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Kapitel 14.
Musenkoller

Wochen vergingen, und kein Brief kam. Oh, Adelheid – Adelaide – Adalanthe, du warst die befruchtende Sonne gewesen meiner gesamten Poeterei, Sonnenschein und Regen zugleich! Ach, so saß ich nun auf dem Trocknen!

Endlich erbarmte sich meiner die so lange vernachlässigte andere Muse, die holde Euterpe. Eine große Sehnsucht nach Musik wurde in mir lebendig. Nur leider, ich hatte kein Klavier. Meine Fiedel genügte mir nicht. Ich brauchte volle Harmonien, mächtige Akkorde. Und nun erhielt ich auf mein inständiges Bitten von zu Hause unser altes Fortepiano. Von der Bahnstation holte ich mir's mit Gelegenheit ab, als Gerd Barbraake wieder Schweine hinfuhr. Ist auf der kleinen Station so ein Klaviertransport eine ziemlich ungewohnte und aufregende Sache. Alles läuft zusammen, Arbeiter und Wagenschieber, und sogar der Herr Stationsvorsteher, in seiner roten Mütze, bekundet einiges Interesse. Man beguckt sich den vierbeinigen Harfenkasten, soweit die Verpackung es erlaubt. Besonders neugierig ist ein stiernackiger Wagenschieber, der mit anfassen soll. Er hätte noch nie richtig »Klavezymbel spälen« hören, und er wolle zwar gern mit anfassen, jedoch ich müsse ihm zu Gefallen eins aufspielen. Es hilft nichts, ich muß mich fügen. Und das im schmutzstarrenden und zugigen Güterschuppen, zwischen Kisten und Säcken, und da riecht's nach künstlichen Düngemitteln, nach Knochenmehl, Teer, Petroleum, Leinöl. Bei meiner strengen Richtung hatte ich nun leider gar nichts Profanes und Passendes in den Fingern, keinen Marsch, keinen Walzer, Rutscher. Muse, verhülle dein Haupt, es kommt mir schwer an, jedoch ich sehe keinen Ausweg! Auf einer mir untergeschobenen Kiste sitzend, worauf in großen schwarzen Buchstaben »Vorsicht!« steht, spiele ich die »Räubersonate«. In den ersten Takten des Grave allgemeines stummes Staunen, nicht lange jedoch, und man schüttelt den Kopf, und hauptsächlich der Stiernackige verrät eine große Enttäuschung, er meint, etwas Vernünftiges auf der Handorgel gefalle ihm besser. Als man aber anfängt, mich aufzuziehen, da allerdings breche ich ab. Nämlich das Unter- und Übersetzen der Hände im zweiten Thema kommt ihnen gar zu komisch vor, man macht lachend mir meine Hand- und sonstigen Bewegungen nach. Wird endlich das Klavier über die Viehbrücke in Gerd Barbraakes Schweinewagen geschafft und da verstaut, mitsamt einer Ladung Knochenmehl. Es roch noch wochenlang nach Schweinen, nach Knochenmehl, und ich konnte beim Spielen anfangs gar nicht recht in Stimmung kommen. Scheußlich war's.

Die Sache rief im Dorfe eine ziemliche Aufregung hervor. Noch kein Schulmeister hatte dort ein Klavezimbel gehabt, protziger- und überspönigermaßen. Alle waren sie mit ihrer bescheidenen Fiedel ausgekommen. Solche »Narrenspossen«, statt mit der Schweinezucht Ernst zu machen endlich!

Wurde allmählich, in dem Maße als der Gestank nachließ, der Musikant in mir wieder lebendig, der löste den Poeten ab. Aus meinem Notenschatz alle meine Leibstücke lasse ich erklingen, unersättlich, in tiefer Rührung, in himmelanlohender Begeisterung. –

Endlich erhalte ich den so heiß ersehnten Brief. Er ist geschrieben auf mattblauem Papier, er duftet nach – Lawendel scheint's diesmal zu sein, ich kann's nicht genau feststellen. Von meinen letzten Gedichten lobt sie darin just die ausgesucht zahmsten, und »vielleicht« schicke ich ihr später noch einmal welche wieder, heißt es weiter. Zuletzt schreibt sie, sie interessiere sich eigentlich mehr für Musik als für die Dichtkunst. Seit sie Gelegenheit habe, bei Freunden – doch hoffentlich weiblichen? – öfters gute Musik zu hören. Und was denn eigentlich meine Musik mache, ich komponiere doch gewiß auch, sie meine, wer dichten könne, müsse, wenn er einmal musikalisch sei, da schon erst recht auch komponieren können.

