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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Peggy wird freigegeben

Die goldene Freiheit verflog für Goring so rasch wie das Gold selbst, und an einem Sonnabend fuhr ein verlebt aussehender, hohläugiger Mann in einer Droschke an Nr. 70 der Bourkestraße vor. Der sonst immer wie aus dem Ei gepellte Charlie sah verwahrlost, heruntergekommen, gänzlich lebensmüde aus.

Peggy hatte eine leckere Mahlzeit bereit; das Zimmer war mit Waldblumen geschmückt, sie selbst mit einem Abendkleid, das ihn einst entzückt hatte. So stand sie wartend am Fenster. Dublin war zur Zeit leer und öde und sie freute sich dessen, denn jetzt hoffte sie, ihren Mann für sich zu haben. Sie freute sich auch, ihn von seinen Erlebnissen erzählen zu hören, erwartete, daß er in sehr gehobener Stimmung heimkehren werde, statt dessen war er mürrisch, abgespannt und einsilbig, nörgelte am Esten, an ihrem Anzug und gab kaum Antwort auf ihre schüchternen Fragen. Endlich nach Tisch wurde er etwas mitteilsamer.

»Solches Pech hab' ich im Leben noch nicht gehabt,« begann er. »Enormes Geld an Cosmo Swindell verloren, hoffte es beim Goodwoodrennen wieder 'reinzubringen, aber – wieder nichts. Das Wasser geht mir bis an den Hals!«

Peggy hatte derlei Klagelieder schon so häufig gehört, daß sie ihr keinen erschütternden Eindruck mehr machten.

»Diesmal geht's schief,« fuhr er fort. »All meine Papiere verkauft, meinen Grundbesitz in Brighton. Wenn ›Sonntagskind‹ nicht den Ledgerpreis gewinnt, bin ich fertig!«

»Was verstehst du unter fertig, Charlie?«

»Pleite, mein gutes Kind – ich habe meinen Kuchen, oder vielmehr zwei Kuchen aufgegessen. Begreifst du denn immer noch nicht? Nun, so höre! Du weißt, daß ich meiner Eltern einziges Kind war. Die Mutter starb mir sehr früh, der Vater konnte mich nicht leiden; er lebte im Ausland, ich in der Schule. Als ich Offizier und volljährig wurde, erhielt ich mein mütterliches Vermögen – nur zehntausend Pfund. Das hielt ein paar Jahre vor. Bei meines Vaters Tod bekam ich, wie ich dir sagte, dreißigtausend – über alles andere hatte er verfügt, allein zehntausend Pfund einem Tierschutzverein, nur mir zum Possen! Ein netter Anverwandter, hm? Nun und diese dreißigtausend Pfund sind nächstens alle, dann bin ich auf die Hauptmannsgage angewiesen – sechzehn Pfund im Monat! Davon soll ich mich und dich erhalten! Dann die Schulden – wie hoch sie sich belaufen, weiß ich kaum – kurz, ich muß den Dienst quittieren. Ist mir auch nicht leid darum! Ein elendes Regiment; der Oberst ein altes Weib, die Kameraden Milchsuppen! Da geht man einfach nach Amerika,« schloß er, die Asche von seiner Cigarre abstreifend.

»Und ... die Miete dieses Hauses und ... die Dienstboten?«

»Die Miete bleibe ich schuldig, das geht vollends in einem hin, aber Spielschulden sind Ehrenschulden, und wenn ›Sonntagskind‹ nicht gewinnt, bin ich kaputt.«

»O Charlie! Steht's denn wirklich so schlimm!« sagte Peggy, aufstehend und ihm die Hände auf die Schultern legend. »Komm', laß uns nachdenken, ob wir keinen Ausweg finden!«

»Weil du im Denken so stark bist!« warf er höhnisch hin. »Travenor wird wohl nicht herausrücken mit seinem Geldsack?«

»Ich fürchte, nein,« stammelte sie erschrocken.

»Natürlich!« rief er zornig.

Wie häßlich sie ihm jetzt vorkam mit den blassen Wangen, über die schwere Thränen rollten! Eine wahre Wut packte ihn. Wäre diese Frau nicht, er könnte irgend eine Millionärin heiraten – zehn an jedem Finger könnte er haben! Dieser unerträgliche Hemmschuh! Ein Bauernmädchen, ohne Geld, ohne Witz – nicht einmal mehr hübsch! Nie wagte sie ihm einen Vorwurf zu machen! Eine Frau, die sich gewehrt hätte, Scenen gemacht, wäre doch nicht so tödlich langweilig gewesen!

