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VII. Capitel.
Die Pflanzencolonisation.

Wer, wie wir, von den verwandtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen der Pflanzen ausging, um die innere Gliederung des Pflanzenstaates und die geheimen Ursachen seines Bestehens kennen zu lernen, der wird sich jetzt, nachdem wir das Alles nach unsern Kräften durchforschten, die Frage vorlegen, wie denn überhaupt dieser Pflanzenstaat entstand. Diese Frage faßt die Geschichte der Colonisation der Erde durch die Pflanzen in sich. Sie will wissen, ob die Pflanzendecke mit Einem Male oder nach und nach geschaffen wurde und, wenn Letzteres richtig, welche Gewächse vorausgingen, welche nachfolgten; sie will zugleich erfahren, ob dieselben einzeln oder in Massen, an Einem oder an vielen Punkten zugleich entstanden und, wenn dies nicht der Fall, welche Mächte dazu beitrugen, die geschaffenen Gewächse zu verbreiten. Wir sehen, wie bedeutsam die Frage ist, welche wichtigen Aufschlüsse sie verlangt und welche festen Anhaltpunkte wir zu gewinnen suchen müssen, um sie befriedigend zu lösen.

Wir gehen deshalb auf die ersten Anfänge der Erdbildung zurück. Alle Nachforschungen stimmen darin überein, daß die Erdoberfläche, anfangs vom Meere gänzlich bedeckt gehalten, nur allmälig durch vulkanische Thätigkeit in ihrem Inneren über den Meeresspiegel in Gestalt von Inseln emporgehoben wurde. Das nackte Urgestein war hiermit über das Wasser getreten oder doch dem Lichte näher gerückt, wenn die Felsen auch noch unter dem Wasser blieben. In beiden Fällen begannen sich Pflanzen zu bilden, an den unterseeischen Gestaden Algen (Tange), an den überseeischen andere Formen. Wie sie aber auch sein mochten, unter allen Umständen fanden sie einen völlig wüsten Boden zu bewohnen, keine Dammerde (Humus) hatte ihnen den Boden vorbereitet. Darum mußten die ersten Pflanzen solche sein, welche sich zu Land und Wasser ihren Humus selbst bereiteten. Zu den ersteren gehören Laub- und Lebermoose und Flechten, zu den letzteren Sumpfmoose und Algen. Sie bedürfen zum großen Theile des Humus nicht, bereiteten ihn aber für die nachfolgenden Geschlechter vor, wie sie noch heute auf Felsen und Mooren pflegen. Ihnen erst konnten Gewächse folgen, deren zusammengesetztere Organisation durchaus der Dammerde bedurfte, aber im Stande war, sich selbständig aus den mineralischen Bestandtheilen der Erdoberfläche und den gasförmigen des Luftmeeres zu erhalten. Daher konnten z. B. Torfpflanzen erst erscheinen, nachdem bereits von Moosen und Algen oder Haidepflanzen eine Torfunterlage geschaffen war. Schattenpflanzen vermochten nur den Sonnenpflanzen nachzufolgen, um unter deren Schutze aufzuwachsen. Endlich durften diejenigen erscheinen, deren Leben an eine besondere Mutterpflanze gebunden ist und die wir bereits als Schmarotzerpflanzen, z. B. Mistelgewächse, kennen lernten. Steppen- und Wüstenpflanzen mußten nach der Bildung von Steppen und Wüsten, Süßwasserpflanzen nach der Bildung von Süßwasserbehältern hervortreten. Die Alpenpflanzen wurden später gezeugt als die Pflanzen der Thäler; denn man kann nicht annehmen, daß beide Theile vermischt vor der Erhebung der Erdoberfläche zusammen wuchsen, die Alpenpflanzen würden nun und nimmer in der Ebene haben gedeihen können, und eine Wanderung aus fernen kalten Zonen zu den Alpen ist aus hundert Gründen ebenso unstatthaft. Dazu kommt, daß, obwohl viele Alpengewächse auch der kalten Zone angehören, doch unter den eigenthümlichen Bedingungen eines verminderten Luftdruckes Formen entstanden, die bei vermehrtem Luftdrucke nie in der Ebene geschaffen werden konnten. Im entgegengesetzten Falle müßten die Polarländer sämmtliche Alpengewächse besitzen, was bekanntlich die Erfahrung nicht bestätigt. Es gibt also triftige Gründe für die Behauptung, daß die Pflanzendecke nur sehr allmälig entstand und eine Pflanze unter dem Schutze einer andern aufwuchs. Wie hätte das auch anders sein können! Wenn, wie wir sahen, die Pflanze das Product von Boden und Klima sein muß, so war die nothwendige Folge, daß überhaupt jede Pflanze nur unter den gehörigen Bedingungen gebildet werden konnte. Eine Schattenpflanze vor der Bildung der Sonnenpflanzen würde eine Unmöglichkeit sein, weil ihr die Bedingung zum Leben dadurch abgeschnitten gewesen wäre, daß sie nicht im Stande war, bei directer Einwirkung des Sonnenlichtes und der hierdurch hervorgebrachten Temperatur den Stoffwechsel, ihre Ernährung, zu vollenden. Vermag also eine Schattenpflanze nicht in der Sonne zu leben, so konnte sie auch nicht unter directer Einwirkung des Sonnenlichtes erzeugt sein. Ja man muß deshalb geradezu sagen, daß eine Schattenpflanze nur deshalb dem Boden entkeimte, weil ihre organische Materie, aus der sie krystallisirte, unter dem Einflusse des Schattens stand und daß sie unter andern Bedingungen vielleicht eine ganz andere Pflanzenform geworden wäre. Dieses Nacheinander der Pflanzentypen findet sich im großartigsten Maßstabe in den einzelnen Schöpfungsperioden wieder. Wie dort, so ist der organische Prozeß der Pflanzenschöpfung auch hier einfache Entwickelung gegebener Verhältnisse, deren innere Vorgänge uns bisher völlig unerschlossen blieben und, weil der sinnlichen Wahrnehmung entrückt, vielleicht nie erforscht werden. Wir werden dieses großartige Bild der Aufeinanderfolge der Gewächstypen später kennen lernen.

