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Neuntes Kapitel.
Gladys

Wäre ich Herr Wolff gewesen, ich glaube, ich hätte mich nicht als Wärter für Gladys engagiert. Auf keinen Fall aber, um mich öffentlich in dieser Eigenschaft zu zeigen. Ich gestehe ganz offen, daß ich ein großangelegtes Exemplar meiner Spezies bin – umfangreich in allen drei Dimensionen. Gladys dagegen war ausgesprochen klein. Sie war unbestritten ein Elefant, denn sie hatte einen Rüssel. Sie war ein afrikanischer Elefant, wie ihre Ohren bezeugten – obwohl ich gehört habe, daß afrikanische Elefanten sich nicht zähmen lassen. Andrerseits haben afrikanische Elefanten große Ohren, und auf die Gefahr hin, daß man mir Übertreibung vorwirft, kann ich nur sagen, daß ihre Ohren so groß waren, daß sie, wäre sie ein oder zwei Fuß kleiner gewesen und daran gewöhnt, mit dem Kopf nach unten an einem Fuß zu hängen, ganz gut als Fledermaus hätte gelten können. Wir bekamen einander so lieb, daß ich manchmal das Gefühl hatte, ich sei dem armen Chris untreu.

Mit Danny dagegen wurde ich niemals so richtig vertraut. Vor allem hatte er einen verdrehten Sinn für Humor und eine große Reichweite. Er konnte rings um sich schlagen, mit einem Fuß einzeln, oder mit allen vier zusammen, und wenn er traf, so tat es nicht wohl. Er war ein vollendeter Scheinheiliger. Ein besonderer Trick von ihm war es, geradezu sein Lieblingstrick, so zu tun, als sei er ein zutrauliches Pferd und seine Nase in jemandes Tasche zu stecken, als schnuppere er nach einer Karotte. In Wirklichkeit wollte er keine Karotte. Er mochte sie nicht. Eine Prise Kautabak war ihm viel lieber. Was er wollte, war ein Stückchen Menschenfleisch, und wenn er das bekommen hatte, pflegte er in eine endlose Salve boshaften Gelächters auszubrechen, damit man ja nicht die Pointe versäume. Zu seinen Gunsten muß ich jedoch sagen, daß er ein gewissenhafter Arbeiter war. Herr Wolff hätte ohne Gefahr fünfhundert Pfund dem anbieten können, der gegen Dannys Willen auf ihm zweimal um den Ring herumreite. Nicht einmal ein Affe konnte zwei Minuten auf seinem Rücken bleiben, und wir hatten einen Affen namens Ipecachuna, der der beste Reiter war, den ich je gesehen habe. Es war wirklich eine Freude, zu sehen, wie Danny ans Werk ging. Er pflegte mit zwei oder drei harmlosen Kapriolen zu beginnen, um so dem Feind Vertrauen einzuflößen. Dann pflegte er den Kopf sinken zu lassen, bis die Nase den Staub berührte, auf drei Beinen zu stehen und das vierte – gleichgültig welches, obwohl sein linker Hinterfuß eine besonders nette Beweglichkeit besaß – als Rechen oder Kamm zu verwenden oder wie man es sonst nennen will. Er pflegte auf einer Seite zu beginnen, seine Muskeln etwas zu strecken und den Reiter zu beunruhigen und dann langsam weiterzuarbeiten, bis es auf seinem ganzen Rückgrat kein Zollbreit gab, das von seinem flinken Huf nicht so untersucht worden wäre. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß er auch seine andere Seite hätte durchkämmen können, wenn er dazu Lust gehabt hätte, aber es war nie nötig. Wenn es so weit war, war sein Feind schon außerhalb des Ringes.

Er hatte ein Künstlertemperament mit all dessen guten und bösen Seiten. Der eine Zug, worin sich das zeigte, war seine Art, den Ring zu betreten. Nie war es dasselbe in zwei verschiedenen Vorstellungen, immer änderte er und besserte und experimentierte, um seiner Kunst Vollendung zu geben. Manchmal nahm er das klägliche Aussehen eines abgerackerten Droschkengauls an, indem er schleppend in den Ring trottete und dort stehen blieb, als erwarte er seine Plage – er wartete auch wirklich auf Plage, aber auf die der anderen –, Danny, ein wahres Jammerbild. Er pflegte sogar die Augen geschlossen zu halten – wenigstens das eine, das dem Publikum zugekehrt war –, um das rote Licht vorfühlender Grausamkeit, das darin lag, zu verbergen. Ein anderes Mal wieder stürzte er sich wie ein ausgebrochener Vulkan in die Handlung, mit flammenden Augen, die Ohren so weit zurückgelegt, daß man sie nicht sehen konnte, das Maul weit offen und jedes Haar an seiner Haut in trotziger Herausforderung gesträubt. Dann pflegte er rund und rund um den Ring zu rasen, als wolle er sehen, ob sich einer in die Nähe seiner vier Hufe wage.

