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10. Kapitel.
Die Geschichte der Apfelfrau.

Juwel erzählte ihrem Großvater bei ihrem späten Nachmittagsritt alles bis ins kleinste.

»Und so wurde das kleine Mädchen also wirklich gesund,« bemerkte er.

»Ja, und konnte umherlaufen und spielen und sich freuen!« fügte Juwel fröhlich hinzu.

»Und Tante Hazel söhnte sich mit ihrem Neffen aus?«

»Ja. Weshalb wissen die Leute nicht, daß sie nur mehr Liebe zueinander zu haben brauchen? Denk nur mal, Großpapa, wenn du mich, als ich hierherkam, nicht so lieb gehabt hättest!«

»Hm. Es ist ein glücklicher Zufall, daß ich ein so liebevoller alter Bursche bin!«

»Mutter sagt, wir alle müßten die Blume pflegen und sie dem Könige bringen, ehe wir wirklich glücklich sein können. Weißt du, wir mußten beide an dasselbe denken, als der reiche Mann schließlich bereit war.«

»Und was war das?«

»An unsere Hymne:

Schier endlos ist mein Hoffen,
Mein Lebensweg ist frei,
Gott hält den Schatz mir offen,
Er leitet mich getreu.

»Fängst du nicht auch an, Mutter lieb zu haben, Großvater?«

»Sie ist sehr liebenswert.«

»Sie ist freilich nicht deine richtige Verwandte, so wie ich es bin.«

»O bitte sehr, sie ist meine Tochter.«

Juwel lächelte zweifelnd. »Das ist Tante Magda auch,« antwortete sie.

»Aber Juwel, es überrascht mich, daß jemand, der im Reitkleid so groß aussieht wie du, das nicht besser weiß. Frau Harry Evringham ist deine Mutter.«

»Daran habe ich nicht gedacht,« sagte das Kind ernst. »Das ist auch wahr.«

»Das bringt sie mir sehr, sehr nahe, siehst du,« sagte Herr Evringham, und solche Logik schien Juwel klar wie Sonnenlicht.

Beim Abendessen sollte sie sich noch weiter davon überzeugen. Das Kind ahnte nicht, daß die Mädchen, denen Tante Magda verächtlich Frau Harrys Beschäftigung mitgeteilt hatte, ihr nur ungern zu dienen bereit gewesen waren und ihren Besuch, trotz Frau Forbes' mehr optimistischer Ansicht, nur als geduldet betrachteten. Aber die Gesinnung, die aus Frau Evringhams dunklen Augen und den Linien ihres lieblichen Mundes sprach, »kam, sah und siegte«. Juwel hatte aller Herzen erobert, doch nach allem, was die Dienstboten nun in den zwei Tagen von der Mutter gesehen hatten, meinten sie einstimmig, das sei kein Wunder.

So störten auch die Abzeichen der Arbeit, die sich an Julias zernähten Fingern zeigten, niemand. Im Gegenteil, die seelische Heiterkeit auf ihrem glücklichen Gesichte wurde ihrem Schwiegervater durch diese Spuren schwerer Arbeit nur noch anziehender. Julia besaß Juwels Geradheit und Schlichtheit, ihre Wertschätzung und Freude allem Schönen gegenüber. Wie das Kind lebte auch sie in einer Atmosphäre selbstloser Liebe und Dankbarkeit. Jede Stunde, die Herr Evringham in ihrer Gesellschaft verbrachte, ließen ihn weniger bedauern, die Brücken hinter sich abgebrochen zu haben.

»Ich möchte nicht, daß Sie sich hier einsam fühlten, Julia,« sagte er an diesem Abend während des Speisens. »Ich bin allgemein bekannt als freiwilliger Einsiedler; aber solange Magda und Heloise bei mir wohnten, hatten sie oft Besuch, soviel ich weiß, und sie gingen auch aus, soweit es die Gesellschaft einer Witwe und Waise in so tiefer Trauer gütigst gestattet. Beide verstanden es, für sich selbst zu sorgen; aber Sie sind fremd in einem fremden Lande. Wenn Sie Geselligkeit wünschen, geben Sie mir nur einen Wink, dann verschaffe ich sie Ihnen.«

»O nein, Vater!« erwiderte Julia lächelnd. »Nichts wäre mir weniger erwünscht als das.«

»Mutter wird die Leute in unserer Kirche kennen lernen,« sagte Juwel, »und ich weiß, daß sie Herrn und Frau Reeves gern haben wird. Sie sind Freunde von Großpapa, Mutter.«

»Ja,« sagte Herr Evringham, mit dem Essen beschäftigt, »einige der vornehmsten Familien in Bel-Air sind zu Ihrer sehr eigenartigen Religion übergetreten, Julia. Es wird jetzt nicht mehr so auffallend sein, daß ich zwei Anhängerinnen dieses Glaubens im Hause habe, wie es vor ein paar Jahren gewesen wäre.«

»Nein, es fängt an, ganz respektabel zu werden,« antwortete Julia mit schelmischem Blick.

