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V. Capitel.
Die Formenverhältnisse der Pflanzen.

Es gibt also, wie die vorstehenden Beobachtungen zeigen, ein untrennbares Wechselverhältniß zwischen Boden und Pflanzendecke, ein Verhältnis welches nur von der Ernährung der Pflanze durch die Stoffe erzeugt wird. Erinnern wir uns aber noch einmal der seltsamen Erscheinung, daß das Galmeiveilchen auf zinkhaltigem Boden so bedeutend ausartete, daß man es sogar als eigene Art unterscheiden zu müssen glaubte, so liegt der Schluß nahe, daß es ebenso ein ewiges Bündniß zwischen Stoff und Pflanzenform, wie zwischen Stoff und Pflanzenleben geben könne. Wäre dies der Fall, so würden wir sofort das Gesetz der Gestaltenbildung daraus erkennen, wir würden ein Recht haben zu sagen, daß die Pflanzengestalt das Product von Stoff und Kraft sei, wir würden hieraus mit Einem Schlage die geheimnißvolle Ursache der großen Mannigfaltigkeit und der nicht minder reich gegliederten Verbreitung der Pflanzengestalten begreifen. Dieser wichtige Punkt fordert uns zu einer näheren Betrachtung auf.

Wir würden das formenbildende Gesetz schwerlich in seiner ganzen Tiefe erfassen, wollten wir es aus der Pflanzenwelt allein erklären. Wirklich zeigt es sich uns faßbarer in der Welt des Starren, im anorganischen Reiche, bei der Krystallbildung. Die rasche Entwickelung und das Wesen des Krystalles geben uns den Vortheil, in das innere Getriebe des gestaltenbildenden Urgesetzes leichter blicken zu können, als bei der langwierigen Entwickelung einer Pflanze und eines Thieres. Darum treten bei der Krystallbildung oft Bedingungen zu Tage, welche bei der Entwickelung organischer Gestalten nicht bemerkt werden würden. Mit Einem Worte, man hat bei der Krystallbildung den chemischen und physikalischen Prozeß in seiner einfachsten, unmittelbarsten Weise vor sich, während er bei der Pflanzenbildung erst aus vielen Erscheinungen mühsam erschlossen werden muß.

