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Sechzehntes Kapitel.
Ein Sohn des himmlischen Reiches

Der erzieherische Wert der öffentlichen Lokale ist von den Sozialreformern nur selten gewürdigt worden. Die Bar hat alle Vorzüge einer Universität ohne ihre Schattenseiten. Ich persönlich habe in Herrn Macgregors Café viel mehr gelernt, als je außerhalb desselben – und nicht nur, was mit Alkohol im Zusammenhang steht. Vor allem habe ich hier richtig Englisch gelernt.

Als ich zuerst nach New York kam, hatte ich einen Posten bei einer Zeitung. Ich schäme mich, wie bald ich ihn verlor, aber ich muß gestehn, meine Entlassung war sehr wohl begründet, denn mein Englisch war viel zu provinziell für ein hochgestimmtes Großstadtblatt. Dringendere Dinge ließen mir nicht Zeit, die Sprache zu studieren, bis ich dann Barkeeper wurde und erkannte, welch guten Grund mein Hinauswurf aus jenem ersten Zeitungsbureau gehabt hatte. Aber ich verzweifelte nicht. Ich machte mich an die Arbeit und sobald ich die vier Hauptgeheimnisse der englischen Sprache erlernt hatte, faßte ich mir ein Herz und versuchte mich nochmals im »Journalismus«. Das heißt nicht, daß ich tatsächlich eine journalistische Stelle suchte – dazu kannte ich meine Grenzen zu gut –, aber ich begann kleine Artikel zu versenden, der eine oder andere wurde angenommen und ich kann nicht sagen wie stolz ich darauf war. Stolz, meine ich, weil ich sah, daß ich noch fähig sei, etwas zu erlernen und daß ich hoffen dürfe, in ein oder zwei Jahren das Englisch des amerikanischen Präsidenten ganz passabel zu sprechen. Es ist schließlich etwas, in zwei Sprachen schreiben zu können, besonders wenn die beiden Sprachen so viele oberflächliche Ähnlichkeiten haben. Die Deutschen sind für Sprachstudien sehr befähigt; doch man kann keinen Deutschen finden, der gut Holländisch spricht; die Sprache ist seiner eigenen zu ähnlich.

Es gibt verschiedene Schibboleths, an denen der echte New Yorker den provinziellen jungen Mann aus England erkennen kann. Hier folgen die vier wichtigsten, durch deren sorgfältige Beobachtung ein Engländer sogar in der anglosächsischen Hauptstadt unerkannt bleiben kann. Vor allem hat er die verhängnisvolle Gewohnheit, Wendungen zu gebrauchen wie: »You must«, »You should«, »It is essential that you –« und so weiter, während man in Amerika für all das nur zu sagen hat: »You gotta.« Ebenso, wenn er sagen oder gar schreiben wollte: »A quarter to ten«, so würde das ihn verraten. Es muß heißen: »A quarter of ten.« Schließlich wird er »Yes« und »No« sagen – zwei Worte, die der kultivierte Angelsachse gar nicht kennt, der überhaupt keine Ausdrücke hat, um solche Vorstellungen auszudrücken. Eher kann man in Amerika »Yup« und »Nop« hören, aber auch das nicht in wirklich kultivierten Kreisen. Ich übergehe eine ganze Reihe kleinerer Fehler, da sich auch in England langsam die Überzeugung durchringt, daß Amerika hier weit voran ist und daß solche Provinzialismen allmählich abzustreifen sind.

Wenn man weiter gehen und nicht nur für einen Amerikaner, sondern für das großartigste Geschöpf auf Gottes Erde, für einen bodenständigen New Yorker gehalten werden will, so muß man stets das »th« als »d« aussprechen. Ich glaube, daß diese merkwürdige Aussprache auf die ungeheure Zahl deutscher Einwanderer zurückzuführen ist. An diesem »th« ist nichts Gutturales, es ist ein reines »d« und sehr charakteristisch.

Es ist sehr leicht, ein Spezialist in amerikanischem Dialekt zu werden, und ich darf, ohne zu prahlen, behaupten, daß ich eine Zeitlang emeritierter Professor an der Macgregor-Universität war.

