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2. Kapitel.
Im Bureau des Maklers.

Es war das erstemal, daß Juwel ihren Großvater in seinem Bureau besuchte; bei dem Eintritt in das ausgedehnte steinerne Gebäude wurde ihr Begriff von seiner Wichtigkeit noch verstärkt. Ein Fahrstuhl führte sie schnell in geheimnisvolle Höhen.

In einem durch elektrisches Licht erhellten Warteraum erklärte ein junger Mann auf Seks Anmeldung hin, Herr Evringham sei nicht zu sprechen, wobei er Sek kalt und scharf musterte. Dann richtete sich das Augenmerk dieses Faktotums auf Juwels ihm zugewandtes, rosiges Gesichtchen; ihr vertrauensvoller Blick begegnete dem seinen. Sek drehte langsam den Hut zwischen den Händen.

»Gehen Sie nur in Herrn Evringhams Privatzimmer,« sagte er ruhig, »und bestellen Sie ihm, die junge Dame sei da, die er eingeladen hätte.«

Juwel wunderte sich, wie dieser Mensch, der den Vorzug hatte, den ganzen Tag in der Nähe ihres Großvaters zu weilen, so abweisend aussehen könne; aber in ihrer freudigen Erregung konnte sie es nicht unterlassen, ihn unter dem wippenden Hutrand hervor anzulächeln.

»Ich will mit ihm zu Mittag essen,« sagte sie leise, »und ich glaube, wir werden Nesselrode-Pudding bekommen.«

Der junge Mann starrte sie an, in seinen Augen blitzte es lustig auf.

»Ach so,« sagte er, »ja, dann allerdings« – damit wandte er sich um und ließ den Besuch stehen.

Mit einem Lächeln auf den Lippen trat er in das Heiligtum seines Chefs.

Herr Evringham sah nicht gleich auf, erst nach geraumer Zeit fragte er barsch: »Was gibt's?«

»Eine junge Dame besteht darauf, Herrn Evringham zu sprechen.«

»Hören Sie gefälligst auf zu grinsen, Masterson, und sagen Sie ihr, sie möchte ihr Anliegen vorbringen.«

»Das hat sie getan.« Masterson hörte nicht auf zu lächeln.

»Sie sieht aus wie ein Elfchen.«

Herr Evringham runzelte die Stirn bei dieser merkwürdigen Beschreibung.

»Fassen Sie sich kurz, was ist ihr Begehr?« fragte er schroff.

»Nesselrode-Pudding zu essen, Herr Evringham.«

Der Makler sprang auf. »Ach so!« rief er, und auch in seinen ernsten Zügen spiegelte sich das Lächeln des jungen Mannes flüchtig wider. »Ist jemand mit ihr gekommen?«

»Ein junger Mann.«

»Lassen Sie sie eintreten.«

Masterson gehorchte und zögerte ein wenig, aber seine Neugier wurde eher erhöht als befriedigt, als er Juwel über den türkischen Teppich auf Herrn Evringham zulaufen und den stattlichen Graukopf ganz unter den Rand ihres Hutes tauchen sah.

»Na – aber, so was hätte ich mein Lebtag nicht für möglich gehalten,« dachte Masterson, als er leise zurücktrat und die Tür hinter sich schloß, »selbst Achilles hatte eine verwundbare Stelle, aber die Rüstung des Alten hielt ich für undurchdringlich.«

Sek stand und drehte seinen Hut zwischen den Händen; als sein Brotherr aber wieder auftauchte, sagte er respektvoll:

»Mutter hat mich beauftragt, Bescheid zu bringen, ob sie für spätes Abendessen sorgen solle.«

»Sag' Frau Forbes, daß nur etwas ganz Leichtes nötig sein wird, wenn überhaupt etwas. Vorbereitungen braucht sie nicht zu treffen.«

Juwel tanzte an die Tür, als ihr Begleiter fortging. »Adieu, Sek, vielen Dank, daß du mich hergebracht hast,« sagte sie fröhlich.

