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9.
Einst und jetzt.

Wenn ich heutzutage einen der neuerbauten Kuhställe betrete, so gedenke ich unwillkürlich der Vergangenheit und freue mich, wie gut es jetzt Mensch und Vieh im Vergleich zu früher haben. Helle, luftige Räume bilden den gesunden Aufenthalt für die milchspendende Herde. Der sauber gewaschene, gepflasterte Gang zwischen den Ständen ermöglicht einem das Hin- und Hergehen bei der Beaufsichtigung, ohne daß man Kleidersaum und Schuhe beschmutzt, und der breite Futtertisch gestattet gleichfalls ungehindertes Beschreiten. Die Tiere versorgen sich entweder an der Selbsttränke selber, wenn sie Durst haben, oder der Fütterer öffnet einfach einen Hahn, um genügend Wasser in die Krippen laufen zu lassen, ja das Futter wird durch leicht bewegliche Bahnen in die Ställe geführt, und ein Handgriff genügt, um es in die Krippen zu befördern.

Früher aber! Ging ich in den Stall, um das Melken zu beaufsichtigen, so mußte ich mich darauf einrichten, den Berg von Dünger, der den ganzen Stall gleichmäßig bedeckte, zu besteigen. Je dicker er lag, desto lieber war er dem Landwirt, und nicht immer war Stroh so in Hülle und Fülle vorhanden, daß man sich gegen unliebsame Berührung mit dem köstlichen Stoff schützen konnte. Die Kühe standen mit den Köpfen an der Wand, die Futterleute traten zwischen die Tiere und schütteten ihnen das Futter in die Krippen, wobei natürlich ein öfteres Nachschütten wegen Mangel an Platz notwendig war. Das Kraftfutter wurde in früheren Jahren fast allgemein in Form der »Tränke« gegeben. Dazu wurde das Wasser im Kessel des Wohnhauses heiß gemacht und in Kannen in den Stall gebracht, wo ein großer Zuber zur Bereitung des Futters bereit stand. Leinkuchen, Weizenschale und, wenn es hoch kam, noch etwas Erdnußmehl oder Roggenfuttermehl wurden in geringen Gaben dort gebrüht, dann trugen die Leute kaltes Wasser vom Brunnen im Hofe dazu, und schließlich begann das mühselige Tränken aus Eimern, wobei man sorgfältig darauf achtete, daß die guten Milchkühe und die Neumelken ein reichlicheres Maß bekamen, als die gerade weniger ergiebigen Milchspenderinnen. Ebenso verfuhr man beim Tränken mit Wasser, wo keine Möglichkeit vorhanden war, das Vieh zur Tränke zu treiben. Manche Stunde ging so im Stall dahin; der Kuh stall stand früher meistens unter der Aufsicht der Frau oder ihrer Wirtin; die Erträge aus Milch und Butter flossen dann auch in ihre Kasse, wieviel Mühe hatten wir aber auch damit. Und doch, wie gern ging ich in die Milchkammer, um die Sahne zum Buttern abzunehmen! Auf den Regalen standen die Holznäpfe mit der Milch, man hatte keine Zentrifugen, sondern nahm den sauren Rahm von der dicken Milch ab, die gleich eingeteilt wurde, zu Käse, für die Leute, für die Schweine und Kälber. Letztere nahmen die dicke Milch sehr gern und gediehen gut dabei. Die hölzernen, ja sehr dauerhaften »Milchschäffel« bedurften natürlich sorgfältiger Reinigung; nach dem Scheuern steckte man sie in den Kessel und ließ sie auskochen, eine zeitraubende Arbeit, denn es wurden doch täglich eine große Anzahl gebraucht. An der Luft trockneten sie dann, mußten aber im Sommer mit Wasser gefüllt im Keller stehen. Die weißgescheuerten Schäffel kamen dann aber auch mit ihrem ganzen Inhalt abends auf den Tisch, wenn dicke Milch beliebt war. Im Winter war es oft schwierig, in den meist ungeeigneten Räumen die richtige Temperatur für die Milch zu erreichen, und es bedurfte großer Aufmerksamkeit der Hausfrau, um die Butter wohlschmeckend zu erhalten, denn zu langes Säuern verdirbt viel. Nun denke man sich die Bauernstuben, in denen sich das ganze Leben der Leute abspielte, zugleich als Aufbewahrungsort der Milch; denn einen anderen Raum zu heizen, wäre ja zu verschwenderisch gewesen, – der Geschmack der aus dieser Sahne bereiteten Butter kann unmöglich dem der jetzt in den Molkereien bereiteten Fabrikate geglichen haben. Ich sah mit eigenen Augen in einem sonst in bestem Rufe stehenden Bauernhause die Milchnäpfe unter den Betten stehen. Gekränkt meinte die Frau, der ich meinen Abscheu wohl etwas deutlich gezeigt hatte: »Wir decken Papier darüber, damit es nicht einstaubt«. Allerdings lag altes Zeitungspapier auf den Näpfen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, sagt ein tröstender Spruch!