Es ist eine alte Erfahrung, daß jeder Stoff, wenn er krystallisirt, stets seine bestimmte Form annimmt. Aus der Verbindung der Chlorwasserstoffsäure mit Natron geht z. B. das Kochsalz in Würfeln hervor. Das läßt uns bereits ahnen, daß der Zusammenhang zwischen Stoff und Form ein untrennbarer sei. Es ist jedoch nicht minder wahr und auf allen Gebieten der Naturforschung sattsam bestätigt, daß die regelmäßigen, die normalen Erscheinungen weniger deutlich das Urgesetz verrathen, als die ausnahmsweisen oder die anomalen. Wie z. B. eine Verkrüppelung im Pflanzen- und Thierreiche uns leichter auf die Bedeutung der einzelnen Organe leitet, ebenso im Reiche der Krystalle. Die Erscheinungen der Doppelgestaltung (Dimorphie, Dimorphismus) gehören zunächst hierher; Erscheinungen, welche uns lehren, daß ein und derselbe Stoff unter verschiedenen Bedingungen zweierlei Gestalten annehmen, zweierlei Krystalle bilden könne. So krystallisirt kohlensaure Kalkerde (Kreide) aus heißen Auflösungen in rhombischen Säulen als sogenannter Arragonit, bei gewöhnlicher Temperatur in Kalkspathrhomboëdern. Ebenso gibt es eine Dreigestaltung (Trimorphie) eines und desselben Stoffes unter verschiedenen Bedingungen. So tritt das schwefelsaure Nickeloxydul in rhombischen, tetragonalen und monoklinoëdrischen Krystallen auf. In andern Fällen nimmt ein und derselbe Stoff sofort andere Krystallgestalten an, wenn ein anderer Stoff in der Lösung zugegen ist. Der Salmiak krystallisirt aus reinem Wasser in Octaëdern, bei Gegenwart vielen Harnstoffs in Würfeln, in einer Verbindung des Würfels mit dem Octaëder aber, wenn weniger Harnstoff oder Boraxsäure in der Lösung vorhanden sind. Ganz ähnlich das Kochsalz. Wie oben erwähnt, krystallisirt dasselbe stets in Würfeln. Das geschieht jedoch nur, wenn es in reinem Wasser geschah; bei Gegenwart von Harnstoff erscheint es in Octaëdern, beim Vorhandensein von Boraxsäure in Verbindung des Würfels mit dem Octaëder, wie wir es bereits beim Salmiak fanden. Die wunderbarsten Erscheinungen dieser Art liefert der Alaun. Wie z. B. beim kohlensauren Kalke schon die Wärme, beim Salmiak und Kochsalz schon die Gegenwart anderer Stoffe eine verschiedene Krystallbildung hervorriefen, so bewirkt beim Alaun sogar die Zeit, während welcher er krystallisirt, eine verschiedenartige Gestaltung. Alaun, mit unlöslichen kohlensauren Stoffen gekocht und langsam krystallisirt, liefert zuerst Octaëder, dann Würfel. Wird jede dieser Krystallformen wieder für sich aufgelöst und langsam verdampft, so erscheint ihre anfängliche Gestalt wieder. Löst man gleiche Theile von Würfel- und Octaëder-Krystallen zusammen, und dampft man den ersten Theil der Lösung rasch, den zweiten langsam ab, so bilden sich in dem ersten anfangs einige Octaëder, dann große Mengen der Verbindungen von Würfel und Octaëder (Cubooctaëder), endlich einige Würfel. Werden die Cubooctaëder wiederum gelöst und der langsamen, freiwilligen Verdunstung überlassen, so entstehen Octaëder und Würfel getrennt von einander in derselben Flüssigkeit. Dahingegen liefert der obige zweite Theil gleichfalls Würfel und Octaëder getrennt, wenn er der langsamen Verdunstung überlassen war.

Aus Allem geht schlagend hervor, daß nicht allein chemische, sondern auch physikalische Bedingungen (Raum, Zeit, Wärme) von wesentlichem Einflusse auf die Gestalt des Krystalles sind. Aber selbst die Lage bildet in diesem geheimnißvollen Prozesse eine bedeutsame Rolle, wie wir durch Cavalle's Forschungen belehrt werden. Er sagt uns hierüber Folgendes. Je schneller sich ein Krystall ausbildet, um so weniger scheint die Lage desselben Einfluß auf seine Gestalt zu haben. Bildet er sich aber langsam aus, so entwickeln sich die Flächen ganz anders, als seine Grundgestalt verlangt. Liegt der Krystall auf dem Boden des Gefäßes in der Lauge, so wächst die untere Fläche mehr als die übrigen. Hat der Krystall eine dieser unteren krystallographisch gleichartige und parallele Fläche, so entwickelt sich auch diese in demselben Maße wie die untere, in solchen Fällen nämlich, wo es, ohne die Symmetrie der Krystalle zu stören, nicht anders sein kann. Wo hingegen die parallele Fläche, ohne daß jene Bedingung aufgehoben wird, kleiner bleiben kann, da entwickelt sich die obere Fläche nicht zu derselben Größe wie die untere. Wenn irgend ein Krystall, auf dem Boden des Gefäßes aufliegend, sich ausbildet, ohne daß er am Gefäße anhaftet, so erhebt er sich an seinen Rändern; es bildet sich auf der unteren Fläche ein einspringender Winkel, der nicht aus einer Vereinigung mehrer Krystalle erklärt werden kann. Legt man einem Alaunkrystalle künstlich eine Würfelfläche an und stellt man ihn auf diese in die Lauge, so bildet sich dieser künstlichen gegenüber eine zweite Würfelfläche. Die übrigen vier Ecken bleiben spitz. Löst man einen Krystall so weit auf, daß seine Ecken und Kanten verschwinden, und läßt man ihn nun von Neuem in der Lauge wachsen, so bilden sich Ecken und Kanten genau so wieder aus, wie sie ursprünglich waren. Geht eine solche Wiederherstellung bei rascher Krystallisation vor sich, so bilden sich auf den Krystallflächen eine Menge kleiner Krystalle aus, die in ihrer Lage oder Stellung dem Hauptkrystalle sich anschließen. Bricht man von einem Krystalle, der auf dem Wege seiner Ausbildung begriffen ist, ein Stück ab, so erneuert sich dieses schnell wieder. Bricht man einen Krystall in viele Stücke, so bildet sich an jedem Stücke der fehlende Theil wieder; aus jedem wird eine Pyramide. Wenn man, während der Krystall sich bildet, ihn in eine anders beschaffene Flüssigkeit legt, so strebt er danach, die Form anzunehmen, die ihm durch diese zweite Flüssigkeit zukommt. Auf diesem Wege der Entwickelung geht der Krystall durch alle Formen, welche zwischen seiner eigenen und der anzunehmenden liegen. Man kann jede Uebergangsform gewinnen, indem man zu der entsprechenden Zeit den Krystall aus der Lauge nimmt. Im Mittelpunkte findet man die ursprüngliche Krystallgestalt unverändert.