»Drei, Großpapa, du hast drei hier,« warf Juwel ein. »Du hast Sek nicht mitgezählt.«

Frau Evringham sah freundlich zu Frau Forbes hinüber, die wie gewöhnlich in ihrem sauberen, gefälligen Anzuge servierte.

»Sek ist also definitiv dazu übergegangen, was, Frau Forbes?«

»Jawohl, gnädiger Herr, und ich habe nichts dagegen. Ich bin zu dankbar für den Umschwung zum Guten in dem Jungen. Wenn Juwel ihn überredet hätte, Feueranbeter zu werden, hätte ich auch nichts dagegen eingewendet; ich hätte mir gesagt: was bedeutet hier das bißchen Feuer mehr, wenn es dafür hernach soviel weniger gibt.«

Frau Evringham lachte, und der Makler schüttelte den Kopf. »Frau Forbes, Frau Forbes, ich fürchte Ihre Orthodoxie gerät ins Wanken.«

»Wie steht es mit der Ihrigen, Vater?« fragte Julia.

»Ach, ich bin nur Mitläufer. Sehen Sie, ich weiß, daß Juwel an der Himmelspforte bitten wird, ob ich hineinkommen darf, und wenn sie es verweigern, dann geht sie auch nicht hinein. So fühle ich mich vollkommen sicher.«

Juwel sah den Sprechenden ernst an. Herr Evringham begegnete ihrem nachdenklichen Blick.

»Dich werden sie haben wollen, Juwel. Du brauchst nichts zu fürchten.«

»Ich fürchte mich nicht. Wie sollte ich wohl? Aber mich wundert, daß du nicht weißt, daß du deine Arbeit für dich tun mußt, Großpapa.« Er sah rasch auf, direkt in Julias leuchtende Augen.

»Das wäre!« antwortete er mit unbehaglichem Lächeln. »Kann mich nichts davon befreien?« –

Als Juwel am nächsten Morgen von der Bahn zurückgefahren war und mit ihrer Mutter die Tageslektion gelesen hatte, gingen sie zusammen in die Schlucht und nahmen das Geschichtenbuch mit sich.

Ehe sie sich zum Lesen niederließen, zählten sie die neuaufgeblühten wilden Blumen, und Juwel benetzte die Farne mit dem Wasser aus dem Bach.

»Hast du je etwas Hübscheres gesehen als Annabel mit der Halskette?« rief Juwel in zärtlicher Betrachtung ihres Kindes, das gegen den weißen Stamm einer Birke lehnte. »Heute morgen ist es nicht an dir, eine Geschichte zu wählen, Kleinchen; hier, ich will dir ein Gänseblümchen zum Spielen geben.«

»Halt, Juwel, ich glaube, Annabel möchte es lieber wachsen sehen, bis wir fortgehen, was meinst du?«

»Möchtest du das lieber? Sie sagt: ja; aber wenn wir fortgehen, wollen wir das süße kleine Blümchen mit uns nehmen und wollen ihm die Freude machen, Großpapas Haus zu sehen und alles, was wir darin tun.«

»Ich finde, es ist solch ein Jammer, sie zu pflücken und verwelken zu lassen,« sagte Frau Evringham.

»Wieso, ich denke, es sieht nur so aus, als ob sie verwelken, Mutter,« antwortete Juwel hoffnungsfreudig. »Ein Gänseblümchen ist eine Idee Gottes, nicht wahr?«

»Ja, mein Liebling.«

»Wenn eine zu verwelken scheint und wir sehen sie nicht mehr, müssen wir nur ein bißchen aufmerksam um uns blicken, und die Gänseblümchenidee erscheint wieder und steht ebenso weiß und glänzend vor uns wie immer, weil Gottes Ideen nicht verwelken.«

»So ist es, Juwel,« stimmte die Mutter bei.

Das Kind atmete tief auf.

»Ich habe so viel darüber nachgedacht, hier in der Schlucht. Zuerst dachte ich, wenn ich ein Veilchen pflückte, sei es ebensolcher Irrtum, als wenn ich ein Blaukehlchen tötete und dann fiel mir ein, daß wir die Blumen aus Liebe pflücken, und daß dieses ihnen und ihren kleinen Knospen nicht weh tut; aber niemand tötet einen kleinen Vogel aus Liebe.«

Frau Evringham nickte.

»Jetzt darf ich wählen,« sagte Juwel in verändertem Tone und setzte sich neben ihre Mutter.

Frau Evringham schlug das Buch auf und las nochmals die Titel der verschiedenen Geschichten vor.

»Laß uns die Geschichte der Apfelfrau hören,« entschied Juwel. Ihre Mutter blickte auf. »Erinnerst du dich der guten alten Chloë, die an jedem Sonnabend zum Scheuern zu mir kam? Sie erzählte mir einmal etwas, was sie als kleines Kind erlebt hatte, und das brachte mich auf diese Erzählung. Ich will sie dir vorlesen.«

 

Die Geschichte der Apfelfrau.

