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Vierter Teil.


Kapitel 19.
Die Künstlerhaare

Musik ist die tönende Welt aller unaussprechlichen Gefühle, Leidenschaften, Sehnsuchten, heimweherfüllter Erinnerungen, alles Innerste im Herzen klingt in ihr wider zuletzt.

Ein Königliches Konservatorium für Musik – wie im höchsten Maße ideal ich mir das in meiner Phantasie ausmalte!

Die Bewahr- und Vollendungsanstalt musikalischer Kunst. Alle keimenden Talente, noch zarte Pflänzlein, hier werden sie gesammelt, gesichtet, geschützt, begossen, gepflegt, daß sie können wachsen und gedeihen und Früchte tragen, zum Heil der Kultur, zum Segen der Menschheit. Erhabene Vorstellungen, Bilder, Gedanken, Gefühle wogen, rauschen, wirbeln mir durch die Seele, alles, alles strömt darinnen zusammen, der Parnaß, der Kastalische Quell, Phoebus-Apollo und alle Musen und Grazien – alles Idealste, Höchste, Herrlichste umfaßt, durchflutet, durchrauscht, durchwirbelt in meiner Phantasie das Wort: »Konservatorium für Musik«! Die Lehrer: apollonische Gestalten wie Ibykus der Götterfreund, waltend ihres heiligen Amtes im Tempel der Kunst, unter »säulengetragenem, herrlichen Dach«, und fehlt nicht viel daran, daß ich sie auch einherwandeln lasse mit goldenen Leiern, oder mit Flöten, Harfen, Zymbeln. Und die Schüler! Lieblinge der Götter, griechischen Jünglingen vergleichbar und Jungfrauen, so hat geküsset der Genius auf die Stirn, auf die strahlenden Augen! Ebenmäßigen Wuchses, marmorgemeißelten Hauptes, lockenumwallt, im freien edeln Verkehr untereinander die Geschlechter stehend, völlig so wie einst in den griechischen Gymnasien.

Und ich – ich gewesener Schulmeister von Hamelsen, Pahlsen und Putersen im Lande Mufrika, soll nun mit dazu gehören! Wie mich da einfügen, bewegen, benehmen – meine Rolle spielen?

Für das Nächstliegende hielt ich, mir die Haare lang wachsen zu lassen, um mich damit gleich äußerlich vor aller Welt als nunmehrigen, richtigen Musikanten auszuweisen und auch allen künftigen Künstlerruhm damit gewissermaßen schon vorwegzunehmen. Ich ließ deshalb kein Schermesser mehr an mein Haupt kommen. Ganz leidlich wuchsen ja meine Haare sich alsbald auch aus, und ich glaubte eine ziemliche Ähnlichkeit mit Beethoven nun zu haben oder doch wenigstens mit Liszt, Anton Rubinstein, wenn ich vorm Spiegel mit den Händen so hindurchfuhr. Mochten sie auch noch so häßlich durcheinanderwuseln und meinen Kopf eher entstellen und lächerlich machen, denn mit meinem Haarwuchs war's von Natur gar nicht so weit her, er war nur in meiner Einbildung so üppig, wie, ach, sonst noch so manches andere auch. Im Traum sah ich mich auch noch mit einer Samtjacke herumstolzieren, um den Künstler damit abzurunden.

Zur Wiederherstellung meiner Gesundheit verordnete mir der Arzt einen Aufenthalt an der See, und der erwies sich als heilsam, ich kam wieder in Ordnung.