Nicht minder wunderbare Erscheinungen liefern die isomorphen Stoffe, d. h. diejenigen, welche bei ähnlicher Zusammensetzung gleiche Krystalle liefern. Dies ereignet sich erstens bei Grundstoffen (Elementen), welche in ihren Wirkungen auf andere Stoffe eine gewisse Verwandtschaft unter sich haben, also ähnliche Wirkungen hervorbringen, wie Eisen, Mangan und Chrom; zweitens, wenn dieselben sich mit gleichen Mengen von Sauerstoff oder Schwefel verbinden; drittens, wenn sie mit einer und derselben Säure oder mit solchen Stoffen verbunden werden, welche unter sich eine gewisse Verwandtschaft in ihren Wirkungen auf andere Stoffe besitzen, wie Eisen, Mangan und Chrom. Aus diesem Grunde sind die Krystallgestalten der aus diese Weise unter sich verwandten Verbindungen dieselben oder isomorph, wie Eisenalaun, Manganalaun, Chromalaun. Mithin können sich dieselben gegenseitig in der Krystallgestalt vertreten. Ja, die ursprüngliche Krystallform ändert sich nicht einmal, wenn das Kali dieser Alaune durch Ammoniak ersetzt ist, da auch dieses ähnliche Wirkungen wie Kali hervorzurufen im Stande ist.

Ebenso bedeutsame Belege liefern uns die isomeren Körper, d. h. jene, welche einen gleichen Grundstoff in gleichem Mengenverhältnis besitzen und nur durch den Hinzutritt anderer Stoffe verschiedene Gestalten und Eigenschaften annehmen. Das schlagendste Beispiel liefert die große Reihe jener Kohlenwasserstoffverbindungen, welche die Grundlage der Pflanzentheile bilden, und die man als Stärkemehl (Amylum), Gummi (Dextrin), Zucker, Cellulose (Zellenstoff), Inulin (Alantstoff) u. s. w. unterscheidet. Sie bestehen sämmtlich aus zwölf Antheilen Kohlenstoff und veränderlichen Mengen von Wasser. Diese unbedeutende Veränderlichkeit der Wasserantheile bringt aber sofort neue Körper in neuen Gestalten, mögen sie nun flüssig oder fest, amorph (ohne bestimmte, massige Gestalt) oder wie Inulin und Stärke in Gestalt von Zellen auftreten. Wie weit weichen aber Stärke und Zucker in ihrer Gestaltung von einander ab! Während jene in Zellengestalt erscheint, krystallisirt der Zucker wie ein Salz, und doch unterscheidet er sich von der Stärke nur dadurch, daß er ein Paar Antheile Wasser mehr enthält.

