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20. Der Fischer und seine drei Söhne

Ein armer Fischer stellte oft seine Netze, ohne etwas zu fangen. Eines Tages aber zog er einen mächtig schweren Fisch aus dem Wasser. Als er ihn jedoch heimtragen wollte, rief dieser ihm zu: »Laß mich los! Wenn du dich mein erbarmst, werde ich mich dankbar erweisen.« Und der Fischer warf den Fisch wieder ins Meer. –

Am nächsten Tage fing er denselben Fisch, der abermals bat, ihn loszulassen. Als er das nun zu Hause seiner Frau erzählte, erwiderte sie ihm: »Ach ja, mit einem Fische hast du Mitleid, und an mich denkst du nie. Schon drei Tage haben wir nichts zu essen. Wenn du den Fisch noch einmal fängst, so bring ihn nur mit!« Und weil die Frau guter Hoffnung war und kräftige Nahrung verlangte, versprach er ihr den Fisch.

Wirklich fing er ihn ein drittes Mal und antwortete auf die nochmals wiederholte Bitte um Schonung: »Heute kann ich dich nicht loslassen. Ich habe meiner Frau, die guter Hoffnung ist, versprochen, dich mitzubringen.« – »Dann«, entgegnete der Fisch, »will ich dir einen guten Rat geben: Nimm ein großes Messer, und zerlege damit meinen Körper! Das Fleisch könnt ihr essen. Den Kopf aber, das Rückgrat und die Eingeweide lege beiseite! Und wenn du alsdann den Kopf in die Luft wirfst, so wird er auf dein Verlangen zu einem schönen Hause, das dir gehört. Aus dem Rückgrat mach dir ein Schwert, mit dessen Hilfe jeder geäußerte Wunsch erfüllt wird. Die Eingeweide begräbst du im Garten. Deine Frau wird dir drei Söhne schenken. Dann werden im Garten drei Bäumchen aufgehen, und solange sie wachsen, sind die Söhne gesund und froh.«

Als der Fischer diese Worte vernommen hatte, trug er den Riesenfisch auf dem Rücken nach Hause. Mit dem allergrößten Küchenmesser zerlegte er ihn, und das vortreffliche Fleisch reichte wochenlang aus. Der in die Luft emporgeschleuderte Kopf verwandelte sich wunschgemäß in ein Haus, und aus dem Rückgrat entstand ein Schwert, das an die Wand der Wohnstube gehängt wurde.

Vier Wochen später brachte die Frau drei Knäblein zur Welt, und im Garten kamen drei Schößlinge zum Vorschein, die gleich den drei Brüdern beständig emporwuchsen.

Aus den Knaben wurden Jünglinge, und der älteste nahm eines Tages Abschied vom Vaterhause, um in der Welt sein Glück zu versuchen. Nach einer langen Wanderung verirrte er sich eines Abends in einem großen Walde, aus dem er in seiner Angst den Ausweg nicht fand. Doch erblickte er schließlich in der Ferne ein winziges Licht, zu dem er sich mühsam den Weg bahnte. Ängstlich pochte er an die Tür der ärmlichen Hütte, aus der der Lichtstrahl hervordrang. »Was willst du, mein Sohn?« fragte ihn grinsend eine krummbucklige Alte. – »Ach, ich habe mich im Walde verirrt. Gewährt mir um Gotteswillen ein Obdach!« – »Herzlich gern!« meckerte die Alte, fast wie eine Ziege. »Freilich ist, wie du siehst, nicht viel Platz im Stübchen. Ein Bett kann ich dir nicht bieten, nur ein Strohlager hier auf dem Fußboden.« –

»Ich weiß nicht, wie ich Euch danken soll. Aber ich muß Eure Güte noch weiter anrufen. Ich habe sehr großen Hunger. Habt Ihr nicht etwas zu essen?« – »Ach nein, mein Sohn, ich habe weder Brot noch Käse im Hause. Nur ein wenig Mehl dort im Brotschrank. Aber der Schlüssel ist runtergefallen, und ich kann mich nicht bücken, ich bin so alt und gebrechlich. Wenn du ihn aufheben wolltest, könnte ich dir eine Mehlsuppe kochen.« – »Mit Vergnügen«, entgegnete der Jüngling. Als er sich aber niederbückte und den Schlüssel berührte, versank er wie verzaubert durch eine Falltür im Fußboden.

