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Drittes Kapitel.
Das Boudoir einer Hofdame

In dem von Prunkmöbeln strahlenden Kabinett der Gräfin Espremenil, vor der in der Ottomane lehnenden reizenden Hausfrau, stand der Graf von Mirabeau und beurlaubte sich nach einer kurzen Unterredung mit der schönen Dame.

Die Gräfin betrachtete gesenkten Blickes die kostbaren Ringe an ihren Fingern und sprach endlich mit leiser Stimme, worin ein gewisser Unmut sich verriet: »Sie verlassen mich also, ohne mir die geringste Hoffnung zu geben?«

Mirabeau zuckte die Achseln.

»Ich muß gestehen,« fuhr die Gräfin empfindlicher fort, »daß mir heute zum erstenmal in meinem Leben von einem Mann eine abschlägige Antwort zuteil wird.«

»Ich würde mich den Ungalantesten der Franzosen schelten,« versetzte Mirabeau mit leichtem Scherz, »wenn ich fähig wäre, Ihnen etwas zu verweigern, das Sie für sich begehrten. Gegen die Unterhändlerin jedoch für die Interessen eines Dritten darf ich schon meine Grundsätze ins Feld führen.«

Die Gräfin lächelte etwas verächtlich. »Es scheint mir sonderbar, daß der Graf von Mirabeau von Grundsätzen zu sprechen belieben,« sagte sie bitter.

Mirabeaus Gesicht erglühte. Mit steigender Heftigkeit rief er: »Sie sind die Stimme der Aristokratie, Madame, die, nachdem sie mein ganzes Leben vergiftet, mich in dem Augenblick noch schmäht, wo sie von mir allein noch ihre Rettung hoffen darf. In jener Schmähsucht liegt der Keim meines ganzen öffentlichen Benehmens. Ich bin leidenschaftlich, Madame. Meine Leidenschaften haben mich zu Unbesonnenheiten hingerissen, die man zu Verbrechen stempelte. Ich werde nie vergessen, daß es königliche Lettres de Cachet waren, die mich in meiner besten Jugend zu langwierigem Kerker verdammten, nie vergessen, daß die Müßiggänger, denen der Zufall ein Wappen hinwarf, wie mir, oder eine Pfründe, wie meinen faulen Vettern, mich mit dem schalen Pharisäerstolz behandelten, der alles besudelt, was den Funken des Genius in sich trägt. Man hat mich den letzten Edelmann in Frankreich genannt, der Adel hat sich meiner geschämt; wohl, ich habe ihn verlassen, um der Koriphäe des Volkes zu werden. Der König hat meine Dienste verworfen; gut, aus seinem Freunde bin ich sein Gegner geworden. Ich habe den Augenblick vorausgesehen, wo man den Verachteten zum Schwertträger der Legitimität begehren würde. Ich habe mir jedoch vorgenommen, einem solchen Begehren katonisch zu widerstreben.

»Freilich, was Ihnen die eine Linie versagte, erwarten Sie zehnfach von der andern.«

»Reden Sie mir nicht von diesem Orleans. Er ist der Popanz, womit der Hof in seiner Feigheit sich selbst erschreckt. Der unentschlossene, in seinen Lüsten versunkene Mann wird nie ein Brutus sein. Will der König durchaus den Herzog als Gegentyrannen haben, so fliehe er aus seinem Königreich. Sein erster Schritt über die Grenze setzt das Haus Orleans auf den Thron. Unter anderen Verhältnissen wüßte ich nur einen, der den Herzog auf den Schild erheben könnte, und dieser eine heißt Mirabeau. – Kurz und gut, ich bin ein Feind der Heuchelei, Madame. Da ich zu gewissenhaft bin, um eine Dame in ihren Hoffnungen zu täuschen, so erkläre ich Ihnen rund, daß vielleicht die Zeit kommen dürfte, wo ich mich mit dem König verständigen möchte. Doch würd' ich mich fürwahr nicht um einen leichten Preis fangen lassen. Meine Bedingungen würden schwerer sein, als sich Seine Majestät vielleicht einbilden. Der König wird ja sehen; er kennt meinen Einfluß auf das Volk; er wird ihn vielleicht in kurzem noch besser würdigen lernen, und diese Macht soll der Maßstab werden, nach dem ich meine Dienste belohnt sehen will. Vorderhand, Madame, habe ich nichts weiter zu tun, als mich glücklich zu schätzen, die liebenswürdigste Frau persönlich kennengelernt zu haben. Ich eile nun, Sie zu verlassen, um dem jungen Dammartin, den ich gerade auf Ihr Haus zukommen sehe, keinen Anlaß zur Eifersucht zu geben.«