Lange dachte ich nach über diesen Brief. Schließlich aber beruhigte ich mich. Ich konnte es verstehen immerhin, daß es ihr lieber wäre, wenn ich zartsinnigerweise meine Gefühle – für sie! – in süße, holde Töne presse, statt in Worte. »Süße Liebe denkt in Tönen.« Siehe, und es erwachte in mir der Komponist. Ha, hinweg mit den Noten, mit aller gedruckten Musik, selbst ist der Mann und auch der wahre Musikant, selbst schaffet er sich seine Töne! Im freien Phantasieren übte ich mich zuvörderst. Alles, was mir von Tonfolgen durch den Kopf quirlte, versuchte ich auf den Tasten zum Ausdruck zu bringen, unmittelbar und wild und groß. Die ganze Klaviatur quoll nur so über hauptsächlich von gebrochenen verminderten Septakkorden und kleinen Nonenakkorden, um zunächst vor allem Leidenschaft und Schmerz ausdrücken zu können – Schmerz, ha, Schmerz, Schmerz! – Und auf das Anbringen kühner Wechselnoten und Vorausnahmen, auf Vorhalte ging ich aus, auf Orgelpunkte, auf straffe und heroische Synkopen, aber auch auf seufzerische und schluchzende. Zunächst komponierte ich Lieder, natürlich, und zwar meine eigenen Verse. Durchaus nur meine eigenen. Am Klavier, denn zum Freikomponieren war ich theoretisch doch längst nicht genügend geschult. Eitel Selbstbeschwindelung war mein Komponieren. Ich phantasierte zunächst mich hinein in den Text, und die Akkorde suchte ich danach in Noten mühsam zusammen, auf dem Prokrustesbett der schwarzen und weißen Tasten. Ich spiele und singe das Fertiggewordene und ins Reine Geschriebene endlich mit der Miene eines musenbegnadeten Drachentöters. Mir schwillt die Brust, ist der Dichterkomponist jetzund wahrhaftig in mir fertig, und noch viel was Höheres bin ich damit, als ein bloßer, simpler Komponist, wie er ihr schon genügte. Ha, zwo Musen zugleich umschlingen meine Seele, zwo Sphinxe küssen und zerfleischen mich zugleich! Muß schon ein einfacher Dichter schwer leiden unter seiner einen besonderen Sphinx, wie aber erst der Dichterkomponist, im Weh des Schaffens, ob der doppelten Geburtsschmerzen!

Lieber Gott, und doch kann schon niemand zween Herren dienen, – geschweige zwo Musen!

Ein wahrer Musenkoller hat sich meiner bemächtigt.

Kopfschüttelnd gingen die Bauern vorüber, wenn ich so am Klavier mich abmarachte in den Klauen beider Sphinxe. Alles für die Musen – nichts für die Schweine! In den Puvogelschen und Appel-Wätjenschen aber verwandelte die Milch der Liebe sich in Gift und Haß, weil ich sie, beiderseits, jetzt schnöde vernachlässigte, sie verschmähte. Mit den guten Äpfeln und Würsten war's vorbei. Zu Großmutters besonderem Gnitt. Auch Großmutter wurde an mir irre.

* * *

Ein schulfreier Mittwochnachmittag ist's. Ich habe mir vorgenommen, ein schon lange dafür angemerktes Gedicht aus den »Frühen Rosen« zu komponieren.

Schlüsselblume.

Nimm es hin, das holde Blümchen,
Reich mir deine weiße Hand:
Eben aufgeblüht ich's fand,
Hinterm Bach, am Garten.
Schlüsselblume ist's genannt,
Weil's die Blumenpracht erschließt,
Weil's zuerst der Erd' entsprießt,
Naht der Frühling wieder.
Ach, daß es erschlösse mir
Dein sanftes Herz in Lieb' und Treu',
Nach langem Winter ewig neu
Ein Frühling mir da blühte.

Im Eifer des Schaffens merke ich nicht, daß draußen jemand mich belauscht. Plötzlich knurren Hunde. Beschwichtigungsversuche. Ich werfe wütend meine Augen hinaus. Ein Forstmann steht draußen. Er ist dick und schwammig, das Gesicht gedunsen und stark gerötet, Bart und Haar sind wenig gepflegt, schlaff hängt die Unterlippe herab. Unheimlich leuchtet die blauüberlaufene Nase. Unter einer edelgeformten Stirn geisterhafte, merkwürdige Augen, in tiefen Höhlen. Es spricht Musik aus diesen Augen! Jetzt macht er eine Bewegung ins Licht, und ich erkenne am grünen Samt des Halskragens den Königlichen Oberförster. Er greift an seinen Hut: »Kam just daher des Wegs. Interessiere mich für Musik.« Etwas ironisch darauf: »Höre, Sie komponieren. Interessant, ein Komponist hierzulande – im Lande Mufrika, wo die Schweine so gut gedeihen. Hoffentlich interessieren Sie sich aber auch für andere Kompositionen als Ihre eigenen. Sebastian Bach – das Wohltemperierte, wie? Sie kennen es auswendig, nehme ich an, als – Komponist.«

