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7.
Feriengäste.

Fröhliche Erinnerungen steigen bei diesem Worte vor meinem geistigen Auge auf. wie viele kamen in unser schlichtes Haus, einige um ein paar Wochen auszuruhen, andere um sich in der Landluft zu erholen, die Liebsten um nur bei uns zu sein. Unter solchen Umständen ist es leicht, Gastlichkeit auf dem Lande zu bieten. Man gibt, was man hat, und wie reichlich sind um diese Zeit allein die Spenden des Gartens. Man genießt die Mußestunden im gemütlichen Beisammensein, gewährt den lieben Gästen die möglichste Freiheit der Bewegung und schafft damit Behagen und Wohlbefinden um sich herum. Für die Jugend gibt es ja stets eine Fülle von Vergnügen und Abwechslung.

Die Erntezeit forderte meistens alle verfügbaren Kräfte. Während des Getreidemähens standen daher die Pferde im Stalle, wurden von einem Knechte gefüttert und getränkt und mußten gelegentlich bewegt werden. Wie nötig waren da hilfreiche Hände. Die Jungen waren natürlich selig, wenn sie sich dabei nützlich machen konnten. Alle Kammern wurden durchstöbert, um zurückgesetzte Stiefel, Hosen, Hüte nutzbar zu machen. Es kamen dann wahre Räubergestalten zutage, aber das sah »forsch« aus, gehörte zur ländlichen Ausrüstung.

Ein Geburtstag fiel in diese Zeit, und da zu dieser Feier noch mehr Gäste erwartet wurden, sollte ein Wagen nach der Stadt gehen, um verschiedenes heranzuholen. Die Gymnasiasten flehten um die Erlaubnis, diese Fuhre zu lenken, und da sie Proben ihres Könnens abgelegt hatten, willigte mein Mann ein. Ein ehrwürdiges Roß ward eingespannt, und der Korbwagen setzte sich in Bewegung. Sehr spät kamen die Jungen zurück, es waren schon ernstliche Sorgen über das Gelingen der Expedition in uns aufgestiegen, aber lachend und mit erledigten Besorgungen kamen sie an und erzählten, daß der Schimmel störrisch geworden sei, und sie ihn halbe Stunden lang nicht von der Stelle bekommen hätten. Schließlich faßte ihn immer einer am Zügel, während die andern einen gräßlichen Lärm vollführten, bis sich das alte Tier vor Schreck in Trab setzte, hurtig mußte der Führer dann während der Fahrt hinten aufklimmen, denn zu halten durften sie nicht wagen. In der Stadt fand sich für ein Trinkgeld eine willige Hand zum Helfen, und so kamen sie glücklich heraus, das Pferd ging dann unaufhaltsam dem Stalle entgegen.

Die Kirschalleen und der Wald mit den vielen Pilzen boten beliebte Ziele für die Bewegung der Pferde. Meistens nahmen wir das Vesperbrot mit, lagerten draußen im Waldesschatten und brachten gute Beute heim. Es war noch eine gute Zeit, als man Getreidesäcke mitnahm, um die Fülle der Pilze zu bergen. Daheim saßen wir weiblichen Wesen dann zusammen, putzten und schnitten die Pilze zum Verspeisen und Dörren, und jemand nahm wohl ein Buch zur Hand und las etwas vor.

Beim Schobersetzen halfen die Großen emsig mit, die Kleinen durften mit auf dem Wagen hinaus, der den Leuten eine Erfrischung brachte: saure Milch, Buttermilch, Frühbirnen oder was es gerade gab. heiß und hungrig und durstig kamen die fleißigen Helfer dann abends heim, und wie mundeten die kühle dicke Milch mit den Speckkartoffeln, oder die frischen Erdbeeren mit süßer Milch zum einfachen Butterbrot. Abends spielten wir oft noch im Park Räuber und Prinzessin, oder Begegnen, bis die Füße nicht mehr mochten und die Augen zufielen. »Ach Tante, wieviel erlebt man an einem Tage hier, in der Stabt ist es doch gräßlich langweilig,« so und ähnlich äußerten sich die Großstadtkinder oft voller Dank und Freude.

Freilich ging es auch ohne kleine Unannehmlichkeiten nicht ab. Eines Tages hatte sich die junge Gesellschaft auf einem Holzgeländer niedergelassen, welches einen übelduftenden Graben begrenzte. Das morsche Holz brach, und alle fielen in den Morast.

