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XX.

Es war gegen Abend, als ich sie zu mir hereinbat. Sophie war mit dem Jungen in die Luft geschickt, weil keine Störung eintreten sollte. Ich hatte die roten Deckgardinen über die Stores gezogen, so daß nur Dämmerlicht herrschte.

Verwundert blickte sie sich um. Sofort fiel ihr auf, daß die Sphinx nicht mehr auf dem Brette stand. Ich hatte sie beiseite gebracht, damit sie durch ihren Anblick nicht an die vergangene Szene in diesem Zimmer erinnert werde.

»Aber so mach' doch hell,« sagte sie dann.

»Ach, laß uns doch so plaudern,« wandte ich ein. »Wir waren ja so lange nicht hier zusammen. Weißt du noch den Abend, wo ich deinen Onkel hier zum erstenmal besuchte? Es dauerte nicht lange, und so kamst du herein. Brachtest eine Flasche und zwei Gläser, und damit begann's. Ich sah dich und war verschossen. Und als er dich anfuhr, weil du nicht die richtige Marke gebracht hattest, tatest du mir furchtbar leid.«

Damit hatte ich sie sanft gezwungen, sich auf einen Lehnsessel niederzulassen, den ich absichtlich mitten ins Zimmer gerückt hatte. Ihr Gesicht war nun schräg gegen das Licht gerichtet, so daß meine Gestalt [es] nicht ganz verdeckte, als ich vor ihr stand.

Es lag mir daran, sie vorläufig ganz ruhig zu haben, damit ihre Gedanken nicht zerstreut würden. Ich mußte sie sozusagen in die Sicherheit eines Kindes wiegen, das ein Geschenk erwartet und fortwährend daran denkt. Die Erfahrung hatte mich gelehrt, daß die Hypnose sehr schwer wurde bei einem Menschen, mit dem man vertraut war. Gewöhnlich ließen sich die völlig Fremden am leichtesten beeinflussen, weil sie den nötigen Respekt mitbrachten. Hinzu kam, daß meine Frau alle diese Dinge immer sehr komisch gefunden hatte und ihre Wirkung niemals zu begreifen vermochte. Sie glaubte mehr an Schwindel, als an Wahrheit. Aber niemals hatte ich den Willen zum Gelingen so sehr empfunden wie in diesen Minuten.

»Hör' mich einmal recht ruhig an und sieh mir in die Augen, aber denke nur immer an mich,« sagte ich wieder. »Ich muß dir etwas erzählen.«

Nach diesen Worten ergriff ich unauffällig ihre Hände, und zwar so, daß sich die Daumen an der inneren Handfläche berührten. Und während ich sie unablässig fixierte, sprach ich weiter: »Woran denkst du jetzt?«

»Na, an dich,« gab sie kurz zurück. »Ich soll es doch.«

»Gut so.« Ich sagte nichts mehr. Als sie sich aber bewegte und sprechen wollte, rief ich ihr scharf zu: »Ich befehle dir jetzt ruhig zu sein, ganz ruhig!« Sie zuckte zusammen wie unter einem unerwarteten Schreck. Und während ich allmählich das Wärmegefühl in den Händen verspürte, auf das ich gewartet hatte, empfand ich das Zittern ihrer Fingerspitzen. Unaufhörlich sah ich sie an, immer von dem Willen beseelt, sie zu unterjochen. Ich merkte ihr an, daß sie im Banne großer Angst saß, daß sie etwas erwartete, was sie sich nicht erklären konnte. Mein Gedanke war, daß sie an eine neue Brutalität denke, an einen Gewaltakt, zu dem ich sie hereingelockt hätte und mich vorläufig nur in Verstellung übe.

»Glaube daran, daß ich jetzt alles mit dir machen kann, was ich will,« sagte ich ihr abermals bestimmt ins Gesicht. »Es wird aber nur Gutes sein. Hoffe auf mich. Ich werde dich von deinem tiefen Schmerz erlösen.«

Alles das war mir jetzt erst eingefallen. Ich durfte ihr ja nicht sagen, was ich eigentlich wollte. Und doch konnte sie mir alles nur erleichtern, wenn sie selbst den Glauben hatte, daß ich sie in Schlaf versetzen könnte. Und so hielt ich es für das beste, sie plötzlich derartig zu überfallen und einzuschüchtern, so sie zugleich im Zweifel darüber lassend, was nun mit ihr geschehen würde.