In meinem Heimatsdorfe ist man entsetzt über meinen Plan, selbstverständlich, nun den Schulmeister an den Nagel zu hängen und mein »sicheres Brot«, um aufs Konservatorium zu gehen und ganz und gar ein Musikant zu werden. Ich solle, meinte man, meiner armen Mutter lieber das Geld zugute kommen lassen. Das wäre meine moralische Pflicht. Allerdings, der Gedanke an meine arme und verlassene Mutter bereitet mir starke Beklemmungen. Der Oberförster aber hat ausdrücklich bestimmt, zum Musikstudium solle ich die mir vermachten 6000 Mark verwenden, und geht also die künstlerische Pflicht über die moralische. Meine Mutter sieht's ja auch ein. Und natürlich Herr Justus steht auf meiner Seite. Er ist freilich aus praktischen Gründen für den Besuch des Königlichen akademischen Institutes für Kirchenmusik, in Berlin. Ich aber werfe mich in die Brust: da bloß auf den Organisten hin zu studieren, pah, das genügt mir nicht! Ich stecke mir ein höheres Ziel. Wo Gertrud Braatfisch weilt und wirkt, und allwo sie glänzt, ein heller Fixstern: nach ihrer herrlichen, wunderbaren, altberühmten, großen Kunst- und Königsstadt – dahin, dahin! Ihre begeisterte Schilderung damals! Gelegen an einem stolzen Strom, umgeben von bewaldeten Bergen, von Schlössern, herrlichen Gärten, über Stadt und Land ausgegossen der Zauber einer alten künstlerischen Kultur, ein deutsches Athen, Olympia, Florenz. Nein, keine andere Stadt, kein anderes Konservatorium! Berlin, allwo der preußische Kuckuck horstet, schon allein meinem welfentreuen, seligen Vater zuliebe nicht dahin. Und die Hauptsache bleibt doch natürlich das mir von ihr dort zugesicherte Stipendium! Allerdings! Sie zu kennen, Glückspilz, der ich bin! Sicherlich, sie nimmt mich unter ihre Fittiche, es kann nicht fehlen! Oh, Gertrud! Das Höchste – Allerhöchste will ich erstreben: dich selbst zuletzt, und werden wir vielleicht selbander einmal sein ein edles Künstlerpaar, Robert und Klara Schumann vergleichbar.

So phantasierte ich.

Die Fahrt nach dem Mekka meiner Sehnsucht, oh, sie war ein stolzer Adlerflug, dem Ruhme entgegen und – pianissimo –: der Liebe. Obschon ich vierter Klasse fuhr, mit meiner Geige im Wachstuchfutteral auf der Schulter und äußerst bescheiden auf meinem Reisekorb sitzend.

Ich hatte den erbetenen Urlaub zum Besuch des Konservatoriums erhalten mit der Bedingung, mich wieder zur Anstellung im Schuldienst zu melden, innerhalb dreier Jahre. Darüber lache ich Hohn, ich mich auch jemals wieder zurückmelden, in die Sklaverei!

Endlich am Ziel, nach zermürbender, langer Bahnfahrt, griff ich sofort nach dem Adreßbuch: »B–Br–Braat–« bald hatte ich gefunden, was ich suchte. »Braatfisch, Gertrud, Klavierlehrerin, Leimgasse 97, Hinterhaus links nach hinten, vier Treppen.« Ein Seufzer der Erleichterung entrang sich meiner Brust: noch ledig! Hm, aber bloß Klavierlehrerin, nicht Pianistin – Konzertpianistin? Und überhaupt: –?

Ich erkundigte mich, wie man hingelange.

»Ganz da haußen,« lautete der Bescheid, »wo die Pferdebahn aufhört, beim großen Hauptgasometer links um die Ecke, bis wo die Dünger-Export-Gesellschaft ihre Wagenremisen hat.« Hm –.

Sprühte meine Phantasie alsbald aber wieder ihr bengalisch Licht. Den schwer dahinrumpelnden Wagen der Dünger-Export-Gesellschaft schließlich folgend, suchte ich gewissermaßen mit der Nase nach ihrer Wohnung.

Als ich mich hingefunden und in dem düsteren Hinterhause nun die vier Stiegen erklommen habe, richtig, da lese ich auf einem Emailleschildchen ihren Namen. Oh wie wird sie überrascht sein ob dem unverhofften Wiedersehen!

Ich läute an. Sogleich öffnet sie mir.

»Fräulein Gertrud Braatfisch, Sie kennen mich doch wohl noch – bin nun hier – will hier Musiker werden ganz und gar, eintreten ins Königliche Kon–«

»Erinner' mich – dunkel.«

Erstaunt sehe ich mich bei ihr um. Auf großen Glanz, hm, war ich eigentlich gefaßt –?

