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Zweiunddreißigstes Kapitel.
Auf Wiedersehen

Nach dem Frühstück und der Morgenandacht ging Fräulein Serle mit ihrem jungen Gast in den Garten, und sicher geborgen in einen Urwald von Sonnenblumen machte sie ihr einige Geständnisse.

»Ich kann mir nicht denken, was aus dem Obst und den Gemüsen hier wird! Sie reichen kaum für meinen Tisch, und was ich bekomme, ist unreif oder faul – die Vögel sind wohl schuld daran?«

»Vögel und Katzen haben hier viel auf dem Gewissen,« bemerkte Peggy lächelnd, »aber in diese Gewächshäuser kommen sie doch nicht hinein, da ist ja prachtvolles Obst.«

»Ich fürchte, Simnons treibt Handel damit,« gab Fräulein Serle wehmütig zu. »Frau Lumley behauptet immer, ich werde schamlos hintergangen. – Essen Sie gern frische Feigen?«

»Leidenschaftlich gern!«

»Ich auch! Am Ende kann ich einige aufsparen, bis Sie wieder kommen.«

»Liebe Fräulein Serle, ich fürchte, ich werde nicht wieder kommen, so gern ich's möchte!«

»Und bitte, warum nicht?«

»Ich glaube nicht, daß Sie mich noch einladen werden, wenn Sie mehr von mir wissen.«

»Sie sind nicht aus guter Familie?«

»Doch, aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich nicht meinen wahren Namen führe, daß ich eine Vergangenheit habe.«

»Eine Vergangenheit!«

Die alte Dame blieb stehen und sah mit leise geröteten Wangen und erschrockenen Augen zu ihrer schlanken Begleiterin auf. In ihrem armseligen Anzug und mitten in dem verwilderten Garten umgab sie eine seltsame Würde.

»Ich brauche Ihre Vergangenheit nicht zu kennen,« erklärte sie nach längerem Schweigen. »Ich habe Sie lieb um Ihrer selbst willen.«

»Aber ich muß sprechen, damit Sie entscheiden können, ob Sie mich unter Ihrem Dach dulden oder nicht.«

»Gut! Wenn Sie müssen ... wir wollen uns in das alte Gartenhaus setzen, da stört uns niemand.«

Und Peggy erzählte kurz und schlicht ihre Lebensgeschichte.

»Eine Summerhayes von Summerford ist so gut wie eine Serle von Serlewood, dieser Goring aber ist ein Ruchloser, der Prügel und den Strick verdiente!« rief Fräulein Serle, mit dem Fuß – natürlich im Gummischuh – stampfend. »Und solch ein Kind, solche Erfahrungen! Einen Liebhaber, einen Mann, ein eigenes Heim gehabt und jetzt Ladnerin sein – alles mit zwanzig Jahren! Und ich dagegen – mit siebzig Jahren nichts erlebt haben als Todesfälle!«

»Um meine Erfahrungen wird mich wohl niemand beneiden,« versetzte Peggy, betroffen von dieser Wirkung ihrer Geschichte.

»Nun, Sie haben wenigstens gelebt, in der Welt gestanden, geliebt und wohl auch gehaßt; Sie haben Glück und Schmerz empfunden, Sonnenschein und Sturm. Mein Leben gleicht einem langweiligen Buch in langweiligem Einband. Was für ein Roman ist dagegen das Ihrige!«

»Und nun Sie diesen Roman kennen, werden Sie ...«

»Habe ich Sie noch einmal so lieb wie vorher!« fiel die alte Dame ihr ungestüm ins Wort. »Und ist das alles?«

»Alles, was mich betrifft,« sagte Peggy mit Vorbehalt, denn die Rolle, die Fräulein Serles Neffe darin spielte, hatte sie ja unterschlagen. »Jetzt muß ich aber allen Ernstes an die Abreise denken, ich kann, gut zu Fuß nach Yoxby kommen.«

»Das wird nicht geschehen! Ich habe das Frühstück auf halb zwölf Uhr bestellt und nachher bringe ich Sie selbst im Wagen zur Bahn. Wann können Sie wieder Urlaub bekommen?«

»Ich glaube im August.«

»Und den bringen Sie hier zu! Das steht fest.«

Auf dem Bahnhof wurde Peggy einer sehr eleganten Dame vorgestellt, einer Frau Lumley, die im selben Zug fuhr und staunend mit ansah, wie innig Fräulein Serle ihren Gast beim Abschied küßte.

»Man sieht selten Gäste in Serlewood, geschweige denn junge Damen! Sie sind wohl eine Verwandte?« fragte die Dame, als der Zug in Bewegung war.

»O nein, nicht im entferntesten.«

»Waren Sie längere Zeit in Serlewood?«

»Nein, ich kam erst gestern nachmittag hin.«

»Ach so ... soviel ich weiß, dulden die Dienstboten keine Gäste. Ein wunderlicher Haushalt, nicht?«

»Ja, besonders die Tischglocke für die Katzen!«

»Eine liebe alte Seele, diese Fräulein Serle, dabei ungeheuer reich und wohlthätig. Für sich die Anspruchslosigkeit selbst, verwöhnt sie ihre Leute schrecklich! Serlewood ist eigentlich ein märchenhaftes Invalidenhaus.«

»Sie muß ein sehr einsames Leben führen.«

»O, daran ist sie gewöhnt, aber schade ist's um die liebe Seele, das wäre eine ideale Großmutter! Wohnen Sie in Barminster?«

»Ja, gnädige Frau.«

»Ich fahre hinein, um Einkäufe zu machen. Bei Grey & Lavender ist Ausverkauf, waren Sie auch schon dort?«

»O ja! Ich bin in diesem Geschäft angestellt.«

»Angestellt? Sie sind ... ein ... Ladenfräulein?« fragte Frau Lumley in beinah tragischem Ton.

