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Achtzehntes Kapitel.
Über Manieren

Es gibt viele Engländer – wovon einige sogar drüben gewesen sind –, die ernstlich behaupten, daß die Straßensitten von New York ärger sind, als die in irgendeiner anderen Großstadt. Es gibt auch eine ganze Anzahl von New Yorkern, welche ebenso ernstlich dasselbe von London behaupten werden. So urteilt auch Paris über Berlin, Berlin über Paris, und ich glaube Peking über Tokio und umgekehrt. Und sie haben auch alle von ihrem Standpunkt aus ganz recht. London weist mit Stolz auf sein Theaterqueue hin, Berlin freut sich an dem katzenhaften Lächeln, mit dem seine Bewohner die Hüte ziehen, wenn sie einen Laden betreten. Paris wird behaupten – und mit Recht –, daß sein unkultiviertester Apache das Opfer mit einer Grazie umbringt, die in brutaleren Klimaten unbekannt ist. New York kann darauf Anspruch erheben, wenn es will, daß die Manieren des Polizisten Dempsey gegen einen schäbigen Fremden die freundlichste Form von Höflichkeit ist, die man irgendwo finden kann. Der Pariser drängt sich bei Regenwetter nicht in die Straßenbahn – weil ihn eine freundliche Verwaltung rechtzeitig mit numerierten Karten versieht –, aber man muß ihn nur einmal beobachten, wie er sich am Rand einer Menschenmenge benimmt, wenn er sehen will, was Interessantes im Zentrum geschieht. Der Engländer wird seinem Mitreisenden gegenüber sehr kühl und sogar grob sein, denn er ist scheu und selbstbewußt. Der Amerikaner wird sich über den Zwischengang beugen und taxieren, was du für deinen Überzieher bezahlt hast. Denn er hat ein wirklich freundliches Interesse an dir. Jeder von beiden wird den andern für empörend grob halten und jeder von beiden wird ganz recht haben und sehr unrecht.

In England hat man anerkannt, daß ich wirklich bezaubernde Manieren habe. Ich sage das nicht aus kleinlichem Stolz, sondern weil es meinen Standpunkt beleuchtet. Ein New Yorker Bekannter, der seither längst mein Freund geworden ist, hat mir versichert, daß ich, als ich ihm zuerst in seinem Club vorgestellt wurde, ihm herzlich unsympathisch war und daß er mich für einen eingebildeten groben Laffen gehalten habe und was weiß ich noch. Als ich ihn fragte, worauf sich dieses unfreundliche Urteil gegründet habe, sagte er: »Auf deine Manieren. Ich glaubte du müßtest Gottes Cousin sein.« Ganz abgesehen davon, daß nach meiner Meinung eine solche Persönlichkeit wahrscheinlich ganz hervorragende Manieren hätte, daß ich niemals Anspruch auf solch eine Verwandtschaft erhoben habe und daß ich noch nie einen Engländer getroffen habe, der es getan hat, außer daß er den wohlbegründeten Glauben hätte, Englisch sei die einzige Sprache, die man im Himmel spricht, will ich nur sagen, daß ich mich damals sehr bemühte, einen günstigen Eindruck zu machen. Ich bin natürlich bei weitem nicht der einzige Engländer, der so, ohne zu wollen, in New York zu einem ähnlichen Ruf gekommen ist. In meinem Fall stand es glücklicher- oder unglücklicherweise so, daß das Schicksal mir die Überzeugung gegeben hatte, daß ich weit entfernt sei von einem Halbgott und nichts als der elendste Vagabund auf Gottes Erde. Viele Engländer haben das nicht bemerkt und sie gehen durch die Welt, ohne zu erkennen, daß sie Anspruch zu erheben scheinen auf göttliche Ehren und bilden so für alle ihre Landsleute eine wenig empfehlende Legende, die haften bleibt.