Die Gräfin errötete sehr. Doch erhob sie sich mit strengem Anstand und sagte: »Der verständige Graf von Mirabeau wird mein Verhältnis zu dem jungen Mann nicht mißdeuten wollen. Ich bin dessen Kusine, sechs bis acht Jahre älter als er, und habe Gelegenheit gehabt, für seine Erziehung etwas Entscheidendes tun zu können, da ihm Vermögen fehlt und seine Eltern früh ihm entrissen wurden.«

Mirabeau rieb sich, wie besinnend, die Stirn und fragte: »Ist nicht Dammartins Vater unter Rochambeau nach Amerika gezogen? War er nicht einer der Volontäre, die sich, einem Lafayette ähnlich, aus Liebe zur Freiheit einem freien Volke dargeboten haben? Sie bejahen es und ich muß mich wundern, daß die Verwandte eines Freundes der Freiheit die Anhängerin des Despotismus sein mag und den Sohn des für die Freiheit gefallenen Helden in die Livrée eines Garde du Corps stecken konnte.«

»Die Garden des Königs tragen Uniform, Herr Graf,« versetzte die Dame mit Unwillen.

»Livrée, noch einmal, Madame, Livrée. Die Herren sind Domestiken des königlichen Hauses. Sie haben sich als solche betragen bei dem Feste, das vorgestern gegeben wurde, und bei dem heutigen. Das Fest vom ersten Oktober ist ein Sklavenmahl gewesen und wird schlimme Früchte tragen. Die Königin hat geäußert, sie sei entzückt von dem Tage. Ich fürchte, der Schatten werde dem Licht auf der Ferse folgen.«

Der Deputierte machte seine Verbeugung, und die Gräfin geleitete ihn mit eiskaltem Anstand bis an die Tür des Kabinetts. Viktor, der dem Grafen im Vorzimmer begegnete, fand die Frau von Espremenil sehr nachdenklich auf dem Sofa sitzend und stand schon einige Minuten vor ihr, ehe sie seine Gegenwart zu bemerken schien. Endlich ihn bewillkommend, reichte sie ihm die Hand, die er gleichgültiger als sonst küßte, worauf er nach dem Grund ihres Unmuts forschte. Die Gräfin beklagte sich bitter über das Los einer Frau, die, um den Forderungen ihrer Gebieter zu genügen, demütigende Schritte gegen einen Mann tun müsse, den sie doch von Grund ihres Herzens verachte, und sagte hierauf, wie in Zerstreuung den jungen Garde du Corps fixierend: »Wenn sich nur jetzt, in den drangvollen Zeiten der Gefahr, für die Monarchie eine mutige Hand bewaffnete, wie es schon hundertfältig in Frankreich gegen die Monarchen geschah! Das Gewitter zieht stürmisch heran, und alle denkenden Köpfe prophezeien Unheil. Von zwei Männern jedoch kann nur der zündende Blitz ausgehen: von Orleans und Mirabeau. Ersterer ist aber nur dann Zeus, wenn sein Helfer ihm zur Seite steht. Fiele Mirabeau, so würde eine Ordonnanz des Königs hinreichend sein, den treulosen Vetter in die Flucht zu jagen. Wer unternähme ein solches Wagestück? Das Verbrechen hat freilich in Frankreich seinen Clement, seinen Damien gezeugt; ich zweifle indessen, ob die Krone von Frankreich einen Getreuen finden würde, der es verstände, schnell und überraschend hier zu helfen.«