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Stärkemehlkörner aus verschiedenen Gewächsen.

Was sich hier beim Krystalle so mathematisch gewiß aufdrängt, bestätigen auch Pflanzen und Thiere. Sie hängen, wie wir sogleich sehen werden, ebenso in ihrer Gestaltung von chemischen und physikalischen Bedingungen ab, wie die Krystalle. Auch sie folgen wie der Krystall den Winkeln, die Pflanzen in der Stellung ihrer Aeste, Blätter, Blüthen und Früchte zu einander, die Thiere in der Symmetrie ihrer Organe von den größten wesentlichsten bis zu den kleinsten nebenwerthigen Theilen. Was wir also beim Krystalle fanden, muß sich auch im organischen Reiche, nur höher, freier wiederholen. Die Schöpfung von Pflanzen und Thieren ist nichts Anderes als eine Krystallbildung in immer verklärterer Weise, je höher das Naturwesen in der Reihe des Geschaffenen steht. Das beweisen uns recht unverschleiert gerade die einfachsten Pflanzen, die Urpflanzen, die wir bereits als prismatische Zellen kennen lernten. Der Uebergang der Natur vom anorganischen zum organischen Reiche ist dadurch auf das Sanfteste vermittelt. Sie behält bei den Urpflanzen den Krystall bei, aber derselbe ist nicht mehr wie im Reiche des Starren eine starre, durch und durch gleiche, raumerfüllende, sondern eine unterschiedene, ungleiche, hohle, also raumumschließende Masse. Sind mithin die einfachsten Zellenpflanzen nur höhere Kristallbildungen, so müssen es auch die höheren Pflanzen sein, da sie nur aus Zellen bestehen. Bei ihnen lagert sich gleichsam Krystall an Krystall, um einen wohlgeordneten Staat von organischen Krystallen zu bilden. Was bei den anorganischen Krystallen die Atome, d. h. diejenigen winzigsten Theile sind, welche, nur in kugelförmiger Gestalt denkbar, die Krystallformen durch ihre ganz bestimmten und verschiedenen Gruppirungen unter sich hervorrufen, das sind im Gebiete des organischen Reiches die Zellen. Diese Nebenbetrachtung sollte uns nur dazu dienen, unsern Schluß von dem Zusammenhange von Stoff und Form aus dem Reiche des Starren in das Gebiet der Pflanze vermittelnd überzuführen. In der That, ist die Pflanze nur eine verklärtere Krystallisation, ist sie ein organischer Krystall, so ist der Schluß von selbst gegeben, daß auch die Pflanzengestalt das Product von Stoff und Kraft sei. Wir begnügen uns jedoch nicht hiermit und suchen die Beweise in Thatsachen.

Schon die auf chemischem Wege aus den Pflanzen gewinnbaren Stoffe bestätigen unsere Anschauung. So besitzt jede Pflanzenfamilie gewisse Stoffe, welche sich mehr oder weniger in den einzelnen Arten wiederfinden. In den Samen der Hülsengewächse herrscht der Erbsenstoff (Legumin), in verschiedenen Theilen der Kartoffelgewächse der Kartoffelstoff (Solanin), in den Pfefferpflanzen der Pfefferstoff (Piperin), in den Krappgewächsen (Rubiaceen) der rothfärbende Krappstoff (Alizarin, Rubiacin und Xanthin), in andern Arten Gerbstoff u. s. w. Dies würde nicht möglich sein, wenn nicht ein genauer Zusammenhang zwischen den Typen der Pflanzenwelt und den Stoffen bestände. Gleiche Zusammensetzung erzeugt gleiche Gestalten, ähnliche Zusammensetzung ähnliche Formen, wie uns bereits der Krystall bewies. Gleiche Zusammensetzung und gleiche Form erzeugen aber gleiche Thätigkeiten, ebenso ähnliche Zusammensetzung und ähnliche Form ähnliche Thätigkeiten. Folglich kann es nicht wunderbar sein, wenn jede natürliche Pflanzenfamilie dieselben oder ähnliche Stoffe in ihren verschiedenen Typen und Arten hervorruft und in den Zellen abscheidet.