Der Engländer sieht in New York ein Heim der Unhöflichkeit, weil er sozial und psychologisch nicht in seinem Element ist. Er erwartet von jenen, die er zuhause als seine Unterordneten zu betrachten gewohnt ist, einen Grad der Ehrerbietung, den kein Amerikaner, wie tief er auch stünde, gewähren würde. Wenn er nur im Polizisten, im Schaffner, im Eisenbahnbeamten einen Mann und Bruder sehen wollte, er würde sie reizend finden. Aber er beurteilt sie nach ihrem Kleide und erwartet von ihnen die Ehrfurcht, die ein Gemeiner in Paradeuniform einem Unteroffizier in Zivil zu zollen hat. Umgekehrt entdeckt der Amerikaner im Engländer bei Leuten der gleichen Beschäftigung ein Benehmen, das ihm als sklavisch und sogar als kriecherisch auffällt. In Wirklichkeit ist das gar nicht so. Denn es ist nur eine Uniform gewohnheitsmäßiger Ehrerbietung, die für den Augenblick angelegt ist, aber von beiden Teilen eben für nichts weiter als eine Uniform gehalten wird. Der Diener in Livree, den im Hause seines Herrn ein amerikanischer Gast als Mann und Bruder behandeln wollte, würde sich mit Recht für beleidigt halten. Man spricht nicht mit dem Mann am Steuer; und er ist zu dieser Zeit am Steuer und lenkt das gesellschaftliche Schiff auf der vorgeschriebenen Fahrt. Einmal wieder in einfachen Kleidern und der Fall liegt ganz anders. Er wird mit dir scherzen und dich so behandeln, wie ein freier Engländer den Fremden in seinen Mauern behandeln soll, und man wird in ihm einen ungewöhnlich guten Gesellschafter entdecken. Allgemein gesagt, man wird nicht entscheiden können, ob der Amerikaner oder der Engländer, der Pariser oder der Berliner, der Bewohner von Zypern oder von Tibet die besten Manieren hat, bevor man nicht eine feste Basis absoluten Wertes für Seife und Bier, Rahmkäse und Mondschein, Poesie und Prosa aufstellen kann. Aber es ist möglich, einen allgemeinen Standard in allem und jedem aufzustellen. Soweit ein Außenstehender die Sache beurteilen kann, würde der New Yorker nirgends in der Welt den Ruf schlechter Sitten haben, hätte er nicht seine Freude – wirkliche Freude – an einer besonderen Sekte oder Glauben oder Religion, die es zu einer Lebensaufgabe macht, schlechte Manieren bis zur äußersten Grenze zu kultivieren. Ich beziehe mich selbstverständlich (wie jeder, der in New York war, sofort erkennen wird) auf die Leute, die in großen öffentlichen Gebäuden die Aufzüge bedienen. Da ich, nachdem ich meine Anstellung in der Spielerwelt aufgegeben hatte, eine Zeitlang bei dieser Profession war, kann ich mit einiger Autorität darüber sprechen. Ich glaube nicht, daß es irgendein Gewerbe oder irgendeinen Beruf in der Welt gibt, der ernstlich mit den New Yorker Aufzugswärtern an Überhebung konkurrieren könnte. Freilich, ich weiß, daß die jungen Fürstinnen in den Imbißrestaurants auch eine ehrenvolle Erwähnung verdienen. Sie sind sehr grob und hochnäsig, eine Nuance mehr, glaube ich, als das Personal der alkoholfreien Restaurants in England, aber sie sind schließlich junge Damen und gehören einer Klasse an, von der man wenig Höflichkeit erwartet – außer man ist ein Gigerl oder ein Steiger. Auch ist es möglich, sie zu beschämen und das kann man sicherlich von keinem Liftwärter irgendwo in den Vereinigten Staaten behaupten. Ich sah einen netten Vorfall in einem solchen Restaurant. Ein Franzose, offenbar erst vor kurzem angekommen, bezahlte an der Kassa seine Rechnung. Das Mädchen warf ihm das Fünf-Cent-Stück, das er zurückzubekommen hatte, so achtlos hin, das es wegrollte und unter ihren Ärmel zu liegen kam, so daß es fast unmöglich war, es von dort hervorzuholen. Der Franzose wartete, daß sie es ihm überreiche, aber sie betrachtete ihn nur mit der Miene eines gereizten Stiers, eine Art, die für ihr Geschlecht und ihre Klasse auf der ganzen Welt charakteristisch ist. Ich habe mich oft darüber gewundert, warum das so sein muß, warum, meine ich, eine junge Dame, die in einem Postamt, einer Telephonzentrale, einem Büfett, einem Temperenzrestaurant beschäftigt ist – allerdings ist es nicht so in einer Bar, wo der Einfluß der alkoholischen Geselligkeit, sie, wie es scheint, aufgeweckter macht –, warum sie überall so angriffslustig gegen jeglichen vom andern Geschlecht sein muß, der nicht gerade ihr persönlicher Freund ist. Ist es deshalb, weil sie glaubt, das sei »ladylike«, oder weil sie weiß, daß sie ein armes, wehrloses Geschöpf ist und weil sie wie eine Geckoeidechse zu ihrem Schutz das Aussehen eines wütenden Drachen annimmt? Ist es – aber ich schweife ab.