Und am nächsten Morgen bemerkte der Fischer, daß das Stämmchen seines Erstgeborenen verwelkt war. –

Da machte sich der zweite der Brüder trotz der Warnung der Eltern auf, sein Glück zu versuchen. Auch er verlor sich im Walde und wurde vom Lichte der Hexe verleitet, das Schicksal des Bruders zu teilen. – Und am folgenden Tage waren die Blätter des zweiten Stämmchens verdorrt.

Nun litt es den Dritten, der sehr mutig war, nicht mehr zu Hause. Er nahm das Schwert von der Wand und bat seinen Vater um Erlaubnis, seine beiden Brüder zu suchen, um sie womöglich zu erretten.

Im Walde irrend, gewahrte auch er das Licht der Alten, nahte sich ihm, pochte an die Tür und begehrte Einlaß. »Hi, hi, mein Sohn! Willkommen! Willkommen! Aber viel Platz gibt es nicht. Auch fehlt es an Betten. Du mußt mit dem Strohlager auf dem Fußboden fürlieb nehmen!«

»Ganz gut so! Aber ich habe Hunger. Gib mir zu essen!«

»I, du meine Güte!« jammerte die Hexe, »ich habe weder Fleisch, noch Brot, noch Käse im Hause. Nur ein wenig Mehl dort im Wandschrank. Aber ich habe den Schlüssel herunterfallen lassen und kann mich nicht bücken. Wenn du ihn aufheben willst, mache ich dir gern eine feine Mehlspeise.«

»Ich werde mich hüten! Du selbst nimmst den Schlüssel in die Hand und erweckst alle die Verirrten, die du damit verzaubert hast, oder ich schlage dir mit diesem Schwerte den Kopf ab.«

Da stieg sie erschrocken hinab in eine große unterirdische Halle voll versteinerter Männer, die sie nun alle der Reihe nach mit einem Stäbchen berührte. Es waren lauter schöne Jünglinge, Prinzen, Barone und andere Verirrte, und unter den letzten traten ihm seine beiden Brüder entgegen. Es war gleichsam eine ganze lange Prozession, die nun aus dem Gewölbe emporstieg.

Als alle erlöst und befreit waren, hieb der mutige Jüngling der Hexe den Kopf ab und trug ihn, gefolgt von den Erlösten, im Triumphe auf der Spitze seines Schwertes zum Hause seines besorgten Vaters. –

Ein großes Freudenfest wurde hierauf gefeiert. Und der glückliche Held heiratete die Tochter des Königs.

Die mir überl. Üb. » il padre con tre ragazzi« verrät zu wenig vom Inhalt des M., zu dem ich kein vollständiges Seitenstück gefunden habe, nur mehrfache Anklänge (Wunderbörse und Wunderhorn) in der siz. Geschichte vom »Ciccu«, Gonzenbach, Nr. 30 und 31. – Bezüglich der wunderbaren Pfeife vgl. Köhler, S. 608, Stichwort »Wunderpfeife«. – Das Mot. von den schwarzen und weißen Feigen, die Hörner erzeugen und entfernen, findet sich in verschiedenen M.; mit ähnlicher Verwendung im ngr. M. aus Epirus, Gonzenbach, Nr. 65. Vgl. auch Köhler, Lit. zu Gonzenbach, Nr. 31, S. 223. – Teilweise Übereinstimmung, bzw. am Schluß, zeigt Gonzenbach Nr. 31.


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