Ich fürchte, ich bin etwas vom Pfade meiner Vagabundenerlebnisse abgeschweift, aber so war es auch im wirklichen Leben, während ich in der Bar des Herrn Macgregor angestellt war. Ich lag sozusagen auf einem Hügel des Friedens, wo ich rasten und auf die Irrfahrten der letzten Monate zurückblicken durfte. Meine Stellung entsprach der eines Polizisten, welcher an einem belebten Punkt Dienst macht: denn ein großer Teil von New York passierte täglich meine wachsamen Blicke. Besonders interessierten mich natürlich die Engländer unter unseren Gästen. Es ist überraschend wie viel Engländer es in New York gibt. Es ist schmerzlich, wenn man erkennt, wie viele davon hier gelandet sind, nach Mißerfolgen, die sie anderswo gehabt, und in der vagen Hoffnung, daß hier ein Eldorado sei, wo sie ihr Glück verbessern könnten. Wir haben bis zum Überdruß gehört, daß die Amerikaner die Engländer hassen, verachten und in Grund und Boden verwünschen. Solche Behauptungen sind ganz unwahr, wenigstens nach meinen Erfahrungen; aber wenn es so wäre, würde es gar nicht überraschend sein – soweit es New York betrifft, wenn man sieht wie viele darunter zu gar nichts zu brauchen sind. Der fähige Engländer geht nach Westen; wenn er in New York bleibt, wo für ihn wirklich kein Platz ist, so ist er eben nicht fähig. Ich habe mich selbst in New York aufgehalten und so weiß ich es.

Wenn der New Yorker – und besonders die unteren Klassen in New York – England und die Engländer nicht hassen, so ist es nicht deshalb, weil es ihnen an Ermunterung fehlt. Der Grund ist sehr merkwürdig und hat nichts zu tun mit den Gefühlen des irischen Nationalismus, obwohl das natürlich auch dazu beiträgt. Aber in der Hauptsache ist es Geschäft.

New York hat bekanntlich seine Schmutzpresse – die allerdings nicht schmutziger ist als unsere Presse eben auch. Die New Yorker Zeitungen beschäftigen sich damit, die unteren Volksschichten mit entsprechender Kost zu versorgen. Diese Leser sind hauptsächlich Finnen, Wallachen, Litauer und Angehörige von hundert anderen merkwürdigen Völkern, deren Namen man in England kaum kennt. Die Blätter, die um die Gunst dieser Leser buhlen, müssen, um ihre Groschen zu verdienen, England angreifen, aus zwei Gründen, die beide unerwartet sind. Vor allem macht sich Patriotismus bezahlt, wie anderswo so auch in Amerika, und da vielleicht noch ein bißchen besser. Und es ist die patriotische Pflicht jedes amerikanischen Blattes, das amerikanische Banner aufrecht zu erhalten wider alle Eindringlinge. Nun ist es eine sehr gute Art das eigene Land zu preisen, indem man günstige Vergleiche mit den Schwesterländern anstellt. Man kann aber damit keinen nationalen Ruhm erlangen, wenn man die Überlegenheit Amerikas über die Moldau-Walachei oder das Tartarenland zeigte. Durch einen solchen Vergleich würde man Amerika nur beleidigen. Man muß einen mehr oder minder würdigen Rivalen finden, um den Worten einiges Gewicht zu verleihen. England ist das einzige Land der Erde, das von Amerika für einen würdigen Rivalen gehalten wird. Darum muß England den Hauptstoß aushalten, wenn die Schmutzpresse Amerika auf Kosten der übrigen Welt in den Himmel hebt. So wird der nichteingeborene Amerikaner langsam dazu erzogen, zu glauben, daß alle nationalen Eigenschaften Englands sich unvorteilhaft von denen des transatlantischen Tochterlands unterscheiden. Der eingeborene Amerikaner glaubt das keinen Augenblick; mit geringen Ausnahmen bewundert er England und kann England gut leiden, nur hat er andre Sachen zu tun als diese Neigung auszuposaunen.

Ein zweiter Grund für die Schmutzblätter-Artikel gegen England ist der Rassenkampf, der in den Vereinigten Staaten bereits ausgebrochen ist und der binnen wenigen Jahren sehr ernste Folgen zeitigen kann, falls da nicht Vernunft und Vorsicht walten. Vielleicht weniger in New York selbst als anderswo, aber auch da sehr deutlich, fällt die Tatsache auf, daß alle wirklich tatkräftigen Männer britische Namen haben. Der Finanzmann oder der Kapitalist ist sehr oft, wenn auch nicht immer, ein Deutscher oder ein Jude. Aber der Direktor, der Vorarbeiter, der Betriebsleiter, der Aufseher, die mit den Arbeitern in persönliche Berührung kommen, sind in fast allen Fällen britischer Abstammung. Die Arbeiterklasse, die sich hauptsächlich aus jenen Untervölkern, von denen schon berichtet worden ist, rekrutiert, glaubt, daß sie unbillig behandelt wird. Ich persönlich bin ganz ihrer Meinung, obwohl ich mich nicht weiter darauf einlassen will. Ob es nun so ist oder nicht, der Mann, auf dessen Schultern die Verantwortung für die Leiden der Arbeiter liegt, ist jener Repräsentant der herrschenden Klasse, der den direkten Kontakt hat – der Mann britischer Herkunft. Ex pede Herculem.