»Die königliche Würde müßte keinen solchen suchen,« antwortete Viktor mit kalter Ruhe, »der Verfall der Sitten wird gräßlicher, wenn von oben das Beispiel gegeben wird. Wie gebrandmarkt stehen nicht in der Geschichte die blutigen Diener Ludwigs XI.? Die Mörder des Herzogs von Burgund? Vitry, der Bandit Ludwigs XIII.? Alle solche Taten können nur Unheil gebären, und jeder Mord schnellt den Pfeil der Schande auf den Mörder und auf den, der ihn besoldete.«

Die Gräfin nahm lebhaft das Wort, weil sie sich beschämt fühlte: »Lieber Viktor! Sie haben die Ehre, die Person Ihres Königs zu bewachen. Sie haben geschworen, ihn mit Leib und Leben zu verteidigen. Könnten Sie im Ernste wählen, wenn es darauf ankäme, den Mann zu vernichten, von dem Ihr Herr und sein ganzes Geschlecht Schmach und Untergang zu erwarten haben?«

»Hierauf erwidere ich,« sprach Viktor, »daß ich Offizier bin und daß die Ehre meinen Degen für den König führen wird, nie die Schande den Meuchlerdolch für ihn. – Friede indessen mit den blutigen Gesprächen, die nicht in dieses reizende Gemach, nicht für meine schöne Pflegerin passen. Ich verdanke Ihnen alles: meine Erziehung in dem Hause der Condés an der Seite des liebenswürdigen Prinzen von Enghien, diese Uniform, die mich dem König und seinem Hause so nahe stellt. Ich will nicht glauben, daß es Ihnen ernst gewesen sei mit den Zumutungen, die Sie zu verstehen gaben – Sie wollten mich nur prüfen; Sie wollten sich überzeugen, ob die Ehre mir so heilig sei wie die Liebe, die ich Ihnen unabänderlich geweiht habe.«

Viktor nahm mit zärtlicher Schmeichelei an der Seite der Gräfin Platz. Die schöne Frau hatte indessen ihren Verdruß und ihre Beschämung noch nicht gänzlich überwunden und sagte kaltsinnig: »Sie vergessen, Viktor, daß die Stürme dieser Zeit nicht geeignet sind, ein Verhältnis der Liebe und der Zärtlichkeit zu befestigen. Was noch im Laufe des Juni sehr erlaubt und zulässig erschien, würde unter den jetzigen Umständen nur sträflicher Leichtsinn heißen.«

»Wie?« fragte Viktor mit einiger Bekümmernis. »Wären Sie fähig, die Versicherungen zurückzunehmen, die Sie mir an jenem schönen Tage in St. Cloud gaben? Bin ich Ihnen plötzlich so gleichgültig, so unbedeutend geworden? Freilich hätte ich nicht Ursache, mit dem Schicksal zu zürnen. Ich habe mich immer des Glückes unwürdig gehalten, dessen reizende Nähe Ihre Güte mich ahnen ließ.«

Da der junge Mann schwieg und unverwandt seine Augen auf dem Antlitz der Gräfin haften ließ, so wußte sich diese nicht anders zu helfen, als daß sie mit affektiertem Scherz und mutwilligem Lachen erwiderte: »Erinnern Sie sich noch der Kinderei? Die Szene zu St. Cloud war, fürchte ich, ein Täuschung, wie sie in gefühlvollen Herzen vom Frühling erzeugt wird. Es war der erste Tag an welchem Sie diese Uniform trugen, die Ihnen, wie ich mir schmeichle, auf meine schwache Bitte verliehen wurde. Der Ritter war fertig; ihm fehlte nur noch, nach dem Brauche der Chevalerie, eine Dame. Vielleicht war es nur die Eitelkeit der Erzieherin, welche sie veranlaßte, sich von jüngeren, gefährlicheren Gefährtinnen den Rang nicht streitig machen zu lassen. Nehmen Sie es wenigstens dafür, guter Viktor, in einer Zeit, wo die zweifelhafte Lage unserer Gebieter alle unsere Kräfte und Gefühle in Anspruch nimmt, wo die Zwietracht ihre Fackel schüttelt, muß Amors Flamme verlöschen, darf Hymen seine Leuchte nicht entzünden.«