Der Franzose also wartete eine Weile, schließlich zog er den Hut, verbeugte sich und lächelte verbindlich. »Wollen Sie es bitte behalten, liebes Fräulein,« sagte er, »als Belohnung für ihre Höflichkeit.« Ich stand hinter ihm in der Reihe der Gäste, die darauf warteten, zu zahlen, und ich hatte meine helle Freude daran, zu beobachten, wie die junge Dame bis über die Ohren rot wurde und ihm wortlos die Münze überreichte. – Ein Aufzugswärter wäre nicht verwirrt gewesen. Er hätte die fünf Cent eingesteckt und den Franzosen beschimpft, weil es so wenig sei. Ich glaube, es muß auf irgendeinem geheimen Handelsvertrag beruhen, daß die Aufzugswärter immer die jungen Damen vom Büfett heiraten und daß dann die Töchter immer den Beruf der Mutter ergreifen, während die Söhne entweder Aufzugswärter oder Zimmerkellner werden. Ich weiß nicht, ob das wirklich der Grund ist, denn solange ich Liftwärter war, stand ich nie auf vertrautem Fuß mit einer Büfettkellnerin. Auch weiß ich nicht, ob das nur eine Eigentümlichkeit New Yorks oder ob es auch in London im Schwange ist. Ich werde das schließlich noch herausfinden. Überlegungen wie diese sind es, die das Leben eines Vagabunden interessant, wenn nicht gar lukrativ gestalten.

Wenn, wie ich glaube, Zimmerkellnerlehrlinge, die nach erlangter Reife zu Hotelportiers aufrücken, wirklich die Sprößlinge von Liftwärtern und Büfettmädchen sind, so sind sie doch in gewissem Grade Beispiele eines Atavismus. Zimmerkellner, Hotelportiers, und in gewissem Grade auch Kellner, sind alle gleichermaßen von dem unamerikanischen Laster des Servilismus angekränkelt und müssen deshalb, wenn meine Beobachtung im übrigen richtig ist, mit irgendeinem entfernten europäischen Vorfahren, vielleicht dem Kastellan eines Ritterschlosses in Zusammenhang gebracht werden. Sie sind nur von Zeit zu Zeit unverschämt. Vor Gästen von erwiesenem Reichtum kriechen sie mit einer Unterwürfigkeit, die anderswo unbekannt ist. Der Liftwärter aber ist gegen Reich und Arm gleichermaßen unverschämt, gegen den Millionär wie gegen den kleinen Beamten, gegen das hübsche Mädchen wie gegen das abgeblühte weibliche Wesen mit sechs Paketen und einem Postkarton als Reisekoffer. Es ist das für ihn eine Pflicht, ein Kult, eine Religion. Ich weiß es nicht, denn ich bin nicht in die intimen Mysterien dieses Berufes eingeweiht, aber ich glaube, daß es da irgendeinen verhüllten Gott der Unverschämtheit gibt, dem man Weihrauch streut, bevor man seinen Dienst antritt, wie es die Anhänger des Thagismus der roten Göttin Kali darbrachten. Diese Treue zum Ideal hat etwas sehr Bewundernswertes – aus einer Entfernung von siebentausend Meilen gesehen. Leider findet sich hie und da ein Verräter. Einige Male bin ich Aufzugswärtern begegnet, die in ihren Manieren gewöhnlichen Sterblichen ähnelten, die der Mysterien nicht teilhaftig geworden sind. Allerdings waren das ausnahmslos Neger.