»Natürlich nicht,« wiederholte er. »Er war ja immer gegen diese Liebesheiraterei, was seinem Verstand alle Ehre macht.«

»O Charlie! Bereust du unsre Heirat?«

»Und wie! Wahnsinn war's! Ein Sommernachtsrausch! Wir passen ja zu einander, wie die Faust aufs Auge – das wirst du doch mittlerweile gemerkt haben? Eine Frau ohne Geist, ohne Humor, ohne Leben – und ich!«

Sie wandte nichts ein gegen dieses Urteil, sie zog nur ihre Hand von seiner Stuhllehne zurück, zuckend, als ob sie einen Schlag erhalten hätte.

»Hätt' ich dich doch nie gesehen!« fuhr er laut mit krächzender Stimme fort. »Kinloch ist an dem ganzen Unheil schuld!«

»Was soll er damit zu schaffen gehabt haben?« fragte sie, von wahrem Entsetzen gepackt.

»Eigentlich war's deine Schwester, die mir die Schlinge um den Hals gelegt hat. Dann winselte sie ihm etwas vor über dich und mich – als ob andre nicht auch ihre kleinen Liebeleien hätten! Ans Heiraten würde ich ja nie gedacht haben, hätte mich Kinloch nicht dazu gezwungen. Er stellte mir die Wahl: heiraten oder das Verhältnis aufgeben, sonst ...« er brach jäh ab.

»Sonst würde was geschehen?« fragte Peggy, Grauen im Blick.

»Er würde mich zu Grund richten! Eine alte Geschichte, die ich in Indien einmal angestellt habe, um mich aus einer Klemme zu ziehen, war ihm zu Ohren gekommen und er drohte, sie dem Regiment anzuzeigen – ich glaube heute noch, daß er's ausgeführt hätte!«

»O wenn ich davon eine Ahnung gehabt hätte!« stieß Peggy keuchend heraus. »Daß du mich nicht mehr liebst, wußte ich ja längst, aber nie, nie würde ich gedacht haben ...«

Die Stimme versagte ihr, aber nach einer Weile entrang sich ihren Lippen der Verzweiflungsschrei: »O daß ich frei wäre – oder tot!«

Damit riß sie die Thüre auf und entfloh.

Das Vorgefühl tragischer Ereignisse schwebte von da an zwei endlos erscheinende Wochen lang über dem Haus, und der Verkehr zwischen Mann und Frau war überaus peinlich und wurde aufs Aeußerste beschränkt. Goring, der sehr elend aussah, pflegte sein Frühstück schweigend hinunterzuschlingen, um für den übrigen Tag zu verschwinden, Peggy weinte sich fast die Augen aus und war dabei bestrebt, ihre Thränen vor der Unvergleichlichen zu verbergen. Ihre Beschäftigung bestand in Empfangnahme von Rechnungen, ja sogar Besuchen von Gläubigern und vergeblichem Grübeln über ihre eigene Zukunft.

Die Entscheidung sollte nicht lange auf sich warten lassen. An einem Mittwochabend zu Anfang September saß sie nähend in ihrem Wohnzimmer – Charlies Kleider mußten ausgebessert werden, ob die Liebe sich auch nicht mehr flicken ließ! Das Fenster stand weit offen, denn es war auch jetzt, gegen sechs Uhr, noch schwül, und draußen hörte man mit schriller Knabenstimme: »Extrablatt! Extrablatt!« rufen. Da wurde die Thüre hastig aufgerissen und Goring stürmte, ein Telegramm in der Hand haltend, mit verstörter Miene herein.

»Jetzt ist's aus!« sagte er mit heiserer Stimme. »Das Ledgerrennen vorbei, ›Sonntagskind‹ ist beim zweiten Hindernis zusammengebrochen – ich bin zu Grunde gerichtet! Es hat sich ja lange vorbereitet, nur konnte ich's immer noch von mir schieben. Dieser Kerl, der Graf, hat mir Tausende abgenommen, ebenso Tarr. Jetzt ist der Krach da – morgen reiche ich meinen Abschied ein.«

Er ging wie ein Rasender im Zimmer auf und ab.

