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2.
Dornen und Disteln.

Wenn ich als junges Mädchen gefragt wurde, warum ich lieber auf dem Lande leben möchte als in der Stadt, denn das war mein stets offen ausgesprochener Wunsch, so antwortete ich voller Überzeugung, daß alles auf dem Lande besser wäre, Luft, Freiheit der Bewegung, die ganze Lebensweise, »und vor allem die Leute«, setzte ich hinzu. Ich begegnete bei solchen Äußerungen oft einem ungläubigen oder spöttischen Lächeln, aber ich ließ mich nicht irre machen. Und ich bin noch heute derselben Ansicht, wenn sich auch in dem Felde meiner Träume und Hoffnungen reichlich viele Dornen und Disteln eingefunden haben. Gewiß sind viele junge Frauen, wie ich, mit frohem Herzen aufs Land hinausgezogen und haben allmählich ihre Erfahrungen gemacht, haben leise und unmerklich manche Illusion schwinden sehen – aber, was bleibt, ist doch noch schön genug, um einem das Landleben wert und teuer zu machen. So darf ich ruhig von dem erzählen, was mich in fernliegender Jugendzeit wie stechende Dornen berührt hat, ohne mir den frohen Lebensmut zu rauben.

Als sich mein Schicksal endgültig für das Landleben entschieden hatte, eilte ich, mich unter bewährter Leitung für diesen Beruf vorzubereiten. Ich war voller Eifer alles zu lernen, und ich kann nur jeder Braut eines Landwirtes empfehlen, es ebenso zu machen.

Die Bräutigams sehen das ja häufig anders an, oder fürchten sie, manch verwöhntes Stadtdämchen fände ein Haar in der neuen Tätigkeit? Jedenfalls zahlt man im eigenen Haushalt kostbareres Lehrgeld und erreicht erst sehr spät die nötige Sicherheit, wenn man unvorbereitet hineinkommt. Es bleibt noch genug zu lernen, Erfahrung reift langsam!

Ich glaubte gut vorbereitet zu sein, hatte auch fleißig Notizen gesammelt und begann frisch und wohlgemut und mit den besten Vorsätzen mein Werk.

Aber bald machten sich leichte Dornenritze fühlbar.

Wir hatten viel unverheiratetes Gesinde, und ich war froh, eine ältere Witwe als Gesindeköchin vorzufinden, die in einem Nebengebäude ihres Amtes waltete. Mir hatte vor der Kocherei für die Leute immer ein bißchen gegraut. Die alte Kathe hatte bessere Tage gesehen und galt für eine treue, brave Seele. Ihre Küche hielt sie sehr sauber. Ich hatte mir von meiner Vorgängerin genau angeben lassen, was und wieviel die Leute bekommen, und wog der Köchin alles ordentlich und reichlich zu. Trotzdem herrschte Unzufriedenheit bei den Leuten, die sich häufig in heftigem Aufbegehren gegen Kathe äußerte. Sie kam dann weinend zu mir. Ich nahm, von ihrer Redlichkeit durchdrungen, stets ihre Partei. Eines Tages aber reichte mir mein Mann lachend einen Zettel hin. Es war ein anonymer Brief, der in bösem Kauderwelsch meinem Manne mitteilte, daß es nicht so weiter ginge, ich wäre viel zu dumm, gäbe der Kathe alles hin, ohne mich um das Essen zu kümmern, und diese nähme Speck und Butter in ihre Lade und äße mit ihrer Tochter gute Bissen, während die Leute schlechte Kost hätten. Das »zu dumm«, stieg mir gewaltig in die Krone, obgleich mein Mann meinte, das sollte heißen »zu gut« –, und wenn ich auch anonyme Briefe verachtete, so blieb doch ein Häkchen dieser Distel sitzen und ärgerte mich so lange, bis ich es beseitigte. Nach langem Spüren ertappte ich wirklich die alte Kathe beim Mausen und ließ das Essen von da ab auf unserem Herde kochen. Da hörten die Klagen bald auf, denn ich kümmerte mich täglich um die Zubereitung, kehrte mich auch nicht an die vorgeschriebenen Maße und Gewichte, sondern sorgte, daß es schmackhaft war. wer tüchtig arbeitet, will auch kräftig essen. Überhaupt gingen mir langsam die Augen auf.

