyn mit aller Ueberzeugung des alten Schreibers noch von den Fürsten Odalinski erzählt wurden. Zwei Brüder und eine schöne Schwester waren zugleich im Schloß aufgewachsen. Der älteste Bruder war schöner und gewinnender, der jüngste tapferer und der Schwester mit leidenschaftlicher Neigung anhängend. Sie liebte ebenso Wislaw, den älteren Bruder; der jüngere sah es und ertrug es; er war viel auf Kriegszügen. Von einem solchen heimkehrend, sah er einst nach langen Monaten Schloß Goczyn wieder; er begrüßte seine Eltern und fragte ob Lodoiska nicht komme? Er ging in den Garten und immer weiter darin, bis er an die Bank neben dem Pförtchen am Ende kam. Da saß Wislaw nachlässig hingestreckt, und neben ihm saß Lodoiska, küßte ihn und dachte nicht daran, daß Jaromir an diesem Tage kommen sollte. Jaromir wandte sich schweigend um, Lodoiska sah ihn jetzt und eilte ihm nach; sie wollte auch ihn küssen, aber er wies sie von sich und sprach, so lange er noch im Schlosse war, kein Wort mehr mit ihr. Als bald darauf ein neuer Krieg begann, zog er dahin und blieb im ersten Gefecht. In der Nacht aber kam er windschnell auf schattenhaftem Pferde zu dem Schlosse geritten, hielt unter dem Fenster Lodoiska's und rief sie bei Namen; so kam er jede siebente Nacht. Als er siebenmal gekommen war, verlor Lodoiska allen Muth zum Leben und ging in ein Kloster. Seitdem kam er nicht mehr wieder.

Heinrich schien nun zwar nicht mit ähnlichen Besuchen zu drohen, wol aber mit irgend einem Eingreifen, welches auf keinen Fall angenehm wirken konnte. Mathilde bat ihn daher in ihrem nächsten Briefe recht ernstlich, keine alte Sage wieder in das Leben zurückrufen zu wollen, und sprach überhaupt wie ein kleiner Prediger, oder auch wie eine kleine Frau, die keine Lust hatte, sich von einem jungen Menschen, der nicht älter war als sie, Vorschriften machen zu lassen. »Wenn Du es nicht vertragen kannst, daß Andere gelobt werden,« schrieb sie unter Anderem, »so wirst Du jeden Tag im Jahre Gelegenheit finden, Dich verletzt zu glauben und gerade darum selber nicht gelobt werden.« Weiter sagte sie: »Der Richter über meine Handlungsweise ist mein Mann, und so lange der mich nicht tadelt, werde ich durchaus thun, was ich will.« Zuletzt wurde sie jedoch freundlicher und schloß wie in alter Zeit, obwol ihr unwillkührlich einfiel, daß sie nun Niemand habe, mit dem sie von Edgar und von ihren Einfällen überhaupt recht sprechen könne; denn mit Alexandern war sie doch noch nicht so ganz natürlich, und ihre Freundin Auguste hatte sich in so weite Ferne hin verheirathet, daß der Briefwechsel mit ihr so gut als abgebrochen war. Wie sie eben noch so dachte, kam ein Bote von ihrer Mutter und brachte ihr nebst allerlei Sachen auch einen Brief von Wilhelm, welcher ganz in dem Sinne der letzten Unterhaltungen mit ihr geschrieben war. Nun hatte sie gefunden, was ihr fehlte, und die Briefe zwischen ihr und dem Knaben kamen und gingen oft und engbeschrieben.

Die Nachricht, daß Edgar wirklich krank geworden, war für Beide erschreckend; doch wurde ihnen bald die Beruhigung, daß er mehr an einem allgemein krankhaften Zustande, als an irgend einem entschiedenen Uebel leide. Für Edgar hatte dieser Zustand die Folge, daß für jetzt noch Alles beim Alten blieb, was schwerlich der Fall gewesen, wenn er gesund geblieben wäre und viel an Mathilden gedacht hätte. So aber brachte die Abspannung seiner Nerven ihn bald dahin, daß er die Tage hingehen ließ, ohne an irgend etwas zu denken, und mit einem Worte, nichts war, als krank. Als der Frühling durch sein Herannahen ihn allmählich wieder herstellte, fürchtete er sich nicht weniger vor Allem, was ihn aufregen konnte, und scheute einen Auftritt mit Hortensen so ängstlich, daß er als der höflichste Liebhaber von der Welt erschien. Heinrich störte ihn nicht; der junge Hitzkopf hatte in der Wuth über Mathildens Brief alle Verbindungen aufgegeben, lebte wie ein Einsiedler und ließ in Goczyn nichts von sich sehen und hören. Die Ferien kamen, das Grün kam, die Blüthen kamen – er kam nicht und schrieb nicht. »Gut;« sagte Alexander, »so wollen wir ihn durch Ueberfall fangen;« und ohne daß einer ihrer Freunde es ahnte, kam das Ehepaar zum Wollmarkt in der Residenz an.


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