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XIV.

Es kam das, was ich erwartet hatte. Er teilte mir mit, daß Irma ihm in großer Aufregung ihr Herz ausgeschüttet habe. Sie habe in den letzten vierzehn Tagen unter meiner schlechten Behandlung zu leiden gehabt und fühle sich tief unglücklich darüber. Die Umwandlung in meinem Wesen sei so plötzlich gekommen, daß sie gar nicht wisse, was sie dazu sagen solle. Ich plagte sie ohne Grund mit Eifersucht, denn ich lebte in der Einbildung, sie habe sich gegen die Treue vergangen, und meine Behauptung ging sogar so weit, die Stimme ihres Geliebten gehört zu haben. Sie könne sich nur vorstellen, daß ich davon geträumt hätte.

Es war immer das alte Spiel: Der Traum, der Traum und nochmals der Traum! Ich ließ Schopp ruhig aussprechen, ohne ihn zu unterbrechen. Begierig lauschte ich auf jedes Wort, in der Annahme, sie könnte vielleicht zu viel gesagt haben. Fortwährend hatte ich dabei überlegt, ob ich ihm meine übrigen Wahrnehmungen mitteilen, ihn überhaupt ganz zu meinem Vertrauten machen sollte. Ging sie hin und klagte mich an, so durfte ich mich wohl auch verteidigen, und wer sich verteidigt, bedarf der Gründe. Ich schwankte zwischen einem Gefühl und dem andern. Blieb ich bei meiner Ansicht, keine Täuschung erlebt zu haben, bekräftigte ich alles durch Einzelheiten, bewies ich, was ich beweisen konnte – so war sie an diesem Tage schon gerichtet. Der Bann war gebrochen, der Skandal heraufbeschworen, und ich hatte die Last nun öffentlich zu tragen, unter der ich bis jetzt in den vier Wänden gelitten hatte.

Mit verschränkten Armen saß ich ihm gegenüber und stellte fortwährend Fragen, fast einsilbig und gleichgültig, um meine Bewegung darunter zu verbergen. Endlich, als er schilderte, wie sie in Tränen ausgebrochen sei und behauptet habe, davongehen zu müssen, wenn ich von der »fixen Idee« nicht ließe, packte mich eine Lebhaftigkeit, die mich von meinem Sessel trieb. Aufgeregt durchschritt ich das Zimmer. Es wühlte etwas in mir, was ich nur mit Mühe niederkämpfte. Es war weder Erschütterung noch Empörung. Ein Schauder erfaßte mich vor der Heuchlerin, die Tränen zu Markte trug, um Mitleid zu erwecken. Was für ein großer Zug der Verworfenheit, was für ein verschlagener Witz, was für eine schön aufgebaute Berechnung, die Ziffer neben Ziffer zu ihren Gunsten setzte, bis die große Summe des verlogenen Könnens zusammen war.

Fast bewunderte ich sie, und fast beneidete ich sie um dieses Riesenmaß der Unternehmungslust im kleinen Körper. Und merkwürdig – ich verstand, ich begriff sie. Es galt einen großen Kampf für sie, denn sie kämpfte für ihre Ehre und ihr Dasein, für ihre Stellung als Gattin, als Mutter, – für ihr ganzes Lebensglück. Sie dachte vielleicht gar nicht daran, was trotz alledem noch kommen könnte, – sie verteidigte nur Schritt für Schritt den Boden, auf dem mein Verdacht immer höher wuchs und auf dem sie nicht ausgleiten wollte.

Innerlich lachte ich mich aus. Hatte ich sie nicht auf diesen schwankenden Weg gewiesen, ihr alle meine Gedanken verraten, so daß sie nun eigentlich mit mir wie die Katze mit der Maus spielen konnte? Ewige Schlauheit des Weibes, die an seidenen Fäden den Riesen lenkt! Was ich nicht wissen wollte, wußte sie nun doppelt, und während ich neue Vorstöße unternahm, überrumpelte sie mich aus dem Hinterhalt.

Als Doktor Schopp meine Anteilnahme merkte, kam seine Rede in Fluß. Er hielt mir einen kleinen Vortrag über die Möglichkeiten einer vorübergehenden psychischen Störung aus meinem überwundenen Zustande. Wirklichkeit und Traum hätten sich bei mir so verquickt, daß ich das eine vom andern nicht mehr zu unterscheiden vermöchte. Ich hätte ihm ja schon selbst zugegeben, daß ich herrliche Träume gehabt habe, die die Fortsetzung meines Bewußtseins gewesen seien, und aus denen ich dann wieder jäh durch vernehmbare Worte erschreckt worden sei.