Die Rede der Gräfin traf, wie sie berechnet war, ihr Ziel genau: das Herz, noch mehr die Eitelkeit des Jünglings. Doch war das Ergebnis der kleinen Kriegslist ein anderes, als das von der Espremenil gehoffte. Sie hatte allzu sehr auf die Leidenschaft, auf die erste Neigung ihres Pflegesohns gezählt. Sie hatte nicht geahnt, daß die flüchtige Galanterie der Zeit, verbunden mit dem wärmeren Gefühle der Dankbarkeit, das Band war, welches den jungen Dammartin an ihren Triumphwagen fesselte. Daher fühlte sie ihr Herz eiskalt berührt, als Viktor nach einem kurzen Stillschweigen aufstand und mit einer höflichen Verbeugung zu ihr sprach: »Sie sind heute nicht bei Laune, meine schöne Gräfin. Da ich befürchten muß, daß meine häufigen Besuche einen Grund zu dieser Mißstimmung abgeben, so freue ich mich, Ihnen die angenehme Nachricht mitteilen zu können, daß ich im Begriff stehe, einige Urlaubstage in Paris zuzubringen, daß ich von Ihrem Hause aus alsobald meine Reise beginnen werde und mir die Aufträge erbitte, die Sie meiner Sorgfalt etwa anvertrauen wollen.«

Die Gräfin war überrascht. Doch hatte sie am Hofe der Königin Gelegenheit gefunden, die Kunst der Verstellung dergestalt einzuüben, daß kaum ein Zug ihres Gesichts die innere Bewegung verriet, von welcher sie in diesem Augenblick ergriffen war. Ihre Stimme zitterte dennoch, als sie ihrem Vetter nach einigen Sekunden antwortete: »Sie sind boshaft, Dammartin. Sie wollen mich quälen. Sie mögen erfahren, daß solche Sünden gegen ein freundlich gesinntes Gemüt sich selbst bestrafen. Ich will zum Beispiel, daß Sie nicht so schnell fortgehen, daß Sie noch einige Minuten bei mir verweilen. Ich wünsche Sie etwas in Verlegenheit zu setzen, um an der Tafel der Königin erzählen zu können, was die Ursache ist, daß Sie schon so oft seit geraumer Zeit die Reise nach Paris machen, wenn es auch nicht darauf ankommt, königliche Kokarden daselbst zu holen. Werden Sie nun endlich gestehen?«

Viktor antwortete mit leichtfertiger Miene: »Wie Madame? Sie fragen einen jungen, lebenslustigen Garde du Corps, was er in Paris suche? Alle meine Kameraden werden Ihnen bestätigen, daß Versailles ein langweiliges Nest, Paris dagegen der Sitz aller Freuden ist.«

»Lügen Sie nicht, Viktor. Sie sind kein Wüstling; Sie hassen sogar das Getümmel der Hauptstadt. Zudem sieht man ihren Rock heutzutage daselbst nicht gern.«

»Deswegen gehe ich auch in bürgerlichen Kleidern. Meine Intrigen, beste Gräfin, erfordern jede Vermummung.«

Das Antlitz der Gräfin nahm etwas von Eifersucht an, obschon es lächelte. »Intrigen? wirklich?« fragte die Dame lauschend. »So wäre es denn wahr, was die Damen bei Hofe, die über alle Garde du Corps die strengste Kontrolle führen, von dem jungen Herrn von Dammartin behaupten? Sie haben in Paris ein Verhältnis angesponnen? Boshafter Schelm! Und Sie konnten mich an jenen Tag von St. Cloud erinnern? Zur Strafe müssen Sie mir sagen, wer die Auserwählte ist. Vielleicht die Tochter eines ehemaligen Parlamentspräsidenten? Oder die bescheidene Jungfer eines guten Handelsmanns aus dem Marais? Oder eine junge, annehmliche Witwe aus der Bretagne, die nur den Winter in Paris, den Sommer auf ihren Landgütern zubringt? Gestehen Sie; denn ich will nicht hoffen, daß eine von den steifen Schauspielerinnen aus der Straße Richelieu oder eine Demoiselle aus dem Figurantenchor des Balletts Ihnen den Kopf verrückt hat!«