Auch die Ernährung der Pflanzen bestätigt unsere Gedanken. Jede Pflanze bedarf ganz bestimmter Stoffe, um sich regelmäßig auszubilden. Betrachten wir das z. B. mit dem Fürsten Salm-Horstmar an einer Haferpflanze. Ohne Kieselerde bleibt dieselbe ein niederliegender, glatter, bleicher Zwerg. Ohne Kalkerde stirbt sie schon beim zweiten Blatte. Ohne Kali oder Natron wird sie nur 3 Zoll lang. Ohne Talkerde bleibt sie schwach und niederliegend. Ohne Phosphor bleibt sie schwach, aber aufrecht und regelmäßig gebildet, doch ohne Frucht. Ohne Eisen bleibt sie sehr bleich, schwach und unregelmäßig, mit Eisen erscheint sie höchst überraschend in dunkelgrüner Färbung, üppiger Kraft, gesetzmäßiger Steifheit und Rauhheit. Ohne Mangan erreicht sie nicht ihre volle Kraft und bringt wenige Blüthen. – Diese einzige Thatsache erschließt uns sofort den ganzen Zusammenhang der einzelnen Stoffe mit den Formen der einzelnen Pflanzentheile und gibt uns zugleich eine Einsicht in die Art der Pflanzenernährung durch die Stoffe. Ueberhaupt bilden die Culturpflanzen die wichtigsten Belege für unsere Ansicht. So ist es unter vielem Andern bekannt, daß der Blumenkohl, dieses herrliche Gemüse wohlbesetzter Tafel, seine bekannte Gestalt und Beschaffenheit nur dem Dünger – man sagt, mit reinem Menschenkoth! – verdankt. Dagegen sind unsere übrigen Kohlarten aus verschiedenartigen Düngern, also aus einer andern Ernährung hervorgegangen; die ursprüngliche Mutterpflanze, der Gartenkohl, ist aus diese Weise zu Winter-, Rosen-, Welsch- und Kopfkohl und Kohlrabi umgewandelt. Die verschiedenen Rübenarten, unser Sommer- und Wintergetreide, die ursprünglich derselben Art angehören, bezeugen dasselbe.

Wie innig Stoff und Form zusammenhängen, beweisen selbst die Pflanzen der freien Natur. Die Gewächse der Wüste sind durchgängig starr und steif, wo die Wüste aus reinem Flugsande besteht; denn die Kieselsäure des Bodens hat sich in das Pflanzenskelett eingedrängt. Dahingegen zeigen alle Pflanzen der Meeresküsten, der Salinen und Salzsteppen fast durchweg dicke, fettige Gewächse. Man sieht hieraus, wie wesentlich der Boden die Physiognomie der Pflanzendecke bedingt und wie man dieselbe nur durch chemisch-physikalische Anschauungen verstehen kann.

