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Einundzwanzigstes Kapitel.
Der Entscheidungskampf von Marengo

Das österreichische Heer und die Truppen der französischen Republik unter dem Kommando des ersten Konsuls Bonaparte, den die Umwälzung vom achtzehnten Brumaire 1799 zu der ersten Würde des französischen Staats erhoben, hatten bereits in der Ebene von Marengo das blutige Würfelspiel um die Herrschaft von Italien begonnen. Der vierzehnte Juni des Jahres 1800 war vom Verhängnis ausersehen, die ehrgeizigen, tief in der Brust des Helden verschlossenen Hoffnungen zur Reife zu bringen, und Mars schmiedete an jenem Tag unter dem Donner des Geschützes und dem Pulverdampfe des Schlachtfeldes den ersten Reif der künftigen Kaiserkrone Frankreichs und die ersten Fesselringe des neuen Despotismus für die Völker Europas.

Heiß wütete schon das Treffen diesseits der Bormida; die Österreicher hatten den Fluß bei Tagesanbruch auf drei Brücken überschritten, obschon sich der Konsul in verwichener Nacht zu Torre di Galifolo mit der Beruhigung, daß keine Brücken über den Strom vorhanden seien, schlafen gelegt hatte. Das rasche Vorrücken der kaiserlichen Streitmacht von den Verschanzungen Alessandrias her, unwiderstehlicher gemacht durch die Überzahl der Mannschaft, durch die treffliche Reiterei und wohlbediente Artillerie, war völlig geeignet gewesen, Schrecken und plötzliche Mutlosigkeit unter den französischen Soldaten zu verbreiten, obgleich sie mit freudiger Zuversicht dem Feind entgegengegangen waren.

In San Giuliano standen Reserveabteilungen von leichter Reiterei und leichtem Fußvolk. Sie erwarteten von Stunde zu Stunde den Befehl zum Marsch gegen den Feind, und ungeduldig zählten sie die Kanonenschüsse, die ihnen immer näher rollten, über die weite Ebene her. Einzelne Trupps von Verwundeten kamen, wie von dem Kanonendonner hergestäubt, vom Schlachtfelde zurück. Man brachte den General Chambeaux schwerverwundet in das Dorf herein; er hatte an der Spitze seiner Kavallerie die Wunden empfangen, woran er sterben mußte. Flüchtlinge mischten sich unter die Haufen der Blessierten. »Es ist alles verloren!« schrien die Unbesonnenen. »Die Kaiserlichen haben Marengo genommen und werden hier sein, ehe wir es uns versehen!«

Zwischendurch sprengten Adjutanten und Ordonnanzen her und zurück. Die Ankunft eines solchen Boten bestimmte endlich den Abmarsch der wahrscheinlich vergessenen Bataillone gegen den Feind. Der Adjutant, der ihnen den Befehl gebracht, warf sich auf einen Augenblick vom Pferde, lehnte sich an den Sattel und schöpfte mit hochklopfender Brust Atem. Unfern von ihm wurde ein Artillerieoffizier, dem eine Kanonenkugel das Bein zerschmettert hatte, niedergelegt und seufzte: »Das Sterben ist nichts, aber im letzten Augenblick noch das Unglück seiner Kameraden mitanzusehen, das ist tausendmal mehr.«

Seine Kanoniere, die ihn hierhergetragen hatten, wollten ihn trösten und erboten sich, während des Verbandes ihm alle Erleichterung zu gewähren, die sich von den Umständen erwarten lasse. Der totwunde Offizier erwiderte ihnen heftig: »Habt ihr nichts anderes zu tun, als bei mir, dem Krüppel, müßig zu gehen? Fort, an euer Geschütz zurück! Feuert auf den Feind und zielt in Teufelsnamen niedriger als bisher.«

Die Artilleristen gehorchten den Befehl, und der Adjutant, der sich ein wenig erholt hatte, sah nach dem Verwundeten hinüber und erkannte einen Gefährten aus dem ägyptischen Feldzug. »Sieh' da, Alter,« sagte er, ihm bedauernd die Hand reichend; »müssen wir uns hier wiedersehen? Hat dich in Afrika Pest und Mameluckensäbel verschont, daß hier eine kaiserliche Kugel dein Leben zerschneiden darf?«