Die Reihe zu erröten war nun an Viktor gekommen; doch war nicht die Beschämung schuld daran, sondern der Verdruß, in seiner Freundin dieselbe Leichtfertigkeit, dieselbe boshafte Medisance wahrzunehmen, welche allen Hofdamen angeboren zu sein schien. Er hatte die Gräfin eines tieferen Gemüts fähig gehalten. »Es tut mir unendlich leid,« entgegnete er, »daß ich gezwungen bin, einer schönen Dame völlig zu widersprechen und sie eines Irrtums zu zeihen. Meine Besuche gelten nicht einem Fräulein von der Robe, noch einer Ladenjungfer in der Cité, noch einer Landbaronin in der Vorstadt St. Germain, am allerwenigsten einer Operntänzerin. Wie könnte ich, da ich Ihr Bild im Herzen trage, einer andern huldigen? Sie werden indessen lachen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich nach Paris reise, um einen Mann zu sehen, und nur einen Mann.«

»Gott steh' uns bei!« rief die Gräfin mit karikiertem Schrecken. »Sie werden doch nicht einen der Volkshelden meinen, die jetzt in Paris allein sehenswert sind, etwa wie man einen Tiger hinter seinem Gitter beschaut? Meinen Sie vielleicht den Herrn Desmoulins, der vor einigen Jahren für Sie den Prozeß wegen des Legats Ihrer Großmutter führte, und der nachher, ich weiß es, Ihr ziemlich inniger Freund wurde? Hüten Sie sich vor ihm. Der fanatische Schwärmer ist keine Gesellschaft für einen Diener des Königs. Er hat das Volk angereizt, nach der Bastille zu ziehen, und könnte Sie durch seinen Umgang nach Vincennes bringen.«

»Fürchten Sie sich nicht, liebe Espremenil,« antwortete Viktor ruhig; »seitdem ich erfahren, daß Camille zu Mousseaux in dem Rate der Orleansschen Partei gesessen, suchte ich seinen Umgang nicht mehr. Der Gegenstand meiner Visiten in Paris ist ein ganz unbedeutender Mann; mit einem Wort: ein Invalide.«

»So?« fragte die Gräfin gedehnt, spöttisch und dennoch aufmerksam. »Wie kommen Sie zu dem? Ein ausgedienter Marineoffizier etwa? Ein lebens- und schlachtenmüder Marechal du Camp?«

»Nicht doch. Ein gemeiner Invalide, im Hotel der Invaliden; ein Mann, der des Königs Gnadenbrot ißt.«

»So erklären Sie mir doch die Bewandtnis der Sache. Sie, ein Edelmann, und ein Krüppel aus den Reihen der gemeinen Soldaten? Wie kommen diese zusammen?«