Es war reiner Zufall, daß ich Aufzugswärter wurde. Nachdem ich meinen Posten bei der »roten Laterne« aufgegeben hatte, ging ich wieder einmal in die Macgregor-Bar, um zu sehen, ob dort etwas los sei und da lernte ich Herrn Mooney kennen. Es ist, nebstbei bemerkt, eine merkwürdige Tatsache, daß ich niemals einen Liftwärter getroffen habe, der nicht von rein britischer Herkunft gewesen wäre, außer die Farbigen und die waren aus den englischen Kolonien. Rein auf Grund der Ereignisse dieses Abends könnte ich einen ganzen Essay aufbauen, welche Vorteile Amerika gegenüber Europa bietet, wenn man Arbeit sucht. Ich war kaum eine halbe Stunde in der Bar, als ich schon zwei Angebote bekommen hatte, die beide zumindest das zum Leben Notwendige versprachen. Ich möchte wissen, wieviel Lokale man in England betreten müßte, bevor man auch nur ein solches Angebot bekäme und doch sagt man allgemein, daß New York – besonders der Westen behauptet es – das Grab aller Hoffnungen sei, soweit es darauf ankommt, seinen Lebensunterhalt zu finden und es sich um einen armen Mann handelt.

Das erste Angebot kam von einem Knaben, der bei der Western-Union-Telegraph-Company angestellt war. Ich nenne ihn einen Knaben, weil er sich selbst so nannte, obwohl er mindestens fünfundsechzig alt war, sehr ergraut und völlig verrunzelt. Ich hatte mit ihm schon vorher einige Male gesprochen und wir hatten herausbekommen, daß wir gemeinsames Interesse an der Geschichte des Aberglaubens und der Zauberei hatten. Ich habe darüber vor Jahren ein sehr kluges Buch geschrieben – wenn es wer kaufen will, so kann er es haben, es ist gewiß noch nicht vergriffen. Denier, mein knabenhafter Freund, hatte über diese Materie nachgedacht – tiefer, glaube ich, als ich es je getan – und so wurden wir Freunde. Das ist eine andere unerwartete Seite an New York, man stelle sich nur vor, daß jemand in eine Londoner Bar hineingeht und dort einen Arbeiter finden will, der sich für Kabbala und Rosenkreuz interessiert.

Was mir Denier anbot, war: Hunde spazieren zu führen. Eine reiche Dame in der Madison-Avenue hatte vier Hunde, die wegen Mangel an Bewegung an Indigestionen litten. Der frühere Wärter war Knall und Fall entlassen worden, weil er sich erkältet hatte und seither wegen Schnupfens durch die Nase schnaubte, was die Nerven seiner Schutzbefohlenen ungünstig beeinflußte. Die Arbeitszeit war kurz, die Beschäftigung leicht – nur ein bißchen im Central-Park umherschlendern – und die Bezahlung war gut; Im Augenblick hatte ich genug zu essen, so lehnte ich denn ab, und zwei Minuten später machte ich die Bekanntschaft des Herrn Mooney.

Herr Mooney war das, was ich einen Abgeordneten-Stellvertreter-Generaladjutanten des Aufzugsdienstes nennen will, und er war in einem großen Broadway-Gebäude, in welchem acht Lifts gleichzeitig in Betrieb waren. Er war ein kleiner Mensch mit einem lahmen Fuß und einem Ausdruck entschlossener Bosheit, die rein professionell war. Von Natur aus war er sehr liebenswürdig, wie ich erkannte, als er mir wenigstens eine Stunde lang meine Obliegenheiten detailliert auseinandersetzte, obwohl das nicht seine Sache war. Einer seiner Untergebenen war an einem plötzlichen Fieber erkrankt und so brauchte er Ersatz. Ich kam zufällig im richtigen Augenblick. Herr Macgregor empfahl mich und so wurde ich auf der Stelle aufgenommen.