Die Pumpe konnte kaum Wasser genug hergeben, um die schwarzen Gestalten von ihrer Schmutzkruste zu befreien, hinterher wirkte die Komik der Situation sehr erheiternd, es wurde noch nach acht Tagen behauptet, daß man die Abdrücke der einzelnen Gestalten in dem zähen Brei zu erkennen vermöge. Sehr ergötzlich war einmal während der großen Ferien für uns ältere Leute die Verehrung und Anbetung, welche ein niedlicher Backfisch, der sich unter unseren Gästen befand, von seiten der »jungen Herren« genoß. Sie huldigten der Kleinen sämtlich, waren aber dabei ganz brüderlich mit einander: »Unter Kameraden ist das ja ganz egal!« Ich erlauschte eines Abends, als die jungen Herren den Mondenschein auf dem Balkon ihres Zimmers genossen, wie sie überlegten, womit sie wohl dem Gegenstande ihrer heißen Liebe eine Freude bereiten könnten. Der Vorschlag des Primaners: »wir wollen ihr den französischen Aufsatz machen, sie hat so gräßliche Angst davor,« ward schließlich einstimmig angenommen, denn die schmalen Geldbeutel gestatteten wohl keinen Aufwand von Gaben, wie sie sonst die zarte Liebe zu reichen pflegt.

Regentage brachten vorübergehend wohl einen Rückschlag der fröhlichen Stimmung, aber sie vermochten sie doch nicht ganz zu unterdrücken, wozu wären auch die vielen Bücher dagewesen und das Klavier, nach dessen Tönen es sich so prachtvoll tanzte, wenn wir Mütter die alten Weisen ertönen ließen, Il Bacio, Feuerwehrgalopp, Annenpolka! Verkleidungen und Späße aller Art füllten die Stunden des Beisammenseins, und die Lust am Fabulieren schuf manche heitere Abwechslung. Mich machte die Jugend wieder jung und froh, und ich war zu jedem Entgegenkommen bereit, um unschuldige Freuden zu wecken.

Nur einmal kamen Gäste aus der Ferne zu uns, die absolut nicht in den Rahmen unseres Landlebens paßten, und bei deren Abschied nicht wie sonst wehmütige Stimmung herrschte, sondern erleichternde Seufzer aufstiegen, wie wir zu denen kamen? In der fröhlichen Stunde des Wiedersehens nach langen Jahren wird manchmal eine Einladung ausgesprochen und angenommen, und wenn der Moment der Erfüllung gekommen ist, findet keiner den Mut sein Wort zurückzunehmen, zu gegenseitiger Qual. Der liebe, freundliche Herr fand sich zwar auf dem Lande wenig behaglich, mochte vieles vermissen, was ihm sein Stadtheim gewährte, ließ es aber nicht merken. Die Dame aber gehörte zu jenen Frauen, die da sagen: »Ich mache es so.« Wehe der Hausfrau, die dann eine andere Ansicht vertritt. Sie wird zwar nicht mit bösen Worten getadelt, aber der kühle, erstaunte Blick, das mitleidige Lächeln verurteilt genug, wenn es sich nun gar um grundverschiedene Lebensführungen und Erfahrungen handelt, so ist kaum auf ein gemütliches Zusammenleben zu rechnen. Ich gab mir alle Mühe mein Haus den Fremden behaglich zu machen, aber es wollte und wollte mir nicht glücken, das Richtige zu treffen.

Zunächst die Zimmer. Ich hatte das ruhigste zum Schlafgemach für das Ehepaar erwählt und in Anbetracht der Sommerhitze leichte Steppdecken für die Lagerstätten gegeben. Am ersten Morgen, als ich nach dreimaligem vergeblichen Auftragen des Frühstücks endlich die Freude hatte, die Herrschaften unten zu begrüßen, fragte ich, wie sie geschlafen hätten. Ausweichend entgegnete der alte Herr: »Je nun, so gut wie es in fremden Betten nur möglich ist.« Aber seine Gattin sagte strafend: »Nein, unsere liebe Wirtin soll die Wahrheit wissen, wir haben so gut wie gar nicht geschlafen. Erstens sind wir an leichte Federbetten gewöhnt, und dann summten Fliegen im Zimmer.« Ich versicherte, daß ich gern Abhilfe schaffen würde, aber die Klagen waren noch nicht erschöpft. »Gegen Morgen krähten die Hähne ganz fürchterlich, das läßt sich gewiß auch abändern, nicht wahr? Aber noch eine Frage, die Sie mir nicht übel nehmen wollen, liebes Frauchen, haben Sie etwa – man hört ja manchmal so etwas vom Sande – haben Sie etwa Wanzen im Hause?«

Ich verneinte höflich aber entschieden. Lächelnd wies mir die Dame einige rote Fleckchen an ihrem Arm. »Mückenstiche« sagte ich äußerlich ruhig, innerlich empört. »Na ja, also doch Insekten, ich schütze unsere Wohnung ängstlich vor solchen Eindringlingen,« entgegnete sie.

