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3.
Unsere Nachbarn.

Der Begriff Nachbarschaft ist auf dem Lande ein ziemlich weit ausgedehnter, nicht immer wird man auf der Karte die Ländereien guter »Nachbarn« aneinander grenzend finden.

Aber ich möchte mich auch heute mit dem, was wir Landleute »Nachbarschaft« im Umgangskreise nennen, nicht beschäftigen, sondern will der räumlich Nahen gedenken, welche die Dorfgemeinschaft ausmachten.

Als junge Eheleute hatten wir einen alten Bauern an der einen Seite des großen Gartens als Nachbarn, und manch ernstes oder heiteres Wort flog hin und her, wenn der weiße Kopf des Greises über den Zaun guckte. Meist merkte ich aber seine Gegenwart zuerst an dem intensiv kräftigen Tabaksgeruch, den er seiner Pfeife entlockte.

Mein Garten war zuerst eine Quelle der Sorge und des Ärgers für mich, wohin ich auch kam, bei Nachbarinnen sah es besser aus als bei mir, es war dort stets alles rechtzeitig bestellt, behackt, gesäubert. Bei mir mußte der Garten Stiefkind bleiben, die andere Wirtschaft mit Buttern, Käsemachen, Leutekocherei und der Hausarbeit nahm mich gar zu sehr in Anspruch, und vergebens zerbrach ich mir den Kopf, wie es meine Kolleginnen anfingen. Sie hatten auch keinen Gärtner, und mein Mann wußte bestimmt, daß sie keine Hofleute in den Garten bekamen, sondern ihn mit den Hausmädchen in Ordnung halten mußten.

»Der Garten bringt ja doch nichts,« setzte mein Mann hinzu, »da wird man doch nicht noch Tagelohn dafür ausgeben.« Das »Nichtsbringen« bestritt ich eifrig, da ich doch täglich seiner Erzeugnisse bedurfte, wenn ich auch nur geringen klingenden Lohn aufweisen konnte. Ich mochte schließlich die Unordnung nicht länger mit ansehen und widmete jeden Morgen mit den Mädchen eine Stunde der Gartenarbeit. Dabei überraschte mich zum ersten Male zu früher Morgenstunde die heisere Stimme des alten Nachbarn, der den Kopf über den Zaun reckte.

»Schon so fleißig, junge Frau?« redete er mich an, »ja, ja, das Unkraut hat flinke Beine, wenn man's nich ausrauft.«

Ich sah unsicher in das runzlige Gesicht, es war mir noch immer wunderlich, mit fremden Leuten sans façon zu verkehren. »Wir haben zu wenig Zeit,« sagte ich und stemmte mich mit aller Kraft, um eine dicke Melde mit der Wurzel auszuziehen.

»Man muß es halt nich so alt werden lassen,« schmunzelte der Alte. »Früher sah's immer sehr hübsch hier im Garten aus.« Ich war wohl schon feuerrot von der Anstrengung, fühlte aber, wie mir das Blut doch noch zu Kopfe stieg. Das wars' ja, was mein Mann auch so oft erwähnte, ja, bei Fräulein Hartmann hatte es prachtvoll im Garten ausgesehen.

»Wie hat sie es nur gemacht,« fragte ich ingrimmig und schleuderte die Melde weit weg. Der Nachbar lächelte pfiffig. »Die alte Menzeln ist halt täglich im Garten gewesen, 's wird überall mit Wasser gekocht, junge Frau,« sagte er. »Der Herr hats freilich nich wissen dürfen, und ins Tagelohnbuch is es nich gekommen, wenn sie der Herr mal gesehen hat, so hieß es, sie holt sich Unkräutig fürs Schwein. Das Fräulein hat sie eben bezahlt.« Ich fragte atemlos: »Lebt die Menzeln noch?« »Nu freilich, sie wundert sich schon lange, daß sie nich gerufen wird.« Mir fiel ein Stein vom Herzen, und ich brauche wohl nicht zu versichern, daß die alte Menzeln wieder in ihr Amt eingesetzt wurde und daß ich bald Freude am Garten hatte. Ich konnte es mir aber doch nicht versagen, meinem Manne die vom Nachbar erfahrene Tatsache mitzuteilen, daß Fräulein Hartmann ihn ein bißchen beschwindelt hatte, – es war mir sogar ein kleiner Trost, denn das leuchtende Beispiel dieser Dame wurde mir zu oft vorgehalten, und Menschen sind wir doch schließlich alle.