Der Verwundete, dem just von ein paar Chirurgen das Bein abgelöst wurde, winkte vorderhand nur mit beredten Augen dem Adjutanten zu; als die Amputation vorüber und der Schmerz ihm wieder zu sprechen erlaubte, antwortete er dem Kriegsgefährten mit heller Stimme: »Hol' der Teufel die Österreicher, wie den Fuß, der mich so ungetreu im Stich läßt; aber sie schießen brav, die Hunde, und es werden ihrer noch viele heute dran glauben müssen. Ich murre nicht, bin ein alter Kerl, und bedaure nur, daß ich nicht auf Lorbeeren sterbe.«

Mit Tränen im Auge stieg der Adjutant wieder zu Pferd und der Verwundete fragte ihn: »Wohin, Freund Viktor?«

»Gegen Castel Ceriolo; dort hoffe ich den Konsul zu finden oder Berthier.«

»Wer steht bei Castel Ceriolo?«

»Die Grenadiere der Konsulargarde, zwei Bataillone, die sich aufopfern werden, wie einst die Krieger des Leonidas in den Thermopylen. Seit einer Stunde widerstehen sie, diese neunhundert Mann mit ihrem wenigen Geschütz, dem heftigsten Angriffe der feindlichen Kavallerie.«

»Gott stärke sie! Aber wie lange wird es dauern? Sage dem Konsul, Viktor, daß er den größten Fehler beging, Desaixs Division zu detachieren.«

»Tröste dich, Alter; Desaix ist zurückbeordert, wie auch Monnier. Wir halten uns, indem wir sie erwarten.«

Das Gesicht des Verwundeten klärte sich auf. Er rief: »Dem Himmel sei Dank. Wenn Desaix die Ordre erhielt, so kommt er gewiß noch zur rechten Zeit; dafür bürgt sein Eifer. Wenn du ihn siehst, grüße ihn von mir und sage ihm, ich wünschte in jener Welt einen so vortrefflichen General zu bekommen, wie er mir immer gewesen.«

Hier sank das Haupt des Verwundeten auf dessen Brust, und mit einem erschütternden, obgleich kurzen Lebewohl, wie man es im Staub der Schlacht zu geben pflegt, wo das Leben nichts mehr ist, als die phantasmagorische Erscheinung eines Moments, flog Viktor auf seinem Renner von dannen. Ach, die Hoffnung floh vor ihm. Er begegnete einer völligen Niederlage. Wie er so hinjagte über die Felder, an den Hütten vorbei, die man gli Poggi nennt, sah er zu seiner Linken einen Rückzug, der fast eine Flucht zu nennen gewesen wäre. Vier französische Divisionen, unter den Befehlen der Generale Viktor und Lannes, wichen in Unordnung vor dem unaufhaltsam anstürmenden Feind, verteidigend zwar das Terrain von Schritt zu Schritt, aber weithin die Ebene bedeckend mit Leichen, weggeworfenen Waffen und zurückgelassenem Geschütz. Der rechte Flügel der Österreicher drängte diese Truppen mit aller Macht zurück, suchte sie zu umgehen und ihnen die Straße nach Tortona abzuschneiden. Wenig half es, daß die Kommandierenden das Übermenschliche taten; langsam, aber unaufhaltsam eroberten die Feinde das Feld.

Dammartin gelangte zum Konsul; er stand auf einer kleinen Höhe, umgeben von seinem Generalstab, und blickte düster auf das Schauspiel vor ihm. Ungeduldig sah er jeden Augenblick nach der Uhr, schaute nach der Gegend, wo von Rivalta her Desaix' Truppen erscheinen sollten, dann mit finsterer Mißbilligung nach der Seite, wo Lannes und Viktor wichen, schließlich mit einiger Zufriedenheit gegen Castel Ceriolo, wo die Grenadiere noch unerschüttert standen. Er deutete dorthin und sagte zu dem Chef des Generalstabs, dem General Dupont: »Sehen Sie, was ich voraus verhieß? Diese Handvoll Grenadiere ist allein imstande, die Wolken von österreichischer Reiterei, die auf sie eindringen, zurückzuhalten. Sie gleichen einer Redoute von Granit. Der General des linken feindlichen Flügels verschwendet unnötig Zeit und Leute. Seine leichten Truppen und seine Reiter vermochten noch nicht ein Glied der Grenadiere zu sprengen. Sehen Sie, da haut Bessières wieder mit großem Vorteil ein und doch hat er nur zwei Schwadronen; ein wahres Nichts. Warum werfen Lannes, Viktor und Murat nicht das Gesindel, welches ihnen gegenübersteht?«

