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XIII. Capitel.
Die Weidenform.

Der Typus des Oelbaumes, den wir eben berührten, hat uns unvermerkt die Weidenform vor die Seele geführt. In der That gehört der Oelbaum ( Olea) hierher. Sein Wuchs ist der der Weide, und dieser zeichnet sich durch die aufrechtgestellten, aber sparrig aus einander weichenden Aeste, sowie durch die lanzettliche ungetheilte Gestalt seiner Blätter aus, welche abwechselnd um die Zweige gestellt sind. Doch ist der Oelbaum die weniger schöne der Weidenform; sie trägt das Einförmige des Weidenwuchses und Weidenlaubes zu gleichartig in sich, wozu allerdings die ungetheilten Blätter wesentlich beitragen.

Auch der Liguster unserer Hecken, ein ächtes deutsches Kind und ein naher Verwandter des Oelbaumes, zeigt diese einförmige Tracht, welche jedoch in dem eingeführten Flieder oder Lilak ( Syringa) ihre größte Eintönigkeit erreicht, sobald man von der prachtvollen Blüthenrispe absieht. Auch die Oelweiden (Eläagneen) schließen sich theitweis an die Weidenform an und tragen ihren Namen mit Recht; denn abgesehen von der Ähnlichkeit ihrer Tracht, flüchten sich viele von ihnen ebenso an die Bäche, wie ächte Weiden. Das thut selbst die weidenartige Form des Oleanders im Gebiete des Mittelmeeres. Auf Corsica z. B. vertreten Oleandergebüsche an den Bachufern der Gebirge unser Weiden- und Erlengebüsch. Auch Mandelbäume veredeln durch ihre Blüthenpracht die Weidenform.

Im Ganzen herrscht unter den eigentlichen Weiden eine ziemliche Einförmigkeit, soweit dieselben baumartig werden. Sie wird nur durch die Verschiedenheit des Laubes gemildert, welches hier lanzettlich, dort lorbeerartig oder mandelartig wird, hier in ein glänzendes Grün, dort in ein seidenartiges Grau u. s. w. getaucht ist und um so mehr von den Zweigen absticht, je eigenthümlicher auch deren Farben sind. Wenn auch selten, belegt sie bei einigen Arten ein pflaumenartiger Reif. Bei andern, namentlich bei den Bachweiden, bewahrt das Zweigwerk eine dottergelbe Farbe und wirkt darum an Flußufern weit schöner im Winter und Frühjahr, wo es kein Laub trägt, auf das sonst so tobte Landschaftsbild belebend ein. Die seltsamste Form der baumartigen Weiden ist die Trauerweide ( Salix babylonica) und die ähnliche von St. Helena, wo sie das Grab Napoleons beschattet, die Salix annularia. Das Laub der letzteren ist wie ein Korkzieher gewunden. Wenn sonst die Weidenform gleichsam die idyllische oder die Pflanzenform der ländlichen Bewohner ist und in ihrer schmucklosen Einförmigkeit auch vortrefflich mit dem einförmigen Leben d.es Landes harmonirt, so erheben sich die hängenden Weiden zur aristokratischen Form, ja, fast zum Gegensätze der gesunden, kräftigen Ländlichkeit, zum Elegischen oder Sentimentalen, das sie vortrefflich geeignet macht, eine wehmüthige Stimmung auf die Leichenfelder auszugießen. Die Weidenform ist zwar über den ganzen Erdkreis verbreitet – bis jetzt sind bereits über 150 Arten bekannt – allein je weiter nach Norden und dem kalten Süden oder den höchsten Höhen der Gebirge, um so zwergiger wird sie. Die Netzweide (S. reticulata), die Heidelbeerweide (S. myrtilloides), die Pyrenäenweide (S. pyrenaica var. norvegica), die Polarweide (S. polaris) und einige andere werden höchstens einige Zoll hoch und kriechen krautartig mit ihren derben Wurzeln an der Oberfläche des Bodens hin, um auf diese Weise noch jeden Wärmestrahl aufzunehmen, den dies karge Klima gewährt. Diese außerordentliche geographische Ausdehnung bis fast zu den Polen sagt uns, daß die Weidenform vorzugsweise der kälteren und gemäßigteren Zone angehöre. In den Polarländern findet man oft nur mit Mühe die kleinen, in Moospolster versteckten Zwergweiden. Dagegen fand Humboldt an dem Zusammenfluß der Magdalena mit dem Rio Opon alle Inseln mit Weiden bedeckt, deren viele, bei 60 Fuß Höhe des Stammes, kaum 8-10 Zoll Durchmesser hatten. Es versteht sich von selbst, daß die kätzchenartigen Blüthen der Weidenform überall ihren eigentlichen Charakter aufdrücken.