Der alte Nachbar schätzte meinen Mann sehr, aber er warnte mich mal vertraulich: »Widersprechen dürfen Sie ihm nich, das verträgt er nich.«

Manch guter Ratschlag flog über den Zaun, wenn mein Mann sich mal im Garten zeigte, landwirtschaftliche Erfahrungen bäuerlicher Art kreuzten sich mit dem Wissen des modernen Landwirts. »Gerschte bringen Sie hier nich auf,« sagte der Alte einmal, als mein Mann den ersten Versuch damit machte, »wir han keinen Gerschtboden hier.« Das prächtige Gerstenfeld, welches die Bemühungen meines Mannes reich belohnte, zerstreute seine Zweifel nicht. »Es hat das mal mit der Witterung gepaßt, s is a Zufall.«

Aber später folgten die Bauern dem Beispiel, halfen mit künstlichem Dünger nach und der »Gerschtboden« war plötzlich da.

»Kleesamen kann nie dicht genug gesäet werden,« hörte ich einmal den Alten sagen, und immer, wenns ans Kleesäen ging, mahnte ich später scherzend an diesen Ausspruch.

War ein Stück Vieh krank, so kam der Nachbar auf die Bitte meines Mannes herum, der Tierarzt war weit entfernt, der Fluß mit der Fähre zu überschreiten, die das hin und her oft verzögerte. Ich sehe den Alten noch den grauen Kopf an den Leib des kranken Tieres legen, um zu »auskultieren«. Seine Mittel bestanden dann meistens innerlich in Glaubersalz oder Leinsamentrank, äußerlich in Umschlägen von Lehm und Kuhdünger oder Einreiben von Terpentin; kaltes Wasser war damals verpönt.

Der Alte setzte aber eine Ehre darein, uns in solchen Nöten zu helfen, und als er bei meinem Manne ein gutes tierärztliches Werk mit Abbildungen aller Art sah, war er erst ganz beleidigt. »Bücherkram taugt im Leben nischt, das muß man am Tiere lernen, die Schäfer sein die klügsten Leute.«

Aber dennoch zog es den Alten zu dem Buche hin, und wenn er sich nach einer Konsultation bei uns im Zimmer ein bißchen stärkte, verlangte er regelmäßig danach, setzte seine große Hornbrille auf und besah die Illustrationen oder verfolgte mit dem Zeigefinger den Text. Ja, er eignete sich manche Weisheit daraus an, doch durfte man ihn nicht merken lassen, daß man die Quelle erkannte.

So gut sich dieser Nachbar also zu uns stellte, um so schwieriger war es mit der andern Seite bestellt. Diese Leutchen hielten sich viel Geflügel, verzichteten aber gern daraus, es tagsüber bei sich zu sehen oder auch nur zu füttern. Der stets gedeckte Tisch der Dominial-Hühner, -Enten und -Gänse lockte die Nachbarn an, und ehe wir uns versahen, waren die Tröge von ihnen geleert. Da die Tore selten geschlossen bleiben konnten, blieb uns schließlich nichts anderes übrig als einen Hund abzurichten, der das Gesindel vertrieb, doch ging es zuerst nicht ohne Verluste ab, und ich mußte dann für die schonungslos hingestreckten Tiere tadellose lebende hingeben und hatte noch schmeichelhafte Bemerkungen einzustecken. Endlich wurde es uns zu bunt, wir sperrten alle fremden Kostgänger ein und ließen uns Futtergeld zahlen, was etwas Besserung brachte. Aber Ruhe trat erst ein, als es gelang, dem feindlichen Nachbarn sein Grundstück abzukaufen und Leutewohnungen darauf einzurichten.

Zu den getreuen Nachbarn zählte ich auch die schlichte Bauernfrau, von der ich schon einmal erzählte. Wie manche Not der jungen unerfahrenen Landwirtin half sie lindern.