Franz, Emilie und Peter Wenzel waren deutsche Kinder, in Amerika geboren. Ihr Vater war Lehrer, und die mutterlosen Kinder lebten allein mit ihm und einer guten alten Deutschen, Anna genannt, die gleichzeitig Köchin und Hüterin der Kinder war. Sie gab sich Mühe, Franz und Emilie zu guten Kindern zu erziehen und hütete getreulich den kleinen Peter, einen dreijährigen stämmigen, bedächtigen Jungen, der durch seine Zärtlichkeiten dem Vater in seinem schweren Leben ein großer Trost war.

Franz und Emilie hatten neben der englischen Sprache auch die deutsche erlernt, die gleichfalls in ihrem Vaterhause gesprochen wurde. Außerdem hatten sich die Kinder aus beiden Sprachen eine Art Kauderwelsch zusammengestellt, das nur sie verstehen konnten und das ihnen viel Vergnügen machte, besonders wenn sie sich mit der farbigen Apfelfrau unterhielten, die diese Sprechweise gar nicht vertragen konnte.

»Fort mit euch,« pflegte sie zu sagen, wenn sie in dieser Weise mit ihr sprechen wollten, »ich will so'n Gequatsch an mein' Stand nich' habn. Geht un' lernt Maniern!« Wenn Franz und Emilie merkten, daß sie ernstlich böse wurde, baten sie sie um Verzeihung und bedienten sich dabei der höflichsten englischen Ausdrücke, die ihnen zu Gebote standen, denn sie mochten die saubere, freundliche Apfelfrau, die ihren Stand dicht bei Herrn Wenzels Hause hatte, sehr gern leiden. Sie bewunderten ihr leuchtend buntes Kopftuch und betrachteten sie als die interessanteste Persönlichkeit in ihrer kleinen Welt. Die Apfelfrau hingegen hatte so viele unliebsame Erfahrungen mit spottlustigen Kindern gemacht, daß sie Franz und Emilie nicht gleich ihre Gunst zuwandte. Sie strich eine Zeitlang erst ihre Pfennige ein, bevor sie ihnen die Äpfel gab, die sie bei ihr kaufen wollten; dabei beobachtete sie die Kinder mit argwöhnischen Blicken, um sich zu vergewissern, ob sie nicht doch noch einen Schabernack im Schilde führten.

Aber ehe noch die beiden ihre regelrechten Kunden geworden waren, fand sie, daß es »nette Kinners« wären, und als sie sie näher kennen lernte, schloß sie die mutterlosen Kleinen in ihr gütiges Herz.

Als Franz und Emilie eines Morgens auf dem Schulwege an ihrem Stande vorbeikamen und sie freundlich grüßten, rief sie ihnen zu:

»Äpfel für de klein' Frühstückskörbe?«

»Heute nicht,« antwortete Emilie.

Die Apfelfrau winkte die Kinder inzwischen heran.

»Wir haben gestern abend vergessen, uns die Zähne zu bürsten,« erklärte Franz, deshalb haben wir heute keine Pfennige bekommen.«

»Ich vergaß es,« sagte Emilie, »und Franz hat mich nicht daran erinnert, daher haben wir keine bekommen. So macht es Anna, damit wir es nicht vergessen sollen.«

»Schad' nix, ihr Süßn, hier habt 'r Äpfel umsonst,« sagte die Farbige und hielt ihnen zwei rotbäckige Äpfel hin.

Die Kinder sahen sich an und schüttelten den Kopf.

»Danke schön,« sagte Emilie, »aber das geht nicht. Papa sagte letztes Mal, als Sie uns welche geschenkt hatten, wenn wir Ihre Äpfel äßen, ohne sie zu bezahlen, dürften wir nie mehr zu Ihnen hinüberkommen.«

»Nee, abr so was!« rief die Apfelfrau, als die Kinder fortgegangen waren. Es rührte sie und gefiel ihr, daß Franz und Emilie lieber mit ihr schwatzen und ihren Erzählungen lauschen wollten, als ihre Äpfel essen.

Sie hatte recht; es waren nette Kinder. Zuweilen waren sie aber unartig und machten der guten alten Anna viel zu schaffen. Diese fühlte der ganzen Familie gegenüber tiefe Verantwortlichkeit. Sie gab sich Mühe, nicht mehr deutsch mit den Kindern zu sprechen, denn sie sollten gute Amerikaner werden, und davon durfte sie sie nicht zurückhalten. Es war sehr schwer für die arme Alte, immer daran zu denken, daß sie englisch sprechen sollte, – aber was für ein Englisch war das! Der kleine Peter, der es immer hörte, hatte seine eigene Sprechweise, die von der anderer Kinder ganz abwich. Er sprach von seinem »luckle horse« (kleines Pferd), mit dem er spielte und den »boomps« (Bumps), die er sich zuzog, wenn er fiel. Im übrigen war er sehr ernsthaft und unerschrocken, wie es dicke Bübchen oft sind, die viel allein gelassen werden.