Diese Worte hätte ich dann jedenfalls lose aufgegriffen und mit Empfindungen verschmolzen, aus denen meine Einbildung entstanden sei. Solange ich nicht behaupten könne, daß auch die wirklichen Traumbegebenheiten wahr seien, solange dürfe ich auch nicht zu dem Resultat kommen, daß alles wahr sein müsse, was ich als vorgegangen gelten lassen möchte.

»Was haben Sie denn eigentlich im Zusammenhang gehört, lieber Freund? Nichts, wenigstens nichts Positives, worauf Sie Ihre Wahrnehmungen konstruieren könnten. Erstens behaupten Sie, Sie hätten ein fremdes Gesicht vor sich gesehen. Nachher stellt es sich heraus, daß es Ihre Frau war. Schon ein Zeichen der Störung Ihrer Psyche! Also. Darüber sind Sie sich bis jetzt noch nicht klar geworden. Dann haben Sie einige Worte über den Trauerhut aufgefangen, und so weiter, den Zusammenhang kennen Sie aber nicht. Wiederum ein Beweis für das Fehlen eines anhaltenden Bewußtseins in ihrer Katalepsie. Dann haben Sie einiges davon kapiert, was der sogenannte junge Kollege an Ihrem Bette angerichtet hat, – auch nur Bruchstücke! Wolkenflocken am finstern Himmel Ihrer Phantasie. Sie hätten einen Stuhl umfallen hören, sagt Ihre Frau Gemahlin. Wollen Sie beschwören, daß es gerade ein Stuhl gewesen sei? Gesehen haben Sie nichts, sondern nur gehört, angeblich nur gehört. Und was Sie gehört haben, war jedenfalls nur ein Gepolter. Wenn ein schwerer Gegenstand vom Tisch fällt, so poltert er auch, und Ihre Frau behauptet, das Mädchen habe etwas fallen lassen. Das kommt doch alle Tage vor! Allerdings haben Sie nachher einen umgefallenen Stuhl gesehen. Den hat Ihre wilde Range von Junge umgeworfen. Das kommt auch jeden Tag vor. Dann haben Sie wieder etwas ganz richtig gehört. Ihre Frau suchte nach den Schlüsseln im Nachttisch und sprach dabei vor sich hin. Vielleicht sprach sie auch mit ihrem Buben oder mit dem Mädchen. Sie weiß es selbst nicht mehr genau. Wer denkt denn in solchen Situationen auch daran, mit wem er spricht.«

»Sie geben mir doch recht?«

Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Weiter. Die Schlüssel steckten im Schreibtisch: Ihre Frau hat nach der Police gesucht. Das Wort Police wollen Sie auch gehört haben. Hat sie auch zugegeben. Also. Alles stimmt. Welcher vernünftige Mensch wird sich auch darüber wundern ... Weiter. Sie wollen die Stimme eines fremden Mannes gehört haben, der mit Ihrer Frau von verreisen sprach. Männliche Stimmen sind genug an Ihrem Bett laut geworden. Ihre beiden Kutscher waren ja hier. Sollte es da nicht möglich gewesen sein, daß das Wort verreisen in irgendeiner Beziehung gefallen ist. Wir leben ja gerade in der Reisezeit. Also. Sie wollen etwas von Tristan und Isolde gehört haben. Ihr Nebenbuhler habe davon gesprochen. Und von vielen anderen Dingen noch. Mein Gott – wie oft habe ich schon von Sachen geträumt, die wieder Dinge ins Gedächtnis brachten, die ich schon vorher erlebt hatte. Oder auch umgekehrt. Jeder Laie wird Ihnen das bestätigen. Habe ich nicht recht?«