Das erste Brot sollte gebacken werden, ich hatte keine Ahnung, wie das zu machen war. Die Leute setzten stillschweigend voraus, daß ich, wie Fräulein Hartmann, alles anordnen würde. Die Frage der Magd: »Wieviel soll ich gießen,« beantwortete ich noch so ziemlich geistesgegenwärtig mit dem Hilfswort: »So viel wie immer.« Aber dann kam es böse. »Wir haben doch keine Wulgern.« Ich zuckte stumm die Achseln. »Sie haben sie ja gestern zur Hundesuppe genommen,« beharrte die Magd. »Na, ja, die waren ja ganz sauer, die Hunde mochten sie nicht mal fressen,« entgegnete ich ziemlich sicher. Keine Ahnung kam mir, daß der Sauerteig aus diesen »Wulgern« hergestellt wurde. Könnte man welche kaufen? »Nee.« Aber borgen! Ich riet zu diesem Aushilfsmittel und sagte, das Mädchen solle das Brot mal allein machen, ich würde sehen, ob es mir gefiele. Acht Tage hatte ich ja Zeit zum Lernen. Es waren traurige, schwarze, platte Dinger, die am andern Tage aus dem Ofen kamen. Als die Mägde die mißratenen Brote brachten, stand die Bäuerin, Frau Huber, in unserem Hausflur. Sie lachte mich nicht aus, wie ich erwartet hatte, sondern tadelte in kurzen Worten die Magd. »Kannst noch nich mal Brot backen, und hast es so lange beim Fräulein gesehen?« Die Gescholtene brummte was wie »alles allein machen«. Ich gestand ein, daß ich noch nie habe Brot backen sehen. »Ich komme das nächste Mal und zeigs Ihnen,« sagte Frau Huber, und so geschah es. Ich lernte das Einsäuern, Kneten und Auswirken, sowie den Ofen auf den richtigen Hitzegrad prüfen, wie lange hätte ich herumgepfuscht ohne die tatkräftige Hilfe in der Not. Ich gewöhnte mich daran, bei Frau Huber Rat zu holen. Auch beim Schweineschlachten. Gelernt hatte ichs wohl, notiert hatte ich auch soviel wie möglich, aber ein Jahr ist lang, und was noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, vergißt sich leicht. Schlachten und Wurstmachen ist nicht das schwerste, das Erhalten und Verwenden, so daß nichts verdirbt oder verschwendet wird, ist die Hauptsache, wer hätte da nicht seine Erfahrungen gemacht? Wenn so ein schöner Schinken, den man sich vom Munde abgespart hat, ein Raub der Maden wird? Daß ich diese Erfahrung nur einmal machte, danke ich Frau Huber. Schon Anfang April mahnte sie mich, die Räucherwaren von den Stangen zu nehmen, sorgfältig nachzusehen und die Schinken dann in leichten Stoff, Mull oder Schirting einzunähen, so daß keine Fliege dazu konnte. Ein kühler, verdunkelter Raum, der immer wieder zu kontrollieren ist, damit keine »Brumme« ihre Eier ablegen kann, dient am besten zum Aufbewahren dieser Vorräte. Hat man nichts Passendes, so packe man Speck und Schinken schichtenweise mit Kleie bedeckt in Kisten, die man gut schließt. Kleinere Wurstvorräte kann man in Steintöpfen von entsprechender Größe aufbewahren, man stellt die Würste dicht nebeneinander und gießt abgekühltes zerlassenes Fett darüber, sie bleiben saftig und schimmeln nicht. (Auch frisches Fleisch hält sich längere Zeit im kühlen Keller auf diese Weise.) Die Ofenlöcher in den Zimmern sind auch gute Plätze für Würste, die man in Zeitungspapier wickelt, aber Schinken ist auch da nicht sicher vor Fliegen.

All die kleinen Kniffe und Pfiffe, die man unter Hausfrauenkunst versteht, lernte ich der Bäuerin ab. Die selbstgemachten Käse zu pflegen, will auch verstanden sein, woher sollte man es in der Stadt wissen, daß sie auf Gerstenstroh am wohlschmeckendsten werden, daß sie zunächst »schwitzen« müssen und deshalb mit Papierbogen bedeckt werden? Und wenn man sie im gerbst in Krautblätter wickelt, wie schön werden sie dann, Dabei fällt mir das Sauerkraut ein. Wie wenig geraten war mein erstes, dem ich das Salz zu liebevoll zugemessen hatte, so daß es beim besten Willen nicht säuern konnte, wie gut schmeckte uns das nach bäuerlichem Rezept bereitete: »wenig Salz, viel Weinranken, etwas Kümmel und einige Erbsen für die Farbe!«

Ich schämte mich nicht, von der einfachen Frau Lehren anzunehmen.

Die nachbarlichen Freundlichkeiten, die uns in dieser Zeit reichlich erwiesen wurden, hatten verschiedenen Geschmack. Eine »Kindelsuppe«, die mir zum Kosten gebracht wurde und von der niemand ahnen durfte, daß ich sie nicht genossen hatte, – es schwammen große Semmelbrocken und Rosinen darin, und sie roch nach Safran –, goß ich heimlich abends aus, und der selbstgekelterte Wein, den wir flaschenweise bekamen, taugte nur für die Küche, aber der Wille war gut, treuherzig brachten die Leute ihr Bestes. Einst, zur Weinlese geladen, half ich eifrig Trauben schneiden, bekam dann aber alles, was ich abgeliefert hatte, ins Haus geschickt, ich hatte nur für mich gearbeitet.

So lebten wir damals im Dorfe mit unseren Nachbarn, und wenn es auch schon in jener Zeit nicht ohne Kampf und Streit abging, im Ganzen wars ein gedeihliches Zusammenleben nach patriarchalischer Art. Noch jetzt kommt manchmal ein Klang aus alter Zeit in Form eines Erinnerungsgrußes zu uns herüber, »ein besser Spiegelglas ist aufzufinden nicht, als eines alten Freundes treuherzig Angesicht.«


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