Anna war so sehr mit Kochen und Nähen für die fünf Familienmitglieder in Anspruch genommen, daß sie sich auf die Stunden freute, die Herr Wenzel zu Hause an seinem Pult mit Arbeiten verbrachte, denn dann durfte Klein-Peter bei ihm im Zimmer spielen.

Herr Wenzel war ein gütiger Vater, der versuchte, seinen Kindern, die ihn zärtlich liebten, so viel wie möglich auch die Mutter zu ersetzen. Für Klein-Peter war er allmächtig. Ein Kuß von Papa machte den härtesten »boomp«, deren er sich viele bei seinem häufigen Stolpern zuzog, schmerzlos; aber selbst Klein-Peter sah ein, daß Papa an seinem Pulte sehr eifrig zu arbeiten hatte, und daß die Kinder, wenn sie auch mit ihm im Zimmer sein durften, keine Erlaubnis hatten zu sprechen.

Emilie war acht Jahre alt und hätte dem Vater und Anna mehr helfen können, als sie es tat; aber daran dachte sie niemals. Sie mochte gern lesen, besonders Märchen, und oft machte sie es sich auf ihres Vaters Sofa bequem und las, während Peter spielte oder an das Pult ging und mit großen, runden Augen Herrn Wenzel erwartungsvoll anblickte, bis schließlich der fleißige Mann aufsah und fragte: »Was will denn mein Peter?«

Emilie suchte die Zufluchtstätte in Papas Zimmer besonders gern auf, wenn sie sich mit Franz gezankt hatte, was leider nur zu oft geschah. Die Apfelfrau entdeckte bald, daß Bruder und Schwester nicht immer lieb zueinander waren. Anna hatte es ihr bestätigt.

Eines Tages kamen die Kinder in eifrigstem Wortwechsel an ihren Stand heran. Ihre Stimmen wurden lauter und lauter, bis Franz der Schwester eine Grimasse schnitt und ihr einen Stoß gab, worauf sie, gewandt wie ein Kätzchen, auf ihn zusprang und ihn schlug.

Ich weiß nicht, was Franz noch getan haben würde, wenn ihn nicht der Ruf der Apfelfrau »Kinners, Kinners!« zurückgehalten hätte.

»Hört 'r nich', wie de Unhold »Schlagwieder« lacht!« rief die Apfelfrau.

»Der Unhold Schlagsahne?« fragte Franz, während die Kinder ihren Zorn vergaßen und auf den Stand zuliefen.

»Schlagsahne!« wiederholte die Apfelfrau verächtlich, während die Kinder sich neben ihr niederließen. »Ihr seid mr tschah nette Kinners, tut, als kennt 'r eur' Freunde nich'!«

»Was denn für Freunde?« fragte Emilie eifrig.

»De Unhold ›Schlagwieder‹! Na, ich habn abr ebn gesehn, wie 'r hinner euch hergrinste!«

»Ist das jemand, vor dem man sich fürchten muß?« fragte Emilie mit weitaufgerissenen Augen.

»Na, un' ob 'r das Gruseln kriegn müßt, wenn 'r gut Freund mit 'm seid,« sagte die Apfelfrau überzeugt. Dann trat sie mit dem Ausdruck höchster Überraschung von den Kindern zurück und sagte: »Ihr beidn wollt mr doch nich' weiß machn, ihr hätt' nix von 'n Irrtumsunholdn gehört?«

»Niemals!« riefen die Kinder einstimmig.

»Nee, so was!« rief die Apfelfrau erstaunt aus, »da seid 'r ja de dämlichstn weißn Görn, de 's je gegebn hat. Ja, abr wenn 'r nix von 'n gehört habt, könnt 'r leicht mal von 'n aufgeschnappt werdn, wie beinah ebn jetz.«

»Ach, erzähle, erzähle!« baten Franz und Emilie.

»Abr natürlich; es is nich' in Ornung, daß disse ekligen Dingers um euch rumlungern, un 'r gar nich' mal wissn tut, wenn se de Bocksprüng auf euch machn. Also – erstensmal werdn se Irrtumsunholde genannt, weil se all Diener von 'n Spökerwesn Spuk. sin', de Irrtum heißt. Diss Spökerwesn is 'n Betrug un' Humbug, das ümmr allerlei vorlügt un ümmr drauf aus is, 'ne gute, große Fee, de heiß' Liebe, zu bekämpfn un' wegzudrängn. Nu is de Liebe – ach, Kinners, mein arm Zunge kann euch de Schönheit un' Güte von de Fee Liebe nich' beschreibn! Se is de Botschaftrin von 'n großn König un' tut nix anners 'r leblang, als Leute glücklich machn. Ihr Haar is so goldig wie de Sonne; ihr' Augn sendn sanfte Strahln aus; ihr Kleid is weiß, un' wenn se sich dreht, sieht's so aus, als fließn lauter Vergißmeinnich un' Veilchn aus 'n Faltn. Ach, Kinners!« die Apfelfrau schüttelte den Kopf und blickte gen Himmel, »se is'n Segn für de ganze Welt. Ihr' weichn Arme hat se weit offn un' se tröst' all', de traurig sin'.«

