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Dritter Teil.


Kapitel 11.
Schweinezucht

Endlich kam die Anstellung. Zu Ende damit die Lehrzeit, ich war nun in Amt und Würden.

Man bloß nicht Schulmeister in Mufrika werden, hieß es im Seminar, wer da hinkomme, müsse verderben an Leib und Seele. Mit Mufrika war gemeint der öde Moor- und Heidewinkel im Nordwesten der Provinz, jenseits der Weser, wo's auf der Landkarte ganz ins Weiße hineingeht. Nun hab' ich's, man steckt mich mitten hinein, in ein elendes Nest. Eigentlich sind's der Nester drei. »Das Königliche Konsistorium hat Sie zum Lehrer der zu einer Schulgemeinde vereinigten drei Dörfer Hamelsen, Pahlsen und Putersen ernannt,« steht großsprecherisch in der Anstellungsurkunde.

Groß aber war die Freude in meinem Elternhause, mich damit im sicheren Brot zu wissen. Man atmete auf. Meine nächste Sorge zum Antritt meines Amtes galt meiner entsprechenden würdigen Equipierung – ich drückte mich gewählt aus, möglichst in Fremdwörtern – und alsbald stolzierte ich herum in blitzblank gewichsten Stiefeletten, die knarrten herausfordernd bei jedem Tritt, und hinzu kam noch ein neuer, steifer, schwarzer Filzhut, und der unbedingt erforderliche schwarztuchene, langschößige, geistliche Schoßrock. Als ich so meinen Abschiedsbesuch machte, in steiffeierlicher Haltung, ja da riß man überall weit die Augen auf.

Von der Bahnstation lagen meine vereinigten drei Dörfer Hamelsen, Pahlsen und Putersen noch reichlich zwei Stunden heideeinwärts entfernt, und hier war zugleich mein Kirchort, wohnte Seine Hochwürden, der Herr Superintendent, mein Vorgesetzter und Schulinspektor. Ich stieg ab im einzigen Gasthof, der auf Beherbergung Fremder schlecht und recht eingerichtet war, er nannte sich hochtrabend »Hotel Louisiana«.

»Nanu,« empfing mich der Wirt, »in Hamelsen is doch Herr Lüdeking, den wollen Se da doch woll nich austreiben, is 'n ganzen famösen Menschen, und die Bauern lassen sich für ihn dodschlagen. – Nu, was kriegen Se denn da for 'n Salär und Traktament?«

»661 Mark und noch Melioramente.«

»Müssen Se vermehren. Müssen da Sweine züchten, nämlich 'n ganzen staatschösen Sweinekoben haben Se da. Das Schulhaus selber, ja das war früher, hm, glaub' ich, die Armenkate.«

Ich mache erschrockene Augen.

»Junger Mann: die Sweinezucht, den Deuker, was denken Sie! Is unser bester Segen hierzulande! Sehn Se, alle Ihre Vorgänger da im Dings haben würklich mehr von ihre Sweine gelebt as von die Schulmeisterei. Un dann noch, hören Sie: furns heuraten, sonst gehn Se da kaputt, denn mit die Kost is das da 'ne miese Sache. Den Schulmeister in der Kost nehmen, hm, tun die Bauern nich gern, is ihnen zu schanierlich. Im Krug aberst, puh, igitt, kann man kaum sein Pferd füttern, geschweige –. Außer vielleicht –«

Er wollte offenbar noch mehr sagen, verbiß sich's jedoch.

Am andern Morgen ging ich gleich zu Seiner Hochwürden, denn zufällig war ein Bauer meines Dorfes mit seinem Gespann anwesend – der große Vollkötner Gerd Barbraake, er hatte Ferken zum Schweinekäufer gebracht – und so konnte ich gleich mit Gelegenheit hinkommen, wenn auch im Schweinewagen. Die Sache fing in jeder Hinsicht schweinemäßig an. Da er nicht lange warten wollte, wagte ich mit vielen Bitten um Entschuldigung bei Hochwürden den allzu frühen Besuch.

Hochwürden hatte zur letzten Tasse Kaffee gerade angeschmökt, er sog noch immer angestrengt, die Pfeife wollte zu seinem Ärger nicht so recht ziehen. Mein Gehalt, setzte er mir auseinander, übersteige eigentlich die Kräfte der kleinen und armen Schulgemeinde. »Freilich was das Schulhaus da betrifft – nun ja, Sie sind jung und ledig.« Zuletzt bestimmte er den Tag meiner kirchlichen Einführung und die im Nachmittagsgottesdienst von mir abzuhaltende Probelektion.

Gerd Barbraake knallte schon ungeduldig mit der Peitsche. Ich stieg hurtig ein, und der Wagen rumpelte zum Tore hinaus. Auf alle meine neugierigen Fragen nach Dorf und Schule gab Gerd Barbraake mir nur immer höchst einsilbige Antworten, und er holte dabei aus mit der Peitsche, als wolle er zuschlagen, vor Ärger, überhaupt sprechen zu müssen.

Endlich lud er vor einer höchst erbärmlichen Kate meine Sachen ab. »Na, adjüs ok! Jüh!«

Meine Schulkate –. Wie das Hirtenhaus im Märchen, so verfallen ist sie und windschief, die Fensterchen mit nur einem Flügel hängen schief in den Hespen, auf dem windzerzausten Strohdach wuchert dunkelgrünes Moos. Gegenüber der Schweinekoben in seiner massiven Stattlichkeit, wahrhaftig, er ist ein Ministerium dagegen, ein Staatspalast. Ein halberstorbener Birnbaum, ein paar Zwetschenbäume, eine Gruppe Birken. Und die Birken – sie stehen da wie kummervolle Menschen, einzelne welke Blätter hängen ihnen noch in den Ruten, und leise zittern sie im Winde. Es ist, als fühlten sie mit mir, wie daheim meine Musen- und Weihebirken.