Haben wir in dem Vorigen die Frage gelöst, ob die Pflanzendecke plötzlich oder allmälig geschaffen sei, so fragen wir jetzt, ob die der Erde entstiegenen Gewächse nur in einem einzelnen Individuum oder in Menge ursprünglich vorhanden waren. Man kann Beides bejahen. Der aufmerksame Forscher beobachtet, daß sämmtliche Pflanzenarten einen oder mehre über die Erde gesetzlich zerstreute Heimatspunkte besitzen. Ein solcher ist derjenige Ort, wo die Art am häufigsten erscheint. Er ist gewissermaßen das Centrum, der häusliche Heerd einer Pflanzenart. Von ihm aus verbreitet sich dieselbe nach allen Richtungen; je weiter sie sich aber von ihrem Mittelpunkte entfernt, um so vereinzelter werden ihre Individuen, bis sie endlich ganz verschwinden und andern Formen Platz machen. Das häufige Vorkommen vieler solcher Mittelpunkte einer und derselben Art an sehr, entfernten Punkten der Erde berechtigt uns zu dem Schlusse, daß der Schöpfungsact einer Art gleichzeitig an sehr verschiedenen Punkten der Erdoberfläche stattgefunden habe, daß also mehr als ein Individuum geschaffen worden sei, welchem die Fortpflanzung der Art durch Samen oder Sprossung oblag. Dieser Schluß berechtigt uns aber auch zu dem andern, daß an einem und demselben Centrum mehre Individuen entstanden sein konnten. Denn da der Schöpfungsact einer Art an vielen zerstreuten Punkten vor sich zu gehen vermochte, so würde es mindestens sehr kornisch sein, wenn an jedem Mittelpunkte nur ein Individuum hätte geschaffen werden können. Gegen diese Annahme protestiren ganz besonders die einfach organisirten Zellenpflanzen, die Kryptogamen, d. h. Urpflanzen, Algen, Flechten und Moose. Dieselben wachsen nicht selten gesetzlich in großer Gesellschaft, zu Polstern, Geflechten oder Rasen vereint, beisammen, um sich hierdurch gegenseitig zu schützen und zu erhalten. Es müssen demnach von ihnen mehre Individuen zugleich an einem und demselben Punkte entstanden sein; um so mehr, als die Natur immer die vorsichtigste Mutter ist und lieber in Fülle schafft, als in Armuth spendet. Es ist eines ihrer bedeutsamsten Grundgesetze, daß sie die Fortdauer ihrer Geschöpfe nicht leicht von einem einzigen abhängig macht. Damit soll indeß nicht geleugnet werden, daß das bei sehr selten vorkommenden Pflanzen nicht stattgefunden habe. Für diese konnte ein Individuum sehr wohl das Centrum der Art bilden, wenn, wie z. B. bei Orchideen, der Fortpflanzung durch Samen auch noch die durch Sprossung der Wurzel zugesellt war. Erinnern wir uns überdies noch einmal der kärnthenschen Wulfenie, die bisher nur auf der Küweger Alpe in Oberkärnthen gefunden wurde, bedenken wir, daß hier die Fortpflanzung der Art nur wenigen Individuen anvertraut ist, so muß uns auch das in unserer Annahme wesentlich bestärken. Blicken wir auf das Ganze zurück, so ist die Ansicht nicht abzuweisen, daß die Erdoberfläche anfangs nur durch vereinzelte Pflanzencentra colonisirt wurde. Als indeß die Gewächse begannen, sich durch Samen und Sprossung fortzupflanzen, als die neu entstandenen Individuen sich von ihrem Mittelpunkte wie die Strahlen eines Kreises von dem Centrum desselben entfernten, dann mußten diese einzelnen Centra verschiedener Gewächse allmälig ihre Strahlen in einander schieben. Daraus gingen die ersten Pflanzengemeinden, Wälder, Wiesen, Haiden, Moosdecke u. s. w. hervor. So kann man z. B. Mexiko als das Centrum der Cactuspflanzen betrachten, da hier bei größter Menge die größte Mannigfaltigkeit der Cacteen erscheint und von da aus die Strahlen dieses Centrums nach allen Richtungen der Windrose auslaufen und immer dünner werden, bis sie zuletzt wieder von den Strahlen anderer Pflanzentypen ersetzt werden. Wie sich darum in der Vorwelt einzelne Inseln als erstes Land aus dem Ocean emporhoben, ebenso tauchten jetzt aus dem jungfräulichen Boden die ersten Pflanzencentra als einzelne Inseln, als Oasen auf, bis sie sich allmälig zu einer geschlossenen Pflanzendecke vereinigten.

Wie dies zuging, ist eine neue Frage. Verschiedene Ursachen bedingten, wie noch heute, diese Verbindung. Zunächst verbreiten sich, wie wir oben sahen, die Pflanzen durch sich selbst, durch neue Aussaat oder Sprossung, wodurch die Art jedesmal um ein Kleines von ihrem alten Standorte entfernt wird. Freilich ist diese Wanderung oft sehr unbedeutend. Viele Orchideen z. B. setzen alljährlich eine neue Knolle an ihre Wurzel, während die älteste abstirbt und die neue um ein Geringes den alten Standpunkt verläßt. Andere Gewächse, z. B. Quecken und alle mit weithin kriechenden Wurzeln, wandern rascher. Leichte Samen werden auf den Fittigen des Windes fortgeführt, andere reisen zu Wasser, mit Bächen und Strömen, ja selbst mit Meeresströmungen. Noch andere flüchten sich unter den Schutz der Thierwelt und wandern mit dieser nach allen Richtungen.

Diese Colonisation der Erde durch Pflanzenwanderung ist eine der bemerkenswerthesten Erscheinungen der Pflanzenwelt und der Erde überhaupt. Sie kann uns Aufschlüsse über Dinge geben, welche zu dem geheimnißvollen Schöpfungsacte der Erdoberfläche in innigster Beziehung stehen. Es darf als ausgemacht betrachtet werden, daß jedes Land ohne eigenthümliche (endemische) Pflanzenarten jünger als alle übrigen Punkte der Erde sei, folglich in einer Zeit gebildet sein müsse, wo die Schöpfungsacte der Erdoberfläche bereits vorüber waren. Ein solches Land ist z. B. nach Lyell Sicilien, nach allgemeiner Annahme Island. Dieses besitzt nach zahlreichen Untersuchungen keine einzige ihm eigenthümliche Pflanzenart, obwohl es, und in der geschichtlichen Vorzeit noch weit mehr, von einer oft dichten Vegetation bekleidet ist. Die schönen Untersuchungen des französischen Naturforschers Charles Martin lassen über Island, die Färöer und Shetlandsinseln nicht den mindesten Zweifel übrig. Das erstere ist von Grönland, mehr aber noch von Europa aus colonisirt worden. Die arctisch-amerikanischen Gewächse erreichen dort ihre südlichste, die europäischen Gewächse der nordisch-gemäßigten Zone ihre nördlichste Grenze und sind vorzugsweise durch die Unmasse der jährlich zwischen diesen Ländern hin und her wandernden Vögel verbreitet worden.

Im Ganzen darf man die meisten Inselpunkte aller Meere als eigenthümliche Schöpfungscentra ansehen. Besitzen sie die meisten ihrer Gewächse mit andern benachbarten Ländern gemeinsam, zeigen sie uns nur sehr wenige eigenthümliche Arten: dann müssen wir schließen, daß diese Inseln in die letzte Zeit des Schöpfungsactes fielen, folglich jüngeren Ursprungs sind. Dennoch muß man hierbei sehr vorsichtig verfahren. Es ist ohne Zweifel richtig, daß an vielen Punkten der Erde dieselben Pflanzenarten ursprünglich entstanden sein konnten; nicht minder gewiß ist es aber auch, daß selbst Pflanzengebiete, welche nie eine Umänderung ihres Landschaftsbildes durch den Menschen erfuhren, dennoch eine fremde Vegetation in großem Maßstabe beherbergen können. In dieser Beziehung sind uns die Gallapagos-Inseln von der höchsten Bedeutung. Ueber 120 geogr. Meilen von der Westküste Amerikas und 600 geogr. Meilen von den Inseln der Südsee unter dem Gleicher gelegen, fand doch der jüngere Hooker, welcher die englische Expedition des Erebus und Terror in die Südsee von 1839 bis 1843 begleitete, auf 4 Inseln des aus 10 Inseln bestehenden unbewohnten Inselmeeres 265 Pflanzenarten, von denen sie 144 mit dem Tieflande des westlichen und östlichen tropischen Amerika, d. h. mit der Landenge von Panama und Westindien, theilen. Weder die Passatwinde, Vögel noch Thiere konnten aus triftigen Gründen diese Pflanzen nach dem Gallapagos-Archipel haben, da der herrschende Südostpassat keine Gewächse von dem benachbarten Peru herübergeführt hat, welche nicht auch an der Westküste von Panama wachsen. Ebenso wenig haben die Vögel hier colonisirend gewirkt, weil auf den Gallapagos-Inseln kein Landvogel anzutreffen ist, welcher auch dem Festlande von Amerika angehörte. Endlich hat ebenso wenig die herrschende Südpolarströmung des stillen Oceans, welche von Peru herüberkommt, Gewächse von da mitgebracht. Welche Ursachen der Pflanzenwanderung mögen vorhanden sein, wenn wir keine unter den bisher gekannten zu finden vermochten? Hier bewährt sich recht schlagend die große Bedeutung der Pflanzengeographie für die physikalische. Indem Hooker diese 144 Pflanzen an der Landenge von Panama wiederfand und durchaus eine Einwanderung derselben auf die Gallapagos-Inseln annehmen mußte, richtete er sein Augenmerk auf andere Meeresströmungen und entdeckte eine bis dahin unbekannte Localströmung, welche von der Panama-Bay nach dem nördlichen Archipel fließt und dessen Wasser oft um mehre Grade wärmer macht, als es sonst an der dem Südstrome ausgesetzten Südküste zu sein pflegt. Eine solche großartige und für die Colonisation einer fernen Landschaft erfolgreiche Freizügigkeit der Pflanzen, welche überdies später von unserem schwedischen Freunde Andersson völlig bestätigt und nur in Einzelnheiten modificirt wurde, würde uns völlig unbegreiflich sein, wenn nicht eine genaue Untersuchung gelehrt hätte, daß diese wandernden Pflanzen zu Familien gehören, deren Samen leicht kennen und meist durch feste Schalen der Einwirkung des Meerwassers längere Zeit hindurch widerstehen. So wandern von Panama nach den Gallapagos-Inseln meist Hülsengewächse und Kartoffelpflanzen. Jede Meeresströmung begünstigt diese Pflanzenwanderung. Im indischen Meere schwimmen die gegen 20 Pfund schweren kopfgroßen Palmenfrüchte der Locloicea Sechellarum von den Sechellen an der Ostküste Afrikas über den Gleicher nach den Küsten Ostindiens, z. B. nach Malabar und den maledivischen Inseln. Umgekehrt hat dagegen die Westküste Afrikas bei Congo durch die bekannte Aequatorialströmung (welche sich von den Ostküsten Südamerikas durch den atlantischen Ocean nach Afrika hinüberzieht) gegen 15 Pflanzenarten aus Brasilien und Guiana erhalten. Selbst Europa ist von der Freizügigkeit der Gewächse berührt worden. Unter andern führt der große Golfstrom aus dem Meerbusen von Mexiko die Samen der Mimosa scandens, Guilandinia Bonduc und Dolichos urens an die nördlichen Küsten Schottlands, ja selbst bis an das Nordkap, die Küsten des Weißen Meeres und Islands, wo der Golfstrom bekanntlich auf seiner Rückkehr vorbeifließt. Es ist derselbe Strom, welcher schon Columbus durch die mitgeführten Samen und Treibhölzer auf das Dasein eines noch unbekannten Welttheils aufmerksam machte, derselbe Strom, welcher das angeschwemmte Land von Jütland, Schleswig, Holstein, die Bildung von Holland, die Deltabildungen Ostfrieslands u. s. w. dadurch hervorrief, daß er den Schlamm der in die Nordsee fallenden Ströme zwang, sich dort abzusetzen, woraus seine größte Schöpfung, die Bildung des Ostseebeckens, welches früher mit der Nordsee Ein Meer bildete, hervorging. Es ist derselbe Strom, der bereits existirt haben mußte, ehe Irland gehoben war, und welcher die Entstehung einiger merkwürdigen Gewächse dieses Landes, deren Verwandte nur in weit wärmeren Ländern wieder angetroffen werden, begünstigte. Diese Pflanzenwanderungen durch das Meer sind eine Sache von der höchsten Bedeutung für die Geographie der Pflanzen. Sie erklären uns höchst einfach, warum die Pflanzen der Küstenfloren gemeiniglich eine so große Verbreitung besitzen. So beherbergt z. B. die Nordseeküste manche Gewächse, welche ihre Verbreitung vom Adriatischen Meere an rings um die Küsten Italiens, Frankreichs, Spaniens, Portugals und Englands bewerkstelligten und überall Boden fanden. Ebenso wandern andere von den Küsten des afrikanischen Mittelmeeres bis nach dem Kap der guten Hoffnung, andere aus der heißen Zone Westindiens über den Gleicher hinaus in die warme Zone Brasiliens u. s. w.