Ich sah ein, daß es wirklich »dumm« ist, zu viel Vertrauen zu schenken, daß man immer auf der Hut sein muß und daß allzugut haarscharf an liederlich streift.

Zu meinem Glücke fand ich im Dorfe eine Ratgeberin, die, so einfach sie auch war, mir eine Fülle echter Lebensweisheit spendete. Es war eine wohlhabende Bauersfrau, die eines Tages meinen Mann aufsuchte und mich allein antraf. Etwas in dem klaren Gesichte der stattlichen älteren Frau heimelte mich an, ich lud sie ein, sich zu setzen und meinen Mann zu erwarten. Wir kamen ins Gespräch, das ich etwas herablassend begann. Wie staunte ich aber bald über die Gemütstiefe und über die abgeklärte Ruhe, die dieser einfachen Bauersfrau eigen waren. Es war, als ahnte und wüßte sie, wo mich der Schuh drückte, sie verstand mich ohne Worte. »Man muß sich scharf machen fürs Leben, stumpfe Messer taugen nichts. Wer alles gehen läßt, wie es geht, ist nicht gut, sondern faul und bequem, er tut auch den Leuten keine Güte an, die wollen stramm geführt sein.« »Dreimal überlegen, ehe man lobt oder tadelt, oft schweigt man dann lieber still und hat – keine Reue. Eine Stunde Schlaf zuviel kostet oft mehr wie ein Seidenkleid.« Solche und ähnliche Worte entströmten ihrem Munde und erschlossen mir eine neue Welt der Anschauung. Ich will in einem anderen Kapitel erzählen, in wie vielen Nöten mir die brave Frau beigestanden hat.

Vielen Kummer bereitete mir die Moral, oder vielmehr das fehlende Gefühl für Anstand und Sitte bei den Leuten. Meine Hausmädchen zu überwachen, dachte ich mir leicht. Sie hatten abends den Schlüssel zur Hintertür herauf zu bringen, sagten dann Gutenacht, und ich hielt sie für geborgen; eiserne Gitter vor den Fenstern der zu ebener Erde gelegenen Räume, wo ihr Schlafzimmer lag, schienen jeden Ab- und Zugang unmöglich zu machen. Aber wieder kam eine anonyme Meldung. Das Stubenmädchen, welches bleich und elend aussah und deshalb von mir mit Milch und Eiern usw. gepflegt, auch tunlichst geschont wurde, ginge allabendlich bis lange nach Mitternacht mit ihrem Liebsten im Park spazieren, hieß es, und dann wundere ich mich, daß das »gute Futter« nicht anschlüge. Obgleich deutlich der Neid aus diesem Wisch sprach, wurde ich doch unruhig. Ich hatte mich ja stets davon überzeugt, daß die Hintertür abends auch wirklich geschlossen war, legte mich nun aber aufs Spionieren, so sehr ich mich selber wegen meines Mißtrauens haßte. Ich überzeugte mich öfters, unter irgend welchem Vorwande davon, daß beide Mädchen in ihrer Kammer waren und beruhigte mich allmählich. Aber eines Nachts wurden wir geweckt, eine Kuh kalbte nicht regelrecht, und es war Hilfe nötig. Ich wollte in der Küche etwas holen und ging bei dem hellen Mondenschein ohne Licht hinunter. Da sah ich mit Entsetzen einen Körper zwischen den Stäben des Fenstergitters – es war mein schlankes Stubenmädchen, welches sich mühsam hindurchwand –, das also war der Weg! Die Eisengitter wurden durch Querstangen verdichtet. Einige Zeit darauf fand ich abends beim Ableuchten der unteren Räume hinter der umgelegten Tür der Waschküche einen jungen Mann, er hatte sich mit einschließen lassen.

Ähnliche Erfahrungen werden täglich gemacht, man wird ruhiger darüber und tut, was man kann um sie zu vermeiden; damals war ich geradezu unglücklich darüber und hielt mich für nachlässig und saumselig, weil in meinem Hause derartiges geschehen konnte.

