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Fünftes Kapitel.
Freiheit und Aufklärung

Soweit ich mich überhaupt – in New York oder sonstwo – ernstlich mit Politik befaßt habe, wurde ich dazu durch zuviel Essen von Konservenspargel veranlaßt. Dies wieder geschah dadurch, daß ich jenen Posten bekam, als Assistent bei Herrn – ich will ihn Cholmondely nennen, obwohl sein wahrer Name viel aristokratischer klang – und der ein Delikatessengeschäft in der Sixth-Avenue hatte. Als mein Freund Dempsey mir die Empfehlung gab, sagte er mir, daß Herr Cholmondely ein Knauser sei – und das war er auch wirklich. Er war eine interessante Kombination, sogar für New York. Seine Mutter war eine Griechin – sie stammte von den byzantinischen Kaisern ab, wie alle Griechen in New York; sein Vater war ein Deutscher – ein Nachkomme des Kaisers Friedrich Barbarossa, wie jeder Deutsche in New York; und er war ein Jude und sein Name Cholmondely, wie ich schon gesagt habe. Er wußte (denn Dempsey hatte es ihm gesagt), daß ich in der Klemme sei. Dempsey lieh mir fünfzig Cent, und ich erinnere mich stets mit Freuden daran, daß ich, wieviel Schulden ich auch hatte, als ich New York verließ, ihm alles zurückzahlte. Von diesen fünfzig Cent ließ ich mir für zehn die Schuhe putzen – aus Liebe zur Eleganz. Es kostete eigentlich nur fünf Cent, aber es war schon so lange her, daß ich Geld in der Tasche gehabt hatte, daß ich dem Kerl fünf Cent Trinkgeld gab, und der Zuwachs an Selbstachtung war soviel wert. Dann legte ich fünfundzwanzig Cent für zwei Kragen an – man muß doch einiges Gepäck haben, wenn man eine neue Wohnung aufnimmt; und für zehn Cent ließ ich mich rasieren – der Barbier sagte, das sei schon Haarschneiden und verlangte fünfzehn – und so hatte ich genau fünf Cent, als ich meine neue Stelle antrat.

Ich hoffte, Herr Cholmondely würde mir auf meinen ersten Wochenlohn etwas vorschießen, aber er war anderer Meinung. Wenn ich es zustande gebracht hätte, so lange ohne Geld zu leben, so meinte er, könne ich noch eine Woche aushalten und mir den Ärger ersparen, mein Gehalt auszugeben, bevor ich es verdient habe. Das war nur logisch. Doch er kümmerte sich um mich – wie er so freundlich war, es selbst zu nennen – und er gab mir für die erste Woche Kredit bei Bezug von unserem Mehrvorrat. Meine fünf Cent gab ich für einen Laib Brot aus, der sehr gut war, aber schrecklich teuer, und im übrigen hielt ich mich an den Mehrvorrat. Dieser bestand aus Konservenspargel und Sardinen. Wenn ich hundert Jahre alt würde, möchte ich von beidem nie wieder kosten. Jedes für sich war genügend schlecht; am Donnerstag, als ich mit meinem Brot zu Ende war, versuchte ich beides zusammen. Am Freitag kam eine liebe kleine Kabarettdame, die in der Nähe engagiert war, und sagte, sie habe noch nie einen dicken Mann von so verhungertem Aussehen gesehen wie mich, und sie lud mich ein, mit ihr ein belegtes Brötchen zu essen. Ich aß sechs und schämte mich nicht. Am nächsten Tage sagte ich Herrn Cholmondely, sie sei eine Primadonna und man könne ihr kreditieren und alles lief gut ab. Ich habe nichts gegen Herrn Cholmondely; er ließ mich in der ersten Woche hinter dem Ladenpult schlafen. Ich glaube, es war härter, aber es war viel respektabler als eine Bank auf dem Union- oder sogar auf dem Madison-Square.

Es geschah durch Dempsey – meinem guten Engel –, daß ich ein Politiker wurde, obwohl ich ehrlich glaube, ich hätte mich davon zurückgehalten, hätte es keinen Spargel gegeben.

Ich war allein im Laden, als Herr Hawes hereinkam. Ich habe nie vorher jemanden gesehen, an dem man so deutlich merken konnte, daß es ihm gut gehe. Er hatte einen großen schwarzen Schnurrbart, ein Lächeln, einen Schmerbauch, eine Diamantkrawattennadel und eine Zigarre. Er drückte mir warm die Hand und sagte, er freue sich, mich zu treffen. Man muß sich nur vorstellen, was das für mich bedeutete! Dann sagte er, ich sei ein Engländer. Da ich noch nicht Gelegenheit gehabt hatte, auch nur ein Wort zu sprechen, fragte ich ihn, woher er es wisse. Er sagte, das merke er an meiner Aussprache. Dann trug er mich zu meinem Erstaunen in ein kleines Notizbuch ein und sagte, mein Name sei vorläufig Alf Cohnstamm, geboren in Paterson, New Yersey, und ich sollte ins Café O'Keefe kommen, sobald man um mich schicken werde.