Es gibt noch eine andere bemerkenswerthe Ursache, welche die Pflanzenwanderung und somit die Colonisation der Erde außerordentlich begünstigte. Ich meine die Fortführung vieler Gewächse durch die sogenannten Wanderblöcke (erratischen Geschiebe). Ich habe diese Thatsache zuerst, und zwar für die norddeutsche Ebene, über allen Zweifel zu stellen gesucht. Bekanntlich beherbergt diese große Niederung von den finnischen Küsten bis zur Normandie hinab und weit nach Mitteldeutschland hinein, bis in die Gegenden von Halle und Leipzig, oder von Pommern bis nach den brandenburgischen Marken, in die Oderniederungen, eine Menge von Granitgeschieben, welche ursprünglich Skandinavien angehörten. Das zeigen ihre Einschlüsse von Granaten, Topasen und andere Kennzeichen auf das Bestimmteste. Die herrschende geologische Ansicht läßt sie auf Gletschereise gewandert sein, welches von den skandinavischen Gebirgen herabkam, sich auf das Meer legte, hier abschmolz, in vereinzelten Stücken auf der Wasserfläche fortschwamm, nach und nach zerschmolz und mit dieser Auflösung ebenso die aufgeladenen Steine in das Meer fallen ließ. Dadurch und durch das Absetzen von Schlamm, welchen die süßen Gewässer des bereits gebildeten Festlandes an ihrem Ausflusse in das Nordmeer hier, wie wir oben gesehen, durch den Golfstrom noch mehr veranlaßt, fallen ließen, wurde die große Marschbildung dieser Ebene auf dem Meeressande vollendet. Daher die große Abwechslung von Geest (sandigen Haiden) und Marschen in der norddeutschen Niederung. Denkt man sich nun diese Gletscherwanderung, wie sie noch heute in den Alpen, im hohen Norden und hohen Süden beobachtet wird, bis an den Zeitpunkt heranreichend, wo das Meer durch die fortwährende Bodenerhöhung oder Bodenerhebung durch Ablaufen bereits sehr zurückgetreten und seicht geworden war, so mußten die letzten Granitgeschiebe besonders an den Küsten der heutigen Nord- und Ostsee niederfallen, während vielleicht noch einige bis in die preußischen Marken herabkamen. Jedoch berührt uns hier das Specielle nicht. Wohl aber führen uns diese Wanderblöcke auf eine andere Erscheinung. Die norddeutsche Ebene beherbergt nämlich eine Menge von Pflanzen, welche den Ebenen, ja selbst Deutschland völlig fremd sind. Es sind besonders Moose. In der Gegend von Bremen fand der Pflanzenforscher Roth zu Vegesack zwischen Hagen und Meyenburg im Anfänge dieses Jahrhunderts das nach ihm benannte » Roth'sche Mohrenmoos« ( Andreaea Rothii) auf Granitblöcken; auf den Torfmooren dieser großen Niederung wächst gleichzeitig das wunderbar niedliche »flaschenfrüchtige Schirmmoos« ( Splachnum ampullaceum), auf den Blöcken der holsteinischen Küste die »küstenbewohnende Zwergmütze« ( Grimmia maritima). Mein Freund Itzigsohn in Neudamm in der Neumark beobachtete neben diesen genannten Arten noch einige andere Moose, welche in einem unbedingten Zusammenhänge mit den erratischen Blöcken stehen, während das Schirmmoos nebst einigen andern diesen Zusammenhang wahrscheinlich deshalb nicht mehr zeigt, weil die Blöcke, auf denen sie einwanderten, längst verwittert sind. Alle diese Moose, zu denen sich noch viele Flechten gesellen, gehören den Ebenen nicht an und können nur eingewandert sein. Da sie aber meist noch heute mit den Blöcken im innigsten Zusammenhänge stehen, so müssen wir schließen, daß sie auch mit diesen und zwar, wenn diese aus Skandinavien stammen, aus dem Norden zu uns gewandert sind: um so mehr, als sich noch Niemand die Mühe nahm, ein Moos und eine Flechte zu cultiviren und andern Gegenden zuzuführen. Dürfen wir mithin von Moosen und Flechten darauf schließen, daß die norddeutsche Niederung von Skandinavien aus mit diesen Pflanzen versehen wurde, so ist kein Grund vorhanden, von dieser Wanderung andere, höhere Pflanzen auszuschließen. In der That wird das Dasein einiger Gewächse tu der norddeutschen Ebene hierdurch leicht erklärlich. Ich nenne nur als charakteristisches Beispiel die »schwedische Cornelkirsche« ( Cornus suecica). Sie, eine zwergige Verwandte unserer bekannten Herlitze ( Cornus mascula), findet sich als ein zierliches spannenlanges Pflänzchen an einigen wenigen Punkten im Oldenburgischen und Holsteinischen, sonst nirgends in Deutschland, während sie in Schweden nicht selten ist. Ich habe sie selbst in der Haide von Upjever bei Jever an der Nordsee vielfach gesammelt und bin immer über die große Beschränktheit ihres dortigen Standortes erstaunt gewesen. Nimmt man jedoch an, daß auch sie von Schweden aus ähnlich wie jene Moose und Flechten eingewandert sei, so verliert sich alles Dunkle; man muß annehmen, daß die norddeutsche Ebene nicht allein von dem Harze aus, sondern auch von Skandinavien herüber oder von Finnland herab colonisirt worden sei. Jedenfalls gehört aber diese Pflanzenwanderung zu den merkwürdigsten Irrfahrten, welche die Gewächse in der Vorzeit machten, und ich habe ihre Spur selbst in der Goldenen Aue Niederthüringens zwischen Allstädt und den: Kyffhäuser wiedergefunden, ich habe auch hier Moose, Flechten und einige andere Gewächse im Zusammenhänge mit Wanderblöcken gefunden, welche ebenso wenig wie das Wandergestein in der dortigen Umgegend zu Hause sind und nur aus ferneren Gebieten hierher gelangt sein konnten.