Diesmal nickte ich höflich zur Bestätigung. Schopp fuhr eifrig fort: »Sie wollen Heliotropduft gerochen haben, der nie bei Ihnen im Hause gewesen sei. Auch das hat sich aufgeklärt. Und nun kommt der Humor von der Sache: Aus diesem Mischmasch von Gesprächsbrocken und Teilchen von Vorgängen und Gehörtäuschungen, Traumempfindungen, Schlafhalluzinationen, Vermengen von allerlei Stimmen, die ja zum Teil an Ihr Ohr gedrungen sein mögen – ich will es gar nicht bestreiten – mit einem Worte: aus diesem ganzen kataleptischen Wahrnehmungswust, der noch gar nicht einmal erwiesen ist, da bauen Sie eine Familientragödie auf ohne irgendwelchen plastischen Beweis. Denn wo ist er denn eigentlich? Sagen Sie es mir doch!«

Und als ich schwieg, eiferte er weiter: »Meine Diagnose lautet: Wahnvorstellungen, die Sie mit Gewalt bezwingen müssen. Meinetwegen auch eine harmlose, fixe Idee, die aber schon bedenklich ausgeartet ist, wenn Sie Ihre liebe Frau tyrannisieren. Sie wollen jemand zum Geständnis bringen, der die Tat nicht begangen hat. Das ist Selbstfrevel. Sie bereiten sich selbst Schmerzen, indem Sie Ihrem lieben Weibchen auf solche Art wehe tun. Zehn Jahre sind Sie verheiratet, und immer war es gemütlich bei Ihnen, und immer waren sie ein klarer Kopf. Und nun sollte mit einem Male die Schraube da oben losgehen bei Ihnen? Nein, mein Guter, das glaube ich nicht. Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber die war Ihnen ja sonst immer angenehm. Schütteln Sie den Alpdruck ab, der auf Ihnen lastet, glauben Sie nicht an den wüsten Traum. Ich gehe seit drei Jahren bei Ihnen ein und aus, ich wohne in diesem Viertel wie Sie – habe ich jemals Ihre Frau auf falschem Wege gesehen? Nein, dreimal nein. Und wie es mir geht, wird es allen Ihren sonstigen Freunden gehen. Und nun kommen Sie auf einmal – kriegen den Johannistrieb der Eifersucht und entwickeln sich zum Ehetyrannen. Ich möchte ein freundschaftliches »Pfui« rufen. Hegen und pflegen sollten Sie das Glück mit Ihrer lieben Frau, statt das Gift des Mißtrauens darein zu träufeln. Sie nebuloser Wüterich Sie. Ich verordne Ihnen also folgendes: Sofortige Abbitte, wenn Ihre Frau nach Hause kommt. Andauerndes sanftes Benehmen, fortgesetzte Erfüllung ihrer Wünsche und sofortige gemeinsame Abreise an die See. Eventuell ebenfalls Sylt. Heraus aus den vier Wänden. Die scharfe Brise da oben wird Ihre Seele wieder erfrischen. So, nun bin ich fertig ... Sie lachen? Worüber denn?«

Ich wußte nicht, ob ich gelacht hatte; vielleicht hatte ich nur gelächelt. Denn seine Rede war mir sehr schön vorgekommen, so daß ich mich beinahe gerührt fühlte. Ich hätte ihm alle die Einwendungen machen können, die nötig gewesen wären, um seine ganze schöne Theorie von meinem Bewußtsein oder Nichtbewußtsein gehörig zu durchlöchern, aber ich unterließ es. Ich wollte ihm seinen Autoritätsglauben nicht nehmen und ihn nicht mit dem Gefühle scheiden lassen, gutes gewollt, aber nichts vollbracht zu haben.

»Ich danke Ihnen, daß Sie mir so freundschaftlich die Augen geöffnet haben,« sagte ich daher, indem ich das Doppelsinnige der Worte für mich behielt. »Je mehr ich darüber nachdenke, je unsinniger komme ich mir vor.«

»Na also. Sie sehen, was Suggestion macht ... Ausbeuten müssen wir die Sache aber noch. Sie müssen was darüber schreiben. Leben Sie wohl, auf Wiedersehen. Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin.«

Er hatte schon Hut und Stock genommen, und wir schüttelten uns kräftig die Hände.

Bevor er ging, kam er noch auf etwas: »Den schönen Anblick will ich Ihnen doch nehmen. Das hebe ich mir zum Andenken auf an die heutige Kur. Das Rätsel ist gelöst.« Damit riß er das Stück Flor von der Sphinx und ließ es in der Tasche seines Jacketts verschwinden. »Die Sphinx bleibt zurück zu Ihrem Privatvergnügen, sie ist mir auch zu schwer.«

Damit eilte er lächelnd hinaus.


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