Die oberen Zehntausend haben sicherlich wenig Vorurteile gegen England. Im Gegenteil: Die einzige unerläßliche Bedingung für gesellschaftlichen Erfolg ist, einen britischen Namen zu haben. Damit ausgerüstet, hat man immer Aussicht, als ein F. F. V. erkannt zu werden, das heißt: als ein Sproß der »First Families of Virginia«, der vornehmsten Gesellschaft der südlichen Staaten, ein Abkömmling von Kavalieren und geeigneter Kandidat für die Mitgliedschaft des »Themse-Tal-Legitimisten-Bundes« oder der »Gesellschaft der weißen Rose« oder einer anderen trotzigen Jakobitenvereinigung. Wenn das nicht geht, so sind die Vorfahren des betreffenden Herrn mit der »Mayflower« herübergekommen. Die Forschungen des Smithson-Instituts haben bewiesen, daß die »Mayflower« ein Schiff war, das die doppelte Größe der »Imperators« hatte und dementsprechend besetzt war. Wenn du das Pech hast, keinen englischen Namen zu tragen – aber dein Sohn hat ihn dann jedenfalls, also kommt das nicht weiter in Betracht. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund ist es besser, einen englischen Urgroßvater gehabt zu haben als einen englischen Vater. Wenn zum Beispiel dein Vater in Putney geboren wurde, so verheimlichst du es oder sagst, es war nicht Putney in England, sondern Putney in Massachusetts. Wenn es dein Großvater war, so kann dir Massachusetts ebenso gleichgültig sein wie Surrey. Aber wenn es dein Urgroßvater war – dann gibt es nichts mehr, was dich halten kann. Beim geringsten Anlaß, oder bei gar keinem, subskribierst du für den Fonds zur Wiederherstellung der Gemeindekirche von Putney, und wenn du vor deinem fünfzigsten Geburtstag nicht fünfzehn Generationen kreuzfahrender Ahnen hast, die dort begraben liegen, so bist du kein echter Amerikaner.

Meine farbige Cousine Euphemia war ein genügend gutes Beispiel für das geistige Reich, das England in anderer Richtung beherrscht. Ein noch eindrucksvolleres Beispiel begegnete mir eines Tages, als ich mich als Journalist versuchte. Es war ein Engländer namens Ah Wong Li.

Ich war nach Chinatown, dem Ort, wo die Chinesen leben, gesandt worden, um womöglich eine pittoreske Geschichte über eine Schießerei, die dort stattgefunden hatte, zu verfassen. Der Tong ist eines der besten Aktiva der New Yorker Zeitungen. Kein New Yorker Blatt gibt über etwas, was außerhalb New Yorks geschehen ist, mehr Nachricht als unbedingt notwendig ist. Wenn der deutsche Kaiser, der Zar und der französische Präsident bei einem Trinkgelage einander umgebracht hätten, so würde die unternehmendste New Yorker Tageszeitung der Angelegenheit drei Zeilen widmen, die irgendwo versteckt stünden, unter dem Bericht, wie die kleine Flossie Yammerheim aus der X-Straße in der Schule den Kochpreis gewonnen hat, dargestellt in drei Spalten, auf Grund von Interviews mit ihrem Lehrer, dem Rabbiner und dem Delikatessenhändler, der das Kochmaterial beigestellt hat. Das zweit unternehmendste Journal würde dem europäischen Gemetzel eine Zeile einräumen. Die übrigen würden die Sache überhaupt nicht erwähnen. Das New Yorker Publikum kümmert sich nur um das, was in New York geschieht und natürlich auch in Mayfair, das nur eine Vorstadt von Manhattan ist. Der Tong aber – ein chinesischer Geheimbund – ist New Yorkerisch, orientalisch und pittoresk in einem. Und sie bringen immer einander oder ihre Rivalen um, was sie bei den Zeitungen noch beliebter macht. Also hatte man mich nach der Mott-Straße beordert, um die Details über eine Affäre zu erfahren, in der sieben Chinesen einander in einer Waschanstalt totgeschossen hatten und fünf waren verwundet. Und hier traf ich Ah Wong Li. Er war der Sekretär einer blühenden Mördergenossenschaft und er fühlte sich als Engländer. Er war in Berkshire erzogen worden – geboren war er in Hongkong – und er hatte eine ganz kolossale Verachtung für jedermann, der nicht unter der britischen Flagge geboren war. Die Sache, die ihn außer dem Restaurant, das ihm gehörte, am meisten interessierte, war die englische Staatspolitik. Ich werde niemals die Verachtung vergessen, mit der er zu einem andren Engländer chinesischer Abkunft sprach, der erst im Alter von zwei Jahren nach Hongkong gekommen, aber durch irgendein Versehen in der Mongolei geboren war.


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