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Die schwedische Cornelkirsche ( Cornus suecica).

Dieser großartigen Pflanzenwanderung entspricht eine andere durch Winde, Binnengewässer, Thiere und Menschen. Es ist bekannt genug, daß nicht selten Blumenstaub durch Winde nach sehr entfernten Punkten geführt wird. Der sogenannte Schwefelregen, eine Anhäufung des Blüthenstaubes verschiedener Pflanzen, namentlich der Kiefern, verdankt diesem Umstande seine Entstehung. Ebenso bekannt ist es, daß vulkanische Asche, allerlei organische Reste und mineralischer Staub mitunter Hunderte von Meilen von ihren: ursprünglichen Orte durch Stürme entführt werden. Diese Thatsachen sind für die Verbreitung mancher Pflanzen von höchster Wichtigkeit. Sie beweisen uns, daß ebenso auch leichte Pflanzensamen und leichte Pflanzen verbreitet werden können. Unter den ersteren zeichnen sich diejenigen aus, welche, wie die Samen der Vereinsblüthler (z. B. Löwenzahn und Disteln), mit einem natürlichen Fallschirme in ihrem Federkelche versehen sind, der sie lange schwebend erhält. Die Samen der Ulmen, Ahorne, Birken u. s. w. bewerkstelligen diese Wanderung durch flügelartige Ansätze. Die Samen der Moose, Farren und anderer Kryptogamen sind ebenso leicht wie der Blüthenstaub der Gewächse, mit welchem sie einen ähnlichen Bau theilen. Sie werden darum ganz besonders befähigt sein, mit dem mineralischen Staube zugleich, der später bei ihrem Keimen ihre Ackerkrume bildet, zu wandern. Nur hierdurch erklärt sich das Vorkommen der Moose und Flechten auf Dächern, der Mauerraute, des Venushaares und anderer Farren an unzugänglichen Felsenklippen, hohen und niederen Mauern. Ja nicht selten können selbst ganze Pflanzen auf den Fittigen des Windes zu diesen Höhen steigen. So mikroskopische Urpflanzen und Algen, deren Leben sonst nur dem Wasser angehört. Daraus erklärt sich, wie in Dachrinnen und an Fensterscheiben kieselschalige Diatomeen zur höchsten Ueberraschung des Forschers erscheinen. Selbst das merkwürdige Kugelthier ( Volvox globator), von mikroskopischer Kleinheit, kann nur auf diese Weise sein Erscheinen in Dachrinnen erklären. Wem diese sonderbare Wanderung nicht einleuchten sollte, den erinnere ich nur an das sogenannte Meteorpapier, welches aus Süßwasser-Algen, leichten fadenförmigen Conferven (Wasserflachs) besteht, zu Zeiten von überschwemmt gewesenen Orten in getrockneten Häutchen vom Winde, zugleich mit vielen darin haftenden Stäbchenpflanzen (Diatomeen) und Infustonsthierchen, entführt und nach sehr entfernt gelegenen Punkten getragen wird. Hierdurch erledigt sich von selbst die oft wiederholte Annahme einer noch jetzt fortdauernden Urschöpfung ( generatio aequivoca) jener Gewächse an Orten, wo der kurzsichtige Verstand so leicht die einfachen Hilfsmittel übersieht, durch welche die Natur auch den ödesten Punkten der Erde Leben einzuhauchen weiß.

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Das Kugelthier, 1/2 Linie groß, 1
. Ein kugelförmiger Verein von Hunderten dieser Infusionsthiere, durch Fäden verbunden, jedes 1/100-1/500 Linie groß.
2. Ein Stück vergrößert
3. Ein einzelnes Thier sehr bedeutend vergrößert.

Die Pflanzenwanderung durch Bäche und Flüsse ist dagegen selbst dem Laien seit lange verständlich gewesen. Es dürfte kaum irgend eine von Gebirgsgewässern durchfurchte Landschaft geben, auf deren Wiesen nicht einige Gebirgspflanzen angesiedelt wären. In besonders ausgezeichneter Weise bewährt sich diese Thatsache in der Umgegend von München. Sie besitzt viele Pflanzen, deren Heimat die Alpen und die ihr von der Isar zugeführt worden sind. Die in den Alpen entspringende Iller hat Alpengewächse nach Oberschwaben gebracht. Selbst Moose sind auf diese Weise gewandert. So ist z. B. das »alpenbewohnende Knotenmoos« ( Bryum alpinum) wahrscheinlich vom Fichtelgebirge oder dem Thüringer Walde bis an die Porphyrfelsen von Kröllwitz bei Halle gekommen. Noch großartiger ist die Verbreitung, welche einige Pflanzen der Anden bis zu den Inseln der Orinocomündung, andere von dem Rücken des Himalaya bis zu dem Delta des Ganges u. s. w. gefunden haben. Die Inseln an der Mündung des Parana, der die La-Plata-Staaten durchströmt, haben sich, wie Darwin berichtet, mit dichten Pfirsich- und Orangenwäldern bedeckt, welche aus Samen entsprangen, die der Fluß dahin geführt hatte. Man hat diese Erscheinung in der neueren Zeit sinnig zur Colonisation versandeter Wiesen in der Nähe der Gebirge benutzt und gefunden, daß eine durch Zertheilung der Gebirgsbäche herbeigeführte Ueberrieselung schon nach kurzen Zeiträumen eine zusammenhängende Pflanzendecke jenen Wiesen wieder zuführt. Namentlich zeichnen sich alle mit Buschwerk bestandenen Flußufer durch eingewanderte Pflanzen aus, welche nicht selten schon nach kurzem Bestehen wieder verschwinden und andern Platz machen, wenn sie keine geeignete Stätte zu fernerem Gedeihen fanden.

In vielen Stücken noch interessanter ist die Pflanzencolonisation durch Thiere. So verpflanzen Singvögel, welche die schönen Scharlachfrüchte des Vogelbeerbaumes ( Sorbus aucuparia) oder die Quitschbeere der Gebirgsbewohner lieben, denselben häufig auf die Ruinen alter Burgen und Klöster. Aus gleichem Grunde finden wir daselbst auch gern den Hollunder ( Sambucus) angesiedelt. Krammetsvögel verbreiten den Wachholderstranch, Misteldrosseln die Mistel auf verschiedene Gewächse. Ueberhaupt gebührt den Vögeln, wie wir schon bei Island fanden, ein großer Antheil an der heutigen Colonisation der Erde durch die Pflanzen. Auf Ceylon verbreiteten Elstern ( Turdus zeilanicus) den Zimmetbaum; eine Thatsache, welche ihnen den besonderen Schutz des Menschen sicherte. Auf ähnliche Weise ist der Muskatnußbaum weiter verbreitet worden. Das Coliseum zu Rom verdankt dieser Pflanzenwanderung nach den Untersuchungen des Italieners Sebastiani eine Flor von 261 Pflanzenarten. Sehr seltsam ist die Verbreitung des Kaffeebaumes auf Java und Manila. Sie geschieht durch ein wieselartiges Thier, die Viverra musanga, den Lawack der Javanesen. Diese Zibethkatze ist die größte Kaffeefreundin, jedoch nur des grünen, und verschlingt die Kaffeefrüchte um ihres kirschenähnlichen Fleisches willen. Unverdaut gehen die Bohnen durch ihren Darm und haben ihre Keimfähigkeit so wenig wie die Mistelsamen verloren. Nebenbei bemerkt, berichtet uns Junghuhn, daß gerade dieser Kaffee von den Javanesen als der beste Javas gerühmt und sorgfältig aus den Excrementen jenes Thieres herausgelesen werde. Die Kermesbeere ( Phytolacca decandra), welche zum Färben des Weines in die Gegend von Bordeaux aus Nordamerika eingeführt wurde, ist durch Vögel über ganz Südfrankreich bis in die Thäler der Pyrenäen verbreitet worden. Ueber den »Vogeldinkel« berichtet K. W. Volz in Stuttgart etwas Aehnliches. »Seit einigen Jahren«, schreibt derselbe, »wird in Würtemberg eine Dinkelart (Weizen) angebaut, welche man Vogeldinkel nennt, weil der Landmann in Eßlingen, welcher den ersten Halm in seinem Weinberge fand, der Meinung war, daß das Korn durch Vögel dahin verschleppt worden sei. Im Jahre 1847 waren 263 Bestellungen aus allen Ländern Europas in Eßlingen eingelausen, und nach einem Schreiben aus Altona hatte der Dinkel 64fältig getragen.«