Ich werde rot. Denn so gut wie nichts kenne ich aus dem wohltemperierten Klavier. Bach war mir bis dahin fremd geblieben. Im Seminar hatte mir dafür die richtige Anleitung gefehlt. Hatte doch unser Pause in seinem Pietismus Bach uns förmlich aufzwingen wollen. Mit übermäßiger Betonung des Religiösen, konfessionell Protestantischen in Bach. So vereinte sich in Bach nach meinen Begriffen der Mathematikus in Tönen mit so etwas wie einem orthodoxen musikalischen Oberkirchenrat. Auch später, so oft ich's auch versucht hatte, war mir der ungewohnten, strengen, kontrapunktischen Form wegen der Gehalt Bachscher Musik verschlossen geblieben.

»Wenn Sie mich öfter besuchen wollten, zum Musizieren, ich würde mich freuen,« unterbricht endlich der Oberförster die entstandene Verlegenheitspause.

»Blaff, blaff, blaff!« brechen die ungeduldig gewordenen Hunde los. Und nun rückt er seine Büchse über der Schulter zurecht, er greift wieder grüßend an den Hut, wendet sich und geht.

Sich nach einigen Schritten noch einmal nach mir umsehend: »Nicht für ungut, daß ich sie gestört, im – Komponieren. Überlegen Sie sich's. Suche schon lange nach einem musikalischen Gefährten. Man verkommt in Mufrika unter den Schweinen, vierbeinigen und zweibeinigen. Noch dies. Lassen Sie sich nicht etwa abweisen von – ihr. Sie ist eine Harpye.« Und eilig entfernt er sich.

Seltsam! Ich starre ihm nach, ich weiß mir keinen Reim zu machen auf dies Erlebnis. Was, ha, aber hatte er mich nicht verhöhnt geradezu? Mit seinem Bach! Fugen – dabei warm zu werden, nicht meine Sache! Der unverschämte ...!

Ich nehme darauf alle meine bereits fertigen Lieder vor, in ihren sauberen Reinschriften, und breite sie aus vor mir, und mein Selbstbewußtsein schwillt mächtig dabei an. Und kommt darob der Geist wieder über mich. Zurück ans Klavier, gewissermaßen vor mir selber aufzeigen will ich, was ich bin und kann, kein Lied deshalb jetzt weiter schreiben, nein, eine große Sonate soll mein nächstes Werk werden! Gewaltig hole ich aus zu einer promethischen Phantasie, voll wilder Chromatik. So höre ich in meinem Eifer nicht, daß Menschen zu mir ins Zimmer treten, zwei Herren und eine Dame.

Durch Hüsteln macht man sich endlich bemerklich.

Ich fahre auf, potzhimmelsakrament, was ist los schon wieder?

Ein Wasserfall begeisterter Lobsprüche, und man stellt sich mir vor: »Herr Kubein – Frau Lulu Kubein – Herr Bütkamp junior.«

Herr Kubein ist Mützenmacher im Kirchdorf, ich kenne sein Geschäft. Herr Bütkamp junior, ein wie der fliegende Holländer völlig schwarz gekleideter junger Mann Anfang der Zwanziger – er ist, ich weiß es, der einzige Sohn und Erbe der großen Dampfsägemühle im Kirchdorf. Auch von Frau Lulu hatte ich schon viel gehört, sie ist eine mimische Berühmtheit. Man nennt sie die dicke Lulu. Sie ist ganz Busen, wie ein Steinpilz.

»O Himmel,« schwärmt Frau Lulu, »ich liebe leidenschaftlich Musik! Wagner ist aber doch das Schönste, nich?«

Und Herr Bütkamp junior ergreift das Wort: »Also nämlich wir haben einen Verein gegründet zur zielbewußten Pflege der dramatischen Kunst, allerdings, und ihn genannt nach einem hochidealen Werk unseres unsterblichen Schiller, Don Carlos, Tragödie in fünf Akten. Allerdings. Demnächst auf unserem Stiftungsfest spiele ich nämlich im Liebhaberfach eine große Hauptrolle, allerdings, und Frau Lulu ist meine Partnerin, sie spielt die liebreizende junge, unschuldigermaßen verfemte Komtesse –«

»Komtesse Thea,« wirft Lulu ein.

»Also nämlich unser Stück heißt: ›Reichsgraf und Schuster‹, und es benötigt verschiedentlicher Vertonungen, allerdings.« Er zitiert einige Verse, Lulu verliebt dabei anschielend. »Der junge Erbgraf, ich spiele ihn nämlich –«

»Bodo Eberhard«, lispelt Lulu.