»Un' weil se nu gar zu lieblich war, un' de groß' König 'r so viel zutraute, wollt' de Irrtum auch mal sein' Macht an 'r versuchn; abr Irrtum hat kein' König, kein ein'; da war keinr, der 'm beistand odr 'n als Botn schickte. Er war 'n niedrigr, haltlosr Wicht; so'n Nebelding, so'n glitschiges Nix, gar nich' mit ihr zu vergleichn. Sein Kleid war 'ne Wolke, un'r war nix als 'n Schattn, bis 'r jemand kriegn konnt', de auf 'n hört'. Wenn 'r so'n jemand fand, dann reckt 'r sich hoch un' kriegt 'n büschn Rückgrat un' wurd' fuchbar frech; schlich 'rum un' tuschelte 'n Leutn zu, de Liebe taug' nix, abr er, de Spökerwesn, sei de König des Lebens.«

»Welch' von 'n Leutn wußtn's abr bessr un' sagtn's 'm schlankweg ins Gesicht; dann fühlt'r mit eins daß 'r wiedr Schattn wurd', un' seglte weitr, so schnell 'r konnt', um sein Heil bei jeman' anners zu versuchn. Er war so gräßlich häßlich anzusehn wie 'n ganz bösr Traum; abr welch' von 'n Leutn hörtn 'm doch zu, un' wenn se das man ein odr zweimal getan hattn, wurde er stärkr un' frechr, un' wenn er stärkr wurd', wurdn sie schwächr, un' dann wurd's ümmr schlümmr un' schwer'r, 'n wegzujagn, un' se konntn 'n gar nich' los werdn, wenn se auch schon ganz übel von 'm warn.«

»Un' dann, wenn 'r auch kein' König hatt', hatt'r doch Sklavn; ach, Dutzene un' Dutzene von Irrtumskoboln, de 'm zu Willn warn. De warn auch schleichende Schattn, bis jeman' auf se hört' un' ihn'n Rückgrat gab. Da sin' z. B. – hm, will ma' sehn« – die Apfelfrau sah nachdenklich vor sich hin – »da sin': Faulheit, Selbstsucht, Verleumdung, Grausamkeit – ach, ich hab' kein' Zeit, se all vorzuzähln; un' in alln is' doch kein büschn Macht, Schadn anzurichtn, wenn nich' dämliche Sterbliche 'n zuhörn un' 'n Rückgrat gebn. Se falln zusammn un' verschwinnen, de ganze Rasselbande, wenn de Liebe kommt. Sie, was de Liebe is, kennt se als leere Humbugs, wißt 'r; un' so falln se auch zusammn un' verschwinnen, wenn 'n Kind nur 'n büschn Verstand hat zu sagn: ›Mach', daß 'r wegkommt, 'r sollt mich nich' mehr plagn!‹«

Franz und Emilie, deren Backen jetzt den roten Äpfeln glichen, starrten die Apfelfrau an und hörten ihr eifrig zu.

»Was war denn nu mit euch ebn los? Ein Irrtumsunhold Schlagwieder tuschelte euch in de Ohrn: ›Zankt euch man fix!‹ Un' was tat' ihr da? Sagt' ihr: ›Heb' dich weg, du Nixnutz von Schlingel?‹«

»Ih bewahr' mich! Ihr stritt' euch noch mehr un' Schlagwieder wurd' stärkr un' stärkr, un' sein Rückgrat ümmr steifr un' steifr, weil 'r dabei bliebt zu zankn, un' da kam Emiliens klein' Hand auch noch hoch. Klapps! Da konnt' sich Schlagwieder nich' mehr haltn un' lacht' wie toll hinner eurm Rückn. Pfui, de rotn, klein' Augn, die er hatt', un' das struppge Haar! Un' de annere, de Fee Liebe, nahm mit beidn Händn ihr weiß' Kleid zusammn un' flog weg, als hätt' se Flügl. Eur' Augn taten's natürlich nich' sehn, denn ihr hatt' so viel zu tun mit eur' Freund Schlagwieder.«

»Aber Schlagwieder ist nicht unser Freund,« erklärte Emilie ernsthaft.

Die Apfelfrau schüttelte den Kopf. »Mein' Güte, klein' Schatz, wie kannst du 'n nu verleugn wolln! Ob du's tust odr nich', er hält jetzt zu dir un' plagt dich; wirst's schon merkn, wenn du 'n wieder los sein willst. Sollst mal sehn, 's wird dir nix bessr gehn als arm Klein-Dinah.«

»Was war mit Dinah?« fragte Franz und nahm das reine Tuch auf, um Äpfel abzureiben.