Und dann die Untreue, die man treuherzig zuerst übersieht, die Schauspielerei, die man für bare Münze nimmt und die den einfachen Naturmenschen geradezu angeboren sein muß. Mich stachelte das Wort »zu dumm« immer wieder auf und machte mich hellhörig und hellsehend.

Wir waren einmal durch ein Zusammentreffen von Umständen zwei Tage ohne die Hausmädchen. Die Eine hatte eben eine Urlaubsreise angetreten, als die andere zu ihrer schwer erkrankten Mutter geholt wurde. In solchen Tagen dringt die Hausfrau in Winkel und Räume vor, die ihr sonst verschlossen bleiben. Was fand ich alles? Zerbrochene Gegenstände, die schmerzlich vermißt und spurlos verschwunden waren, kein Mensch hatte sie je gesehen. – Speisereste, für stille Stunden aufbewahrt, vergessen, verdorben, schimmlige Brotkrusten, Stoffreste und Garnrollen, die entschieden meinem Nähtische entstammten, und sogar meinem Bücherschrank entlehnte Romane. Muß man nicht mit der Zeit zum schatzhütenden Drachen auswachsen? Oder soll man die Grenzen des Erlaubten immer weiter ziehen? Freiwillig geben, was einem sonst ungebeten entlehnt wird? Ich neige letzterer Ansicht zu. Noch eine Erfahrung erschloß sich mir in diesen Tagen. Ich hatte eine Frau aus dem Dorfe zur Aushilfe genommen, welche auch in der Mädchenstube schlief. Nach Wochen wurden die Mädchenbetten gesonnt, und ich besichtigte dieselben. Die Deckbetten wiesen Einschnitte auf, die mit großen Stichen wieder zugenäht waren, nachdem ihnen ein gutes Quantum Federn entnommen war. Die Mädchen kamen hier nicht in Verdacht, denn ich kontrollierte die Betten stets und hatte noch nie derartiges bemerkt. Blieb nur die Frau, welche die Nacht zu diesem Raube benützt hatte.

Als wir unseren Wohnsitz verlegten, ging ein Mädchen mit mir, die ich ungern vermißt hätte. Wider Erwarten wurde sie dann vom Heimweh ergriffen, alles Zureden blieb erfolglos, und ich habe damals den Entschluß gefaßt, nie wieder Leute nachkommen zu lassen oder mitzunehmen. Man findet selten, daß sie sich gut einleben, fast immer gestaltet sich aber das Verhältnis zu den Einheimischen feindlich.

Eines Tages kam ein Telegramm, welches das heimwehkranke Mädchen nachhause rief, da der Vater im Sterben läge. Die listig und froh blickenden Augen der diese Trauerbotschaft bringenden Maid fielen mir auf. Ich telegraphierte mit bezahlter Antwort an den Lehrer in unserem früheren Wohnorte – alles kerngesund daheim. Natürlich zeigte ich diese Antwort der Lügnerin und kündigte ihr den Dienst, heute ist man an solche Sachen durch die Galizier gewöhnt, damals berührte mich diese Hinterlist wie ein Sakrilegium.

Ein sehr tüchtiges und braves Mädchen, welches drei Jahre bei mir im Hause war und mein volles Vertrauen besaß, fand wohl nicht den Mut, mir zu kündigen, und ersann ein ganz nettes, beinahe für den Druck geeignetes Märchen, statt mir einfach zu sagen, daß sie nun gern mal in die Stadt zöge. Der Zufall spielte mir die Fäden dazu in die Hand, und wieder kostete es mich ein Stückchen Menschenliebe und erweiterte schmerzhaft meine Menschenkenntnis, daß Emma sich in dieser schwindlerischen Weise von mir los löste.

Allmählich wird man härter und läßt sich nicht leicht mehr durch Tränen und Worte überlisten. Die Welt sehen, wie sie ist, »sich scharf machen fürs Leben«, die Disteln und Dornen unseres Lebensweges nicht ins Üppige schießen lassen, sondern nach besten Kräften ausrotten, was das Gute überwuchern will, das soll wohl unsere Aufgabe im Leben sein.


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