Das Buttern habe ich mit allen möglichen Instrumenten kennen gelernt. Das alte, liebe Stoßfaß ist ja noch heute nicht ganz von der Bildfläche verschwunden, es war lange Zeit das einzige, sehr viel Kraft und Ausdauer erfordernde Mittel zur Buttergewinnung. Ich staunte die praktische Erfindungsgabe einer Inspektorfrau an, die sich eine Art Pumpenschwengel an dem großen Faß dergestalt hatte anbringen lassen, daß das Buttern außerordentlich erleichtert wurde. Die später auftauchenden Maschinen haben allmähliche Fortschritte gebracht, bürgerten sich aber nicht so schnell ein, da sie teuer waren und, wie immer bei solchen Gelegenheiten, die Urteile der Landwirtinnen weit auseinandergingen. Und nun die Butterbereitung selber! Kneter kannte man früher nicht; der Holzlöffel, ober die flache Hand waren die Instrumente, mit denen man auch die größte Buttermenge bearbeiten mußte. Es fehlte auch meistens an Eis, das man noch nicht überall zu konservieren verstand, und wie schwer war es in der Sommerhitze oft, die Butter zusammen zu bekommen, geschweige denn, sie sorgfältig auszuwaschen und zu formen, häufig mußte ich sie bis zum nächsten Tage, flüchtig mit dem Salz verrührt, stehen lassen, um dann erst das Feinreiben zu vollführen, sie durfte doch weder »Streifen« noch Löcher und Unebenheiten aufweisen, oder gar das Salz zutage treten lassen. Die Nöte mit dem Versenden habe ich an anderer Stelle geschildert; jedenfalls haben die Landwirtinnen der heutigen Zeit manche Mühe und manchen Ärger weniger, wenn sie nur die Lieferung an die Molkerei zu überwachen haben.