Eine trostlose Gegend, ödes Bruchland ringsum mit Wasserlachen, und weithin am Horizont erstreckt sich ein Hochmoor, wie ein Sargdeckel.

Endlich rührt sich was im Hause. Mit einem Tubben Schweinefutter kommt ein altes Weiblein zum Vorschein, krumm und ganz zusammengehutzelt, es ist die Witwe Gesche, Rosine Dunekake, die mit einwohnt im Schulhause, für den Jahreszins von dreißig Talern.

»Gu'n Dag ok, Herr Lehrer!«

Zugleich schallt's hinter ihr aus dem Hause: »Gott zum Gruß, mein sehr wertgeschätzter Herr Kollege!« Und Herr Lüdeking tritt an mich heran und schüttelt bieder mir die Hand. Er ist groß und beleibt, ihn schmückt ein pompöser Siegelring, eine pompöse Panzeruhrkette mit einem ganzen Knäuel Schaumünzen. Ist nur alles Tombak, leider. Sofort ist er grenzenlos offenherzig, er räsoniert über Land und Leute, und daß es ein Elend wäre, hierzulande Schulmeister zu sein. Das tut er, merke ich wohl, in der Absicht, mich abzuschrecken. Denn im Gegenteil, gar zu gern wäre er hier geblieben, jedoch er hatte es leider nur bis zum – Präparanden gebracht, er hatte, da just großer Lehrermangel war, die kleine und schlecht bezahlte Stelle nur aushilfsweise verwaltet und wohl gedacht, es würde noch lange so weiter gehen. Nun war's aber anders gekommen, nun hieß es für ihn: entweder die Aufnahmeprüfung machen oder den bunten Rock anziehen. Das waren üble Aussichten. Die zwei Jahre hier als Schulmeister und Bauernadvokat: freilich das konnte ihm schon passen, er war prächtig dabei gediehen, die Leute hielten ihn hoch, schon weil er immer lustig war und trinkfest. Natürlich hatte er auch schon eine Braut. Das erfuhr ich gleich alles von Großmutter Dunekake. Eine schwer hintersetzte wäre es, nämlich vom reichen Pächter Puvogel in Putersen eine Tochter, Hannchen, die jüngste und hübscheste unter drei Schwestern. Bei Puvogels kochte man auch einen guten Topf, und so wären alle früheren unverheirateten Schulmeister dort in die Kost gegangen. Herr Lüdeking war mir natürlich da im Wege, merkte ich wohl, und mir blieb nichts anderes übrig, ich mußte in den dreckigen Dorfkrug gehen.

Schlimm sah's in der Schule aus, die Kinder waren unwissend, respektlos, zuchtlos, es war nichts mit ihnen anzufangen, als hätte ich statt Kinder Ferkel vor mir in den Bänken sitzen. Mit dem Mut der Verzweiflung suchte ich mich in den Schulbetrieb einzuarbeiten.

* * *

Als im Kirchdorf am Tage meiner Einführung die Glocke zu läuten begann, Gott im Himmel, da war mir's, als wäre es die Armesünderglocke, und ich solle gehängt werden! Vorm Altar an den kirchenpflichtigen Kindern hatte ich nun mich auszuweisen, insonderheit in meiner »Katechetik«, damit man einen Begriff bekomme von meinem Lehrgeschick. In großer Schwulität drechselte ich meine Fragen. Es ging aber leidlich, die Kinder waren gut beschlagen. Endlich winkte Hochwürden ab und erteilte mir zu meinem Amt den kirchlichen Segen, mit den üblichen Vermahnungen und Bekräftigungen, im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, und mit dem »Amen« atmete tief ich auf. Alle Kollegen aus dem Kirchspiel waren gekommen, denn man erwartete von mir eine ordentliche und regelrechte Einführungskost im Hotel Louisiana, mindestens zehn Runden Kümmel, zur Besiegelung der Kollegialität. Alle waren sie da eifrige und erfahrene Schweinezüchter, und das Gespräch drehte sich weit mehr um Schweinezucht und ihre handgreiflichen Vorteile, als um Schule und Kinderzucht mit ihrem ewigen Ärger und Verdruß, bei schlechter Bezahlung. Der einzige wahre Segen Gottes wär's hierzulande, die Schweinezucht streiche dem Schulmeister wahrhaftig erst eigentlich sozusagen die Butter aufs Brot. Auch Exkollege Lüdeking war mit da und hatte sehr das große Wort.

Um nicht gar zu übel abzustechen, trank ich mehr als mir gut war. Denn keinen Alkohol vertragen zu können, hielt man wie im Seminar so auch hier für einen Schimpf. Man hätte entschieden mich sonst für einen Duckmäuser und Schleicher erklärt, ja für einen Schuft und Verräter.

Als wir endlich aufbrachen, spät in der Nacht, konnte ich von Glück sagen, daß ich meinen braven Exkollegen Lüdeking zur Seite hatte, als Führer, Tröster, Helfer. Nämlich zu verschiedenen Malen, hm, unter den Birken am Wege. Wie war er doch so gut und edel zu mir, um hernach im Dorfe gegen mich zu hetzen.


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