Er wollte gerade hinausstürzen, als irgend etwas in dem Tonfall, womit ich ihm dankte, ihm, wie ich glaube, merkwürdig vorkam. Er sah mich von der Seite an, und fragte, ob ich nicht ein »Schlaumeier« sei. Ich sagte, das wisse ich nicht, doch mein Name lasse die Vermutung zu, daß ich von Juden abstamme. Er sah noch immer etwas geärgert drein, und so lächelte ich ihn freundlich an und er besänftigte sich und fragte mich, ob Herr Cholmondely mich noch nicht belehrt habe. Ich sagte, daß er es daran nicht habe fehlen lassen – und das war wahr, soweit es das Delikatessengeschäft betraf. Herr Hawes neigte sein Haupt zur Seite und schüttelte mir wieder sehr warm die Hand. In Amerika ist Händeschütteln eine wahre Manie. Ich habe mir sagen lassen – aber ich kann nicht beschwören – es soll wirklich wahr sein, daß ein Amerikaner, sobald er auf die Welt kommt, das Ereignis damit feiert, daß er der Hebamme und dem Arzt die Hand schüttelt, und daß, wenn man das Pech hat, als Mörder auf den elektrischen Stuhl zu kommen – dazu muß man allerdings sehr großes Pech haben, sonst passiert das einem nicht –, so schüttelt man dem Elektriker die Hand und dem Gefängnisdirektor und dem Priester und den Aufsehern und den Zeitungsreportern, und sagt ihnen, sie sollten einen unbedingt besuchen sooft sie vorüberkämen. Wie immer, Herr Hawes schüttelte mir zweimal die Hand und dann, als er schon an der Türe war, kam er zurück und schüttelte mir zum dritten Male die Hand und dann steuerte er mit seiner Zigarre und seiner Krawattennadel hinaus.

Bei Gelegenheit befragte ich Herrn Cholmondely über ihn und er sagte mir, er könne mir nur nützlich sein.

Eine Woche später wurde ich ins Café O'Keefe gerufen. Herr O'Keefe war eine verstärkte Ausgabe von Herrn Hawes und sein Antlitz war dementsprechend noch um eine Nuance rosiger. Sein Schnurrbart, sein Lächeln, sein Schmerbauch, seine Zigarre, alles war um eine Nuance größer und dicker, und er sagte mir, ich sei ein Demokrat. Er gefiel mir auf den ersten Blick, denn er hatte purpurrote Stielaugen, die so aussahen, als ob sie nur durch die Übung bewunderungswürdiger Selbstbeherrschung sich davon abhalten ließen, aus den Höhlen zu springen, und er erinnerte mich an Chris, den ich gern wiedergesehen hätte, wäre es nicht wegen der fünf Cent gewesen, die die Fahrt nach dem Zoo kostete. Herr O'Keefe goß mir ein Gläschen ein, während er mir erklärte, daß ich ein Demokrat sei, und er fuhr fort, mir zu erklären – mit einem Gläschen zwischen den einzelnen Paragraphen –, daß es meine glühende Überzeugung wäre, es müßten gewählt werden:

Smith als Bürgermeister,

Jones als Regierungsbevollmächtigter

Und jemand anderer zu irgend etwas anderem

Und ebenso Herr Tuchverderber

Und Herr Breitstein

Und Herr Letztergroschen

Und Herr Mavrogordato

Und Herr Ferrati

Und eine ganze Anzahl anderer Leute

Und daß alle diese Leute ich selber sei

Und daß wir eben deshalb jeder drei Dollar wert seien – eine Kleinigkeit unter dem Preis, der sonst gezahlt wird, weil ein größerer Einwandererschub vor ein paar Tagen eingetroffen sei und den Markt drücke.

Zwischen Erstaunen und den Gläschen und den Erinnerungen an Konservenspargel glaubte ich alles, was er mir sagte.

Infolgedessen gaben Herr Breitstein und Herr Ferrati und Herr Mavrogordato und die übrigen, die alle ich selber war, ihre Stimmen für Smith und Jones und die anderen Herren der Liste ab. Unsere Parteitreue brachte uns eine entsprechende Menge Geld ein und ich beschloß, ein Demokrat zu bleiben, so lange ich lebe – oder bis eine andere Partei mehr bezahlt. Das Geld kam mir sehr zupaß, denn gerade damals nahmen Herr Cholmondely und ich voneinander Abschied, und ich war höchst unangenehm arbeitslos, bis ich nach einem Monat etwas beim »Film« bekam.


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