»Auf die einfachste Art von der Welt; obgleich über Ströme und Meere, von einer Hemisphäre zur andern. Ich will versuchen, ob ich mit wenig Worten Ihnen einen Begriff von dem Manne geben kann, dessen Umgang mit mir keineswegs ein Geheimnis sein muß, weil ich mich nicht schämen darf, meine glänzende Uniform neben seinen schlichten Invalidenrock zu stellen. Sans-Regret – Sie wissen, daß jeder Soldat sich seinen Kriegsnamen wählt, und der Familienname des Mannes tut nichts zur Sache –, Sans-Regret also, ein Sohn der Provence, mit einem hitzigen Kopf, wie er nur unter dem glühenden Himmel von Marseille geschaffen wird, hat, nachdem er eine gute Erziehung genossen, Vaterhaus und Vaterstadt verlassen, weil seinem fechtgeübten Arm das Unglück widerfahren war, einen Beleidiger im ehrlichen Duell zu töten. Dem Verfolgten blieb nichts übrig, als unter den Fahnen eines Infanterieregiments ein Asyl zu suchen, und während das Parlament seinen Kopf in Contumaciam dem Henker überlieferte, schiffte er sich wohlgemut mit Rochambeaus Division nach Amerika ein. Die Gefahr, welcher er soeben mit genauer Not entgangen, war nicht geeignet, seine Anhänglichkeit an die heimischen Institutionen zu befestigen. Er warf sich mit glühendem Mut in die Arme der Freiheit, in den Kampf für dieselbe. Mein Vater stand bei dem Regiment des braven Sans-Regret. Der Soldat hatte einst mit ihm auf einem beschwerlichen Marsch den letzten Schluck Wassers geteilt. Mein Vater war dankbar, bat sich den Retter in der Not von dessen Obersten zum Diener aus, und weder dieser noch der Herr hatten jemals diesen Schritt zu bereuen. Sans-Regret wurde der treue Wächter, der Schutzengel meines Vaters; mein Vater rettete dafür den Soldaten aus der drohendsten Todesgefahr. Die englischen Truppen führten Indianerstämme mit sich, die sie zum Verderben ihrer Feinde aufgewiegelt hatten. Wehe denen, die in der roten Männer blutige Hände fielen! Sie waren des Todes, denn England bezahlte die Kopfhaut eines jeden Erschlagenen, wie bei uns der Jäger für jedes Wolfsfell seinen Preis erhält. In einer Nacht überfiel eine wilde Horde, von englischen Plänklern unterstützt, die Vorposten des Freiheitsheeres, bei denen mein Vater stand. Sans-Regret deckte mit seinem Leibe den Rückzug Dammartins, fiel aber verwundet in die Hände der Barbaren, die sich schnell daran machten, den kecken Feind zu töten. Schon lag er gebunden zu Boden; schon hatte das bluttriefende Skalpmesser seine Stirnhaut durchschnitten; schon faßte einer der Greuelmenschen mit roher Faust das Haar des Unglücklichen, um ihm die Kopfdecke abzustreifen, als Hilfe herbeikam: französische Soldaten, die mein Vater, wütend über das Ungemach seines Freundes, zusammengerafft hatte und in den Kampf führte, um zu vergelten. – Sans-Regret wurde befreit; die Geschicklichkeit der französischen Ärzte heilte seine fürchterliche Wunde. Er setzte seinen Dienst fort und verzehnfachte seinen Eifer, um meinem Vater dankbar zu sein. Es war ihm jedoch nicht lange erlaubt, Dammartins Wächter, sein Schild im Kampfe zu sein. Eine Flintenkugel spottete der Treue Sans-Regrets und raubte mir das Liebste. Sterbend, auf dem Gefilde der Schlacht, tausend Meilen entfernt vom schönen Frankreich, wo ihm ein Sohn lebte, das einzige Andenken an eine Frau, die er schwärmerisch geliebt, deren frühzeitiger Tod ihn übers Meer gejagt, gedachte der tapfere Dammartin nur meiner, empfahl mich der Treue seines Dieners und trug ihm auf, wenn er mit dem Heere zurückkehren würde, mir die Botschaft seines Todes zu bringen und seinen Segen und sein einziges Erbteil: seine blutige Schärpe, die ich noch wie ein Heiligtum aufbewahre. Was Sans-Regret in seines Freundes Hände geschworen, hielt er treu und unverbrüchlich. Er hätte seinen Abschied erlangen können, ein amerikanisches Mädchen hing mit Sehnsucht an ihm; sie bot ihm ihre Hand, ihr Vater sein Haus, die Gemeinde das Bürgerrecht. Er schlug alles aus; seinem Glück wendete er den Rücken, um nach Frankreich zu kehren, sein Wort zu erfüllen und elend zu sein. Die Rückfahrt heimwärts zerrüttete seinen von Wunden geschwächten Körper. Die Verletzung am Haupt äußerte traurige Folgen. Es stellten sich Zwischenräume von Geistesabwesenheit ein. Sein erster Schritt vom Schiffe war in ein französisches Spital. Er wurde hergestellt, wanderte, bettelnd fast, zu mir, in Condés Haus; benetzte meine Hände mit Tränen, brachte mir den Segen meines Vaters, sein Erbe und sich selbst. Er schwor mir zu mit all der Heftigkeit, die einem Südländer eigen ist, daß er nichts mehr begehre, als bei mir den Dienst fortzusetzen, den er meinem Vater nicht mehr weihen konnte. Condé sorgte auf meine Bitte für ihn. Als einer der geübtesten Fechter bekannt, kam Sans-Regret als Fechtmeister in die Schule zu Brienne. Doch dauerte er nicht geraume Zeit dort aus. Die Anstrengungen seines neuen Dienstes übten den nachteiligsten Einfluß auf sein Gesundheit. Er konnte sich nicht mehr völlig auf seinen Kopf verlassen und bat selbst um anderweitige Versorgung. Die Fürsprache des Prinzen von Condé verschaffte ihm eine Stelle im Invalidenhause, wo er nun, ein Mann von vierunddreißig Jahren, seine Muße zu Kriegsstudien benützt und die Hälfte seiner Zeit der Pflege eines Waffengefährten weiht, der das Unglück hatte, beide Arme zu verlieren, und den er füttert, trägt und legt wie ein hilfloses Kind. Ich halte es für meine Pflicht, dann und wann den armen Mann mit meiner Gegenwart zu erfreuen, die wie ein Sonnenstrahl in seine frühe Abgeschiedenheit leuchtet. Uneigennützig sind indessen meine Besuche nicht. Ich schöpfe Mut und Unterricht aus den Unterredungen des Invaliden. Der Geist der Alten, mit dem er vertraut ist, atmet aus seinen Worten. Amerika hat beigetragen, seine Erfahrung zu bereichern und seinen Charakter zu stählen. Mir pocht das Herz voll ungeduldiger Lust, wenn er von Washington erzählt und von Lafayette, den er den Bayard des modernen Frankreichs nennt. So wie er mich indessen in begeisterte Sehnsucht zu versetzen vermag, so weiß er auch die innersten Saiten meiner Seele zu berühren, wenn er seine schlichte Erzählung von der Heldenlaufbahn meines Vaters, von dessen Wohltaten und Aufopferungen und seinem ehrenvollen Ende anhebt; eine Erzählung, die schon hundertmal gehört, täglich neuen Reiz für mich empfängt, und eigentlich der Talisman ist, der mich so oft dem königlichen Versailles und dem Glück Ihrer Nähe entzieht.«