»Adieu, Juwel,« erwiderte er in gedämpftem Ton, stolperte über die Schwelle und empfahl sich mit einem verstohlenen Hutlüften.

Die Kleine kehrte um und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Schreibtische, der für die auserwählten Besucher bestimmt war, denen es gelang, bis in diesen Bereich vorzudringen. »Du bist wohl noch nicht ganz fertig,« sagte sie mit einem fröhlichen Blick auf den alten Herrn, der zwischen verstreuten Haufen von Schriftstücken weiterarbeitete. »Doch beinah',« entgegnete er. Er sah, daß sie fast übersprudelte von all den Eindrücken, die sie ihm mitteilen wollte. Er wußte aber auch, daß sie geduldig warten würde. Belustigt beobachtete er, wie sie die Einrichtung des Zimmers und die Bilder an den Wänden studierte und dann auf die Lackspitzen ihrer besten Schuhe herabsah, die sie auf und ab wippen ließ. Schließlich musterte sie immer nachdenklicher die Gegenstände auf dem großen Pult und dem breiten Aufsatz, bis sie zu einem Bild in viereckigem Rahmen gelangte; da entfuhr ihren Lippen ein ununterdrückbares: »Ach!«

Sie preßte die Hände zusammen; Herr Evringham sah, wie ein tiefes Rot ihr die Wangen färbte. Er folgte ihrem Blicke, nahm schweigend das Bild vom Schreibtisch und legte es ihr in den Schoß. Eifrig griff sie danach. Es war eine schöne Photographie von Essex Maid, dem Reitpferd ihres Großvaters.

Kurz darauf sagte er: »Nun bin ich ungefähr fertig, Juwel« und lehnte sich behaglich in seinem Stuhl zurück.

»Ach, Großpapa, sind solche Bilder sehr teuer?«

»Wieso, möchtest du Stern photographieren lassen?«

»Ja, es wäre nett, wenn ich ein Bild von Stern bekommen könnte. Daran habe ich nie gedacht. Ich will Mutter fragen, ob sie es erlaubt.«

Der Makler zuckte zusammen.

»Aber ich meinte eigentlich, ob ich wohl ein Bild von Essex Maid haben könnte, um es mit nach Chicago zu nehmen?«

Herr Evringham nickte. »Ich will dir eins besorgen.« Er fuhr fort, leicht mit dem Kopfe zu nicken, und Juwel fiel der Ausdruck seiner Augen auf. Ihr fröhliches Gesichtchen wurde ernst, als ihr Großvater sie schweigend ansah.

»Du möchtest gern ein Bild von Stern haben zum Andenken, nicht wahr?« fragte sie sanft, den Kopf ein wenig seitwärts geneigt, voll Mitgefühl für seine Traurigkeit.

»Ja,« antwortete er mit bewegter Stimme, »und ich bin mir seit einigen Wochen darüber klar, daß hier auf meinem Pult ein zweites Bild fehlt.«

»Stern?« fragte Juwel.

»Nein, deins. Gibt es Bilder von dir?«

»Nein, nur eins als Baby. Das müßtest du sehen. Ich war so dick

»Wir wollen Bilder von dir machen lassen.«

»Ach,« sagte Juwel nachdenklich, »wenn ich doch hübsch wäre.«

»Dann wärest du keine Evringham.«

»Weshalb nicht? Du bist doch einer,« erwiderte die Kleine so unmittelbar, daß dem Makler langsam die Farbe ins Gesicht stieg, und er lächelte.

