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Erster Teil.


Kapitel 1.
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Die Erinnerung ist das einzigste Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können.

Jean Paul.

Das steht fest, nur der Dorfjunge genießt das wahre Jungenparadies. Ich bin einer gewesen, ich hab's genossen, wahrhaftig, bis zur Schamlosigkeit, und wenn ich an meine Kindheit denke – wie oft geschieht das! – da ist mir zumute, heute in meinen alten Tagen, wie dem sündigen Adam, als er draußen war und nun dasaß und seufzend sich die Hosen flickte.

Leider fand ich keine Gegenliebe in meinem paradiesischen Heimatsdorfe. Man nahm mich als – ? sozusagen von Anfang an. Meine Mutter verpäppelte mich schlimm. Das trug ihr wie auch mir vielen Spott ein. Ich nahm mich aus unter den Dorfjungen wie ein wunderlicher bunter Stieglitz unter den Spatzen. Gleich die etwas weibische große, weiße Freese, mit ausgezackten Rändern, die meine Mutter mir um den Hals band und die mir – ja auch deshalb weil ich gern mit Mädchen spielte – den schmählichen Spitznamen »Mäkenjunge« einbrachte. Das träufelte den ersten Tropfen Essig in mein Leben. Und außer der Freese das merkwürdige grüne Mützchen mit roter Quaste, und im Winter wurde es auch noch mit roten Ohrenklappen versehen. Die Farben der Trikolore hatte sie in geradezu demonstrativer Absicht gewählt, meine gute Mutter, sie hatte dazu ihre Gründe. Endlich noch an zierlich perlengestickten Hosenträgern die übertrieben weiten Pumphosen, worin meine dünnen Beinichen steckten. Alles so auffallend, so landfremd wie möglich.

Ja, schon bevor ich überhaupt auf der Welt war, nahm man in meinen Eltern mich kritisch. Rentmeister Berkebuschens –: wußte man doch überhaupt nicht recht, was man von ihnen halten sollte.

Rentmeister Berkebusch war ihnen im Dorfe zunächst und vor allem ein »Butenminsch«. Das Leben hatte ihn zum Beamten gedrechselt, den Bauernsohn vom Oberharze, zum Bureaukraten, und das wahrhaftig rein wie zum Spott auf den Naturschwärmer, Träumer, Sinnierer, der er war, denn bei seiner großen Liebe für Tiere, Feld und Wald und deren Pflege war er eine wahrhaftige Bauernnatur. Die »Bauernschlauheit« allerdings fehlte ihm, und als Landwirt wäre er sicherlich auf keinen grünen Zweig gekommen. Was hatte er für eine Jugend erlebt! Sein Vater war in dem Harzdorf »Maire« gewesen in den Franzosenjahren, und der Alte muß nicht »so ganz ohne« gewesen sein. Er hatte sich einmal in seinem Hofe gegen durchziehende Marodeure richtig verschanzt, daß sie ihn belagerten und beschossen. Bei anderer Gelegenheit hatte er mit seinen Bauern, bewaffnet mit Sensen, Dreschflegeln und Forken, einen Haufen Schnapphähne zum Dorfe hinausgejagt. Das alles wußte mein Vater mir zu erzählen. Und wie ihn im »Russenwinter« die Kosaken auf ihre ruppigen Pferdchen gesetzt und gehätschelt hatten. Was für kinderliebe Menschen sie gewesen wären. Er hatte nur Gutes von ihnen erfahren. Nachgesagt hätte man ihnen freilich, klaren Sprit hätten sie gesoffen und Talglichte dazu gefressen, wie auch die eigentlich zum Waschen bestimmte Seife, und allzu nah durfte man ihnen nicht kommen. Das väterliche Haus wäre überhaupt immer voller Soldaten gewesen in jener wilden Zeit. Und die Not wurde größer. Der Jubel von Leipzig sollte bald verstummen. Wieder da war plötzlich der Bonaparte, das Ungeheuer, bis Waterloo die letzte Entscheidung brachte.

Von hier aus ist mein Blut niedersächsisch und solide. Anders dagegen die mütterliche Beimischung. Meine Mutter war meines Vaters dritte Frau, und ich das eilfte und letzte Kind. Aber nur zwei Schwestern waren bei meiner späten Ankunft noch am Leben. Es bestand zwischen den Eltern ein Altersunterschied von fast zwanzig Jahren, und dementsprechend war ihr Verkehrston, wie er sich aussprach schon in ihrer gegenseitigen Anrede: »Katinka«, mit gütigem, väterlichem Ausdruck – »Berkebusch«, zurückhaltend, fast kühl.