Als ich anfange von meinen idealen Plänen:

»So,« unterbricht sie mich gleich, hämisch ihren Mund verziehend, die Nase rümpfend: »so ... o, haben Sie denn auch wirklich genug Talent?«

Donnerschlag, danach fragt sie mich, sie!

»Richtig, in Dingsda – spielten ja mit damals und ganz nett, zweite Geige, wenn ich nicht irre.«

Ich nicht genug Talent! Kräftig will ich ihr meine Meinung sagen, da aber schrillt ihre Klingel.

»Mein Herr, ein andermal. Eine Schülerin.«

Ein ärmliches Schulmädchen stapft herein, wie ein Kalb und mit einer Mappe, worauf gedruckt ist riesengroß: »Musik«.

Schluß. Mit dem Stipendium, sehe ich, ist's nichts. Das ist in der großen Kunststadt für mich der erste Guß kalten Wassers. Ja, nun kenn' ich sie richtig, Kaufmann Sausken Großmutter ihre Schwestertochtertochter, Wind war damals alles, Aufschneiderei, oh, ich dummer Gimpel, der ich war!

Trutziglich mit beiden Händen fahre ich durch meine Künstlerhaare, zugleich verbeuge ich mich kühl und förmlich, und stracks eile ich ins Konservatorium und melde mich an, um einzutreten als honorarbezahlender Schüler.

Die Anmeldung – das Konservatorium. Ganze Kübel kalten Wassers bekomme ich da gleich über den Kopf, einen um den anderen. Dieses Konservatorium, königliche, weltberühmte, ach, ich sehe, es ist ein öder Kasten wie eine Fabrik. Düster das Treppenhaus, eng, schmutzig und dumpfig sind die Vorräume, Korridore, wo alles durcheinanderquirlt, zur Zeit des Stundenwechsels, und auch die Lehrer, die Schüler – rein nichts überhaupt erinnert hier an den Parnaß, an die Musen und Grazien, an Ibykus, den Götterfreund. –

Am Tage der Aufnahmeprüfung stand ich zeitig auf und übte die Stücke, die ich vorspielen wollte, auf meinem Mietpiano erst noch wieder gehörig durch. Danach bürstete und pomadisierte ich meine Künstlerhaare und machte mich auf den Weg. Ich hatte große Angst, ob ich überhaupt auch aufgenommen würde. Da nun zu spielen vor dem hohen »akademischen Rat«, unterm Vorsitz beider Herren Direktoren, des »artistischen«, nämlich des Herrn Königlichen Hofkapellmeisters Speckbaum, wie auch des »vollziehenden« Direktors!

Von letzterem hatte ich gleich schon viel gehört. Die ganze Stadt sprach von ihm. Kaum trocken wäre er hinter den Ohren, aber große Reformen wolle er im Geschwindschritt verwirklichen und dem musikalischen Fortschritt eine Gasse bahnen. Das Konservatorium hatte er erst vor kurzem geerbt. Unter einer vorbildlichen künstlerischen Leitung hatte die Anstalt einen Weltruf sich erworben. Davon zehrte man. Man trieb Raubbau. Das »Ideal« war die Geldschraube. Unter der Gloriole »Königlich«. Seine kühnen Pläne hatte der neue junge Direktor gleich in seiner Antrittsrede den versammelten Lehrern und Schülern dargelegt. Man geriet in Angstschweiß ob seiner aus Büchern und Aufsätzen zusammengespülten musikalischen Ansichten. Denn er selber betätigte sich musikalisch überhaupt nicht, und darauf tat er sich noch besonders was zugute. Seit und durch Richard Wagner, meinte er, sei, um Musikkenner zu werden, eine eigene musikalische Ausübung vokaliter oder instrumentaliter eher schädlich als nützlich, denn sie trübe den philosophischen Blick über das Ganze. Namentlich das Klavierspiel verachtete er. Schon weil Wagner kein Klavierspieler gewesen war. In schroffster Weise entließ er gleich einige der besten alten Lehrkräfte – weil sie nicht genug Liszt spielen ließen, ihre Schüler zu viel mit den »alten Zöpfen« plagten, nämlich den Klassikern, zumal mit Bach, als dem längsten. Wie Wagner mit seinem hehren »Worttondrama« den alten Opernkram beseitigt, so habe Franz Liszt, sein erhabener Kampf- und Siegesgenosse, Liszt, der geniale Schöpfer der symphonischen Dichtung und damit überhaupt der ersten eigentlichen und wahrhaftigen »Dichtungen« in Tönen, die diese Bezeichnung verdienten – so habe Liszt alles für Klavier vor ihm Geschaffene antiquiert und überflüssig gemacht, mehr oder weniger. Überhaupt die Ideale der neudeutschen Schule! Aus den verrosteten Fesseln der Form befreite »Ausdrucksmusik« verlange unsere in jedem Betracht fortgeschrittene Zeit. Psychologie – »Psychologie« war nächst »Fortschritt« und »Franz Liszt« sein drittes Wort! – Psychologie gehöre hinein auch in die Musik, jetzt endlich. Formalistische, auf bloßes »Tonspiel« gerichtete, habe keinen Wert, so welche, wie der von Wagner und Liszt nach Gebühr ja auch tief verachtete Brahms sie fabriziere. Des letzteren erzreaktionäre Musik zu pflegen, verbiete er demgemäß überhaupt im Konservatorium.

