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Sechzehntes Kapitel.

Seit Edgar wußte, wie glühend Mathilde ihn geliebt hatte, gingen alle seine Gedanken in dem einen unter, die Erde, unter welcher sie ruhte, mit seinen Augen zu sehen und mit seinen Händen zu berühren.

Hortensen sagte er nichts, als daß er auf unbestimmte Zeit verreise; aber sie wußte Mathildens Tod und ahnte Alles; wir brauchen also nicht zu schildern, wie sie zurückblieb.

Edgar reiste ohne Aufenthalt. Sein Schmerz war nicht dumpf, auch nicht schneidend; er hatte im Gegentheil etwas Wohlthuendes, aber die Sehnsucht nach dem Grabe auf der Insel trieb unaufhaltsam, und in unbegreiflich kurzer Zeit trat Edgar auf die Steine von Venedig.

Noch an demselben Abend trug eine Gondel ihn nach Torcello; das Wetter war mild und kein Eis auf den Lagunen. Das Grab war bald gefunden; es war unter einigen Weiden und ein Kreuz von Marmor zeigte es an. Auf dem Kreuze stand die von Mathilden gewünschte Inschrift: »Ich fand den Frieden.«

Edgar bückte sich und las die Inschrift; er bückte sich tiefer und faßte die Erde an; sie war kalt; er hüllte sich dicht in den Mantel und ging an dem Grabe auf und nieder; die Brust wollte ihm zerspringen, von Allem, was er darinnen verschloß; denn er sprach nicht, er ging und stand bei dem Grabe stumm wie dieses und auch eben so einsam; der Mond stand hinter Wolken, Edgar blieb in Düsterheit bis zum Morgen; dann erst kehrte er nach Venedig zurück.

Er kam fast täglich wieder, oder vielmehr abendlich; die übrige Zeit verbrachte er in der Unthätigkeit, aus welcher große Gedanken oder Entschlüsse hervorgehen. Er hatte sich von allem Aeußerlichen frei gemacht; er gab keine Nachrichten und verlangte auch keine; er lebte in sich, um sich zu prüfen und zu erkennen. Die strengen Worte Mathildens waren hier sein Leitfaden, so wie ihre Liebesworte seine heilige Erhebung waren. Edgar war es werth, daß die Liebe zu ihm kam und sein Herz von ihm forderte. Er hörte diese Forderung und fragte sich, ob er sie erfüllen könne. Seine Seele bejahte diese Frage. Es war keine weichliche Reue, was in ihm hervortrat; es war das Erkennen, daß sein bisheriges Leben ein gehaltloses gewesen sei, es war nach diesem Erkennen der Wille, ein anderes Leben kennen zu lernen.

Der Frühling kam und Edgar stand am Ende seiner einsamen Zeit.

Es war in einer feierlichen Sternennacht, wo Meer und Himmel in einem großen Schweigen lagen, daß sein stolzer Geist entschieden die Ketten der Selbstsucht abwarf.

Von dem kleinen Raum des Grabes, wo die schönste Erscheinung seines Lebens zu Staub geworden war, sah er empor in den Raum, welchen die Welten füllen.

»Dort und überall Unendlichkeit;« sagte er. »Unsere Erde ein Tropfen am Eimer. Ich auf der Erde unter Millionen. Und doch hab' ich mich bisher allein in das Weltall hingestellt, als athmete nur ich. Für Andere hatte mein Herz nichts, so sagte die Geliebte – es soll nicht länger wahr sein. Wenn dieses Kreuz bedeutet, daß der Beste für die Menschen starb, so bedeutet es auch, daß ich für die Menschen leben soll. Ich will denn beginnen. Ich werde noch oft müde werden; aber ward ich früher nicht müde? So will ich gehen und handeln.«

Er neigte sich zu dem Grabe und nahm Abschied. Er weinte nicht, er sah mit festem Blicke lange herab auf den Hügel, dessen Erde ihm theurer war, als Alles in der Welt; dann richtete er sich auf und ging. Als er zu seiner Gondel kam, landete eine andere, und Heinrich trat an das Land.

Der junge Mann blickte seltsam bewegt den Bruder an. Noch nie war Edgar Alexandern so ähnlich gewesen, als in diesem Augenblicke, wo er in der stillen Beleuchtung, mit dem ruhigen Entschluß in der Seele und in den Zügen, mit dem Meere zu seinen Füßen, am Ufer stand.

Er bot Heinrich die Hand, welche der junge Mann überrascht und zögernd annahm.

»Du kommst und ich gehe;« sagte er. »Ich bin von meinem und Deinem Heiligthume geschieden, wenn auch nicht für immer, so doch auf lange Zeit, Wirst Du hier bleiben?«

»Ja,« antwortete Heinrich; »für mich giebt es nur diesen einen Ort in der Welt.«

»Heinrich,« sagte Edgar, »Du hast mich einst gehaßt. Thust Du es noch?«

Er hatte die Hand des jungen Mannes noch in der seinen zurückgehalten. Heinrich sah ihn an, wie von einer innern Macht gezwungen. Edgar hatte sich etwas zurückgezogen, und so begegneten seine Blicke denen des jungen Mannes; aller Hohn war aus seinem edlen Gesichte verschwunden, und heiliger Ernst lag darauf, wie das hehre Licht der Sterne auf dem Gewässer; seine Blicke kamen aus der Seele – Heinrich konnte dieser Erscheinung nicht widerstehen.