Ganz eigenthümliche und besonders überraschende Belege bietet der Uebergang einzelner Pflanzenzellen in die verschiedensten Gestaltungen unter verschiedenen stofflichen Bedingungen. Legt man z. B. mit dem Pflanzenforscher Karsten den Staubbeutel einer Tigerlilie an einen feuchten Ort, z. B. auf feuchtes Torfmoos oder in die Stengelhöhle einer Georgine, so dehnt sich die Blüthenstaubzelle (Pollenzelle, Fig. 1, a zunächst zu einem Schlauche aus ( b). Derselbe verästelt sich sofort, indem er sich in dem untersten Theile, welcher zunächst aus der Pollenzelle trat, mit einer durchsichtigen, von Bläschen reichlich erfüllten Flüssigkeit versieht. Hierauf wächst er in ein langes cylindrisches Rohr uns, welches einige Aestchen treibt ( c). Sie schwellen an ihren Spitzen kugelförmig an ( d). Endlich zerreißen diese Kugeln, welche mit einer Menge von samenartigen Körnchen erfüllt sind, und entleeren diese Körnchen ( e). In dieser ganzen Gestalt gleichen sie jenen Schimmelbildungen, welche sich beim Zersetzen von Syrupen auf diesen sowohl, wie auf allen faulenden Früchten und auf eingemachten Speisen bilden, auf das Täuschendste. Es ist eine neue Pflanzengestalt fertig, hervorgegangen aus der Einwirkung der Stoffe des feuchten Torfmooses oder der Georgine auf die Stoffe der Pollenzelle. Könnte man diese Gestalt nicht in ihrer vollständigen Entwickelung aus einem bestimmten Pflanzentheile als dessen einfache Umbildung verfolgen, so würde man geneigt sein, sie für eine eigene Pflanze zu halten, welche in den Kugeln ihre Früchte bildete, und welche dann zu derjenigen Reihe von Pflanzen gehören würde, welche keine Blüthen bilden und uns schon hinreichend als die sogenannten Kryptogamen (Verborgenzeugende) bekannt sind. Jene genannten Schimmelbildungen gehören ebenfalls hierher. Verfolgen, wir den Zusammenhang zwischen Gestalt und Ernährung bei der Pollenzelle der Tigerlilie weiter, so erscheinen unter andern, chemischen Bedingungen aus der Pollenzelle ganz andere Gestalten, wie sie Fig. 2 darstellt. Daraus wird noch mehr bewiesen, daß diese Schimmelbildungen nur umgebildete Theile der Pollenzelle, nicht aber eigene Pflanzen sind. Das beweisen auch die samenartigen Körnchen in Fig. 1, e. Dieselben keimen zwar, bringen aber wieder ganz andere Gestalten hervor, als die Mutterpflanze war (Fig. 3, fi).

So weit wir aber auch das Gebiet der Gestaltung verfolgen mögen, immer werden wir auf den innigsten Zusammenhang zwischen Stoff und Form zurückgeführt, und das Reich der Thiere schließt sich den schon berührten Thatsachen mit gleich, wichtigen und gleich schlagenden an. Wir verschmähen es hier, uns auch in dieses Gebiet zu begeben, das ich an einem andern Orte (Natur, 1853, No. 29) ausführlicher behandelte. Uns kam es hier nur darauf an, das Gesetz zu kennen, auf welchem die Gestaltbildung der Pflanze beruht. Was wir fanden, hat nicht dieses allein glänzend bestätigt, es hat uns auch eine Einsicht in die Art und Weise der Ernährung, folglich des notwendigen Zusammenhanges der Pflanze mit dem Boden gegeben. Es kann endlich auch dazu dienen, uns einen Anhalt über die erste Pflanzenschöpfung zu verleihen. Natürlich werden wir niemals den geheimnißvollen Schleier lösen, welcher das Entstehen der ersten Pflanzen verhüllt, wir müssen aber dennoch als wissenschaftliche Jünger darnach streben, ihn zu lüften. So weit dies gegenwärtig erlaubt ist, müssen wir uns nach dem Vorigen sagen, daß die ersten Pflanzen nicht aus schon vorgebildeten Samen, sondern nur aus organischer Materie hervorgingen. Man hat diese Zeugung zum Unterschiede von der durch Fortpflanzung hervorgebrachten die freiwillige ( generatio aequivoca) genannt und behauptet, daß dieselbe, wenn nicht für höhere, doch für einfachere Gewächse noch heute bestehe. Dieser Streit ist noch nicht geschlichtet, obschon die meisten Thatsachen gegen die Anhänger dieser Meinung sprechen. Wie die ersten Pflanzen aus jener organischen Materie hervorgingen, lassen wir dahingestellt sein. Was der sinnlichen Wahrnehmung und folglich auch dem combinirenden Denken unerfaßbar, ist nicht mehr Gegenstand der Naturforschung. Aber so viel muß uns klar sein, daß die einzelnen Pflanzentypen aus dieser organischen Materie ähnlich gleichsam krystallisirten, wie wir das im Reiche des Starren in so erstaunlicher Klarheit und Mannigfaltigkeit fanden, daß die chemischen Verhältnisse des Bodens und der Luft, sowie die physikalischen Bedingungen von Wärme, Licht und Luftdruck bei der Pflanzenschöpfung die Hauptursachen waren.