»Ich arte nach meiner Mutter Familie, sagt man. Jedenfalls,« fügte er nach einer Pause und einem prüfenden Blick auf sie hinzu, »ist es dein Gesicht, meiner kleinen Juwel Gesicht, das mir gefällt, und das ich behalten möchte. Wenn ich einen Maler finde, der das versteht und dich auf dem Bild nicht zu jemand ganz anderem macht, will ich ein kleines Bild malen lassen, ein Miniaturbild, das ich in der Tasche tragen kann, wenn Essex Maid und ich allein zurückbleiben.«

Der schmerzliche Tonfall füllte Juwels Augen mit Tränen; ihre kleinen Hände umklammerten den Rahmen fester, den sie im Schoß hielt. »Dann gibst du mir auch eins von dir, Großpapa?«

»Ach, Kind,« erwiderte er heiser, »zum Malen meines ledernen Gesichts ist es zu spät.«

»Niemand könnte es so genau malen, wie ich es kenne,« sagte Juwel sanft. »Ich kenne jeden Ausdruck von dir, Großpapa, – wenn du Spaß machst oder traurig bist, oder glücklich –, und ich habe sie alle hier,« – die kleine Hand legte sich aufs Herz. Diese pathetische Geste und dazu die feuchten Augen brachten Herrn Evringham fast aus der Fassung.

»Aber ich möchte gern eins in die Hand nehmen können, um es den Leuten zu zeigen, wenn ich ihnen von dir erzähle.«

Der Makler wandte den Blick ab und machte sich mit einem Kuvert zu tun. »Großpapa,« fuhr das Kind nach einer Pause fort, »mir ist eingefallen, daß wir beide ein Geheimnis miteinander vor Vater und Mutter haben müssen.«

Herr Evringham sah wieder zu ihr hin. Das war das Tröstlichste, was er seit langem gehört hatte. »Es wäre nicht liebevoll, wenn wir sie merken ließen, wie schwer es uns wird, Abschied zu nehmen, meinst du nicht auch? – Ich bin so traurig, wenn ich daran denke, daß ich nicht mehr mit dir reiten oder frühstücken soll. Ich arbeite aber dagegen und stelle mir vor, wie glücklich es mich machen wird, Vater und Mutter wiederzuhaben, und daß die göttliche Liebe uns gibt, was uns zukommt und – und alles, alles andere mehr; aber – ich mußte weinen – zweimal schon – als ich daran dachte! Selbst Annabel ist ganz entrüstet über mich. Ich weiß, du bist auch traurig, und wir müssen dagegen demonstrieren; aber es ist schon so bald, und ich hab' gewiß nicht zur rechten Zeit damit angefangen. Jedenfalls hab' ich gedacht, ob wir es nicht fertigbringen könnten, ein Geheimnis zu haben, daß wir uns nicht Adieu zu sagen brauchten.« Die Mundwinkel der Kleinen verzogen sich, sie holte ihr kleines Taschentuch hervor, um sich die Augen zu trocknen.

Auch Herr Evringham machte in auffallender Weise von seinem Taschentuch Gebrauch. Er ging auf die Tür zu und schloß sie ab.

»Das scheint mir ein vorzüglicher Plan, Juwel,« antwortete er und bemühte sich, herzhaft zu sprechen. »Natürlich werden deine unseligen – ich wollte sagen, deine – deine Eltern von dir erwarten, daß du dich ihren Plänen anpaßt und« – hier machte er eine Pause.

»Und es wäre so lieblos, wenn ich sie merken ließe, daß ich traurig bin; sie haben mir doch diesen wunderschönen Besuch bei dir erlaubt, und wenn wir es nur fertigbringen könnten, uns nicht Adieu zu sagen, dann wäre alles soviel leichter.«

Der Makler stand vor ihr und betrachtete sie; ihre klagende Stimme klang ihm wie Musik. »Ich will dieses eine, gerade dieses, einzurichten versuchen, wenn es dem Schicksal gefällt,« sagte er nach kurzem Zögern; und als Juwel mit flüchtigem Aprillächeln zu ihm aufsah, schimmerte es feucht in seinen Augen.

»Du bist so gut, Großpapa,« flüsterte sie mit zitternder Stimme, »und ich will nicht einmal Essex Maids Hals küssen – am letzten Morgen.«

Er setzte sich bekümmert nieder, und Juwel nahm die Lippe zwischen die Zähne, als sie ihn betrachtete. Dann lag plötzlich der Florentiner auf dem Boden, die Gänseblümchen nach unten, während sie dem Makler auf den Schoß kletterte und ihr weiches Gesichtchen an sein Ohr legte.