»Ich hasse Dich nicht;« sagte er mit ungewisser Stimme; »aber ich kann Dich auch noch nicht lieben.«

»Nein,« sagte Edgar, »die Kluft zwischen uns ist noch zu groß; nur allmählich kann sie sich mit neuen Gefühlen füllen. Versprich mir nur, Dich mir nicht zu entziehen, wenn ich mich Dir schriftlich nähere. Ich wünsche Dich wirklich zum Bruder zu haben, einmal weil ich Dich achte, und dann, weil Du Beide geliebt hast, welche starben. So laß uns jetzt nicht weiter zusammenkommen – ich reise auch in wenig Stunden ab – aber erwarte Briefe von mir und versprich, mir zu antworten.«

Heinrich versprach es; Edgar fragte noch kurz nach Hortensen und Frau von Hain, hörte noch, daß auch er Mathildens Erbe sei, und ließ dann den Bruder auf Torcello, während er zum letzten Male nach Venedig zurück und nach wenig Stunden auf dem Dampfschiffe nach Triest fuhr, von wo er den geraden Weg nach der Heimath einschlug.

Hortense empfing ihn ohne Vorwurf. Sie war in der Zeit der Einsamkeit und Trauer sehr verblüht; aber Edgar sah das jetzt mit andern Augen.

Zum ersten Male sprach er ganz offen und ernst mit ihr. Sie hörte Alles, seine Liebe, sein Unrecht gegen ihre Liebe, seine innere Geschichte in den letzten Monaten. Er schonte sich nicht und war ihr doch nie so herrlich erschienen. Er fühlte das und dankte ihr, und gab ihr das Versprechen seiner Freundschaft, seiner Schätzung, seiner ernstlichen Absicht für ihr Glück, so weit dieses in seiner Macht stehe. Von Liebe konnte er ihr nichts sagen, die hatte für ihn auf immer geendet; aber Hortense verdiente auch nicht vollkommen glücklich zu sein.

Zunächst wandte nun Edgar seine Blicke auf Goczyn. Wenn er Herrn Faß so feindlich zurückgewiesen hatte, so war es gewesen, weil er damals Goczyn so wie Alles, was ihn an Mathilde erinnerte, haßte und vermied. Jetzt aber war auch darin eine Veränderung in ihm vorgegangen; er sehnte sich da zu wohnen, wo sie gewohnt hatte: er näherte sich dem unglücklichen Bürger, der schon ganz verzweifelt war, und der Rückkauf von Goczyn und den beiden Gütern, welche Herr Faß behalten hatte, wurde bald zur stillen Befriedigung Edgars, zum sühnenden Jubel des armen, abgemagerten Bürgers abgeschlossen.

In Goczyn lebt nun Edgar mit Hortensen, in stiller Thätigkeit, indem er viel Neues und Gutes anlegt und fortführt. Frau von Hain ist seine Freundin, Wilhelm oft Wochenlang bei ihm; Mariechen aber, Mathildens kleine Schwester und ihr liebliches Ebenbild, kam, auf seine innige Bitte, ganz nach Goczyn, wo sie Edgars liebste, traurigste Freude ist, und alle Liebe, für die er kein eigenes Kind hat, empfängt und mit süßer kindlicher Neigung erwiedert. Sonnenstrahl ist auch wieder in Goczyn und für Marie noch immer muthig genug.

Heinrich fährt fort, in Venedig ein stilles, halb künstlerisches Leben zu führen. Edgar und er sind Freunde. Noch ist Heinrich sehr jung – ob sein Schicksal sich einst noch anders gestalten dürfte? Edgar wünscht es warm, aber er will nichts gewaltsam herbeiführen; er überläßt ihn der milden Leitung, welche Alles zum Besten führt.

Herr Faß wohnt wieder in dem Städtchen Goczyn; da hat er sonst gewohnt, da will er bleiben, kein Mensch bringt ihn wieder in ein Schloß. Er ist auf das Neue rund und stattlich trotz einem Bürgermeister, hat seiner Tochter dreißigtausend Thaler gegeben und ihren Mann ein Gut kaufen lassen, ohne sich weiter darum zu bekümmern. Wahrscheinlich wird er noch einmal heirathen.

Auch Johann und Frau Henne dürfen wir nicht vergessen. Beide versehen wie sonst ihren Dienst in Goczyn; aber der alte Henne ist todt, und der Garten hat einen neuen Pfleger.

Alexanders Grab ist eine heilige Stelle; nie ist es ohne Blumen – Hortense hat es sich vorbehalten, es zu pflegen und zu schmücken. Bisweilen sind dann ihre Augen voll Thränen; denn Edgar vergißt wol noch, was er sich gelobt hat, aber er denkt bald wieder daran, und am nächsten Tage kommt Hortense mit stiller Heiterkeit in den Wald zu dem einsamen Grabe.


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