Hierauf wendete er sich rasch zu Dammartin und fragte hastig: »Wie steht's zu San Giuliano? Keine Nachricht von Desaix? Keine von Monnier? Dieser könnte schon hier sein! Von Castel Nuovo di Scrivia läßt sich's in einem tüchtigen Marsch wohl tun. Aber Desaix? ...«

Ein Offizier des Generals Berthier sprengte heran und meldete, daß Monniers Division sich näherte. Der Konsul zeigte auf seinem Gesicht wieder einen Strahl von Hoffnung. »Endlich!« sagte er, sich die Hände mit vieler Zufriedenheit reibend. »Eilen Sie zurück zu Berthier! Er soll Monnier beordern, unverzüglich in die Linie einzurücken, den Rückzug aufzuhalten und eine Brigade nach Castel Ceriolo zu werfen, damit meine wackeren Grenadiere erleichtert seien und den Tiroler Scharfschützen, die sich dort eingenistet haben, das Handwerk gelegt werde. – Dammartin, eilen Sie auf der Stelle, was Sie können, zu meinen Grenadieren! Bessières und die übrigen Kommandanten sollen sich halten; die Hilfe ist da!«

Während der Adjutant fortsprengte, fuhr der Konsul zu den Umherstehenden fort: »Hören Sie Monniers Trommeln, meine Herren? Ach, wenn nur Desaix ... Ich habe in meinem Leben niemand so sehnlich erwartet als ihn!«

Er ritt mit seinem Stabe nach der Seite hin, wo die erwünschte Verstärkung sich in die Ebene ausbreitete, und entgegnete einem General, der einige Zweifel an Desaix' Eintreffen äußerte, derb und kurz: »Pah, pah; Desaix tut das Unmögliche. Es wäre nicht übel, wenn er ausbliebe, wahrhaftig! Die Schlacht wäre ja dann verloren.«

Sie war es in diesem Augenblicke wirklich, denn Monniers Truppen setzten den siegreichen Feinden nur einen schwachen Damm entgegen. Dammartin ritt aber ruhig seiner Bestimmung entgegen, denn das Schießen auf dem linken Flügel und im Zentrum der französischen Armee war wieder heftiger geworden; lebhaft erklangen von dort aufs neue die Trompeten der tapferen Reiterbrigade des Generals Kellermann; die dunkeln Massen der Divisionen Chambarlhac und Gardanne schienen wieder fest zu stehen, die Reservetruppen sich wieder vorwärts zu bewegen. Dammartin traf fröhlich, obgleich unter einem Regen feindlicher Kugeln dahinreitend, bei der Grenadiergarde ein. »Mut, Kameraden!« rief er jubelnd und Zuversicht im Auge. »Der Konsul ist mit euch zufrieden!«

»Das glauben wir wohl,« versetzten die alten Schnurrbärte in den Vorderreihen, indem sie wieder luden und den Schweiß von dem von Pulver und Staub geschwärzten Gesicht wischten.

Mitten unter dem Höllenfeuer, welches nun mit erneuter Kraft aus allen Rotten dieses unerschütterlichen Veteranenvierecks hervorbrach, langte eine braune, freundliche Hand nach der des Adjutanten. Dammartin sah hernieder und blickte in das Schlachtengesicht seines Freundes Sans-Regret. Der Grenadier winkte ihm zärtlich mit den Augen zu, biß dann seine letzte Patrone ab und rief mit heiserer Stimme: »Gelt, ich sagte gestern den Tanz voraus? Wir haben's heute mit steifen Gegnern zu tun. Mir tut Hand und Schulter weh von dem beständigen Schießen. Nun, Gott sei Dank, die Kugeln von drüben lassen mich ungeschoren. Bis jetzt ist die Bataille verspielt, aber dennoch wird der Kleine den Sieg davontragen; glaube mir.«

»Guter Sans-Regret,« erwiderte Dammartin, »das Los, das dir am heutigen Tage zufiel, geht mir sehr zu Herzen. Wie kannst du nur diese Strapaze aushalten?«