Ich kannte Braid, Liébeault, Charcot und alle die großen Psychologen, die sich mit Suggestion und Hypnose beschäftigt hatten, und auf die wir Modernen erst weiter gebaut hatten. Ich hatte sie an ihren wissenschaftlichen Quellen studiert, aus ihnen gleichsam den Extrakt gezogen, damit ich den Mißbrauch ihrer Lehre durch die Jünger bekämpfen könne. Alle wurden sie in meinem Kopfe lebendig, und ich suchte nach dem besten, was sie empfohlen hatten, um den Stiefbruder des Schlafes heraufzubeschwören. Denn ich spürte es, daß mir hier Kraft gegen Kraft gegenübersaß, und daß die Minute mit der Minute rang.

Noch immer sahen wir uns an, ohne daß ihre Augen kleiner wurden. Ich hoffte von der Dämmerung, von der ganz geheimnisvollen Überrumpelung, auf die sie nicht vorbereitet gewesen war. Ich hätte leichter zu meinem Ziele kommen können, wenn ich ihr einen glänzenden Gegenstand vor Augen gehalten hätte, auf den sie ausdauernd hätte starren müssen. Meine Arbeit war um so schwerer, da ich auf jede seelische Vorbereitung verzichten mußte. Plötzlich fiel mir Mesmer ein, der große Erfinder des tierischen Magnetismus, mit seinem Streichen, mit der sanften Übertragung durch die Fingerspitzen.

Ich drehte die Hände nach auswärts, vom Körper ab, hob sie dann bis zum Kopfe meiner Frau, dann setzte ich die Daumen auf die Schultern, berührte diese leise und tat die berühmten Striche. Unbeweglich saß sie vor mir und ließ alles mit sich geschehen. Nun hielt ich die Hände über ihrem Kopfe, führte sie an ihrem Gesichte vorbei, auf ihren Leib zu, immer in Entfernung vom Körper. Ihre Augen wurden kleiner, und schon war ich erfreut von diesem Erfolge, als sie mich wieder groß und starr anblickte. Und als ich jetzt die Luftstriche den Füßen zu machen wollte, riß sie sich plötzlich los und erhob sich. Es war mir, als träfe mich ein kalter Wasserstrahl – so unerwartet kam mir diese Wendung.

»Ach, laß doch, du willst mich hypnotisieren,« sagte sie völlig ruhig. »Aber du weißt doch, daß ich mich dazu nicht eigne.« Sie war weder aufgebracht noch erregt, sondern atmete nur tief auf, wie entronnen einer Schlinge.

»Was willst du eigentlich wieder von mir?« fuhr sie fort und strich sich ihre Handgelenke. »Ist das das Ganze, was du mir zu sagen hast? Du bist mir schön! Schreist mich an, als wenn ich nicht hören könnte. Ich kann sehr gut hören. Du tatest mir ordentlich weh. Es ist wahr! Das sollte wohl ein Überfall sein, wie? Aber nein, ich laß mich nicht mehr so überfallen. Und wenn ich eine Stunde so gesessen hätte, ich hätte dir doch nicht den Gefallen getan. Hol' dir doch andere dazu, die schon umfallen, wenn man pustet. Ich merkte gleich bei Tisch, daß du wieder etwas von mir wolltest. Ganz etwas Besonderes. Schon an deiner Freundlichkeit. Aushorchen wolltest du mich, das ist das Ganze. Aber ich habe dir nichts zu sagen. Das weißt du ja schon. Wie du nur auf so etwas wieder kommen kannst – du, der ein großes Buch dagegen geschrieben hat.«

Ihr Kleid rauschte vor mir auf und ab, und in dem Halbdunkel sah ich ihr Gesicht leuchten, denn heute trug sie ihr Schwarzseidenes. Sie hatte sich darauf gespitzt, noch am späten Abend mit uns fortgehen zu können, worauf sie übrigens mein Vater gebracht hatte.