So weit über die Pflanzenwanderung durch Ursachen, welche schon lange vor der Schöpfung des Menschen thätig sein konnten und thätig waren. Den größten Antheil an der Colonisation der Erde besitzt er selbst, theils unfreiwillig, theils durch Neigung für die Pflanzenwelt, theils aus Interesse, das ihm seine Cultur gebot. Es würde von höchster Bedeutung sein, die Veränderungen genau zu wissen, welche die Länder der Erde durch die Hände des Menschen im Laufe der Jahrtausende erlitten, um hieraus einen Schluß auf das ursprüngliche Landschaftsbild der cultivirten Länder und die Abstammung der Culturgewächse ziehen zu können. Eine allseitig erschöpfende Geschichte dieser Colonisation gehört jedoch zu den schwierigsten Aufgaben der Pflanzenkunde und ist bisher, wenn auch oft versucht, nur sehr lückenhaft gelöst worden. Eine unfreiwillige Verbreitung der Gewächse durch Menschenhand ist besonders an vielen Häfen aller Welttheile beobachtet. Es ist die am wenigsten auffallende, da Schiffe unfreiwillig nicht selten selbst Thiere von einem Erdtheile zum andern verbreiten. Namentlich zeichnen sich in Europa die Hafenorte Frankreichs und Spaniens aus; sie beherbergen eine Menge von Pflanzen, welche hier, von einem milden Klima begünstigt, sehr leicht ihr überseeisches heißes Vaterland mit einem südeuropäischen vertauschen. Wichtiger als diese in dem Auslande anzutreffenden Pflanzenvagabunden sind die eingeführten und verschleppten Gewächse des eigenen Vaterlandes. Unter andern erhielt Deutschland aus Südeuropa die Petersilie, mit dem Getreide aus Asien die kupferblumige Ackerrade ( Agrostemma Githago), die Klatschrose ( Papaver Rhoeas) und die blaue Kornblume. Der Stechapfel soll durch Zigeuner, die ehemaligen Parias Indiens, verbreitet sein. Der Kalmus gelangte nach Dierbach im 16. Jahrhunderte aus Asien in die deutschen Gärten und verwilderte von da an in unsern Sümpfen und Gräben. Einer der größten Wucherer unserer Aecker, der Hederich ( Raphanus Raphanistrum), ist gleichfalls ein Asiate, der sich mit dem Getreide einschlich. Unsere Getreidearten selbst verdanken höchstwahrscheinlich ihren Ursprung ebenfalls Asien. Dasselbe hat überhaupt die meisten Gewächse zur Colonisation Europas geliefert. Von dort kam der Hanf, der Flachs, aus der Tatarei der Buchweizen und die Gartennelke, der Spinat, aus Medien die Luzerne, aus China der Zuckermerk ( Sium Sisarum), ein Küchenkraut, die Gartenkresse ( Lepidium sativum), die Schote,nerbse ( Pisum sativum), wahrscheinlich aus Arabien die Linse, die Schminkbohne ( Phaseolus vulgaris), die Kichererbse ( Cicer arietinum), die Lupine ( Lupinus albus), die Platterbse ( Lathyrus sativus), aus den Ländern des Euphrat und Tigris Kürbisse, Gurken und Melonen, jedenfalls über den Kaukasus aus Indien Hirse, Hafer, Gerste, Weizen, Spelt und Roggen, wahrscheinlich auch der Kohlraps, welcher noch heute wild an den griechischen Küsten wächst und durch die Cultur der Stammvater aller Kohlarten geworden ist, die Pflaume aus dem Ostkaukasus und Taurien, die Mandel aus Ostgeorgien, der Weinstock aus den Gebirgen Westasiens, der Oelbaum und Wallnußbaum ebendaher, die Citrone aus Medien, die Apfelsine aus China, die Quitte aus dem Kaukasus. Die Sauerkirsche brachte Lucullus aus den pontischen Ländern zuerst nach Italien. Ebenso kam die Pfirsiche zuerst aus Persien nach Rom, die Aprikose aus Armenien, der Maulbeerbaum ebendaher und aus China. Die völlig eingebürgerte Roßkastanie erhielt der belgisch-niederländische Pflanzenforscher Clusius ( de Lecluse) über Wien aus dem Orient. Den Flieder oder Lilak ( Syringa) brachte Auger de Busbeck im Jahre 1562 ebenfalls aus dem Oriente nach Europa. Dort hieß er bereits Lillach oder Ben. Busbeck, welcher als Gesandter Ferdinand's I. an dem Hofe des Sultans verweilte, brachte von Konstantinopel neben der Tulpe, welche von den Arabern Syriens Tulipan genannt wird, auch ein Exemplar des Lilaks mit. Dieses ist der Stammvater aller belgischen, deutschen und französischen Lilaks. Der persische Flieder wurde erst im Jahre 1640 nach Europa verpflanzt. Dieser Fall, wo ein einziger Ahne der Stammvater einer zahlreichen Nachkommenschaft wurde, welche tief in das Landschaftsbild eines Landes eingriff, findet sich, nebenbei bemerkt, überhaupt bei den Pflanzen nicht selten. So stammen der Sage nach sämmtliche Trauerweiden ( Salix babylonica) Europas von einem Zweige her, welchen der englische Dichter Alexander Pope noch lebend aus einem Weidentriebe rettete, den er aus Smyrna erhalten hatte. Die Mutterpflanze aller Apfelsinen Europas soll sich noch vor drei Jahrzehnden in dem Garten des Grafen St. Laurent bei Lissabon befunden haben. Ebenso verehrt man im Klostergarten der heiligen Sabina auf dem Aventino zu Rom einen 50 Fuß hohen Baum als den Stammvater aller Pomeranzen Europas. Er soll der Schößling eines Baumes sein, welchen der heilige Dominicus im Jahre 1200 dort gepflanzt hatte. So stand auch nach Pausanias an einem Arme des Kephisos in Griechenland ein Feigenbaum als der heilig verehrte Stammvater aller Feigenbäume Griechenlands, der dem Phytalos von Demeter selbst verehrt worden sein sollte. Nachweisbar stand im Dorfe Allan Montelimart noch im Jahre 1802 der 1500 gepflanzte Stammvater aller französischen Maulbeerbäume. Die Blumengärtnerei würde im Stande sein, uns solche Beispiele zu Hunderten zu liefern. Auch Amerika hat einen guten Theil zu der gegenwärtigen Colonisation Europas beigetragen. Am bekanntesten sind hierdurch geworden der Mais, der Tabak, die Kartoffel aus Mittelamerika oder Südamerika, die Acacie, die Sonnenblume ( Helianthus annuus), die Weimuthskiefer ( Pinus strobus), der abendländische Lebensbaum ( Thuja occidcntalis), während der morgenländische ( Th. orientalis) aus Japan stammt, die Rapontika ( Oenothera biennis), der steife Sauerklee ( Oxalis stricta) unserer Gärten, die canadische Dürrwurz ( Erigeron canadensis), die Rosenkranzpappel ( Populus monilifera) mit abstehenden Aesten und die sogenannte italienische Pappel unserer Chausseen und Anlagen. Diese soll ursprünglich aus Nordamerika nach Italien gekommen sein, während italienische Naturforscher sie für eine gute Italienerin erklärten. Gewiß ist, daß der Anhalt-Dessauische Oberbaudirector Hesekiel, der Gründer des berühmten Wörlitzer Parkes bei Dessau, diese Pappel am Ende des vorigen Jahrhunderts in einem männlichen Exemplare in jenen Park einführte. Dieses Exemplar ist der Ahnherr aller italienischen Pappeln in Deutschland geworden, weshalb sie auch fast sämmtlich dem männlichen Geschlechte angehören. Es sollen sich nur ein Paar weibliche Bäume in Deutschland befinden. Wie aus dem Morgenlande die orientalische Platane, so stammt aus Nordamerika die abendländische. Ihr reiht sich der virginische Wachholder, der Tulpenbaum u. s. w. an.