Ich bot den Kaffee an, er wurde zu stark befunden, die feinen Brotschnittchen, die unsere Gäste gewöhnlich des Morgens allem andern vorzogen, wurden wegen der Säure des Landbrotes freundlich abgelehnt, der einfache Kuchen zögernd versucht, »wir sind so an die knusprige, frische Semmel gewöhnt, wissen Sie. Sie, armes Herz, bekommen hier wohl nie dergleichen?« »O ja, zweimal in der Woche, aber sehr knusprig ist sie nicht.« So ging es dann weiter. Gab ich mittags eine süße Speise zum Nachtisch, so hieß es: »Ei, ei, welche Verschwendung. Siehst du, Alterchen, das ist die notleidende Landwirtschaft.« Ließ ich nur ein Gericht auftragen, so lautet das Urteil dahin, daß nur Fleisch zu essen nicht gesund sei, trotzdem ich es an Gemüse und Kompott nicht fehlen ließ. Kurz, ich geriet allmählich in eine stille Verzweiflung und verlor alle Ruhe und Sicherheit, war ich denn wirklich so unaufmerksam und ungeschickt? hatte mich die nachsichtige Liebe meiner anderen Gäste verwöhnt, und fanden sie vielleicht insgeheim auch so viel an mir zu tadeln? Ich machte vergebliche Anstrengungen mir ein karges Lob zu erringen, begegnete aber immer häufiger dem peremptorischen: »Ich mache das so!« Eine Verschwenderin blieb ich jedenfalls in den Augen der Städterin, die nicht begriff, warum ich nicht täglich Gemüse, Obst, Geflügel nach der Stadt schickte. »Es ist hier wirklich nicht nur alles zum Leben, sondern auch zum Wohlleben vorhanden,« das war die Lieblingsredensart meiner Gäste. Es galt garnichts, daß ich emsig bemüht war, den Überschuß für den Winter zu bergen und zu verwahren, es wurde nicht bemerkt, wie viele Mühe ich überhaupt mit allem hatte, nicht anerkannt, welche Anstrengungen ich machte, um mein Haus im besten Lichte zu zeigen. Nur eines galt: » Ich würde das und jenes verkaufen und dafür Billigeres auftischen usw.« wissen solche Menschen nicht, wie sehr sie erbittern und verletzen? Ich rang mit aller Kraft gegen diese Gefühle.

Auch unser Hausmädchen war in dieser Zeit wie gehetzt, stets hatte die fremde Dame ihre Hilfe nötig, oft mußten wir mit dem Essen warten, weil Marta nach oben gerufen worden war und also nicht da war, um aufzutragen. Auf meine freundliche Bitte, die Mittagstunde inne zu halten, da die Herren pünktlich draußen sein müßten, erhielt ich die lächelnd gegebene Antwort: »Ja, ja mein liebes Frauchen, so seid ihr aus dem Lande verwöhnt. Mein Mädchen muß allein fertig werden, ich habe nicht die vielen Leute, und sie muß mich auch noch bedienen, freilich bin ich nicht so pedantisch, mit der Minute zu rechnen.«

Zum Schluß kam dann noch die Furcht zum Ausdruck, daß wir den Besuch vielleicht erwidern könnten. »Auf dem Lande macht so ein Logierbesuch ja gar keine Umstände. Wir armen eingepferchten Stadtleute können uns so etwas nicht gestatten. Aber wenn Sie mal nach H. kommen, zeige ich Ihnen gern alle Sehenswürdigkeiten der Stadt, bestelle Ihnen ein nettes Zimmer im besten Hotel, und Sie sollen dann mal sehen, wie wir uns unser Leben eingerichtet haben.«

Nun, alles geht vorüber, und auch diese Prüfung nahm ein Ende. Mein Mann und ich gaben uns das Versprechen, nie wieder uns persönlich ganz fremde Menschen für längere Zeit einzuladen. Über wie oft müssen Rücksichten genommen, Gefälligkeiten erwidert werden; möge dieses getreue Spiegelbild manchem, der solche Opfer annimmt, zeigen, wie weh er seinen Wirten tun kann.