»Im Regiment wird eitel Freude sein, sie halten mich ja doch für das schwarze Schaf! Meine Poloponies und Renner kann ich gut verkaufen, die Wohnung habe ich auf Sonnabend gekündigt. Collins packt schon meine Sachen.«

»Und all die Rechnungen?« fragte Peggy, die ihn bisher ganz blöd angestarrt hatte.

»Die kleinen macht man mit einer Zehnpfundnote ab, die großen können warten – Ehrenschulden gehen vor.«

»Und« – es war nur ein scheues Flüstern – »was soll aus mir werden?«

»Ja, ja ... darauf wollte ich eben zu sprechen kommen ... ich ... ich habe dir nämlich etwas zu sagen, hm!« – er räusperte sich – »wie war's doch nur? Ja ... du sagtest ja neulich, du möchtest nur frei sein – nun wirst du mit Freuden hören, daß dieser Wunsch schon in Erfüllung gegangen ist.« Er legte die Arme auf die Rücklehne eines Schaukelstuhls, faßte Peggy scharf ins Auge und sagte klar und deutlich: »Du bist frei!«

»Ich ... ich verstehe dich nicht .... Wie kann das sein? Wieso bin ich frei?«

»Aus dem triftigen Grund, daß ich noch eine Frau habe!«

Peggy schleuderte ihre Arbeit fort und sprang so heftig auf, daß er förmlich zurückprallte.

»Erkläre mir das!« rief sie scharf und schrill.

»Das will ich,« versetzte er, wieder rastlos hin und her gehend. »Du wirst dann sehen, daß ich der richtige Bösewicht bin, wie er im Bilderbuch steht! Als ich in Indien war, vor Jahren, in einem gottverlassenen Nest, da riet mir der Teufel, aus reiner Langeweile einen dummen Streich zu machen. Ich sah das Mädchen auf einem Unteroffiziersball – sie war die Tochter eines Lokomotivführers, frisch aus der Schule, sechzehn Jahre alt, mit einem Paar wundervoller Augen und einem Lächeln – zum Tollwerden; daß sie eine wilde Katze war und die Mutter, ein Halbblut, der Teufel in Person, das sah ich damals nicht. Der kleine Käfer packte mich an meiner schwachen Seite, und ich machte sie zu meiner Frau – Fernanda Jerkins hieß sie. Wir hielten unsre Ehe geheim. Das Regiment wurde dann nach Burma versetzt, wohin ich sie nicht mitnehmen konnte. So blieb sie bei der kaffeebraunen Frau Mama, und ich setzte ihr fünfzig Rupien im Monat aus. Als ich nach meines Vaters Tod bekam, was er mir nicht vorenthalten konnte, machte ich einen Vertrag mit ihr und zahlte ihr fünfzehntausend Rupien aus unter der Bedingung, daß sie nichts mehr von sich hören lasse. Später hörte ich aber doch etwas von ihr, nämlich daß sie an der Cholera gestorben sei, was aber nicht richtig war. Sie lebt, hat erfahren, daß ich verheiratet bin, und droht, nach England zu kommen und ihre Rechte geltend zu machen. Irgend ein gottverfluchter Advokat wird der Geschichte einen Stiel drehen und ich werde blechen sollen, denn um mich ist's ihr nicht zu thun, nur um Geld. Natürlich habe ich kein Geld für sie, da ich selbst nichts mehr habe, aber meine Frau ist sie nun einmal.«

»Und ... was bin ich?« stieß Peggy mit heiserer Stimme heraus.

»Es thut mir natürlich furchtbar leid für dich,« sagte er, ihrem Blick ausweichend, »aber meine Schuld ist das wirklich nicht. Ich war vollkommen überzeugt, daß sie tot sei, und glaubte in vollem Ernst, dich zu heiraten – nun sind wir beide in der Patsche. Immerhin – du bist erst zwanzig Jahre alt und hast das Leben vor dir. Ich gebe den Dienst so wie so auf und über die Geschichte wird mit der Zeit Gras wachsen.«

Er hielt inne. Peggy wollte sprechen, aber sie brachte keinen Laut heraus, nur ihre Lippen verzerrten sich.

»Zu deinem Schwager möchtest du nicht?«

Eine leidenschaftliche Gebärde der Abwehr war Peggys ganze Antwort.