Verlegen stand ich vor ihr, nicht wissend, wie ich mich nun verhalten sollte. Alles war mir so unerwartet gegen den Strich gegangen. Ich suchte nach einer Ausrede und fand sie auch: »Entschuldige nur,« sagte ich im Tone zwischen Spott und Aufrichtigkeit. »Ich wollte dich wirklich hypnotisieren. Du weißt, daß eine neue Auflage meines Buches bevorsteht, und da wollte ich noch etwas Erfahrung sammeln. Gutwillig hättest du es doch nicht getan.«

Sie lachte laut auf: »Das kannst du einer anderen vorreden.« Und ich fand meine Ausrede jetzt selbst so lächerlich, daß ich kein Wort darauf zu erwidern hatte. Verlangen nach Licht erwachte in mir, und so zog ich die Vorhänge wieder auseinander. Und plötzlich, als ich sie so vor mir stehen sah, wie sie die Lippen aufwarf und die Schultern verzog, als wollte sie ihre weiteren Empfindungen gegen mich in einen stummen Ausdruck umsetzen, da packte mich wieder sinnlose Wut – Wut über mich selbst, über das Mißlingen meines Planes, über sie und über alles, alles.

Ich sah die Stadtbahn wieder, sah mich sitzen und hörte jene Stimme, die mich wie Hohngesang begleitet hatte. »Die Komödie hat jetzt ein Ende,« schrie ich sie an. »Ich habe deinen Geliebten gesehen und gesprochen,« log ich.

»Ach, rede doch nicht das alte Zeug,« warf sie trocken ein.

Ich ließ mich nicht beirren. »Ja, ich habe ihn gesprochen. Er hat mir alles gestanden. Nicht gegen ihn habe ich etwas, sondern gegen dich, Elende! Aber du bist nun selbst die Betrogene. Er läßt dich fallen um eine andere. Das war nun deine Witwentrauer.«

»Du lügst,« schrie sie diesmal. Die Worte schrillten über ihre Lippen, heftig und abwehrend, als glaubte sie nun selbst, was ich sagte. Ihr Busen ging hoch, und die Hände vergruben sich in die knisternde Seide. Aber dieser Aufruhr währte nur Sekunden, dann hatte sie wieder das alte, verächtliche Lächeln für mich. »Dich plagen wieder deine Hirngespinste. Daß ich mich noch darüber aufrege! Ich will wenigstens vernünftig bleiben.«

Ich wollte sie noch mehr reizen, um auch mich bei Stimmung zu erhalten. »Dummchen hat er dich auch wieder genannt,« fuhr ich fort. »Und das warst du, und das bist du. Schade, daß ich nicht gestorben bin und euch als Seele hätte folgen können. Dann hätte ich es mit angesehen, wie er dein Geld verpraßt hätte, um dich dann sitzen zu lassen. Denn so spricht er, und so sieht er aus. Ein Freund der Frauen, aber gegen Bezahlung.« Ich sprach fast heiser vor Zorn, mit der verhaltenen Sucht, die Hand gegen sie zu erheben.

Sie war zurückgewichen und stand nun an der hellen Wand, von der ihre Gestalt zerflossen im Zwielicht wie ein schwarzes Gespenst sich abhob. Sie sagte nichts, aber starrte mich fortwährend an mit ihren großen Geisteraugen, in denen es nicht mehr flammte.

»Aber bald wirst du von ihm und von mir verlassen sein, das ist die Strafe,« fuhr ich fort, »die wohlverdiente.«

Noch immer stand sie unbeweglich, als könnte sie das alles nicht fassen.

Da fiel ich wieder aus der Rolle. »Seinen Namen will ich wissen,« schrie ich. »Du brauchst ihn mir nicht mehr zu verschweigen.« Ich drang auf sie ein, und da entwich sie mir. Sie drehte sich dabei im Kreise und lachte, denn aus dem Ernst wurde nun der Scherz. »Siehst du, das wolltest du vorhin von mir. Deine fixe Idee,« sagte sie, getrennt von mir durch den Tisch.

»Meine Gedanken sind sehr klar. Ich bedaure den Tag, wo ich mit dir vor den Altar getreten bin.«

»Wenn ich dich nun ohne Liebe geheiratet hätte,« neckte sie.

»Dann hättest du gelogen.«

»Wenn man alle Frauen hören wollte! wie viele hätten dann gelogen. Sie wollten doch alle einen Mann haben.«

»Ich sehe den Zwang für dich nicht ein.«

»Das sagst du so. Die meisten Mädchen haben ihr verlorenes Paradies. Angenommen, ich hätte Onkel gehorchen müssen. Ich bekam ja nichts mehr, und du warst schon etwas.«

»Dann steckte also doch noch jemand hinter dir!«

»Gewiß, ein dummer Junge.« Sie lachte mich vergnügt an.