Auch im Dorfe kehrten einige Male Feriengäste ein. Meine gute Frau Huber, die so häufig meine Lehrmeisterin gewesen war, kam einst in ihren Nöten zu mir. Ihr Ältester hatte studiert, war Direktor einer Schule und wollte mit Frau und Kindern die Eltern besuchen. Die in ihrer ländlichen Tüchtigkeit so sichere Frau machte es sich unglaublich schwer, ihre Kinder bei sich aufzunehmen, vor einer Fürstin hätte sie nicht mehr Respekt haben können als vor ihrer Schwiegertochter. »Sie sind ja auch aus der Stadt, Sie müssen mir sagen, wie alles sein muß.« Ich riet nach bestem Ermessen, suchte das Selbstbewußtsein der Bäuerin zu heben, hatte aber dabei das Gefühl, daß die Freude auf das jahrelang erhoffte Wiedersehen mit dem Sohne, die Begierde, die Enkelkinder kennen zu lernen, ganz vor all' den Bedenken in den Hintergrund traten. Mir tat die brave Frau leid. Es muß bitter sein, seine Kinder so viel höher steigen zu sehen, daß man den Zusammenhang mit ihnen verliert. Wenn Frau Hubers ältester neben seiner Mutter in Hof und Feld gearbeitet hätte, wie viel glücklicher wäre sie gewesen, die Stunden befriedigten Stolzes auf den studierten »Sohn« waren doch gering anzuschlagen neben dem Entsagen aller Gemeinschaft, wir hatten in dieser Zeit selber viel Besuch, und ich konnte mich nicht persönlich mit Frau Huber und ihren Gästen in Verbindung setzen, erfuhr aber zu meinem Erstaunen, daß sie nur einige Tage da gewesen waren und die Ferien im Gebirge verlebten. Ein Schmerzenszug im Gesichte der alten Frau war das einzige Merkmal dieser Erfahrung, sie war zu stolz, um ihre Enttäuschung nur mit einem Worte zu erwähnen.

Einen vierbeinigen Gast muß ich auch noch zum Schluß erwähnen. Er begleitete seine Herrin zu uns, hieß Boy und war ein niedlicher junger Dackel, verlangte aber auch die äußersten Rücksichten. Sein Federbett, in einem Korbe aufgemacht, mußte allwöchentlich frisch bezogen werden, Kartoffeln durfte er nicht fr–essen –, Brot ganz wenig, womöglich geröstet, am liebsten gebratener Fleisch und etwas süße Milch. Den Herren fuhr er mit Vorliebe an die Beine, er war nur an Damengesellschaft gewöhnt –, und manche Hose trug die Abzeichen seiner spitzen Zähnchen. Fahren liebte er sehr, wurde deshalb stets mitgenommen und äußerte seine Freude darüber durch ohrenzerreißendes Kläffen, welches den Kutscher mal dazu veranlaßte, ihn mit einer kräftigen Handbewegung unter das Schurzleder zu befördern. Der Schreck über diese rohe Behandlung ließ Boy für einige Minuten verstummen, dann zerriß er in stiller Wut die gute Kutscherhose. Stubenrein war Boy, wie seine Herrin ja versichert hatte, aber daß er, wie sie auch behauptete, nicht naschen sollte, mochte ich bestreiten. Ich trat eines Morgens in unser Frühstückszimmer, wo der gedeckte Tisch unser harrte. Boy lag auf seiner Decke, anscheinend ganz unschuldig, nur der furchtsame Blick fiel mir auf, sodaß ich den Tisch aufmerksam musterte. Die Butter sah merkwürdig verziert aus, die obersten Zuckerstücke waren feucht, einige Sandkörner aus dem Damasttuche ließen auf die Berührung mit einer Hundepfote schließen, aber wegen Mangel an Beweisen konnte ich nicht zur Reitpeitsche greifen, und dringende Fragen beantwortete Boy nur mit starkem Schwanzklopfen. Es blieb nichts übrig, als alles Eßbare neu aufzustellen und das Geschirr abzuwaschen. Ein Verführer war Boy auch. Ich habe es mit meinen eignen Augen gesehen, wie er dem alten braven Lord mit Schöntun und Ziehen und Zerren so lange zusetzte, bis sich der alte Herr schwerfällig erhob und mit dem Jungkerl eine Escapade in die Jagdgründe unternahm, die ihm sonst nur in Begleitung des Herrn geöffnet waren. Na, als sie endlich atemlos heimkehrten, haben sie beide ihren Lohn bekommen, so jammervoll auch die Herrin für ihren Boy bat. Ja, man muß wirklich mit den Einladungen vorsichtig sein.


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