»Wieviel Meilen weit von hier ist Chicago?« stammelte das Kind und versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken. Alle Glücksaussichten waren plötzlich versunken, als sie sich ihres Großvaters einsames Los vergegenwärtigte.

»Viel mehr als es sein müßten. Weine nicht, Juwel.«

Dem alten Herrn schwoll das Herz, als er sie an sich drückte. Ihr Kummer war ihm eine solche Genugtuung!

»Im göttlichen Geist gibt es – gibt es keinen Kummer – Großpapa. Daran hätte ich doch wohl denken sollen – nicht wahr? Die göttliche Liebe – sorgt – sorgt immer für uns, – und nur, weil – weil ich nicht sehen kann, – wie – wie sie es diesmal – diesmal einrichten wird, – darum – darum weine ich! O, es ist so unartig!«

Herr Evringham zwang seine Gefühlsäußerung hinunter. Es war ihm nie so unklar gewesen wie in diesem Augenblick, wie eigensinnig oder wie gefügig diese unbequemen und überflüssigen Persönlichkeiten – Juwels Eltern – sich erweisen würden. Er räusperte sich. »Komm', komm',« sagte er und küßte die warme rosige Wange der Kleinen. »Verdirb dir deine blanken Augen nicht, gerade wenn du photographiert werden sollst. Wir wollen uns ja amüsieren, so schön amüsieren wie noch nie!«.

Juwels kleines Taschentuch war ganz naß, Herr Evringham gab ihr sein großes und ging mit ihr ins Waschkabinett, wo sie sich die Augen mit dem feuchten Handtuchzipfel kühlte, während er ihr von dem Photographen erzählte, der Essex Maids Bild gemacht hatte und Stern abnehmen sollte. Dann wurde der geliebte Florentiner aus seiner schmachvollen Lage emporgehoben und seiner Eigentümerin vorsichtig auf den Kopf gesetzt.

»Aber das dachte ich nicht, daß mein Bild heute nachmittag gemacht werden sollte,« sagte Juwel mit noch immer zuckenden Lippen.

»Ich auch nicht, – bis eben, aber ich hoffe, wir finden noch jemand, der es so spät am Tage besorgt.«

»Aber dann deins auch, Großpapa – o ja!«

Endlich erstrahlte ein Lächeln auf Juwels Gesichtchen, wie Sonnenschein an einem Apriltage. »Auf derselben Platte mit mir.«

»Ach nein, nein, Juwel! Nein, nein!«

»Ja, bitte, Großpapa, daß doch eine hübsche Nase auf das Bild kommt!« Sie schlug die Augen zu ihm auf, die aufs neue durch Tränen verschleiert waren: »Und du legst deinen Arm um mich – und wenn ich es dann ansehe –,« weiter gehorchte ihr die Stimme nicht.

»Jawohl, ja, das geht wohl,« ging er hastig darauf ein. »Wir wollen sehen – und nachher – wieviel Nesselrode-Pudding kannst du dann wohl essen? Ich sag' dir, Juwel, heute soll es aber hoch hergehen!«

Herr Evringham schlug die Hände wie in lebhafter Vorfreude zusammen, so daß die Stimmung des Kindes sich hob.

»Ja,« rief sie, »und nach Tisch, was kommt dann?« Sie sah ihn prüfend an.

Der alte Herr klopfte sich gegen die Stirn, wie um die Tür zu seinem Gedächtnis zu öffnen.

»Vater und Mutter!« rief sie lachend und fing an, zu tänzeln.

»Du vergißt, Großpapa, du vergißt! Dein eigener Sohn kommt nach Hause, und du vergißt es!«

»Ja, weiß Gott, Juwel, an diese Tatsache müßte ich wohl besser denken. Er ist mein eigener Sohn, und ich weiß nicht, ob ich ihm am Ende nicht doch auch für etwas besonderen Dank schulde.«


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