»Er ist Major im Leibregiment, er ist tapfer wie Achill. Da kommt's ans Licht, nämlich er ist bloß ein untergeschobenes Schusterkind, und so muß er den Dienst quittieren im Geifer ekler Verleumdungen. Die edle junge Komtesse aber ist sein rettender Engel.«

»Gott, Bütkamp, wie schön Sie das alles sagen,« flötet die dicke Lulu. »Ja, und bei uns im Dings, wer nur irgend Ideale hat, macht sich nützlich bei dieser schönen Sache. Selbst mein Mann – nich wahr, Kortchen? – er stellt den Souffleur.«

Herr Kurt Kubein lächelt gezwungen.

Herr Bütkamp junior darauf wieder das Wort ergreifend:

»Also nämlich wir sind gekommen – wir wollten Sie recht schön bitten, uns das Bewußte zu komponieren und selbiges auch einzustudieren und bei der Aufführung zu begleiten.«

Lulu darauf: »Oh, sagen Sie ja, machen Sie uns glücklich! Sehn Se, dies Couplet« – sie geht mit dem Textbuch ans Klavier – »hab' dafür 'ne Idee, können Se benutzen. Nich scharmant?« Sie stochert irgendwas zusammen und piepst dazu.

Ohne weiteres schütteln beide mir die Hand: »Heißen, innigsten Dank!«

Obgleich mich das Gebaren dieser Leute im Innersten anekelt, ihre Fadheit, Überspanntheit, Verliebtheit – es kitzelt mich dennoch, auch draußen, vor der Welt, für einen Komponisten zu gelten. Ich sage zu. Ha, Musikdramatiker jetzt gleich! Der Oberförster mit seinem Bach, pah, er kann mir ...!

Ich komponiere die bestellte Musik zum »Reichsgrafen und Schuster«, ein Vorspiel, einen Marsch, verschiedene Couplets, Duette, Chöre. Alles wird immer mächtig bewundert, wenn ich's vorspiele. Besonders gleich der einleitende große Chor der Schustergesellen, wie sie in der Werkstatt beim Singen zugleich die Schusterhämmer schwingen und die mit dem Spannriemen festgehaltenen Sohlen bearbeiten, im charakteristischen Klopfrhythmus: »Radda-dada – Radda-dada –«. Und man traktiert mich auch, auf Vereinskosten, mit Bier und Leberwurst. Einmal sogar warm, mit Bratwurst und Linsen. –

Der große Tag der Aufführung rückt heran. Zwei Parteien hatten sich gebildet, eine dem »Don Carlos« freundliche und eine andere, ihm feindliche. Der Anführer der Gegner war ein anderer Mützenmacher, der erst kürzlich im Orte aufgemacht hatte. Und bei der Aufführung nun: erst als das Liebespaar genauer wird, geht's los, man pfeift, grölt, und als man den Ehemann gewahrt, im Souffleurkasten: »Kortchen,« spottet man da, »haste denn 'n Brett vorm Kopp? Kortchen, laß dir kein Hirschgeweih aufsetzen!« Und damit bringen sie den guten Herrn Kubein aus dem Text, und auf der Bühne geht bald alles drunter und drüber. Immer schärfer aber stichelt man noch. Der sonst so sanfte Herr Kubein – wie ein spanischer Stier stürmt er zuletzt auf die Bühne. Das verräterische Paar, ha! Zugleich erscheint der alte Herr Bütkamp im Saale: »Laß ab, laß ab von diesen Schosen, mein Sohn, oder ich verstoße dich, und du bist nicht mehr mein Sohn!«

Man stimmt ihm bei. Recht habe er, der Vater, und solle der leichtsinnige Herr Sohn sich lieber besser um die Dampfsäge kümmern, statt um seines Nächsten Weib.

Das Klavier hatte einen ziemlichen Schaden weggekriegt in dem Tumult. Dafür machte der Wirt mich verantwortlich. Und ich hatte es doch mit angesehen, ein angetrunkener Arbeiter von der Dampfsägemühle war's gewesen, der hatte, um seine Verachtung der Kunst nachdrücklich zu bezeugen, mit dem Absatz etliche Male in die Tasten getreten.

Die dicke Lulu aber und ihr Partner und Galan? Als man die Friedenspfeife raucht, die Versöhnungsschlucke sich zuprostet, da sieht man sich nach ihnen um, man will ihnen in Güte zusprechen, voneinander abzulassen, sich beiderseits ums Geschäft besser zu bekümmern hinfort usw., ja und damit Vergeben – Vergessen. Beide aber sind verschwunden. Es stellte sich heraus, sie sind zusammen durchgegangen.


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