Ich hatte zuerst keine Ahnung, welches Glück mir da geschah. Es gibt, wie der Dichter sagt, keine größere Freude als die befriedigten Hasses. Ich sollte sie erfahren. Das Gebäude, über dessen Aufzug Herr Mooney herrschte mit einem krummen Eschenstab als Szepter (über den er eine wunderbare Geschichte zu erzählen wußte, in der zwei Morde und eine heldenhafte Rettung vorkamen), dieses Gebäude beherbergte die Bureaux eines großen Blattes, mit dem ich in der ersten Zeit nach meiner Ankunft in Amerika in Verbindung gestanden war und gegen deren Geldredakteur, Stadtredakteur und Chefredakteur ich einen dreifachen Haß hegte. Ich möchte hier eine Bemerkung über eine Besonderheit des amerikanischen Zeitungslebens anführen. Das Personal einer Zeitung besteht nur aus Redakteuren. Vom kleinsten Jungen, der Botengänge macht, hinauf durch alle Grade, die man bei uns Metteure, Lektoren, Reporter, Hilfsredakteure und Herausgeber nennt – gibt es in Amerika nur Redakteure. Man beginnt mit zwölf Chefredakteuren und entwickelt sich dann zu einem Regiment von Redaktricen, die in London Scheuerweiber heißen, aber transatlantisch nur als Aufwartefrau-Redaktricen bekannt sind. Als ich den Expreßaufzug Nr. 6 bediente, war ich, ohne es zu wissen, Expreß-Aufzug-Bedienungs-Redakteur geworden: das war mein offizieller Name vom fünfzehnten bis zum zweiundzwanzigsten Stockwerk, wo die Zeitungsbureaux lagen. Unter dem fünfzehnten Stockwerk sank ich wieder ins Privatleben zurück. Wenn befriedigte Rache das höchste menschliche Gefühl ist, so wurde es mir sicherlich bei jenem Redaktionsposten zuteil. Da mein Aufzug der Expreßaufzug war, das heißt der schnellste von allen, so wurde er von meinen Redaktionskollegen am meisten benützt. Gleich am ersten Tag führte ich meine drei alten Feinde in einer Ladung hinauf. Durch einen noch merkwürdigeren Zufall blieb der Aufzug stecken. Und er konnte durch ungefähr zwanzig Minuten nicht in Gang gebracht werden, und all die Zeit über befand ich mich in der glücklichen Lage eines frühchristlichen Löwen, der von Märtyrern umringt ist. Alle drei lagen sie auf den Knien und zwei davon waren in Tränen, bevor ich sie hinausließ.

Ich hatte diesen Posten nicht sehr lange inne – da ich ja nur als Aushilfe aufgenommen war – aber ich kann sagen, daß ich nichts getan habe, um den hohen Standard der Profession, was schlechte Manieren betrifft, zu vermindern. Es war merkwürdig, wie natürlich sie mir wurden und wie bald das geschah. Am ersten Tag war ich einige Male sehr nahe daran, mich selbst zu degradieren. Ich erinnere mich, daß ein alter Mann, der eine Anzahl Packete trug, eines davon fallen ließ und daß ich mich bückte und es ihm aufhob. Glücklicherweise sah mich keiner meiner Kollegen – es geschah im Vestibül; aber ich erinnere mich noch, wie ich vor Scham errötete, wenn ich daran dachte, es hätte mich jemand sehen können. Vierundzwanzig Stunden später glitt eine alte Dame beim Aussteigen aus und fiel beinahe hin. Ich fühlte den Impuls, ihr zu Hilfe zu eilen, aber ich beherrschte mich noch rechtzeitig. Am dritten Tage hätten alle alten Damen von Manhattan rings um mich in Schwaden niederfallen und in höchster Gefahr sein können, ich hätte mit absoluter Spontaneität meiner Freude darüber Ausdruck gegeben.

Warum dies so sein muß, habe ich nie herausbekommen können – ich meine die unvermeidliche Grobheit der New Yorker Aufzugswärter. Ein Polizist hat ebensoviel Macht, doch er ist immer liebenswürdig. Ein Barkeeper ist ebensosehr geachtet, doch ist er der Inbegriff der Höflichkeit. Eine Zeitlang habe ich geglaubt, die Elektrizität könnte etwas damit zu tun haben – doch der Wärter der hydraulischen Aufzüge ist ebenso grob wie irgendeiner seiner Kollegen. Nur eine einzige Spur habe ich entdeckt. Die Leute, die die Expreßaufzüge bedienen, sind im allgemeinen noch gröber als ihre Brüder, die in jedem Stockwerk halten. Vielleicht hat das Wallen des Blutes gegen den Kopf – und gegen die Füße – beim Auf- und Abfahren bei größter Schnelligkeit etwas damit zu tun. Eines Tages werde ich den englischen Aufzugswärter und sein Benehmen studieren und werde vielleicht mit dessen Hilfe eine Theorie entwickeln können. Wie gesagt, meine Erfahrung war nur kurz, doch ich werde mich immer mit Befriedigung daran erinnern, daß ich eine Zeitlang Mitglied einer Kaste war, die weit erhaben ist über die gewöhnlichen Schicklichkeiten des Lebens und die – mit Recht oder Unrecht – ihre persönliche und berufliche Idiosynkrasie zu einer internationalen Legende gemacht hat.


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