Im Sinne dieser, in seiner großen Antrittsrede dargelegten Anschauungen leitete nun der neue junge Direktor das Konservatorium. Bewirkte der Sauerteig dieser seiner Ideen natürlich sofort eine mächtige Gärung, und so hatte die Anstalt just eine schwere Krise durchzumachen, es ging drunter und drüber.

Außer mir spielten noch viele andere vor, Tonleitern, Etüden und Stücke. Einer von den Klavierlehrern nahm die Prüfung ab, ein bärtiger Herr, und er hatte gar nichts Apollinisches an sich, vielmehr er sah aus wie ein besserer Portier. Fortwährend mischte der neue Herr Direktor sich hinein, mit seinem gelehrten Spülwasser, aus den Schriften Wagners und der Wagnerschriftsteller. Schon seine ganze Sprechweise war das reinste Wagnerdeutsch. Mit dem Schlagwort »Fortschritt« schlug er nur immer so um sich. Die musikalische Fortschrittsphilisterei stand ja damals üppig im Kraute. Man war benebelt durch Wagner, wie im Opiumrausch, Wagners Übertreibungen und Irrtümer unterstrich man alle noch.

Die meisten Schüler spielten nun gute alte Sachen, Sonaten von Mozart und Beethoven, Präludien und Fugen von Bach, Lieder ohne Worte und Kapriccios von Mendelssohn, Charakterstücke von Schumann, Nokturnos und Mazurken von Chopin, Kramersche Etüden usw. Alles dieses aber interessierte den jungen neuen Direktor nicht, er sah gelangweilt aus und auch spöttisch, und er zwirbelte sich fortwährend seine paar blonden Schnurrhärchen. Als aber eine robuste Jungfrau eine der ungarischen Rhapsodien von Liszt herunterpaukte, mit einem Anschlag wie von Bocksfüßen, es stieß einem fast die Hirnschale ein, da nickte er höchlich interessiert: »Werde sie im Auge behalten.«

Die paar noch anwesenden Lehrer blinken immerfort sich sarkastisch zu. Nur der artistische Direktor, Herr Hofkapellmeister Speckbaum, der pflichtgemäß ausharren muß, nimmt's tragisch, seufzend beißt er in seine Frühstückssemmel. Überhaupt er frühstückt ununterbrochen.

Ich spiele unglücklicherweise Bach – Präludium und Fuge in G-Dur, aus dem zweiten Bande des wohltemperierten Klaviers – und gut nach meiner Meinung. Als ich hinzusehen wage, da gähnt der Herr Direktor, und der Herr Hofkapellmeister – kaut.

Ist das Ergebnis der Aufnahmeprüfung: alles wird aufgenommen, auch die ärgsten Stümper kommen durch. Man nimmt halt rein geschäftsmäßig alles, was man kriegen kann.


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