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An die Mutter

Nicht gütig klangen deine Worte, Mutter,
Wenn laut befehlend du zur Arbeit riefst.
Hart eingespannt vom Joch des steten Schaffens,
Warst du der Güte äußerlich entfremdet;
Dich traf der Peitschenhieb des Alltagszwangs.
Mit jedem Tag sahst Großes du erliegen,
Indes das Kleine hohen Ruhm gebar;
So wußtest du, daß Hartes nur dem Härtren
Sich fügen kann und zum Beherrscher wird ...

Stumm kauertest in allen Winkeln
Du graues unbarmherz'ges Weib;
Vor dir war kein Versteck zu finden:
Fahl dein Gesicht, und gramgefurcht.
Verzerrte Lippen.
Bittre Mienen.
Doch hin und wieder leises Beben,
Das deinen Körper tiefbewegt ...

Zwölf Augen sahn dich fragend an,
Zwölf große tiefe Kinderaugen ...

»Was steht ihr da ... und guckt und staunt!
Ich weine nicht, hab' nie geweint!
Marsch fort! So laßt mich doch allein ...«

Wir suchten dunkle Winkel auf – –
Wir saßen stumm und schwiegen lang.

Dir kamen stille Einkehrstunden,
Und Müdigkeit, Ermattung kam,
Und deine Seele fragte leis:
Wozu dies Leben, dieses Ringen,
Dies Mühen, dieses Einsamsein? –
Und während so die Umwelt schwand,
Das Auge sich zur Seele senkte,
Da rissen alte Wunden auf,
Die Härte schlug und Strenge barg:
Ein herber Schmerz, ein herbres Zucken ...
Und leise Trän' auf Träne rann.

Du wolltest ohne Zeugen sein ...
Als Siegerin im Leben stehn,
Ein edles Vorbild für die Deinen,
Damit sie, wenn herangereift
Allein dem Leben Trotz zu bieten
Sie kühnlich wagten fürderhin.

Das Leben hat dich hart gemacht,
Und Liebe wob im Traume nur
Die schönsten ihrer frohen Lieder.
Der Kinder weicher Mund berührte
Den deinen nie, weil unbekannt
Das Weiche Kinderherzen war,
Die heiß wie du danach entbrannt ...

Wir gingen fremd an uns vorüber
Und waren doch so nah verwandt,
Es kam der Flügelschlag der Jahre;
Und hob uns auf, und trug uns fort.
Wir haben so wie du gewollt –
Gerungen und uns selbst bezwungen
Und stehen nun als Eigne da!
Und hart wie du, beinah noch härter,
So hart, daß uns oft selber graut
Vor soviel Härte, die nicht Tränen,
Nicht Weinen kennt, wo andre wimmern, –
Ist unser Herz zu Eis erstarrt?

Wenn Stunden innrer Einkehr kommen
Und sich die Seele bangend fragt,
Wozu dies Leben, dieses Mühen,
Dies Ringen in der Einsamkeit –
Dann ist's, als ob die Stube enger,
Das Dach hernieder stürzen wollt;
Wir fühlen Schmerz, ein herbes Zucken,
Und leise Trän' auf Träne rollt – –

*

Verborgne Herzenskammern öffnen
In Stille sich, weil unbelauscht.
Wir weinen so, wie du, o Mutter,
Die auch geweint und sich geschämt,
Wenn Tränen ihre Wangen näßten,
Die von der Sonne nie geküßt ...

In jenen Stunden, wo wir weinen,
Fühlen wir, Mutter, deine Güte,
Groß steht vor uns dein Bild wie nie.

Emil Rabold.


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