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Die Weide, aufrechte und hängende Form.

An die Weidenform schließen sich alle jene Pflanzengestalten, welche ebenfalls ganzrandige Blätter tragen: Lorbeergewächse (Laurineen), Myrtenpflanzen (Myrtaceen), Cameliengewächse, zu denen der Theestrauch gehört, orangenartige Pflanzen, die Pomaceen oder Obstpflanzen u. s. w. Wo dies der Fall ist, gewähren sie wie die Weiden den Eindruck großer Einfachheit und Ruhe; nur durch ihre Blüthenformen erreichen sie ihre größte Vollkommenheit. Wenn jedoch der Blattstiel Bedeutung gewinnt, da erwirbt auch das ungetheilte Laub durch zierliche Bewegung einen lebendigeren Ausdruck. So z. B. bei Linde und Pappel; dort durch einen langen Blattstiel, auf welchem sich das Blatt bei jedem Lufthauche leise bewegt und gelinde säuselt, hier durch einen halbgedrehten Blattstiel, durch welchen das Blatt im Winde stets eine halbe Umdrehung macht, nach beiden Seiten schaukelt und somit fortwährend erzittert, wie es die Zitterpappel in höchster Vollendung thut. Ueberhaupt darf man diese Elgenthümlichkeiten des Laubes im Landschaftsbilde nicht übersehen. Sie tragen wesentlich zu dem Eindrucke bei, den wir von den Pflanzen empfangen. Wo der Wind über eine starre Fläche, wie beim Eichenlaube, geht, rauscht er; aber er säuselt und lispelt, wo er über eine glatte, weiche und sammetartige Blattfläche streicht. Diese verschiedenen Momente der Bewegung, der Ton und die Färbung, welche das Blatt gibt, sind dasselbe, was Mienen, Stimme und Teint in der Physiognomik des Menschen. Sie beruhen zugleich in Form und Bau der Organe, sind also wesentliche Eigenschaften des Laubes. Es ist unmöglich, ein physiognomisches System derjenigen Pflanzen aufzustellen, welche ein einfaches Laub tragen und damit gewissermaßen in eine natürliche Klasse der Pflanzenphysiognomik zerfallen. Es gibt viele Familien, welche von dem einfachen ungetheilten Blatte bei verschiedenen Arten in die zerschlitztesten Formen übergehen. So gibt es z. B. eine Menge Eichenarten, deren Laub ungetheilt von der Kreisform bis zur elliptisch-langgestreckten oder zugespitzten und von dieser bis in die zerschlitztesten und buchtigsten Gestalten übergeht. Eine Eiche der ersten Art würde der Laie ohne das Dasein der Eichelfrucht schwerlich erkennen; denn in den Früchten bleiben sich alle Eichen gleich. Diese aber tragen bei ihrer geringen Größe wenig zur Physiognomie der Landschaft bei. Man müßte also aus allen Familien die ganzblättrigen Arten heraustrennen und sie wie die buchtigen, handförmigen, gefiederten u. s. w. in besondere Gruppen stellen. Das wäre eine Arbeit ohne Ende und Resultat; denn wir würden auch hierdurch noch keine natürlichen physiognomischen Elemente erhalten, da Blüthenstand, Fruchtbildung, Wuchs und Färbung immer wieder je nach den einzelnen Arten und Familien verschieden sein werden. Wir müssen uns deshalb bei Familien mit ungleichartiger (heterogener) Physiognomie mit dem allgemeinen Gesetze begnügen, durch das sie auf uns wirken. Je einfacher das Laub, je mehr es sich dem Kreisförmigen nähert, um so unterschiedsloser, gleichförmiger wird die Physiognomie der Pflanze. Bei dem Perückenbaum ( Rhus Cotinus) mit fast kreisrunden Blättern scheint ein Blatt dem andern zu gleichen. Je einfacher die Rippenverästelung ist, um so eintöniger wird auch das Blatt sein. Mit Einem Worte, je einfacher ein Pflanzenorgan sich gestaltet, um so einfacher, todter wird auch sein Ausdruck sein, und umgekehrt. Das sagt indeß noch nicht, daß nun auch jede gelheilte, gegliederte Gestalt die schönere sei. Das künstlerische Gesetz ist hier, daß, je edler die Linien, um so schöner die Form ist. Die sanftvermittelte buchtige Wellenlinie wird dies bei den Pflanzen ebenso sein, wie die Wellenlinie die Schönheitslinie der Kunst ist, denn die Schönheitsgesetze bleiben sich in Kunst und Natur gleich.


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