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Sechstes Kapitel.
Geschäft ist Geschäft

Man zahlt in New York zehn Cent für ein Hühner-Sandwich, und es ist gewöhnlich mit Truthahn belegt. Man zahlt fünf Cent für ein Schinken-Sandwich, und man hat keine Ahnung, womit es belegt ist. Ich war in New York drei Wochen beim Delikatessengeschäft, und ich habe meine Mutmaßungen. Für fünfundzwanzig Cent bekommt man ein Club-Sandwich. Es ist aus Röstbrot, Hühnern, Truthahn und Speck hergestellt, sehr heiß und sehr gut. Es ist die Mehrausgabe durchaus wert, denn der Geruch des Specks maskiert den des Huhns. Amerikanischer Speck ist nicht gut; er wird fast stets in Gläsern gehandelt, so wie bei uns Marmelade, um Gewichtsschwund zu verhindern. Ich ziehe immerhin seinen Geruch dem von Delikatessenhuhn vor, denn ich war einmal in einem Spital, und es ist mir verhaßt, daran erinnert zu werden.

Es gibt fast ebenso viele Delikatessengeschäfte in New York als es Weinhandlungen in Paris oder Schneider in London gibt. Für Millionen guter New Yorker bedeutet es einen Hochgenuß, den Abend in einem Kino zu verbringen, was fünf Cent kostet, und dann in ein Delikatessengeschäft zu gehen und ein Schinken-Sandwich zu nehmen. Den Rest der Woche leben sie von Dill-Pickles. Dill-Pickles sind das, was man bei uns Pfeffergurken nennt, und sie sind in New York weit und breit das populärste Nahrungsmittel. Man bekommt sie für einen Cent pro Stück; eine wirklich große und saftige, die fürs Frühstück reicht und wovon noch ein Stückchen zum Mittagessen übrigbleibt, kostet zwei Cent. Die Bevölkerung New Yorks ist einfach und geduldig; der Bestand der Delikatessengeschäfte ist ein Beweis dafür. In keiner anderen Branche der Welt kann man so erbarmungslos Profit schinden. Ich könnte heute noch in dieser Branche sein – und vielleicht Millionär – hätte es sich nicht um ein Huhn gedreht.

In New York werden Hühner in Fässern gehandelt – ich meine en gros – aus ganz dem gleichen Grunde, weshalb man Speck in Gläsern handelt. Ich war einen Tag im Geschäft, als Herr Cholmondely in großer Aufregung hereinkam. Er hatte gerade von drei Faß Hühnern gehört, die zu kaufen wären. Sie gehörten einem großen Ladeninhaber im eleganten Stadtviertel, der am Morgen dieses Tages mit dem Verband der Lebensmittel-Inspektoren Streit bekommen hatte. Die Folge davon war, daß die Hühner sofort verkauft werden mußten, nachdem sie, wie ich glaube, zehn Jahre in der Familie gewesen waren und als Erbgut angesehen wurden. Herr Cholmondely war besorgt, daß er sie bekomme, bevor die Konkurrenz etwa davon gehört habe. Aus politischen Gründen wollte er nicht selbst als Käufer auftreten und so sollte ich schnell hinfahren und sie ihm sichern. Ich habe die genauen Zahlen vergessen, aber angenommen, der gewöhnliche Marktpreis wäre zwanzig Dollar gewesen, so sollte ich drei dafür geben. Ich mußte vier Stunden herumhandeln und hatte zwei Interviews mit dem Ortsrabbiner, aber schließlich bekam ich sie für drei Dollar fünfzig Cent, und Herr Cholmondely bot mir Halbpart am Gewinn an. Er sagte sogar, er sei mit mir zufrieden, und er zeigte es. Ich fragte ihn, ob ich etwas Geld haben könne; ich sagte, ich müßte mir einen Kragen kaufen. Er wollte mir kein Geld geben, denn, sagte er, New York sei voll von Versuchungen; aber er bot mir sehr freundlich an, mir einen seiner alten Kragen zu borgen, der noch, wie er glaubte, für einen oder zwei Tage gehen würde, wenn ich ihn stellenweise mit Kreide herrichtete; und als wir merkten, daß er zu klein war, sagte er, ich könnte ihn mit Packpapier oder Bindfaden vergrößern und so Geld sparen. Niemals gab es einen so geschäftigen Nachmittag, als da die Hühner ankamen. Wir begannen mit endlosen Berechnungen, da man zu den Kosten der Hühner die der Chemikalien dazuschlagen mußte, dann war der Wert jener Hühner abzuziehen, die so rettungslos verdorben waren, daß man sie nur für Wurst oder Club-Sandwiches verwenden konnte, dann mußte man die Perzente für den Lebensmittel-Inspektor dazurechnen und schließlich den Durchschnittspreis für ein Huhn feststellen. Wir rechneten mit etwas über 450% Profit.