Die Gräfin stand mit Viktor zugleich auf, verzog die liebliche Miene, mit welcher sie zugehört hatte, zu einem spöttisch-vornehmen Lächeln und verabschiedete sich mit den Worten: »So untröstlich Ihre Entfernung, lieber Viktor, mich machen könnte, so ist doch wenigstens meine Eifersucht beruhigt, da sie den zärtlichen Freund in der Mitte von bärtigen und verkrüppelten Kriegern weiß und nicht im Schoße irgendeiner Pariser Calipso. Ich schätze die Treue des guten Sans-Regret von ganzer Seele, weil sie heutzutage eine äußerst seltene Ware geworden ist; doch möchte ich auf die Gefahr hin, Sie zu erzürnen, die Warnung nicht unterdrücken, daß Sie vorsichtig seien. Die Herren, die in Amerika gewesen sind, haben viele Ideen mitgebracht, die in unser Frankreich nicht passen, und für Ihre Zukunft, Viktor, wird es besser sein, wenn ich der Königin verschweige, daß Sie nach Paris gehen, um den Soldaten zu besuchen, der einen Lafayette – Frankreichs Bayard nennt. Grüßen Sie indessen den Invaliden in meinem Namen. Ich wäre neugierig, den Mann einmal zu sehen. Sagen Sie ihm, daß er nach Versailles komme. Es würde sich ohne Zweifel besser schicken, wenn Monsieur Sans-Regret den Vicomte von Dammartin besuchte, als daß er den Besuch seines Gönners in seinem Invalidenhause erwartet.«


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