»Laß das nu man, mein Jung'! Dein Freund Schlagwieder könnt'n Aug' auf de Äpfel werfn, un' ich möch' nich' gern vergiftigte War' verkaufn.«

Franz gehorchte geknickt und sah Emilie von der Seite an. Man hatte ihre Hilfe noch niemals zurückgewiesen, – sie fühlten sich sehr bedrückt.

»Klein-Dinah war 'n Kind, das weit untn im Südn zwischn Baumwollfeldrn lebte, un' was de gute Fee Liebe is, de so lieblich anzusehn war, daß ei'm de Herz 'm Leibe lachte, de, wißt 'r, hielt Wache übr Dinah.«

»Dinah hatt' auch 'n klein' Bruder, de justament anfing zu laufn, un'n Papa, de von Morgn bis Abend arbeitn mußt', um genug Maismehlkuchn für se all zu verdien'; un' sein' alte Muttr, de half 'm, macht' Feuer, fegt 's Haus, grub 'm Gartn un' melkt' de Kuh. Se war 'ne gute Frau, disse alte Mutter, un's war sehr traurig, daß nieman' da war, de 'r helfn konnt, weil se doch von Tag zu Tag ältr wurd'.«

»Wieso, Dinah war doch da,« warf Emilie ein.

Die Apfelfrau hob beide Hände hoch und starrte sie ganz verwundert an.

»Dinah, ach, du liebr Gott, mein Schatz, de war nix Genau's, das einz'ge, was de Göhr' tun mocht', war ümmr Billerbüchr besehn un' mit annern Kinners spieln. Sie hob noch nich' mal Klein-Moses wiedr auf, wenn 'r fiel un' sich de Haut an'n Schienbein blutig geschrammt hatt'. Ich sag' dir, se war 's faulste klein' Negerding, das du dir denkn kannst.«

»Und darum kriegte der rotäugige Kobold sie zu fassen,« warf Franz ein, der sich nach etwas besonders Aufregendem sehnte.

»So war's woll,« sagte die Apfelfrau. »Wißt 'r, 's is'n ganz eign Ding mit 'n Feen, mit de Liebe un 'n Irrtumsunholdn. De Irrtumsunholde rennen hinner'n Leutn her, de sich selbst liebn, un' de Fee Liebe kann nur an de Leute 'rankommn, de annere liebn. 's is' komisch, ihr Süßn, abr 's is' de Wahrheit. Als nu Dinah größr wurd' un' gar nich' dran dacht', daß de Großmuttr alt un' müd' war, un sich nie 'n büschn Müh' gab, nett mit Klein-Moses zu sein un' kein büschn Mitleid mit 'n arm' Vater hatt', dem sein' Frau doch tot war, wurd' de Fee Liebe so schlimm traurig, wie 's 'ne Fee nur werdn kann.

›Komm', Dinah,‹ sagte se un' hielt ihrn lieblichn Mund ganz dicht an Dinahs Ohr, ›hör' auf, so faul un' lieblos zu sein un' gib dir Müh', 'n büschn im Haus zu helfn.‹

›Ach was,‹ sagte Dinah, ›ich mag liebr zwischn 'n Butterblumn liegn un' Biller besehn,‹ – das sagte se.

›Dann zeig' Moses de Biller, daß 'r sich auch freun tut,‹ flüsterte de Liebe.

›Nein,‹ sagte Dinah, ›er is' zu klein, un 'r plagt mich un' zerreißt mein Buch.‹

Abr de Liebe versucht 's nochmal mit Dinah. ›Dein armr, müdr Papa hat 'n ganzn Tag für euch so schwer arbeitn müssn. Soll 'r dann noch auf 's klein' Kind passn, wenn 'r nach Haus kommt?‹

›Wie kannst nur fragn,‹ sagte Dinah, ›abr natürlich, mein Vater is' ja kräftig!‹

Da fing die Fee Liebe gar an zu wein'n, wenn auch ganz leis', denn se war zu betrübt. ›Du mußt dein' Papa tröstn,‹ sagte se, ›du bist groß gnug dazu. Sieh' mal, disse häßlich schwarzn Flecke auf mein' weiß' Kleid. Dran bist du schuld, Dinah, du, de ich so 'ne treue Freundin war. Ich muß dich jetzt verlassn, ganz weit weggehn, daß mein Kleid wiedr weiß wird, abr wenn du nach mir rufst, will ich hörn, Dinah, un' kommn. Leb' wohl!‹

›De wär' ich also los!‹ sagte Dinah. ›Ich hab's wirklich so satt, ewig ausgescholtn zu werdn. Jetzt kann ich mich in de Butterblumn legn un' singn un' lustig sein un' tun, was ich will.‹

Un' Dinah warf sich hin, wo's Gras ganz hoch stand, aber – o weh, se jagte dadurch 'ne Wespe raus, de solch' Angst kriegt', daß se Dinah in de Backe stach. Dinah schrie nu abr, daß man se über's ganze Baumwollfeld hörte.

