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4.
Kutscher Paul.

Ich sehe noch die kleine, untersetzte Gestalt des Kutschers Paul, der sich eines Abends bei uns vorstellte, da mein Mann einen Ersatz suchte. Unscheinbar, unschön und wenig abgehobelt in seinem Wesen stand er da und wurde auch nicht besonders liebenswürdig empfangen.

»Dein Vater ist ein Trinker,« hörte ich meinen Mann mit jener Offenheit sagen, die den Verkehr des Landwirts mit seinen Untergebenen kennzeichnet, »hoffentlich hast du diese Ungewohnheit nicht geerbt.«

»Nee, ich trinke keinen Tropfen, da können Sie die Frau Inspektern fragen, wenn sie mir manchmal einen eingegossen hat, hab ich ihn stehen lassen. Ich hab genug von dem Elend zu Hause.« Das klang schlicht und treuherzig, und mein Mann wurde freundlicher und war bald mit ihm einig. Damit war eine neue Ära in unserm Fuhrwesen angebrochen, denn der neue Kutscher erwies sich als guter Pferdepfleger, als nüchterner, sauberer und grundehrlicher Mensch, er hat sich als solcher achtzehn Jahre bei uns bewährt.

Die Hauptsachen waren demnach bei ihm in den besten Händen, manches blieb die ganze Zeit über zu wünschen, denn Engel gibt es auch unter Kutschern nicht. Fahren hat Paul (nach meines Mannes Urteil) nie gelernt, er selber war mit sich in dieser Hinsicht zufrieden und rühmte sich laut und leise, daß er uns nie umgeworfen, nie ein Pferd übermüdet, oder erkältet habe und nur ein einzigesmal zum Zuge zu spät gekommen sei.

Brave, ehrliche Seele! Das war ja alles wahr, aber die Eleganz beim Fahren, die Schneidigkeit, ja selbst die Höflichkeit gegen uns und unsere Gäste, die Gewandtheit beim Bedienen und überhaupt im Verkehr mit den »Herrschaften«, das alles stand auf einem anderen Brette, vielleicht hätten andere es besser verstanden, ihm das Fehlende anzuerziehen –, wir hatten an seiner Originalität eine heimliche Freude, und wie kann man schelten, wenn man so recht ergötzt ist? Freilich mußte, der Form wegen, oft ein Verweis erteilt werden, aber er prallte ziemlich wirkungslos an dem selbstzufriedenen Paul ab.

Einmal waren nach einer Gesellschaft die Wagen aus einem der Nachbargüter gemeinsam vorgefahren. AIs wir uns dem unsrigen näherten, sahen wir eine alte Dame drin sitzen, die hier irrtümlicherweise ihren Gatten erwartete, wir fragten später Paul, warum er die »gnädige Frau« nicht auf ihren Irrtum aufmerksam gemacht habe und erhielten die bündige Antwort:

»Ich dacht, sie wird ja wissen, warum sie reinkriecht.«

Eines Tages wurde der Jugend eine kleine Jagd geboten. Paul fuhr die Jäger und hatte die Körbe mit dem Frühstück in Verwahrung. AIs einer der hungrigen Schützen herankam, um sich zu erquicken, fragte Paul, ob er schon etwas geschossen habe. Da der Herr verneinte, sagte er kurz, dann gäbe es noch nichts, und es half nichts, der Arme mußte abziehen und sein Heil nochmals versuchen, bis die beutebeladenen andern Schützen herbeikamen.

Fragte ihn jemand, wie lange er schon bei uns wäre, so antwortete er: »Heuer haben wir das zehnte (oder zwölfte) Schwein mitsammen geschlachtet,« er hatte nämlich beim Brühen, Schaben usw. zu helfen, wenn Schlachtfest war.

Die Kinder versorgte er, wenn sie ihm anvertraut wurden, wie die beste Kinderfrau, und hing mit wahrer Liebe an ihnen, sie stellten dieselbe oft auf eine harte Probe; dann ließ er es an erzieherischen Ratschlägen nicht fehlen, die manchmal von überwältigender Komik waren. Sparsam in den eigenen Ausgaben, war Paul beinahe geizig mit allem, was uns gehörte. Er konnte wütend werden, wenn z. B. ein Händler beim Aufladen von Vieh mehr Stroh mitnahm als unbedingt nötig war, und ganz besonders, wenn fremde Kutscher übrig gebliebenes Pferdefutter mitnehmen wollten. »Mehr wie satt fressen brauchen sich Eure Pferde nich,« pflegte er zu sagen, »was übrig bleibt, gehört uns.« »Uns!« Ja, das ist die echte treuherzige Zugehörigkeit, die sich des gemeinsamen Besitzes rühmt.

Holte er uns bei schlechtem Wetter ab, so suchte er, ohne daß es ihm gesagt war, die alten Mäntel und Decken hervor und trocknete die naßgewordenen Sachen sorgfältig, im Winter in der Brennerei. Ebenso geizig war er mit Geschirren und Livreen, und es mußte oft ein Machtwort gesprochen werden, um sie ihm zu entreißen. Dann saß er knurrig auf seinem Bock und gönnte einem keinen Blick, innerlich wohl über unseren Unverstand grollend.

Daß ein so origineller Mensch auch bei der Wahl einer Gattin seine eigenen Wege gehen würde, verstand sich von selbst. Er teilte mir vorbereitend schon eines Tages mit, daß er zeitig heiraten wolle, es wäre doch so schön, wenn man später, wenn die Kinder groß wären, noch nicht so alt sei.

»Bei dem Z… sieht man es ja, die Kinder schicken immerfort von draußen Geld, da hat mans gut.«

Eine wüßte er, die hätte eine »ausgemöbelte Stube«, sie wär ein ganz adrettes Frauenzimmer, ein Jahrener vier – fünf älter als er, aber sonst – –.

Na, die wurde es nicht, und eine andere Verlobung ging zurück, obgleich ihm die Braut einen schönen Überzieher geschenkt hatte, den er schweren Herzens zurückgab. Endlich wurde unser Stubenmädchen seine Erwählte, er teilte mir mit, daß er sie sich »anschaffen« würde. Sie paßte in jeder Beziehung zu ihm und hat alle seine Erwartungen erfüllt.

Nach dem 53ten Schweineschlachten mußten wir uns dann von Paul und seiner Familie trennen, da wir zu weit fortzogen, um sie mitzunehmen, die mit tausend Fasern an ihrer Heimat hingen.

Bekannte, bei denen wir unsern treuen Paul gut aufgehoben wußten, boten ihm eine zusagende Stelle, die er bis an sein Lebensende innegehabt hat. Er hat sich dort ebenso bewährt wie bei uns, aber drollige Beispiele seines urwüchsigen Wesens tönten noch manchmal zu uns herüber.


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