Wir waren mitten drin, den Hühnern neues Leben zu verleihen – ich trug eine Gasmaske und packte die Hühner aus den Fässern, und Herr Cholmondely stand mit einem Prügel in der Hand dabei – vielleicht fürchtete er, die Hühner könnten unangenehm werden und auf mich losgehen –, da trat der Lebensmittel-Inspektor herein. Mir war das im Augenblick peinlich, und ich dachte, mein Chef würde angeben, er brauche das Zeug zur Erzeugung von Seife oder von Kunstdünger oder dergleichen. Doch das sagte er nicht. Er gab dem Inspektor eine Zigarre, die offenbar darauf berechnet war, die Hühner zu überduften, und bat ihn, ein bißchen zu warten. Dann nahm er eine Zehndollarnote aus der Registrierkassa und gab sie dem Inspektor und dieser ging hinaus. Herr Cholmondely erklärte mir später, wie diese Sachen in New York gemacht werden. Da gibt es einen Verband unredlicher Lebensmittel-Inspektoren, die gemeinsam die Höhe des Schmiergeldes bestimmen, das bei jedem Besuche zu zahlen ist. (Ich will damit nicht sagen, daß es in New York ehrliche Händler und ehrliche Inspektoren überhaupt nicht gibt – aber Herr Cholmondely hat mir von ihnen nichts erzählt. Er hatte für sie kein Interesse.) Zu meiner Zeit kostete ein Inspektorenbesuch zehn Dollar, was sehr billig war, wenn man bedenkt, daß die Händler dafür ungehindert verdorbene Lebensmittel verkaufen konnten und außerdem noch nützliche Winke betreffs der besten Konservierungsmittel, der Chemikalien gegen üblen Geruch und so weiter bekamen. Gibt es irgendwelche Meinungsverschiedenheiten, so ordnen es die Verbände und ihre Entscheidung ist endgültig. Wenn ein Inspektor nicht mittut, so wird er entlassen, und wenn ein Händler nicht pariert, so zieht er sich Verfolgungen zu und die Zeitungen rufen Wunder über die Energie und Zuverlässigkeit, mit der die Bevölkerung New Yorks vor den Gefahren verdorbener Lebensmittel geschützt werde. Das System funktioniert großartig und die wenigen Fälle, wo es zusammenbrach, sind fast durchwegs den Fehlern zuzuschreiben, welche frisch von Europa angekommene Gehilfen begingen, die nichts von Geschäften verstanden. Und das sei der Grund, erklärte Herr Cholmondely, warum er, wenn ein Bewerber ihm sage, er sei ein ehrlicher Mann, ihn sofort hinauswerfe. Er glaube, dabei riskiere er nichts. Ich war froh, daß es mir nicht eingefallen war, ihn anzulügen.

Über eben diese Hühnergeschichte kamen wir auseinander. Herr Cholmondely wollte, daß ich mein Gehalt teilweise in Club-Sandwiches beziehen solle, die ich, wie er sagte, zu jeder Zeit essen könne, so daß ich keine Zeit mit Mahlzeiten verlieren würde. Ich war aber gerade damals Vegetarier geworden, und so kündigte ich.


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