Wie de alte Großmuttr se tröstete, de gute alte Seele! ›Laß man gut sein, mein' Süßn, ich will 's schon wiedr heil machn,‹ sagte se.

Abr Dinah dankte für nix un' wurd' noch ümmr faulr. Se wollt' nu grad' nich' de Schüsseln waschn, un' auch nich' nach Klein-Moses sehn, un' ümmr, wenn mal wiedr de heiße Wut übr se kam, könnt' se 'ne Stimme hörn, de tuschelte: ›Zank' man fix, man zu, Dinah!‹

Un' nu ging's ganz schnell ümmr schlümmr mit Dinah ihr Selbssuch' un' Leichsinn. De Hütte wurd' 'n mächtig ungemütlichr Ort, abr ganz allein durch Dinah, un' de liebe Gott wollt' doch, daß Dinah de Sonnenschein in disse klein' Hütt' sein sollt'.

Arm' Dinah! se hört' nich' mehr de Stimme von de Fee Liebe un' rief se auch gar nich', wenn se auch de häßlichn Ton von 'er annern Stimm' haßt' un' gar nich' hörn wollt, de ihr ümmr los in de Ohrn tuschelte.

Eins Morgens ging mal wiedr Dinah allens verkehrt. Ihr' Großmuttr war ganz bös' übr ihr Nixnutzigkeit, un' zu Strafe mußt' Dinah 'nen Saum nähn, eh' se 'rausgehn durft'. Doch de Nadel war rostig un' de Fadn vertüderte sich. Dinah ihr Stirn war beinah so kraus wie de Fadn, un' de Kopf wurd 'r ganz heiß.

›Sag' man doch, du willst nich,‹ tuschelte de böse Stimm'.

›Dann krieg' ich Schläg'; Großma' hat's gesagt.‹

›Was fragst de danach?‹ klang 's weitr. Nu' grad' als de Unhold Schlagwieder so sprach, kam Klein-Moses angelaufn, un' zog 'r de Arbeit weg.

Nu kam was Furchbars. Ich glaub' zwei Wochn drauf hätt' Dinah so was gar nich' mehr tun könn'n; abr so geht's mit 'n Dämlichn, de auf 'n elendn, niederträchtign Schlagwieder hörn. Wie'n Blitz schlug das große Mächn, das schon neun Jahr' alt war, auf Klein-Moses los. De war so verschrockn, daß 'r nich' gleich wein'n konnt'; abr de verhaßte Stimme lachte un' tuschelte weitr:

»Bravo, Dinah, das war fein, nu kriegst es!«

Klein-Moses riß den Mund auf un' schrie los, un' Dinah drückt' die Hand' feste zusamm'n, denn was sah se dicht vor sich? – 'n ganz gräßlich bös' Gesicht mit funkelndn rotn Augn. Se sprang hoch un' wollt' von'm weglaufn. 'n schreckliches Gruseln packt' se, als se sah, was für'n Kamm'radn se gehabt hatt'.

»Ach, Liebe, hast de mich ganz vergessn? Komm' doch wiedr, Liebe, Liebe!« jammerte se un' fiel niedr auf de Knie nebn Moses, gab'm lautr süße Namn un' weint' mit'm un' zog 'n auf 'rn Schoß. Als de alt Großmuttr vom Hof wiedrkam, wo se de Hühner gefüttert hatt', fand se de Kinner eingeschlafn.«

Franz atmete tief auf, denn bei den Geschichten der Apfelfrau hörte er stets gespannt zu.

»Da hatte der alte Schlagwieder wohl bei Dinah ausgespielt?« meinte er.

Die Apfelfrau schüttelte den Kopf. »Diss' is' das allschlümmste bei so'n Unhold,« sagte sie. »Liebe geht weg, wenn du's befiehlst, denn se is 'ne feine Person un' hat Maniern; abr Schlagwieder hat gar kein' Erziehung. Er lungert 'rum un' mischt sich überall 'rein, grad wie erstens bei dir un' Emilie auf de Straß'. Nix in de Welt macht 'm so viel Spaß, als wenn'n Kind unartig is, abr ganz glücklich is 'r, wenn zwei sich prügeln. De arm' klein' Dinah mußt' scharf aufpassn, um ümmr dicht bei de Liebe zu bleibn un' sich de Nixnutz Schlagwieder von'm Leib zu haltn. Liebe war so bereit, so bereit zu bleibn, wie Veilchen 's sind, sich im Frühjahr zu öffn. Abr was könnt' se tun, wenn Dinah un' Schlagwieder beide gegn se warn? Un' Dinah war so gewohnt, Schlagwieder bei sich zu habn! Das freche Geschöpf hatt' so'ne heimtücksche Art, das Kind wiedr in sein Netz zu kriegn; eh' Dinah sich's gewahr wurd', hatt' se wiedr auf 'n gehört; abr de Schreckschuß war 'r doch feste in de Gliedr gefahrn, un' se wollt 'm Unhold nich' wiedr gehorchn. Un' nu wurd' noch ihr Vater krank. De gute Mann, de ümmr so allein war, hatt 'ne mächtig harte Zeit gehabt, un' sein Kind hatt 'n gar nich' lieb.«

»Warte,« unterbrach Emilie sie scharf, »wenn du jetzt Dinahs Vater sterben läßt, geh' ich nach Hause.«

Die Apfelfrau verdrehte vor Erstaunen die Augen so, daß nur noch das Weiße darin zu sehen war.