Ich kann an dieser schicklichen Stelle nicht umhin, auch mancher anderer Zierblumen und Ziersträucher zu gedenken; um so mehr, als einige von ihnen schon längst tief in das Bild unserer künstlichen Landschaften eingriffen, und ohne die Kenntniß ihrer Abstammung das deutsche Pflanzenbild dunkel bleibt. Vom Alterthume überliefert, erhielten wir den Hahnenkamm ( Celosia cristata) aus Asien, den Goldlack, welcher am Ende des 17. Jahrhunderts in Augsburg gefüllt gezogen wurde, die Winterlevkoje, die weiße Lilie, von der jedoch noch sehr zweifelhaft ist, ob sie die Lilie des Neuen Testamentes sei. Aus den Ländern des Mittelmeeres kamen Sommerlevkoje, Reseda (aus Aegypten), Nachtviole ( Hesperis matronalis), Rosmarin, Oleander, Goldregen, Päonie ( Paeonia officinalis), Lavendel, Crocus, Hyacinthen, Narcissen, Meerzwiebel, Buchsbaum, mehr aus dem Oriente die Stockmalven ( Alcea rosea), die Kaiserkrone, die Schachblume ( Fritillaria meleagris), welche bei uns geradezu verwilderte. Indien lieferte das alteingebürgerte Basilikum, die bengalische Rose, die Mutter unserer Monatsrosen, im Jahre 1780 aus Canton, und die Balsamine ( Impatiens balsamina). Die Hortensie kam im Jahre 1788 aus Japan und empfing ihren Namen von dem berühmten französischen Reisenden Commerson zu Ehren der astronomischen Gelehrten Hortense Lepante. Ebendaher empfingen wir die Camelie, welche von dem Jesuitenpater Cameli um die Mitte des 18. Jahrhunderts nach Europa gebracht wurde und deshalb Camelia, nicht Camellia heißen muß. Auch die goldblumige japanische Rose ( Keria japonica oder Corchorus japonica), die Volkamerie ( Volkamerie japonica) u. a. stammen aus Japan. China spendete besonders die Aster ( Aster chinensis), welche im Jahre 1728 in den Pflanzengarten von Paris kam, die indische Wucherblume ( Chrysanthemum oder Pyrethrum indicum und sinense), die chinesische Primel ( Primula sinensis) u. a. Die Aurikel stammt bekanntlich aus den Alpen. Afrika gab vorzüglich vom Kap aus viele beliebt gewordene Zierblumen. So fast sämmtliche Haidekräuter (Eriken), Pelargonien, prächtige Amaryllen und andere Liliengewächse, die vielen Eiskräuter (Mesembryanthema), Aloëarten u. s. w. Das erst spät erschlossene Neuholland ertheilte uns fast nur Myrtengewächse, z. B. die herrlichen Meterosiderosarten, Melaleuken, Banksien und unter den Hülsengewächsen manche Mimosen. Nordamerika entstammen einige Spiräen, Azaleen, von denen übrigens die schönsten aus den Ländern des Pontus zu uns kamen, kleinblumige Astern, Goldruthen ( Solidago), der Calycanthus floridus, einige Cornelkirschen ( Cornus) unserer Anlagen, Rudbeckien u. s. w. Mexiko gab vorzüglich Cactusgewächse, Zinnien, Tagetes und besonders die prächtige Georgine. Sie wurde im Jahre 1789 durch Vincente Cervantes, Professor der Botanik in Mexiko, in den botanischen Garten zu Madrid eingeführt und zu Ehren des schwedischen Pflanzenkundigen Andreas Dahl von dem Abbé Cavanilles in Madrid Dahlia genannt; später, als sie Humboldt in Samen aus Mexiko wiederum nach Europa brachte, nannte sie Professor Willdenew in Berlin zu Ehren des Naturforschers Georgi in Petersburg Georgine. Passionsblumen, Begonien, Amaryllen, Agaven u. a. entstammen ebenfalls meist Südamerika. Peru und Chili sendeten Fuchsien, Calceolarien, Heliotrope, Lupinen, Tropäolen (spanische Kressen). Das tropische Südamerika erfreute uns neuerdings mit seiner herrlichen Victoria, Californien gab prachtvolle Verbenen und andere höchst merkwürdige Gewächse. In der neuesten Zeit spielen die Alpenrosen (Rhododendra) des Himalaya eine Rolle in unseren Gärten; von vielen andern Zierpflanzen ist das Vaterland, welches Geheimnißkrämerei der Handelsgärtner gern verhüllt, noch unbekannt.

Auch in andern Welttheilen, wo der weiße Mensch seine Colonien gründete, hat er eine gleiche Umwälzung des ursprünglichen Landschaftsbildes bewirkt. Sie begann vorzüglich nach der Entdeckung Amerikas, und zwar mit der Uebersiedelung des Kaffees aus Arabien und vieler indischen Pflanzen nach der Neuen Welt. Hierdurch erhielt dieselbe unsere Getreidearten, das Zuckerrohr, den Reis, Orangen, Melonen, Feigen, Granaten, Oliven, Pisang, Cocos, unsere Obstbäume und Küchengewächse, Wein, den spanischen Pfeffer ( Capsicum annuum), den man wegen seines ursprünglichen Vaterlandes wohl auch Guinea-Pfeffer, wegen seiner neuen Heimat Cayenne-Pfeffer nennt, den Ingwer, Pfeffer u. s. w. Die indischen Inseln, besonders Java, Sumatra und Borneo erlitten durch Kaffee, Thee, Baumwolle, Indigo, Cochenillecultur, Zuckerrohr u. s. w. eine ähnliche Umwälzung und die meisten heißeren Länder theilten dieses Schicksal. Wohl beklagt der einseitige Pflanzenforscher dieses unaufhaltsame Vorwärtsschreiten der Cultur, das ihm seine liebsten Pflanzenkinder vermindert oder vertreibt und die ursprüngliche Landschaft gänzlich umgestaltet; allein der höhere Blick auf die Entwickelungsgeschichte der Menschheit und ihre Versittlichung durch diese großartige Revolution versöhnen ihn wieder und er trägt jetzt gern dazu bei, durch seine Erforschung des Pflanzenlebens die Adoptivkinder in ihrem neuen Vaterlande zu befestigen, mit ihrer Ausbreitung zugleich neue sittliche Keime in die Herzen der Völker zu legen.