»Gewiß, ich bin bei den Blumen und Bändern und werde gnädige Frau mit Vergnügen bedienen.«

Ein langgezogenes »O« war die einzige Antwort, und dann fesselte die Politik Frau Lumleys Aufmerksamkeit derart, daß sie bis Barminster nicht mehr von ihrer Zeitung aufsah.

Bei Grey & Lavender war das Gedränge so groß, daß Peggy nur mit Mühe an ihren Posten gelangte. Trotzdem stand Herr Sharples alsbald neben ihr, fragte, ob die alte Dame sich beruhigt habe, wie sie denn lebe und dergleichen.

»Was? Wagen und Diener, ein Schloß – ja ja, ich höre, sie soll ungeheuer reich sein. Es war ein recht ungeschickter Irrtum, aber der Schein war gegen sie. Gegen Sie war sie freundlich?«

»Sehr, ich soll sogar meine Ferien bei ihr zubringen.«

»Das läßt sich hören! Scheint sich ja in Sie vergafft zu haben. Geht übrigens andern ebenso,« tuschelte er ihr ins Ohr. »Samtpensées, gnädige Frau? Bitte, Platz zu nehmen. – Fräulein Hayes, Samtblumen!«

In der »Kaserne« mußte Peggy haarklein berichten, wie es ihr ergangen war. Nan Belt setzte sich auf ihr Bett und munterte sie durch Fragen zur größten Ausführlichkeit auf. So beschrieb sie denn Haus und Park, mimte Darling und den schlurkenden Pulsifor, schnitt aus einem Bogen Papier das Ebenbild ihrer Nachthaube und stellte sich darin vor. Der Beifall war ehrlich und stürmisch und einige meinten, wie Hauptmann Goring, Peggy solle doch zum Theater gehen!

Als ihnen aber Peggy dann das alte Fräulein selbst schilderte in ihrer Kindlichkeit, Herzensgüte und Verlassenheit, war die junge Schar fast bis zu Thränen gerührt und man nahm sich ernstlich vor, von nun an schäbig gekleidete alte Frauen mit wahrer Hingebung zu bedienen.

Indessen verging Woche auf Woche ohne ein Lebenszeichen von Serlewood Park. Die Hitze, der Staub und das rohe wenig lockende Essen machten sich Peggy sehr fühlbar. Auch im Geschäft herrschte in der Saurengurkenzeit Mißmut. Nach dem Ausverkauf waren viele Entlassungen erfolgt, die Mädchen waren verstimmt und reizbar, peinlicher aber waren für Peggy Herrn Sharples' Aufmerksamkeiten. Er steckte immer in der Blumenabteilung, sagte ihr laut und leise Schmeicheleien, und nur die Angst, ihre Stelle zu verlieren, hielt sie ab, den Allmächtigen gebührend abzufertigen. Der Linoleumjüngling hatte ihr schriftlich Herz und Hand angetragen und seinen Korb mit würdiger Ergebung entgegengenommen.

Endlich, Ende August, kam ein Briefchen aus Serlewood.

 

»Liebe Peggy!« schrieb Fräulein Serle. »Ich hatte gehofft, Sie viel früher bei mir zu sehen, aber Pulsifors Gehilfe wurde schwer krank und es war schwierig, einen geeigneten Nachfolger für ihn zu finden. Als wir endlich eine sehr glückliche Wähl getroffen hatten, bekam Pulsifor selbst einen Gichtanfall; doch ist er jetzt wieder auf den Beinen, und obwohl Darling über Schmerzen auf der Brust klagt, bitte ich Sie herzlich, jetzt zu mir in Urlaub zu kommen und zwar am nächsten Mittwoch. – Wenn nötig, will ich bei Grey & Lavender selbst um Urlaub für Sie bitten. Ich hoffe sehr, daß Sie am Mittwoch kommen, denn am Donnerstag soll unser alljährliches Schulfest im Park stattfinden. Ich werde auf den Zweiuhrzug an der Bahn sein.

Herzlichst Ihre

Sophie Amalie Serle.«

 

Sharples streckte die Hand nach dem Brief aus und las ihn mit wahrer Andacht.

»Natürlich können Sie. gehen,« bestimmte er. »Die Dame nennt Sie ja beim Vornamen! Der haben Sie's angethan! Sollte mich nicht wundern, wenn sie im Sinn hätte, Sie, an Kindesstatt zu nehmen!«

Aber mich – sie hat Verwandte!

»Nun, dann bekommen Sie jedenfalls ein schönes Legat! Hoffentlich werden Sie nicht zu übermütig ... Nach Ihrer Rückkehr möchte ich um eine Unterredung unter vier Augen bitten,« setzte er mit einem verzehrenden Blick hinzu.

Peggy wurde bleich und griff hastig nach einem nicht verlangten Kasten. – Diese Aussicht machte den Gedanken an die Rückkehr höchst peinlich.


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