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Vierunddreißigstes Kapitel.
Die Post aus England

Hauptmann Kinloch saß in einem weißgetünchten Bungalow, den er mit seinem Regimentskameraden Yorke teilte. Er hatte sich vor vierzehn Tagen bei seiner Truppe, dem zweiten Scharfschützen-Bataillon, eingefunden, das in einer sehr angenehmen Station am Fuße des Himalayas kantonierte. Zudem fing gerade die kühle Jahreszeit an, wo vorsichtige Leute auf den Hügeln ihre Decken vorsuchen und die von Hitze und von Regen Erschöpften das Leben wieder lebenswert finden.

Als jüngst angekommener Europäer hatte Kinloch die Pflicht, gesellschaftliche und militärische Neuigkeiten auszukramen, und nun war eben die Post von England eingetroffen, die ihm überraschende Neuigkeiten brachte. Sehr angenehmer Art konnten sie nicht sein, denn Kinloch saß schon eine Viertelstunde regungslos da und starrte ins Leere.

Der vor ihm liegende Brief stammte von Hauptmann Hesketh und enthielt folgende Stelle:

»Bei Gorings ist's endlich zum Krach gekommen, was weder Ueberraschung noch Leidwesen hervorrief, höchstens bei seinen Gläubigern! Das Regiment darf sich nur freuen, ihn los zu sein, aber wir sind sehr bekümmert um seine Frau. Sie ist auf geheimnisvolle Weise aus Dublin verschwunden, ohne auch nur eine Zeile für Kathleen zu hinterlassen. Allerhand Gerüchte schwirren durch die Luft. Man hat mit Bestimmtheit erfahren, daß sie nicht zu ihren Verwandten zurückgekehrt ist, auch wissen ihre Dienstboten gar nichts, und so liegt die Vermutung nah und es wird auch allgemein angenommen, daß die Aermste in ihrer Not im Fluß Zuflucht gesucht und – gefunden habe.«

»Und warum nicht?« fragte sich Kinloch, dem Peggys Wort »ein verführerisches Wasser« noch im Ohr klang.

Sein Hausgenosse Yorke, der ihn in seinem dumpfen Brüten über diesen Brief beobachtet hatte, verbreitete die Kunde, Kinloch müsse schlechte Nachrichten von daheim erhalten haben, und es machte wirklich den Eindruck, als ob er jemand nachtrauere, obwohl kein schwarzer Kreppstreifen an seinem linken Arm zum Vorschein kam. An eine Herzensgeschichte dachte niemand. – Kinloch fragte ja nichts nach Damen!

Die nächste Post aus England brachte einen Brief von Kathleen Hesketh, wesentlich geschäftlichen Inhalts. Sie kündigte ihre Ankunft in Indien an und bat Kinloch, Dienstboten für sie zu besorgen. Endlich aber stieß sein angstvoll suchender Blick auf Wichtigeres – da stand:

»Es wird Dich interessieren, daß Frau Goring lebt und offenbar ganz munter ist! Der Liffey hat sie also nicht in seine Tiefen gezogen, was ich auch nie geglaubt habe, denn einmal ist sie sehr religiös und dann pflegen Selbstmörder doch kein Gepäck mitzunehmen. Ihre Jungfer hatte mir doch unter heißen Thränen die Abreise mit Koffer und Hutschachtel beschrieben. Jedenfalls aber war sie spurlos verschwunden, bis ich heute aus London ein Briefchen von ihr erhielt, worin sie schreibt, daß sie von Goring für immer getrennt sei (wer oder was ihr wohl die Augen geöffnet haben mag?), daß sie mich nie im Leben vergessen werde, daß ich aber sie vergessen solle, daß sie mir für alle Güte danke und ewig bleibe meine ›dankbare Peggy‹. – Nur Peggy, sie scheint also sogar seinen Namen nicht mehr zu führen.

 

»Ich bin aber trotz allen Mitleids wütend über sie! In Dublin war ich freilich nicht, als das Unheil losbrach, aber sie hatte meine Adresse und hätte wissen können, daß ich mit dem ersten erreichbaren Zug zu ihr geeilt wäre! Was heißt denn Freundschaft, wenn man sich ihrer im Unglück nicht erinnert? Goring soll in San Francisco einen Spielsalon eröffnet haben, ist also ›seinen Fähigkeiten gemäß‹ beschäftigt!

»Hoffentlich geschieht irgend etwas, um den Marschbefehl zu verzögern, damit wir wenigstens bis Februar hier bleiben können, denn es wird mir furchtbar schwer, die Jungen zurückzulassen.

Deine Kathleen Hesketh

 

Major Hesketh und Frau trafen erst Ausgangs der kalten Jahreszeit in Bogalpore ein. Die Garnison hatte eine sehr angenehme Zeit verlebt; in der Nähe war ein Uebungslager aufgeschlagen worden und die Manöver waren anregend gewesen, ohne anstrengend zu sein. Daneben hatte man allerlei Sport getrieben und von den Bergen hatte es, als die Kälte anfing, hübsche junge Mädchen geregnet. Hauptmann Kinloch war bei Arbeit und Spiel mit Leib und Seele; er fand die Manöver interessant und gab sich wirklich Mühe, auch die jungen Damen interessant zu finden. Er hatte sie auch ganz gern und sie ihn, nur vergaß er sie sofort, wenn er im Dienst war, und die einzige, die er mit dem besten Willen nicht vergessen konnte, war und blieb Peggy Goring.


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