Sans-Regret schlug ein helles Gelächter auf und antwortete, indem er seine Flinte anlegte. »Bin ich denn ein schwaches Kind? Die Republik steht auf schwächeren Füßen als ich. Aber wir werden siegen, trotz allem Anschein des Gegenteils, und mit diesem meinem letzten Schuß gebe ich die Salve auf dem Grabe der Republik!«

Sans-Regret schoß und alsobald ertönte wieder eine neue Salve, zugleich aber das Geschrei von den Hinterreihen des Carrées: »Es lebe der Konsul! Die Verstärkung rückt an; willkommen, Kameraden!«

In der Tat näherte sich in größter Eile die Brigade des Generals Carra Saint-Cyr, um sich mit der Konsulargarde zu vereinigen. Das Anrücken der Verstärkungsbataillone, wie die Pflicht, welche ihm gebot, zum Feldherrn zurückzukehren, trennte den Adjutanten von seinem Freund und dessen Korps. Auf seinem Ritt quer durch die Felder konnte er ziemlich deutlich die drohenden Grenadierkolonnen wahrnehmen, die der österreichische General Zach gegen das Zentrum der Franzosen anführte, deren Geschütz nur äußerst schwach auf den Feind spielte und drohte, bald gänzlich zu schweigen. Ein wohlangebrachter Schuß, von einem Scharfschützen aus einem Graben getan, hätte fast das Pferd des Adjutanten zu Boden gestürzt. Die Kraft des Tieres hielt jedoch dasselbe trotz seiner schwer blutenden Wunde aufrecht, und der Sporn des Reiters stachelte den Renner, daß er noch die Stelle erreichte, wo der Konsul seine Befehle gab. Dort stürzte das Pferd zusammen. Der Konsul, welcher blaß, aber ruhig, den Rückzug zu ordnen sich bemühte, sah mit gleichgültigem Auge nach dem unberitten gemachten Adjutanten und sagte: »Brächten Sie mir doch die Nachricht von der Ankunft des zögernden Desaix, ich gäbe Ihnen mein bestes Pferd!«

Viktor erwiderte mit freudeglänzendem Gesicht: »Ohne meiner Sache gewiß zu sein, Bürger Konsul, glaube ich dennoch verkünden zu dürfen, daß Verstärkung naht. Es zeigen sich Truppen auf der Höhe von San Giuliano.«

»Wohlan denn!« rief Bonaparte, als in demselben Moment einige Offiziere Desaix' die Ankunft seiner Kolonnen meldeten. »Er kommt und mit ihm die Division Boudet, eine der tapfersten der Armee. Nun werden wir jene Kanaille zu Paaren treiben. Eilen Sie, meine Herren, auf Ihre Posten! Die Linie formiert und ausgehalten, bis der letzte Streich geschehen ist!«

Die Zuversicht Bonapartes strömte auf seine Unterführer über: unter der Wucht des neuen französischen Angriffs wendet sich das Schlachtenglück. Vergebens stellt sich der österreichische Feldherr Melas, von der Kavallerie des Generals Elsnitz beschützt, noch einmal in Marengo auf; – er muß weichen und verdankt nur der heldenmütigen Ausdauer seiner Nachhut zu Pedrebona die Erhaltung seiner Brücken über den Fluß, worüber er sich schleunigst gegen Alessandria zurückzieht, fünftausend Tote und siebentausend Gefangene auf dem diesseitigen Ufer zurücklassend. Spät erst endet die Schlacht, schweigt der Donner des Geschützes. Die französischen Soldaten, welche trotz der Wut des Kampfes gleichsam wie im Tanze die ganze Strecke über die weite Ebene in drei Viertelstunden zurückgelegt haben, biwakieren vor dem Brückenkopf der Bormida, und erfüllen so den Wunsch ihres Feldherrn, der auf dem Schlachtfeld zu schlafen begehrte. Die leicht begeisterte Menge preist nach dem Ende dieser Schlacht den Konsul mit verschwenderischem Lobe, während derjenige fehlt, dem der Preis des Tages gebührt: Desaix, der wahre Republikaner, der sein Leben so großmütig für des Vaterlandes und eines glücklicheren Nebenbuhlers Ruhm hingegeben, und die Reben, an deren Fluß er fiel, mit seinem Heldenblute befeuchtet und geheiligt hat.

An demselben Tage war Kleber zu Kairo von Meuchlerhand gefallen.


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