»Nun ich will sehen, daß ich dir vorläufig wöchentlich etwas gebe – du bist hübsch, hast eine gute Stimme, du könntest es ja mit der Bühne versuchen? Ich will dir jetzt fünfundzwanzig Pfund geben und dann zehn Schilling für die Woche vierteljährlich ausbezahlen.«

Peggy stand starr und stumm vor ihm. Er fragte sich im stillen, ob sie am Ende geisteskrank oder blödsinnig geworden sei.

»Freut mich, daß du die Sache so kühl aufnimmst,« fuhr er fort. »Das ist weitaus das Vernünftigste. Je weniger man sich aufregt, desto eher bringt man die Sachen ins Lot. Im Grund taugten wir ja auch gar nicht zusammen. – Vor fünfzehn Monaten war ich ja freilich bis über die Ohren in dich verliebt, aber Liebe geht vorüber wie ein Gewitter! Darüber wären wir im klaren,« setzte er aufatmend hinzu. »Bis morgen kannst du dir wohl irgend einen Plan ausdenken – sage mir dann, was du thun willst. Länger als Sonnabend kannst du nicht hier bleiben.«

Das bleiche, starre Gesicht berührte Goring ein wenig unheimlich, und er machte sich eilig aus dem Staub.

Als er hinaus gegangen war, schleppte sich Peggy zum nächsten besten Stuhl und sank hinein. Das Zimmer, nein, die ganze Welt schien sich im Wirbel um sie zu drehen. – Was war sie? Wer war sie? Wo sollte sie ihre Schmach verbergen? Ihr war, als ob der Himmel über sie hereingefallen wäre und sie zermalmt hätte.

Sie drückte die Augen zu, hielt sich am Tisch fest und suchte ihre Gedanken zu ordnen. Sie mußte ja jetzt allein für sich denken, hatte niemand mehr auf der weiten Welt.

Vor allen Dingen mußte sie die Thatsache begreifen, daß nicht sie, sondern jene schwarzäugige Lokomotivführerstochter Gorings Frau war, und daß Goring froh war, sie los zu sein.

Sie war jetzt eine Geächtete, ein Paria der Gesellschaft, eine Person, der nicht einmal die vorurteilslose Frau Catchpool gestatten würde, an ihrem Tisch zu sitzen.

Und doch – trotz all dieser Düsternis von Schmach und Schande regte sich im geheimsten Grunde ihres Herzens ein Gefühl der Befreiung und Erleichterung, vor dem sie freilich selbst erschrak. Ganz allmählich waren ihr ja die Augen aufgegangen für Gorings Selbstsucht, Niedrigkeit, Frechheit und Grausamkeit – der Mord ihres Kätzchens, ein scheinbar so unwichtiges Ereignis, hatte den Tod des größten Herrschers, der Liebe, nach sich gezogen.

Ach, wenn Hanna das wüßte! Und Travenor! Niemals im Leben konnte sie seinem ehrlichen, strengen Blick wieder begegnen. Und das Dorf, das in Aufruhr geraten war über ihre vornehme Heirat, sich geehrt gefühlt hatte in ihr!

Nein, nein, sie mußte sich verkriechen vor aller Welt, einen Unterschlupf suchen wie ein waidwundes Tier! Ihre Gedanken wanderten an die grünen Ufer des Liffey, dort bei Lakagh, die leise rauschende klare Flut lockte sie wie mit Zauberkraft. – Aber nein, nein! Das wäre feig und könnte auch andre betrüben. Kathleen Hesketh, die jetzt gerade ihre kranke Mutter pflegte, und Hans Travenor, die würden sich entsetzen und noch einer in weiter Ferne, in dem geheimnisvollen Märchenland Indien – Geoffroy Kinloch.

Eine heiße schuldbewußte Röte färbte die Wangen der einsamen Frau – ja, er hatte sie lieb, er würde um sie trauern!

Nein, sie wollte nicht verzweifeln, wollte der Zukunft ins Auge sehen, ihr Schicksal ertragen und erwarten. – Ganz insgeheim flüsterte eine Stimme, daß der Zwanzigjährigen auch noch Glück beschieden sein könnte.