Käse wurde man zu billigen Preisen los, der Händler bezahlte ihn nach Gewicht, irre ich nicht, das Pfund mit 8 Pfg. Er wurde häufig in dem Allerwelts-Kessel bereitet, man schüttete die Milch hinein, erwärmte sie sehr vorsichtig und schöpfte den Quark dann mit Sieben in große Säcke, die auf die Käsepresse gelegt wurden. Für die selbstbereiteten Handkäse ist ja noch immer Vorliebe vorhanden. Die massenhafte Bereitung derselben wurde oft auch durch Mangel an geeigneten Trockenräumen erschwert, und ich las mal irgendwo die glaubwürdige Geschichte, daß Mutterchen ihre schönen Handkäse auf Leinentüchern in der Gaststube trocknete, wo Tag und Nacht das Fenster offen blieb. Der Sohn überraschte die Eltern mal spät abends, stieg in die Gaststube durch das wohlbekannte Fenster ein und freute sich über Mutters neuen weichen Teppich, das mußte Smyrna sein! Am andern Morgen zeigte sich dann die kleine Täuschung! Die Hausfrauen, welche Käse en masse selber machten, hatten auch oft ihre liebe Not. Wenn der Quark zu trocken geworden war, kostete es viele Mühe, ihn mit den Händen geschmeidig zu machen, gelang das nicht, so bekamen die Spitzkäse Risse, die dann das Werk verdarben. Ich hatte mein Stubenmädchen zu dieser Arbeit angelernt, mußte sie aber einmal aus dem eben angeführten Grunde tadeln, da sagte sie: »Ich kann es nicht besser machen,« worauf ich entgegnete: »Na, dann werde ich dir zeigen, daß es geht.« Ich hatte eine schöne Kraftanstrengung und Mühe davon und glaubte schadenfrohe Blicke auf mir ruhen zu sehen, quälte mich aber doch solange ab, bis die Spitzkäse glatt und eben auf den Horden lagen. Man urteilt nach solchen Proben sehr viel milder! Übrigens ist die Arbeit leichter, wenn man den Quark allmählich, auf warmer Stelle, in großen Töpfen zusammenfallen läßt. – War nun früher also die Tätigkeit der Landwirtin eine größere und andere wie heute, so hatten wir doch auch mit willigeren Hilfskräften zu rechnen. Es gehörte ja immer Ruhe und Energie und vor allem Einsicht in das Maß der Leistungsfähigkeit der Leute dazu, um ein größeres Getriebe mit sicherer Hand zu leiten, aber die Diplomatie und Selbstbeherrschung, die Bescheidenheit und Nachsicht, die man heute nötig hat, waren früher entbehrlich. Man tadelte sogar ungeniert und wie einem der Schnabel gewachsen war! Eine Mühe habe ich schon sehr lange sparen können, das Nachdenken darüber, wie man die Leute abends im Winter beschäftigen sollte, sie durften doch nicht müßig herumsitzen, oder gar weglaufen. Federn schleißen, Erbsen auslesen, Kartoffeln für den nächsten Tag schälen (für die Gesindeküche), das alles kam nach der Stärkebereitung und Sirupfabrikation heran. Ich schob natürlich auch manchen Abend für die Flickerei der Mädchen ein, aber oft zerbrach man sich den Kopf, wenn um sieben Uhr alle Arbeit getan war, was nun nach dem Abendbrot vorgenommen werden sollte. Die Spinnerei habe ich nicht mehr mitgemacht, nur die Bauernmägde spannen damals noch abends, aber den Webstuhl übernahm ich noch, den meine Vorgängerin auf unserer Pachtung benutzt hatte. Im März trat der Weber an und verarbeitete das Gespinst; wie wunderbar haltbar die daraus gewonnenen Wäschestücke sind, weiß jede ältere Hausfrau, und sehe ich noch heute. Die Festigkeit aller damaligen Gewebe erklärt auch zum Teil, daß die Mädge mit ihrem geringen Lohn auskamen und noch sparten; freilich war kein Gedanke an moderne, zierliche Kleidung. – Obgleich nun also damals die Leute weniger bekamen, mehr leisten mußten und viel anspruchsloser inbetreff auf Wohnung und Kost waren, war es doch ein ganz anderes Verhältnis wie heute zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Selbst wenn man völlig unparteiisch zurückblickt, muß man betrübt den Kopf schütteln über die unerhörte Veränderung dieses gegenseitigen Verhältnisses. Der häufige Wechsel läßt das früher bestehende Vertrauen zur Herrschaft nicht erst aufkommen, der Mangel an Leuten gibt den letzteren die Sicherheit, immer und überall angenommen zu werden, und da sie sich an das Herumziehen gewöhnt haben, hat auch diese Unbequemlichkeit keine Schrecken mehr! Aus diesem erleichterten Wechsel ergibt sich dann wieder die Unbekümmertheit und Sorglosigkeit im Dienst und im Verhalten gegen die Vorgesetzten; so wachsen die Schwierigkeiten, die der Landwirt zu überwinden hat, sich immer mehr aus und erfordern einen von den andern Berufsklassen kaum geahnten Aufwand von Kaltblütigkeit, Klugheit und verständiger Einsicht, um überhaupt weiterwirtschaften zu können. Und vielleicht geben mir manche Frauen recht, wenn ich sage, viel vermögen wir weiblichen Vorgesetzten zu vermitteln und zu mildern, aber das ist keine Arbeit, die von heute zu morgen den Erfolg zeitigt, sie muß unablässig und mit gutem Beispiel getan werden. Ein Herz haben für die Frauen und Kinder unserer Leute, ihnen zeigen, daß wir wahres Interesse an ihnen nehmen und gelegentlich eine scheinbare oder wirkliche Undankbarkeit übersehen, das hilft vielleicht doch wieder Boden gewinnen im Vertrauen zu einander. Wie sagt Schiller? » Über das Herz zu siegen, ist groß, ich verehre den Tapferen, aber wer durch sein Herz siegt, er gilt mir doch mehr.« Aber es muß gesagt werden, auch da, wo längst nach solchen Grundsätzen verfahren wurde, blieben die Enttäuschungen nicht aus. Auch dieses Jahr hat der Ziehtag manchen hinweggeführt, dem wir nach bestem Wollen und Können durch Krankheit und Not geholfen haben, manchen, der sich gut eingearbeitet hatte, und den wir ungern gehen sahen. Die Gründe sind oft tief verschleiert, und das erschwert uns das Bessermachen. Hetzereien, Neid, die Schule bezw. der in den Augen der Leute oft ungerechte Lehrer, das alles sind Fortbewegungsgründe, die sich schwer hemmen lassen. Aber wenn überall der Hebel angesetzt wird, um der jungen Generation das Landleben und die Landarbeit lieb zu machen, so bleibt die Hoffnung auf bessere Zeiten nicht ausgeschlossen.


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