Auch die Frau Rentmeisterin war ein »Butenminsch« und obendrein landfremd, sie war polnisch-französischer Abstammung. Obschon in Deutschland geboren, fühlte sie sich dennoch dort nicht so recht heimisch, wie überhaupt auf der Welt nicht. Das verriet schon ihr verträumter, suchender, scheu fragender, ja fast argwöhnischer Blick, und wie sie gewissermaßen immer wie zur Abwehr die Hände vorstreckte, an die Schläfen, ihre so wunderfeinen Hände. Ihre Haut war so weiß, so durchsichtig, man glaubte durchs Geäder der Schläfen ihre Gedanken beinahe lesen zu können. Prächtig stand ihr die Mütze aus Spitzen und lila Seidenbändern, wenn sie so mit einer Handarbeit in ihrem Korbsessel saß, am Fenster, auf dem »Tritt«, an ihrem Nähtischchen aus Kirschbaumholz, mit dem weißwollenen »Fichu« um die schmalen Schultern, mit der zur Mütze prächtig passenden Halskrause, zusammengehalten von einer goldenen Brosche, einem alten Erbstück, oval und die Ränder wunderlich geschweift und mit einer kleinen Perle inmitten, etwas schief eingesetzt.

Auf ihre französischen Vorfahren tut der Phantast und Romantiker in mir sich etwas zugute, wie er mir von der Mutter her im Blute herumspukt, mich äfft und nicht zur Ruhe kommen läßt. Erzählte sie mir aus der Familienchronik, da wurden ihre Augen groß und leuchteten, und die paar Brocken Polnisch und Französisch, die sie noch wußte und auch mir frühzeitig beigebracht hatte, entfuhren manchmal ihren Lippen. » Mourir, mourir pour la patrie!« Ganz kriegerisch kam sie mir da immer vor. Auch Lieder aus der Zeit der großen Polenbegeisterung stimmte sie an, schwach zwar, doch unendlich rührend im Ton. »Denkst Du daran, mein tapfrer Lagienka –«. »Polen ist noch nicht verloren –«. Besonders gern aber erzählte sie von ihrem mütterlichen Großvater, dem Großvater Marquis, und vom großen amerikanischen Onkel Bruno. Im nördlichen Frankreich lag sein Ahnenschloß. Edle Rosse seh' ich traben. Aus hohen Bogenfenstern grüßen die von der Jagd Heimkehrenden schöne Frauen, in Reifröcken, in langen Miedern und mit turmartigen Frisuren, von Perlenschnüren durchwirkt. Sie stehen in steifer Grandezza. Goldgestickte Prachtgewänder rauschen, die Galanteriedegen klirren, betreßte Diener hasten herum, und nun: die Gläser klingen zusammen! Vive, vive! Toujours! Lustig alle Tage wie heute! Aber es kam anders. Die Revolution warf alles über den Haufen, wie Kartenhäuser. Alles – sogar den Namen fegte sie mit hinweg. Denn als er sich mit seiner kranken Frau, die das Elend nicht lange überlebte, und seinen Demoisellen Töchtern über die Grenze gerettet und als Réfugié schließlich nach Lüneburg gekommen war, da legte Ururgroßvater Marquis in seiner Empörung über die erlittene Schmach und den gänzlichen Verlust seines Vermögens seinen Adel ab, und aus dem stolzen Louis François Marquis de la Bry würde ein einfacher Herr Ludwig Labry, Sprachlehrer. So wird wohl das Blechschildchen gelautet haben, welches er sich in Lüneburg an die Tür genagelt haben mag. Sic transit –. Er lebte vollkommen zurückgezogen in der neuen Heimat. Seinen Töchtern aber gab er eine sorgfältige Erziehung. Die eine war zu meiner mütterlichen Großmutter bestimmt, eine andere – sie muß eine löwenbezwingende Schönheit gewesen sein! – lieferte einen neuen Band Romantik in der Familienchronik. Sie wurde die Mutter des großen amerikanischen Onkels Bruno, der – ich bin stolz darauf! – noch mein Pate gewesen ist in seinen alten Tagen, auf seiner letzten Reise nach Deutschland. Ein Offizier aus einem alten hannoverschen Adelsgeschlecht verliebte sich in die schöne Demoiselle Labry. Seine Familie setzte jedoch der Verbindung den üblichen Widerstand entgegen, trotzdem Ebenbürtigkeit vorhanden war, wollt's meinen! Der ritterliche Amoroso aber ließ nicht locker. Ich höre Lerchen, Nachtigallen –. Da aber fährt jäh die bekannte kalte Hand hinein. Die Schlacht bei Jena. Er kehrte nicht nach Hause. In einem nachgeborenen Sohne jedoch sollte er fortleben, aus welchem der große Amerikaner Karl Bruno wurde. Unter der Bedingung, diesen Namen zu führen – es waren eigentlich nur seine Vornamen – wurde er erzogen und wurden der Mutter die Mittel zugewiesen. Er entwickelte sich zu einem wahren Gentleman, und er brachte es zum Millionär drüben, zweimal, und beide Male sollte er alles verlieren, zuletzt im Bürgerkriege, in welchem er mitkämpfte. Onkel Bruno muß einen tadellosen Geschäftssinn gehabt haben. Seine erste Million hatte er sich mit großen, lungenstarken Drehorgeln erworben, die in den Südstaaten von den Plantagenbesitzern für die Nigger angeschafft wurden, und zwar gleich massenweis, als Bildungsmittel und auch zur Aufmunterung zur Arbeit und zur Beruhigung der rohen Instinkte, und er mag bei dem Handel wohl abwechselnd geschmunzelt und den Kopf geschüttelt, wie zugleich auch abwechselnd in seine amerikanische und deutsche Westentasche geblinzelt haben, der treffliche Onkel Bruno.