Aber zu einem Entschluß mußte sie kommen, und zwar gleich, so ungewohnt und so verhaßt es ihr auch war, Entschlüsse zu fassen. Sie konnte doch nicht zu Frau Vallancy gehen und ihr sagen, daß sie Gorings Frau nicht sei und keinen roten Heller habe? Ihre andern Bekannten waren zur Zeit nicht in Dublin, und was sollte sie fremde Menschen mit ihren Sorgen beschweren? Nein, sie mußte auf sich selbst stehen und den Blick nach England richten – da hatte sie ja eine alte Freundin, Nancy Belt, zu der wollte sie gehen. Trotz aller Anwandlungen, den Kohlenhändler und die Gemüsefrau davon zu bezahlen, hatte sie immer noch zehn Pfund von Hannas Geschenk übrig, vielleicht, daß ein Vorgefühl kommenden Unheils sie veranlaßt hatte, diesen Sparpfennig festzuhalten. Sie wollte ihre Siebensachen zusammenpacken, nur ihr persönliches Eigentum, ihre Reisetasche, Kinlochs Hochzeitgeschenk, zur Hand nehmen und alles andre hinter sich lassen. – Und Charlie?

Den Charlie, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, den hätte sie nicht verlassen können, ohne daran zu verbluten, aber den ruchlosen Spieler, den sie jetzt kannte, den wollte sie nie wiedersehen, keinen Pfennig aus seiner Hand würde sie anrühren.

Peggy saß stundenlang im Dunkeln, und die Dunkelheit und Stille verhalfen ihr zu innerer Ruhe und Wiederherstellung des schwer erschütterten Gleichgewichts. Endlich nach acht Uhr kam Lizzie herein, um das Gas anzuzünden.

»Gott steh' mir bei, gnädige Frau!« rief sie, als die Flamme aufflackerte. »Um ein Haar hätte ich Sie für einen Geist gehalten! Ist Ihnen übel? Haben Sie Schmerzen ... oder ist ein furchtbares Unglück geschehen?« fragte sie, besorgt näher tretend.

»Ich bin nicht krank, Lizzie, danke,« erwiderte eine Stimme, die Peggy selbst fremd vorkam. »Aber ich habe ...« – sollte sie sich dem Mädchen anvertrauen? Nein! – »etwas erfahren, was mich sehr angegriffen hat.«

»Das thut mir aber leid, gnädige Frau ... Ihnen wäre wohler, wenn Sie sich recht ausweinen könnten, glauben Sie mir,« sagte Lizzie, das starre Gesicht ihrer Herrin erforschend, »nichts thut einem so wohl, als wenn man sich satt weint.«

»Dieses Mittel hilft mir nicht! Wir werden Dublin verlassen, – Hauptmann Goring will seinen Abschied nehmen, und – das kann ich Ihnen ja wohl sagen – wir haben Zwistigkeiten.«

»Kein Engel vom Himmel käme mit dem aus!« rief Lizzie mit Ueberzeugung. »Ich bin in einem Hotel gewesen und bei einer Zimmervermieterin, die Kunstreiter aufnahm, aber so ist's doch nicht zugegangen dort!«

»Ich reise sofort ab, Lizzie.«

»Auf immer?«

»Auf immer.«

»Gott sei Dank, daß Sie so weit sind!«

»Ich kann nicht bleiben aus Gründen, die ich Ihnen nicht erklären kann« ...

»Aber ich kann sie mir erklären, meiner Seel'! Vor allen Dingen aber müssen Sie einen Bissen essen?«

»Nein, nein, Lizzie, ich könnte nichts über die Lippen bringen.«

Peggy stand auf und ging in ihr Schlafzimmer, steckte das Gas an und machte sich ans Werk. Sie zog ihren Koffer herbei und begann einzupacken, keins von den Prachtgewändern, kein phantastisches Theekleid, nur ihre Trauerkleider, ein paar Röcke aus der Mädchenzeit, Hannas kleine Schätze und ihre Bücher. Sie schloß und verschnürte alles eigenhändig, zog Reisekleid und Mantel an und ging hinunter. Auf halbem Weg kam ihr Lizzie mit dem unvermeidlichen Theebrett entgegen.

»Nun, wenn's denn sein muß – stellen Sie den Thee ins Eßzimmer!« rief Peggy, unwillkürlich lächelnd.

Sie ging jetzt ins Wohnzimmer und sah sich um. Da stand eine Photographie von Kathleen mit ihren beiden Knaben, eine von Frau Vallancy mit ihren Pudeln und Hauptmann Kinlochs einsames Konterfei. Die nahm sie an sich und ein Buch, das ihr Frau Timmins geschenkt hatte, desgleichen. Vor ihrer Erinnerung tauchte so mancher frohe und unfrohe Augenblick auf, den sie in diesem Raum erlebt hatte. Leise, als ob ein Toter drinnen läge, drückte sie beim Hinausgehen die Thür ins Schloß.