Er versenkt sich aber gern in die Vorzeit seiner einheimischen Pflanzenwelt und weidet seinen inneren Blick an der Ursprünglichkeit dieser Pflanzendecke. Doch nicht lange, so gewahrt er auch hier einen wunderbaren Wechsel. In der That, nicht immer war das Landschaftsbild cultivirter Länder wie heute. Wenn wir der Geschichte Deutschlands nachgehen, so erzählt sie uns von riesigen Eichenstämmen, deren knorrige Aeste sich kühn in einander verzweigten und auf meilenweite Strecken ununterbrochene Waldungen bildeten, die sich bis zu den Gipfeln unserer Gebirge erstreckten. Das war jene Zeit, wo die Eiche noch mit Recht der Baum des Deutschen hieß. Wo jetzt auf sandigem Untergrunde, dem ehemaligen Meeresboden, harzduftende Kiefernwälder emporsprossen, deren harzstrotzende Nadeln, jeder Fäulniß widerstehend, den Boden allmälig zu dem unfruchtbarsten der Welt gemacht haben, da sproßte einst in üppiger Grüne und Fülle die Eiche empor. So nach W. Alexis in der Mark Brandenburg. Aber auch im höheren Gebirge hatte die Eiche entschieden den Vorrang. So im nördlichen Deutschland nach den schönen Untersuchungen des hannoverschen Oberförsters Edmund v. Berg. Er belehrt uns, daß sich das Landschaftsbild einer Gegend oft schon in zwei Jahrzehnden gänzlich verändern könne. Wo gegenwärtig der Wanderer unter den Pyramidenwipfeln der Fichte wandelt, da breiteten einst herrliche Eichenwaldungen ihren Schatten über eine feuchte Bodenkrume. In der »Göhrde« im Lüneburgischen dauerte der Kampf zwischen Nadel- und Laubwald um die Herrschaft gegen 100 Jahre. Im Solling ist er noch heute nicht beendet, und es ist nur im Interesse des Landschaftsbildes sowohl wie des Naturhaushaltes dringend zu wünschen, daß überall, wo es noch möglich ist, der herrliche Laubwald dem Vaterlande durch die Geschicklichkeit der Forstverwaltung erhalten werden möge. Auch der Harz kannte einst die Eichenwälder in ganz anderer Weise, wie heute. Herr v. Berg erzählt uns, daß man an dem Forstorte Schalk, unweit Zellerfeld, in einer Seehöhe von etwa 1800 Pariser Fuß beim Abtriebe eines schlagbaren Fichtenbestandes und bei der Rodung der Stöcke im Jahre 1824 eine große Menge zum Theil noch gesunder eichener Stöcke vorfand, während gegenwärtig in stundenweiter Umgegend auch nicht eine Spur, wenigstens nicht so starker Eichen, bemerkt wird. Derselbe Fall wurde im Jahre 1843 am »Schindelnkopfe« in einer Höhe von 2000 Fuß beobachtet, wo man noch theilweis brauchbare eichene Stöcke von mehr als 4 Fuß Durchmesser in einem 40jährigen Fichtenbestande rodete, deren Stämme vor etwa 50 Jahren gefällt sein mochten. Während sich dieser Fichtenbestand noch mit Buchen um den Vorrang streitet, hatten die Eichen bereits alles Vorrecht verloren. Auch am Brocken zeigten alte Torfmoore oft Einschlüsse von Birken, Ahornen, Buchen und Eichen in einer Mächtigkeit von 10 Fuß, während darüber nur die Ueberreste von Nadelhölzern angetroffen wurden. Dasselbe wurde von Vaupell in Dänemark beobachtet. Dieser Art sind noch heute die Belege, daß einst Buche und Eiche in herrlichen Laubwaldungen die ganze weite Ebene vom Harze bis zur Nord- und Ostsee und rückwärts bis zu den Alpen bedeckten. Dieses stimmt auch mit der Beschreibung des Hercynischen Waldes, welche Cäsar von demselben gibt. Auch in Livland, Esthland, Dänemark, Schlesien, Baiern u. s. w. war einst Laubwald, wo jetzt nur dichtgeschlossene Nadelwaldungen gefunden werden. In Schweden hat sich dasselbe bestätigt. Dort ebenfalls herrschte zuerst die Eiche, von welcher noch hier und da außerordentlich umfangreiche Stöcke unter dichten Mooslagern angetroffen werden. Professor Fries in Upsala hat es zur Gewißheit erhoben, daß in Schwedens Laubwaldungen zuerst die Zitterpappel vorherrschte, daß dann ein Gemisch von Kiefer, Eiche und Grau-Erle ( Alnus incana) auftrat und gegenwärtig die Buche die Oberhand zu gewinnen scheint. Für Nordamerika wies ein Herr Dwight im Jahre 1822 nach, daß auf Waldplätzen nach Eichen Weißtannen erscheinen. Auch dem scharfsichtigen Geologen Lyell ist diese Erscheinung auf seiner zweiten Reise in Nordamerika nicht entgangen. Er fand nahe bei Hopetonhous beim Dorfe Darien am Alatamaha im Süden von Nordamerika eine gelichtete Stelle im Walde, welche vorher von ausgewachsenen Fichten ( Pinus australis) bestanden war. Diesen folgten plötzlich Eichen. Woher kamen diese? Lyell setzt dieser selbstaufgeworfenen Frage hinzu, daß es die Gewohnheit des blauen Hehers ( Garrulus cristatus) sei, Eicheln und andere Samen tief in den Boden zu vergraben. Dasselbe thäten auch die Krähe ( Corvus americanus), Eichhörnchen und andere Nager; sie versteckten diese Samen so tief, daß sie, von Licht und Wärme abgeschlossen, nicht eher aufgingen, als bis der Schatten der Fichte weggeschafft werde. Die Thiere hätten ihre verborgenen Schätze vergessen oder wären getödtet worden. Ganz ähnliche Beobachtungen machte Professor Unger in Wien. Er fand, daß gegenwärtig in Steiermark der junge Nachwuchs in Fichten- und Kiefernbeständen wiederum aus Eichen besteht. In Kärnthen beobachteten wir das Aufsprossen der Grünerle nach dem Abtriebe der Fichten. Nach Ferdinand Hochstetter wechselt nach übereinstimmender Ansicht vieler erfahrener Forstleute im Böhmerwald in langen Zeiträumen von 4–500 Jahren der Nadelholzbestand mit Buchenbestand. In Irland stirbt nach Mackay die Kiefer allmälig aus. Auf Island ist die Birke im Absterben begriffen, die früher in außerordentlicher Pracht und Dicke daselbst vegetirt hatte. Auf den jetzt völlig baumlosen Shetlandsinseln war sie früher nicht unbekannt gewesen. Selbst in den Lappmarken, wo sie früher in üppiger Fülle grünte, ist sie verschwunden und W. Alexis fand in der Aselen-Lappmark große ausgestorbene Birkenwälder, welche, wie er sich poetisch ausdrückt, ihre weißen Stämme wie trauernde Geister zum grauen Himmel emporstreckten.

Fragt man nach den Ursachen, so spielt auf jeden Fall die natürliche Lebensdauer in Gemeinschaft mit dem ungleichen Wachsthume der Gewächse die Hauptrolle in dieser natürlichen Wechselwirthschaft. Ganze Wälder verhalten sich wie die Individuen: sie sterben dahin, wenn ihre Zeit um, ihr Lebensfunke erloschen ist, und andere treten, von größerer Jugend begünstigt, an ihre Stelle. Man muß, um sich dies zu erklären, zuerst einen Zustand annehmen, wo die Samen der Laub- und Nadelwälder gleichzeitig vorhanden waren. Beide keimten; allein das schnellere Wachsthum der einen mußte die langsamer wachsenden bald überholen und unterdrücken. Waren z. B. zuerst Buchen, Eichen und andere Laubbäume und Nadelhölzer vorhanden, so werden die schnellwüchsigen Nadelhölzer die ersteren bald überholen und unterdrücken, sodaß sie nur ein dürftiges Unterholz bilden. Gehen dagegen die Nadelhölzer ihrem Lebensende entgegen, so werden in gleichem Grade die Laubwälder an Wachsthum zunehmen und wiederum jene überragen, bis ihnen aufs Neue die Stunde schlägt und der alte Wechsel die Nadelhölzer wieder ans Ruder bringt. Daß der Mensch durch gewaltsamen Eingriff in die Waldungen diesen Wechsel sehr begünstigen könne, liegt auf der Hand. Je mehr er die Wälder lichtet, um so mehr wird er das Wachsthum des Unterholzes erstarken lassen. Jedenfalls ist auf diese Weise die wunderbare Erscheinung einfacher erklärt, als Lyell oben annehmen wollte. So macht in der Natur ein Individuum dem andern, eine Art der andern, ein Geschlecht dem andern Platz. So sinken Familien und Völker, während sich andere aus ihrer Verborgenheit erheben. Ueberall Tod und ewiges Leben.