»Ich meine nur –,« Emilie schluckte und sagte dann, »weil es zu traurig wäre.«

Die Apfelfrau sah gerade über ihren Stand hinweg.

»Also – de gute Vater starb nich', un' Dinah macht 'm fortan so viel Freud', daß 'r so gern weiterlebte. Se steckt 'n Kopf nich' mehr in Billerbüchr, murrt' nich' mehr, wenn se Einkäuf machn sollt', se paßt' auf Klein-Moses, damit 'r Vater Ruhe hatt', wenn 'r müd' nach Haus' kam. Un' so wurd' se ümmr 'n büschn art'ger un' lacht 'n klein' Jung' in de Nachbarhütte an un' steckte 'm nich' mehr de Zung 'raus wie frühr. Nu konnt auch de Fee Liebe dicht bei 'r bleibn, ohn' daß ihr Kleid Flecken kriegt', un' wie's so weit war, mußt' Schlagwieder verschwinnen un' absegeln un' annere kleine dämliche Kinners suchn, de auf 'n hörn.«

»Aber das brauchst du uns nicht weiß zu machen, daß du ihn bei uns gesehen hast,« sagte Franz unsicher.

Die Apfelfrau schüttelte den Kopf, daß die Zipfel des roten Kopftuches hin- und herschwankten, und sagte weise: »Leute, de nich' ümmr zu Haus hockn un' de in de schön' frein Luft lebn, sehn mehr, als ihr all' sehn tut, mein' Süßn.«

Emilie lief ihrem Bruder voran nach Hause und stahl sich leise in ihres Vaters Zimmer. Er saß, wie gewöhnlich um diese Zeit, an seinem Schreibtisch, den Kopf in die Hand gestützt und so vertieft in seine Arbeit, daß er ihr leises Eintreten überhörte. Sie nahm ihre gewohnte Stellung auf dem Sofa ein, aber statt zu lesen, beobachtete sie Klein Peter, der auf der Erde saß und sein Blockhaus baute. Seine dicken Händchen setzten behutsam die Steine aufeinander, bis das schiefe Haus hoch wurde. Als er den letzten Stein heranholen wollte, stieß er mit dem Kopf gegen die Ecke eines Stuhles. Emilie sah, wie er sich die schmerzende Stelle schweigend rieb; dann richtete er sich unbeholfen auf und ging an den Schreibtisch, wo er mit hochrotem, sehr ernstem Gesicht geduldig stand und wartete, bis der Vater ihn bemerkte.

Als dem fleißigen Manne die Anwesenheit des Kleinen zum Bewußtsein kam, wandte er sich um und blickte in ein Paar ernste Kinderaugen.

»Peter hat sich debumpst.« Der Vater tröstete ihn mit einer Umarmung und einem Kuß, und der Kleine begab sich zufrieden zu seinem Blockhause zurück.

Emilie sah das traurige, zärtliche Lächeln, mit dem der Vater dem Kleinen nachblickte. Das Herz klopfte ihr schneller. Auch ihr Vater war einsam und mußte viel arbeiten, und niemand sorgte für ihn. Es war ihr, als fiele ihr ein Schleier von den Augen, und sie kämpfte mit aufsteigenden Tränen.

»Ich bin wohl noch nicht zu alt, um mich zu bessern, wenn ich auch schon neun Jahre alt werde,« dachte Emilie. Krach! fiel das Blockhaus in Trümmer und Peter blickte trotz aller Selbstbeherrschung nach dem Schreibtische hinüber und fing an zu weinen.

»Klein Peter!« rief Emilie sanft, beugte sich vor und zeigte ihm ein Pferdebild in ihrem Buche.

Ihr Vater hatte sich mit einem unwillkürlichen Seufzer herumgedreht, doch als er sah, daß Peter auf das Sofa zulief und Emilie ihn mit offenen Armen aufnahm, wandte er sich mit sichtbarer Erleichterung seiner Arbeit wieder zu. Seine kleine Tochter bemerkte dies, hielt den Atem an und liebkoste den Kleinen. Sie unterdrückte ein Schluchzen.

»Ach, Papa, wenn du wüßtest, wie oft ich das jetzt tun will,« gelobte sie sich in der Stille ihres übervollen Herzens.

Und Emilie hielt ihr unausgesprochenes Gelübde.


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