»Ist es menschenmöglich, daß Sie zu nachtschlafender Zeit fort wollen?« fragte Lizzie ungläubig, als sie jetzt ins Eßzimmer trat.

»Ja; mein Koffer, meine Tasche und Hutschachtel stehen bereit. Bitte holen Sie mir meinen Schirm aus dem Schirmständer in der Halle! Das blaue Alpakakleid lasse ich für Sie zurück und hier ist eine Guinea, nicht als Lohn, sondern als Geschenk.«

Es war Peggy, als ob sie eine ganz andre Person sprechen hörte.

»O gnädige Frau! Ihre Photographie wäre mir lieber als Geld, und bis an der Welt Ende würde ich mit Ihnen gehen – durch dick und dünn!«

»Es thut mir auch weh, mich von Ihnen zu trennen, Lizzie, aber mitnehmen kann ich Sie jetzt nicht.«

»Das sehe ich ein – aber Sie schreiben mir doch?«

»Gewiß, und da fällt mir ein, ich muß ja Ihnen und der Köchin ein Zeugnis ausstellen,« sagte Peggy, sich gleich zum Schreiben niedersetzend. »Frau Hesketh wird Ihnen gewiß zu einer guten Stelle verhelfen.«

»Danke schön, gnädige Frau! Aber wenn ich von Ihnen fort muß, ist mir's nicht mehr um eine Stelle zu thun.«

»Ja, was haben Sie denn im Sinn, Lizzie?«

»Ach, gnädige Frau – ich will's Ihnen nur sagen – Collins und ich, wir wollen uns heiraten. Er ist solid und sparsam und ein tüchtiger Koch.«

»O Lizzie, das freut mich! Möget ihr recht glücklich werden! Wohin kann ich Ihnen denn schreiben?«

»Feldwebel Bullens seine Frau ist Geschwisterkind mit ihm – wenn Sie an die schreiben wollen, krieg' ich's immer. Und darf ich um Ihre Adresse bitten, gnädige Frau?«

»Die ist mir selbst noch unbekannt.«

»O Gott, o Gott! Sie wissen nicht einmal, wo Sie hingehen! Das ist ja gräßlich! So lass' ich Sie nicht fort.«

»Es wird schon recht werden, Lizzie! Ich schreibe Ihnen gleich, sobald ich eine Heimat habe. – Und jetzt holen Sie mir auf der Stelle einen Wagen,« setzte sie rasch hinzu, »denn ich muß fort!«

Ein leidenschaftliches Verlangen, diesem muffigen Haus zu entkommen, jedem bekannten Gesicht zu entgehen, sich unter fremde Menschen zu flüchten, war Peggys oberstes Gefühl.

* * *

Heiße Thränen überströmten Lizzies Gesicht, als sie dem Wagen nachsah – es war ein Jarvey, die »ihre Frau« so gern hatte – und ihr Blick ließ nicht von der schmalen dunkeln Gestalt, die mehrmals zurückwinkte, bis der Wagen um die Straßenecke bog.

Goring hatte im Klub gespeist und kam für seine Gepflogenheiten zeitig nach Hause, da er noch Briefe durchsehen und vernichten wollte. Er klingelte im Rauchzimmer nach Licht und fragte, als Lizzie hereinkam: »Gnädige Frau schon zu Bett?«

»Nein, Herr Hauptmann, aber fort – fort für immer.«

»Was zum Kuckuck soll das heißen?«

»Was ich sage. Sie hat ihren Koffer gepackt, ich mußte ihr einen Wagen holen, und um neun Uhr ist sie fort.«

Die Unvergleichliche brach in Schluchzen aus.

»Das ... soll ... ich Ihnen ... geben,« stöhnte sie, einen Briefumschlag auf den Tisch legend.

Als Goring ihn aufriß, fiel Peggys Trauring heraus. Lizzie starrte in fassungslosem Staunen darauf hin.

»Gut,« sagte er, den Ring gelassen an seinen kleinen Finger steckend. »Sie können gehen.«

So hatte Peggy die Sache aufgefaßt? Er hatte stürmische Scenen erwartet, statt dessen dieser würdevolle Abgang! Wahrhaftig – alle Achtung! Wenn sich doch alle Weiber so leicht abschütteln ließen.


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