So weit von meiner Abstammung und von den Voraussetzungen meines Daseins.

Begonnen hab' ich's mit Hilfe der alten Wehemutter Greyern. Die war im Dorfe zugleich die Totenfrau – ihr Mann der Kuhlengräber und Nachtwächter – und sie diente gleicherweise dem Leben wie dem Tode. Auf dem Strohdach ihrer Kate, neben der Katzenkuhle – dem Notbrunnen, worin man die jungen Katzen gern ertränkte, da nistete ein Storchenpaar seit Menschengedenken. In den Fensterchen standen – prrr! – in großen Einmachehäfen ihre Blutegel, wenn ja auch daneben die Geranien, Balsaminen und besonders die Passionsblume immerhin den Anblick etwas milderten. Sie diente nämlich zwischendurch auch der Gesundheit: setzte Blutegel und Schröpfköpfe, kurierte mit Besprechen und Sympathie. Die treffliche alte Wehemutter hatte viel Phantasie und auch das dazugehörige Mundwerk. Wie oft hat sie mir meine Ankunft in die Welt erzählt, in höchster Ausführlichkeit!

Am letzten Tag im Hornung, einem – o weh! Schalttag, auf den Glockenschlag neun, hab' ich den ersten Blick in die nebel- und dreckerfüllte Welt getan. Ein wüster Sturm wäre im selben Augenblick ausgebrochen, Dachziegel wären herumgeflogen, als schüttelte man Äpfel, Pappeln wären umgeweht, von der alten Kirchenlinde wäre ein Ast niedergebrochen und hätte mit weggerissen den einzigen Weiser der alten Turmuhr. Das alles trug man dem Kinde später nach.

Na überhaupt –? Und sintemal und alldieweil! Als Küster Stute die Mittagsbetglocke läutete, war's längst herum. Überall schanökerte und prophezeite man, am liebsten hätte man Rentmeisters Nachgeborenen gleich in die Katzenkuhle geworfen.

Der einzige Mensch, der ihn anerkannte, war das alte Fräulein Ullrieke Eleonore Bögeholt. Tante Nörchen – so nannte man sie –: ist ihm eine Schutzheilige gewesen! Tante Nörchen hatte eine wunderlich lange und gleichförmige Taille, sie hatte glattgescheitelte Haare, immer stark pomadisiert und angeklebt, und merkwürdig weit voneinander entfernte große Rehaugen, unter geschwungenen Brauen und langen, schämigen Wimpern, und die blinkten so stark, man glaubt es immer leise zu hören, und stets hing daran ein Tränlein. Tante Nörchen wohnte einsam in einem weinumrankten Häuschen auf dem Oldenberg, in einem sehr engen und schiefen Erkerzimmerchen. Sie schwärmte gern, sie hatte ein tief mitfühlendes Herz besonders für bedrängte Liebesleute, denn wahrhaftig, Tante Nörchen wußte wie's ist. Sie hatte ihr Teil weg. Ihr seliger Studierter, ach, der mußte ihr sterben, kurz vor der Hochzeit. Er war, ein theologischer Kandidat, lange Hauslehrer gewesen, und endlich, als er eine Pfarre bekommen soll und er die Verlobte heimführen will, nach siebenjährigem Harren, da – ach Gott!

Tante Nörchen ist gleich gekommen, und sie hat das Kindlein betrachtet, sehr lange. Endlich habe sie Worte gefunden. Dieser Junge wäre nicht wie anderer Leute Kinder, er wolle ganz aus sich selber verstanden sein, wie seine Eltern ja auch, aus welchen noch kein Mensch bis jetzt recht klug geworden wäre. Danach wäre sie wieder in Nachdenken versunken, und indem sie ein letztes Tränlein mit der Wimper zerdrückt und sich abgewandt habe, hätte sie noch geflüstert, kaum hörbar und schon im Fortgehen, das Würmchen daure sie.


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