Wie es sich mit ganzen Wäldern verhielt, ebenso wechseln einfachere Gewächse. Auf dem Abtriebe eines Waldes sproßt in unserer Zone im Gebirge bald der Fingerhut, bald das Weidenröschen ( Epilobium angustifolium) hervor. Letzteres ist in Schweden meist nach Waldbränden beobachtet worden. Auch die Tollkirsche ( Atropa Belladonna), die Erdbeere und andere Pflanzen gesellen sich ihnen zu, während in sandigeren Gegenden schon der Besenginster ( Sarothamnus scoparius) hervorsproßte. Wo sich nur immer ein Kohlenmeiler im Walde findet, da siedelt sich bald genug das niedliche Drehmoos ( Funaria hygrometrica) an, welches in seinem lateinischen Namen an seinen Wohnort erinnert. Den Urbarmachungen in Nordamerika durch Feuer folgte nach Pursh immer in Menge ein Kreuzkraut ( Senecio hieracifolius), Kriechklee ( Trifolium repens) und Königskerze ( Verbascum Thapsus). Nach Capitain Franklin sproßten an der Hudsonsbai Pappeln empor, wo Fichten niedergebrannt worden waren. Auf Java siedelt sich nach Zollinger die Allang-allang-Pflanze, ein riesiges Schilfgras, an, wo der Urwald ausgerodet wird, und bildet eine Haide mit spärlichem Gebüsch; auf moorigem Grunde erscheint dagegen die kräftige Klaga-Pflanze, eine Art Zuckerrohr. Berühmt ist ein Fall, welchen Morison berichtet. Nach demselben erschien acht Monate nach dem großen Brande zu London im Jahre 1666 in einem Umkreise von 200 Morgen auf der Brandstätte der langblättrige Rankensenf ( Sisymbrium Irio) in solcher Menge, daß der ganze europäische Continent kaum eine solche Menge dagegen hätte aufweisen können. Nach dem Bombardement von Kopenhagen im Jahre 1807 trat das klebrige Kreuzkraut ( Senecio viscosus), sonst hier eine seltene Pflanze, in ähnlicher Menge auf den Trümmern auf. Nicht minder charakteristisch sind die Pflanzenansiedelungen nach dem Auswerfen von Flüssen oder Fischteichen. Es gibt einige sehr gut beobachtete Fälle, über welche ein dänischer Gutsbesitzer, Hofmann zu Hofmannsgave auf Fühnen, ein aufmerksamer Naturfreund, berichtete. Nach dessen Mittheilungen erschien auf eingedeichtem Meeresgrunde im Jahre 1820 die Meerstrands-Schuppenmiere ( Spergula marina), ein kleines fettblättriges Pflänzchen, nur in der Nähe des Strandes. Im folgenden Jahre bedeckte sie über 500 Acker Landes ausschließlich. In der Nähe einer Süßwasserquelle, welche ungefähr 50 Ellen vom alten Meeresufer entfernt lag, wuchsen dagegen wunderbarer Weise statt Salzpflanzen Gewächse des Binnenlandes, die nie vorher auf dem Meeresgrunde gewachsen sein konnten, da sie niemals Salzboden bewohnen. So die Knollenbinse ( Juncus bulbosus), der Gift-Hahnenfuß ( Ranunculus sceleratus), das haarige Weidenröschen ( Epilobium hirsutum), das Sumpfkreuzkraut ( Senecio palustris) u. a. Derselbe Beobachter ließ im Jahre 1819 eine tiefe Mergelgrube auf einem seiner höchstgelegenen Aecker graben. Im folgenden Jahre zeigte sich in dem angesammelten Wasser nur eine Art des Wasserflachses ( Zygnema quininum). Dagegen erschienen bereits im Jahre 1821 der gemeine Armleuchter ( Chara vulgaris) und die Sumpf-Zannichellie ( Zannichellia palustris), die vorher nirgends beobachtet worden war. Aehnliches bemerkt man bei vielen solchen Gelegenheiten, und es ist kein Wunder, wenn man, wie der angeführte Beobachter, in diesem plötzlichen Erscheinen den Beweis für eine fortwährende Urzeugung ( generatio aequivoca), also für ein selbständiges Erstehen der Pflanzen ohne Samen im Schooße der Erde hat finden wollen.

Eine solche Annahme ist jedoch nur ein kümmerliches Auskunftsmittel für jene plötzliche Pflanzenerscheinung. Nachdem wir die Wanderung der Gewächse durch Winde, Gewässer, Thiere und Menschen als eine allgemein verbreitete Erscheinung kennen gelernt, erklärt uns diese Thatsache zum großen Theil die angegebenen Beobachtungen. Wenn sich z. B. irgendwo ein Sumpf durch Stauung der Gewässer zu bilden beginnt und bald auch die entsprechenden Sumpfpflanzen erscheinen, so leitet sich das einfacher dadurch her, daß Sumpfvögel die betreffenden Samen dahin verpflanzten, als wenn man eine ursprüngliche Entstehung dieser Gewächse hier annehmen wollte. Der Grund ist um so einleuchtender, als Sumpfvögel schwerlich ausbleiben werden, wo ein Sumpf im Entstehen begriffen ist. Es liegt aber auch noch ein zweiter Erklärungsgrund nicht fern, den man von der andern Seite her geltend machte. Recht wohl können manche Pflanzensamen, abgeschlossen von Luft und Licht, auf lange Jahre keimfähig bleiben und bei den ersten günstigen Bedingungen zu ihrer Entwickelung gelangen. Man stützt sich bei dieser Annahme vorzüglich auf die oft bezweifelte und ebenso oft wiederholte Beobachtung, daß Weizenkörner, welche man den Särgen ägyptischer Mumien entnahm, nach einem Zeitraume von mehr als 2000 Jahren keimten, blühten und fruchteten. Jedenfalls erklärt diese Thatsache sehr einfach einen Theil jener Erscheinungen der Pflanzencolonisation, wo die Lebensfähigkeit der Pflanzensamen im Verhältnisse zu dem Zeitraume steht, der ihre Entwickelung verhinderte. Auch der unterirdische Stock mancher Pflanzen kann diese Lebensfähigkeit besitzen. So erklärt sich z. B. sehr leicht jener berühmte Fall, daß man bei Jena im Jahre 1778 plötzlich die Korallenwurz ( Corallorrhiza innata), ein Knabenkraut, entdeckte, die man bis dahin nicht gefunden hatte und erst wieder im Jahre 1811 beobachtete. Wie weit diese Unterdrückung selbst bei Unterholz reicht, haben wir bereits oben gesehen. Wir erklären uns hieraus höchst einfach das Vorkommen zwergiger Sprößlinge von Zitterpappeln, wilden Birnbäumen, Elsbeeren ( Sorbus torminalis) und andern Bäumen in dichten Laubwaldungen. Wenn solche Sprößlinge dann unter günstigeren Bedingungen plötzlich die Oberhand gewinnen und im directen Sonnenlichte üppig gedeihen, dann verschwindet alles Wunderbare ihrer plötzlichen Erscheinung. Kommen diesem Pflanzenwechsel überdies geeignete klimatische Veränderungen, namentlich ein Wechsel der Feuchtigkeit zu Hilfe, dann begreift sich eine natürliche Wechselwirthschaft noch leichter. »Ich bin gewiß«, sagt der scharfsichtige Naturforscher Desor über das Verhältniß zwischen Lebensbaum und Fichte in den nordamerikanischen Urwäldern, »daß, wenn man den sandigen Boden (der Cedernsümpfe) entwässern könnte, die Lebensbäume eingehen und nach einem gewissen Zeitraume durch Fichten ersetzt werden würden, und umgekehrt, wenn man das Niveau des Wassers erhöhte.« Auf diese Weise haben sich unsere eigenen Gebirge zum großen Theil ihr Landschaftsbild verändert. Ich bezweifle nicht im Geringsten, daß die Entwaldung hierbei die Hauptsache war. So hat selbst der herrliche, noch immer wolkenumhüllte Brocken eine nicht unbedeutende Veränderung erfahren. Ein Laubmoos, welches noch Ehrhart, ein Schüler Linné's, auf seinem Gipfel fruchtend fand, das Flaschenmoos ( Splachnum vasculosum), welches in Skandinavien häufig erscheint, ist fast verschwunden und tritt mindestens mit Frucht nicht mehr auf; eine Erscheinung, die nur durch das trockner und milder gewordene Klima des Harzes erklärt wird. Ebenso ist die zweifarbige Weide ( Salix bicolor) Ehrhart's, die derselbe nur mit männlicher Blüthe auf dem Brocken fand, heute zu einer weiblichen Pflanze umgewandelt. Die Erfahrung bestätigt unsere Anschauung am unzweideutigsten auf trocken gelegten Torfmooren. Dem allmäligen Schwinden ihres Wasserstandes folgen auch die Pflanzen. Die treuesten Verbündeten, die schönsten Zierden der Moore verschwinden: der Sonnenthau ( Drosera), die Gränke ( Andromeda polifolia), der mehlblättrige Himmelsschlüssel ( Primula farinosa) u. a. Nur die dürre Haide tritt an ihre Stelle, das Bild der Unfruchtbarkeit.

So waltet auch in dem scheinbar so stetigen Landschaftsbilde das Gesetz eines ewigen Wechsels, wie es selbst in der scheinbar so unwandelbaren Welt der Gestirne der forschende Geist in dem Vorrücken der Nachtgleichen entdeckte. Wie der Polarstern nach Jahrtausenden einem andern Sterne, einem neuen Führer des Schiffers Platz gemacht haben wird, so blicken verschiedene Geschlechter der Menschen in verschiedenen Zeiträumen auf verschiedene Landschaftsbilder. Aber hinter dem Bilde des ewigen Wechsels leuchtet immer auch das heitere Bild ewiger Verjüngung.

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Der Sonnenthau ( Drosera rotundifolia).


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