»Aber Jungen können alt werden und bekommen dann einen Schnurrbart, einen aufgezwirbelten sogar.«

»Was du wieder neugierig bist!«

»Soll das ein Geständnis sein?« rief ich aufgebracht.

Sie rannte um den Tisch herum; ich hinter ihr her.

»Ich kann dich doch ein bißchen aufziehen.«

Ich griff eisern nach ihr, da rief sie laut um Hilfe und wiederholte den Ruf, bis ich ihr den Mund zuhielt. Dann ging die Tür auf, und mein Vater stand plötzlich vor uns, noch den Hut auf dem Kopf und den Schirm in der Hand.

»Aber Kinder, was geht hier vor?«

Sie warf sich dem Alten an die Brust. »Schütze mich vor ihm, ich bitte dich,« flehte sie. »Er ermordet mich noch. Nimm mich mit dir – heute schon. Ich halte es nicht länger aus.« Nun hatte sie wieder Tränen bereit.

»Franz, mein Junge!« sagte er vorwurfsvoll zu mir. »Wie kannst du dich nur so hinreißen. Draußen ist das Mädchen, was soll euer Kind sagen!«

Er war beruhigter, als er hörte, daß Hans spazieren gegangen sei.

»Ich sehe schon – ihr müßt vorläufig auseinander,« fuhr er fort. »Komm' Kleine, weine nicht. Morgen fahren wir.«

Er hatte seine Hand auf ihr Haupt gelegt, und sie klammerte sich an ihn, als wollte sie sich zu ihm retten, aus der Flut ihres jämmerlichen Lebens. Und er erschien mir wirklich wie ein Fels, unerschütterlich, uns beide wie ein Riese überragend.

»Franz, wie kann man nur –!« sagte er nochmals. Über es war eine milde Anklage, wie mich däuchte voll von verhaltener Verzeihung. Und als ich seine blauen Augen aus mich gerichtet sah, schämte ich mich, die Hand gegen sie erhoben zu haben.

Er führte sie hinaus und kehrte nach einem kleinen Weilchen zurück. Ich war ihm Aufklärung schuldig, und so verschwieg ich ihm nichts, was sich an diesem Tage ereignet hatte. Er saß vor mir und sah mich nicht an, dann machte er seine Einwendungen, die mich sehr an die Art Schopps erinnerten, wie dieser sich bemüht hatte, alles mit seiner gesunden Vernunft zu zergliedern.

»Was hast du gehört? Zwei Männer, die sich in unzarter Weise über eine Frau unterhielten. Solcher Männer gibt es Hunderte, und solcher Frauen wohl ebensoviele. Und auch die Stimmen ähneln sich. Nur deine Phantasie war dieselbe, und wie du dir in ihr alles ausgemalt hast, soll es sein. Ja, was soll denn sein? Ich sage nochmals: bringe ihn mir her, und ich will dir glauben.«

»So glaube mir doch so,« warf ich erregt ein.

Er schüttelte das greise Haupt. »Es hätte keinen Zweck. Die Werke, die ich vollbringe, sind die guten. Du aber wolltest heute ein schlechtes Werk vollbringen. Der Mensch ist ein Ebenbild Gottes, deshalb geht er aufrecht einher, zum Unterschied von den Tieren. Du aber wolltest ihn wieder zum Tier machen, indem du ihm die gesunde Vernunft nähmest, seinen Sinn in Fesseln schlügest und ihn dir zum blinden Werkzeug machtest. Dein eigenes Weib sogar! Sie, die dir deinen Knaben geboren hat. Denke daran, wie sie damals schwach und ohnmächtig lag. Freutest du dich nicht, als sie das erste Wort wieder sprach? Und dieses Wort wolltest du heute töten. Du wolltest sie zum Affen deiner sogenannten Kunst machen. Verachtung dafür. Wenn ihr ewiger Schlaf einst kommen sollte, so werde ich dich fragen: Wo ist jetzt deine wahre Kunst? Und sie wird dir versagen, wie dir deine Afterkunst heute versagt hat.«

Ich fühlte, daß er recht hatte, daß er ein größerer Arzt war, mit dem ich mich nicht messen dürfe. Würde er mir helfen können? Mich wieder aufrichten können zur früheren Höhe meines Frohsinns und meiner Stärke? Ich wußte es nicht, aber ich empfand, daß etwas zurückbleiben würde, was er niemals begreifen und verstehen würde.


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