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Eine schimmelartige Umbildung der Blüthenstaubzelle der Tigerlilie unter verschiedener chemischer Ernährung.

Aus dieser ganzen Anschauung folgt aber noch eine andere wichtige Folgerung für uns, die wir nur an dieser Stelle verstehen können. Wir erinnern uns unserer Untersuchungen am Eingange unserer gemeinschaftlichen Betrachtungen und Studien über Pflanzenart, Gattung und Familie. Dort nannten wir die Art die Einheit gleicher Glieder Eines Stammes, die Gattung die Einheit ähnlicher Glieder Eines Stammes, die Familie die Einheit ungleicher Glieder verschiedener Stämme. Wir versuchen das jetzt auf chemische Weise auszudrücken, wozu wir nun erst berechtigt sind, da wir die Pflanze als das Product von Stoff und Kraft, folglich als ein chemisch-physikalisches Wesen kennen gelernt haben. Wie uns dort die Pflanzenindividuen die gleichen Glieder Eines Stammes (der Art) waren, so werden sie uns hier zu den einfachsten Verbindungen ihrer Elemente. Dies erfordert eine etwas nähere Betrachtung. Die ganze Grundlage der mit unsern chemischen Hilfsmitteln faßbaren Schöpfung bilden einige 60 Elemente: Sauerstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor, Chlor, Brom, Jod, Eisen, Kupfer, Zink u. s. w. Aus den gegenseitigen Verbindungen dieser wenigen Elemente ist die ganze ungeheure chemische Mannigfaltigkeit des Bodens, des Pflanzen- und Thierkörpers zusammengesetzt. Jedes Element durchläuft eine ganze Reihe von Verbindungen mit den verschiedensten Stoffen und gliedert sich demnach in der Reihe der Elemente als eigene. Gruppe wiederum ab und zerfällt, wie der Organismus einer Armee, gleichsam in Regimenter, Bataillone, Compagnien, Corporalschaften u. s. w., je nachdem ihre Verbindungen zusammengesetzter oder einfacher sind. Eine ähnliche Bewandtniß hat es auch mit den Pflanzen. Auch sie besitzen ihre Elemente. Es sind die Pflanzenfamilien, deren Charakter in ihrer Fruchtgestalt liegt und deren Zahl, wie wir bereits wissen, reichlich 200 beträgt. Ich nenne nur die Urpflanzen, Algen, Flechten, Pilze, Lebermoose, Laubmoose, Farren, Bärlappe, Gräser, Palmen, Zapfenbäume, Hülsengewächse u. s. w. Die einfachste Verbindung eines solchen Elementes ist das Pflanzenindividuum, welches aus gleichen Gliedern gruppirt ist. Man könnte diese Verbindung nach Weise der Chemiker ein Radical nennen. Mit dieser Bestimmung sind auch bereits die übrigen Gruppen des Elementes oder des Pflanzenurtypus charakterisirt. Die Gattung ist eine Gruppe von mehren ungleichartigen einfachen Verbindungen, von Radicalen, also im Sinne der Chemie ein zusammengesetztes Radical. Die Familie ist die Einheit von mehren ungleichartigen zusammengesetzten Radicalen. Es könnte scheinen, daß diese Auffassung, da sie im Wesentlichen mit der im ersten Paragraphen gegebenen dem Begriffe nach völlig übereinstimmt, überflüssig sei. Das ist sie jedoch nicht. Denn sie gibt uns Aufschluß über die Frage, warum von einer Gattung nur so wenige, von andern so viele Arten geschaffen sind? Professor Ernst Meyer in Königsberg hat diese Frage ganz ähnlich gelöst, wie wir eben chemisch die Begriffe von Art, Gattung und Familie feststellten. Er sagt mit Recht, daß, wenn man fragt, warum es z. B. nur 1 Pfirsich, 2 Mispel-, 5 Quittenarten auf der Erde und von der Kartoffel, setzen wir hinzu, 900 Arten gebe, man in dieser Frage zwar nicht das Warum beantworten, wohl aber auf das Gebiet der Chemie hinweisen müsse. Auch dort sei es eben so; auch dort gliedern sich die Verbindungen der Elemente nach Zahlen. So gibt es z. B. zwei Verbindungen des Eisens mit Sauerstoff, die sich einmal wie 1 : 1, das andere Mal wie 1 : 1½ verhalten; von dem Mangan gibt es bereits fünf Verbindungen, und in der oben berührten Reihe der Kohlenwasserstoffverbindungen, welche 12 Antheile Kohlenstoff als Grundstoff besitzen, ist das Heer der verschiedenen Verbindungen, welche mit veränderlichen Mengen von Sauerstoff und Wasserstoff eingegangen werden, kaum zu übersehen. Der Unterschied zwischen dem Reiche des Chemismus und der organischen Gestaltung ist nur der, daß dort Stoffe, hier Organe mit einander combinirt werden. Da das aber stets nach chemisch-physikalischen Gesetzen geschehen muß, so läuft Beides auf dasselbe hinaus, und auch hier ist nur wieder unsere Anschauung aufs Reue bestätigt, daß die Pflanzengestaltung im innigsten Zusammenhänge mit chemisch-physikalischen Bedingungen stehe.

