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Ein Vorwort

 

»Besinnungslos und bleich,
Am Fußgestell der Isis ausgestreckt,
So fanden ihn am andern Tag die Priester.
Was er allda gesehen und erfahren,
hat seine Zunge nie bekannt.«

 

So sagt Schiller von dem Jüngling, der in über mächtigem Trieb von dem verhüllten Bild der Wahrheit den Schleier riß.

Wir haben gelernt, uns zu bescheiden, wir alle, die »des Wissens heißer Durst« von Erkenntnis zu Erkenntnis treibt, haben eingesehen, daß die absolute Wahrheit in ewiger Ferne thront; daß die menschliche Befriedigung dieser Sehnsucht im Vorwärtsschreiten, Fuß um Fuß, liegt; daß immer neue Tiefen und Höhen dem langenden Blick sich öffnen müssen, die keine Grenze schließt und keine Schranke. Dies Suchen und Finden und von neuem Suchen und von neuem Finden ist unsere Seligkeit, ist unser Paradies und unsere Ewigkeit.

Probleme aber gibt's, die wir mit den Händen fassen, die wir sezieren können, und die doch immer wieder in überraschenden, nie gekannten Farben schillern. Solch ein Rätsel in trautester Erdenwirklichkeit ist das Weib. – Es ist neuerdings von gewissen Seiten, deren Stärke mehr aus dem Gebiete der Soziologie und Psychologie liegt, behauptet worden, daß das Erotische und mithin das Weib, Stoff und Inhalt aller Kunst sei und gewesen sei. Sicher ein großer Irrtum. Denn – wie wenig hat z. B. mit diesem Problem die ganze Produktion Friedrich Schillers zu tun! Daß aber die Liebe und somit das Weib als Subjekt und Objekt der Leidenschaft immer wieder Gegenstand der Kunst ist, liegt auf der Hand und ist, bei der überragenden Bedeutung der Erotik für alles Menschliche, selbstverständlich. Das Weib mit seiner Liebe und seinen Trieben als ewig rätselhafte Sphinx ist auch das Thema des Romans in diesem Bande, nicht, wie einer der Interpreten Max Kretzers gemeint hat, die pathologische Frage des Erinnerungsvermögens eines Scheintoten. Dies Problem ist für Max Kretzer nur die Unterlage einer tieferen Symbolik.

»Die Sphinx in Trauer« gehört zu den neueren Werken des Autors. Als er es schrieb, lag die Zeit schon hinter ihm, in der er von quälendem Mitleiden mit allen Armen und Elenden und unterstützt von einer ungewöhnlichen Beobachtungsgabe, breite Zustandsbilder der modernen Gesellschaft schuf. Ihn hatte, wie so viele Schriftsteller unsrer Zeit, sein starkes Talent aus sozialer Tiefe in die Literatur emporgetragen. Seine ersten Romane zeigten noch den Einfluß des »jungen Deutschland«, die dann folgenden besonders den Zolas. »Die Sphinx in Trauer« aber bietet, wie schon der »Holzhändler«, ein um vieles künstlerischeres Gesicht, hier wirft der im glühenden Kampf gegen alles Feige, Niederträchtige, Gemeine, Brutale und Unwahre herangereifte Autodidakt die urewige Frage auf, die der Mann dem Weib durch Jahrtausende hindurch entgegenhielt: wie bist du wirklich, und wie versteh' ich dich? – Der Einfluß des größten Dichters und weisen nach Goethe, der Einfluß Ibsens, der grübelnd in das Wesen der Dinge bohrte, ist in diesem Buch Max Kretzer nicht fremd geblieben. Und zu lernen von einem Gewaltigen, bleibt immer krönendes Verdienst.

Ja, wir besitzen es alle, dies Rätsel: Weib, wir können es in liebenden Armen halten, es an uns pressen, und unsere Leidenschaft auf ihm spielen lassen, wie auf einem klingenden Instrument. Aber es in seinem tausendfältigen Sein ganz zu erfassen, gelingt uns nicht. Die mephistophelische Weisheit, es sei des Weibes Weh und Ach aus einem Punkte zu Kurieren, war bequemes Höllenblendwerk und konnte wahrhaftig nur dem naiven Stubengelehrten einleuchten. Des Mannes Seele ist einfach in ihren Trieben, fein organisiert für alles Wollen und verstehen, für alles handeln und Schaffen. Darum ist er der Könner und Künstler, der tätige Sieger, Wahrheitskünder und Erfinder. Das Weib aber birgt in der Tiefe ihrer Seele die Elemente aller organischen Instinkte, die edelsten und die gemeinsten. Sie sind sein wahres Leben, mag verstand, Bildung und Kultur auch einen Firniß darüber breiten. In ihm sprudeln die geheimsten Quellen der Natur, an denen der andere Teil, der Mann und sein Werk, immer von neuem gesunden und immer von neuem erkranken. Im Weibe ist die Mystik alles Werdens und Vergehens, alles Guten und Schlechten, alles Schönen und häßlichen wie in einem Palladium, das die Zeit nicht verändert, beschlossen.

Wir ringen um die Mädchenschönheit in der Blüte ihrer Jugend, wir reißen die hingebende an uns im Duft der Sommernacht, und sie betrügt uns schon im Herbst. Wir stoßen die Wankelmütige von uns, und sie umfängt mit weichem, kindlichem Flehen unser Knie, daß aller Manneszorn verlöscht. Wir führen die liebesprühende, junge Gattin heim und erkennen in langen, grauen Jahren ein trieb- und wunschloses, leeres Geschöpf. Wir werden vergöttert von Frauen, die wir verachten, geliebt von solchen, die uns gleichgültig sind, verraten von denen, für die wir Leiden tragen, beiseite geschoben von solchen, für die wir die Gesetze der Gesellschaft zertrümmern, im Geheimen geliebt von denen, die uns kühl wie ein Novembertag dünken. Und wie wir auch Schleier um Schleier von schönen, garstigen, vergeistigten und vertierten Gesichtern reißen, immer schauen uns aus fließenden Nebeln die unergründlichen, tiefen Augen der Sphinx an, die unsere Lust und unser Leid ist: die Augen des Weibes.

Und so schleppt Dr. Keller, die Gestalt Max Kretzers, die quälende Frage, die er aus seinem todähnlichen Dämmerzustand in das bewußte Leben hinübergenommen hat, Woche um Woche, Monat um Monat mit sich herum. Und wie es auch fragt und hämmert in ihm: ist sie, die ich liebe, noch mein oder gehört sie einem andern? – wie oft er selbst sie fragt, zart und brutal, er erfährt es nicht. Irma ist nicht offen und nicht falsch, sie gesteht nicht, aber sie leugnet auch eigentlich nicht. Stirbt sie, zerdrückt von eigner Schuld, – stirbt sie als Märtyrerin? Der Dichter sagt's nicht; und wer möchte es sagen? Die letzte Feinheit, die schönste, gibt Kretzer in den seltsamen Worten des alten, prächtig gezeichneten Schwiegervaters dieser Frau, die nicht enthüllen und nicht lösen, – die nur versöhnen sollen. –

Irma Keller nimmt das Geheimnis ihres Wesens ungelöst im Tode mit – wie jede Frau.

Karlernst Knatz.


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