Man kann das nicht fest genug halten, wenn man die Pflanze überhaupt, in ihrem Wesen, als Naturproduct, in ihrer Ernährung, ihrer Verbreitung über die Erde, d. h. in ihrer Abhängigkeit von Boden und Klima verstehen will. Mit dieser Anschauung aber lösen sich die verwickeltsten Erscheinungen des Pflanzenlebens wie von selbst. Man begreift, daß die geringste Kleinigkeit tief in die Ernährung der Pflanzen eingreifen kann, daß z. B. schon die äußere Beschaffenheit des Bodens, seine Dichtigkeit, Schwere, Farbe u. s. w. von größtem Einflüsse sein müssen, weil von der Farbe die lichtbrechende Kraft des Bodens, folglich seine Wärme, von seiner Dichtigkeit der erschwerte oder erleichterte Austausch der Pflanzenwurzeln mit der Luft abhängt. Man erklärt sich leicht, wie unter verschiedenen Himmelsstrichen bei derselben Bodenbeschaffenheit oder auch bei verschiedener Düngung ein und dieselbe Pflanze doch ganz verschiedene Producte liefert, und gedenkt dabei der Rebe, des Tabaks u. s. w. Denn, sagen wir, wenn schon der anorganische Krystall in seiner Entwickelung von tausend Kleinigkeiten abhängig ist, um wie viel mehr muß es die reizbare Pflanze sein. Verfolgen wir z. B. die rothe Burgunderrebe von ihrer südlichen Heimat bis an die nördlichen Saalufer, so nimmt sie unter verschiedenen klimatischen Bedingungen, aber sonst gleichen Bodenverhältnissen immer mehr an Zuckergehalt, folglich an Geist und an Aroma ihres Weines ab. Eine Gegend baut schmackhafte, andere fade oder bitter schmeckende Gemüse. Derselbe Tabak, der auf Cuba die besten Cabannas-Cigarren liefert, sinkt in Deutschland auf die Stufe eines gewöhnlichen Kanasters herab. Alle diese Verschiedenheiten erklären sich einfach aus dem innigen Zusammenhange des Pflanzenlebens mit chemischen und physikalischen Bedingungen. Wir werden sogleich sehen, welche Bedeutung das Klima im Pflanzenleben besitzt.


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