Vom Standpunkt des Geldverdienens aus betrachtet, hatte Danny nur eine einzige Schwäche. Sogar in der knappen Zeit meiner Bekanntschaft mit ihm, spielte er Herrn Wolff zweimal den häßlichen Streich, so zu tun, als sei er ein Schaf. In diesen Fällen schritt er im Paßgang, liebenswürdig-vernünftig, in den Kreis, und blieb da stehen, bis ein Junge auf seinem Rücken war. Dann, während wir acht gaben, den Buben aufzufangen, wenn die Explosion stattfinde, pflegte er uns damit zu überraschen, daß er im Paßgang und sänftiglich um den Ring schritt, alles machte, was sein Reiter von ihm wollte, und schließlich stillhielt, um ihn absteigen zu lassen, und dabei hatte sein scheinheiliges Gesicht einen Ausdruck wie das eines Dieners, der weiß, daß er sein Bestes getan hat. Herr Wolff pflegte sich darüber beträchtlich zu ärgern. Doch es war für das Geschäft förderlich, denn es machte den Buben Mut, ihr Glück zu versuchen, und Danny verübte seinen Zelterpaßgang nie zweimal in einer Woche.

Es war ganz gut, daß wir Danny hatten, um die Geschichte ein bißchen zu beleben. Abgesehen von ihm, waren wir, glaube ich, der mutloseste Zirkus, der je zu existieren versucht hat. Und Gladys war das mutloseste Geschöpf darin. Die Natur hatte sie nicht zur Zirkuskünstlerin geschaffen. Sie hätte Nonne werden sollen bei irgendeinem Orden, wo man ihr melancholische Liebesverhältnisse mit schwindsüchtigen Elefantenjünglingen gestattet und ihre bestimmte Stunden eingeräumt hätte, um über deren frühen Gräbern zu weinen.

Oder sie hätte ein Scheuerweib sein können, mit einem Gatten, der sie geprügelt hätte, und acht Kindern. Sie hatte sehr wenig Haar, aber sie erweckte immer die Vorstellung, daß sie es nicht ordentlich gekämmt, sondern in der Früh beim Aufstehen in einem unordentlichen Wuschel aufgesteckt und den Rest der Vorsehung überlassen habe. Ich muß sie mir jetzt immer so denken, daß sie Tränen vergossen und eine verschossene schwarze Haube getragen hat.

Ich weiß es nicht sicher, aber ich glaube, sie muß eine unglückliche Liebesgeschichte mit dem Mann gehabt haben, der vor mir ihr Wärter war. Ich glaube, daß er ihr unter dem Versprechen der Ehe all ihre Ersparnisse abgeborgt und vergessen hat, sie ihr zurückzugeben, bevor er sie verließ. Wenn es so ist, bin ich nicht sicher, daß ihn aller Tadel trifft. Es muß eine arge Versuchung für ihn gewesen sein. Ehe ich sie noch drei Tage kannte, zeigte sie mir in der üblichen Art, daß ihr Herz mein sei und nur mein. Sie pflegte ihren Rüssel um meine Hüften zu schlingen, mir ihre Kümmernisse ins Ohr zu flüstern, und als sie das sichere Gefühl hatte, daß sie mir sympathisch sei, versuchte sie auf meine Knie zu klettern und ihren Kopf an meine Schulter zu lehnen.

Ich habe nie so recht erkennen können, ob sie an Lampenfieber litt oder nur talentlos war. Manchmal – etwa einmal in fünf Vorstellungen – gelang ihr die Produktion ganz ausgezeichnet: auf ihrem Stuhl zu sitzen, wenn auch nicht gerade anmutig, so doch ordentlich; schließlich aufzustehn und einen Fuß auf den Tisch zu stellen; die Glocke mit einer gewissen Würde zu läuten und dann, wenn ich ihr den in Silberpapier eingewickelten Gummiknüttel brachte, der als ihre Champagnerflasche galt, darauf so überzeugend zu trinken, als man nur von irgendeinem ungeschulten afrikanischen Genie erwarten kann. Aber – die anderen Vorführungen kann man nur als tragische Fiaskos beschreiben. Entweder fiel sie auf die Knie und sah mich aus den Winkeln ihrer Augen an, die rot und klein waren – Schweinsäuglein –, sah mich so flehend an, daß zufällig anwesende Glieder des Tierschutzvereins sich zu sofortigem Eingreifen veranlaßt sahen, oder sie ergriff ihre Glocke, entlockte ihr einen einzigen, tragischen Klang, versuchte dann aus ihr zu trinken, als sei das ihre Champagnerflasche, sich dann sofort hinzulegen – was sie erst am Ende ihrer Nummer tun sollte – und sich zu weigern aufzustehen, was für Gewaltmittel man auch anwenden mochte, und so lange liegen zu bleiben, bis die fünf Bären, geführt von Signora Esmeralda, die in Wirklichkeit Frau Wolff unter einem anderen Namen war, mit ihren traurigen gymnastischen Versuchen halb fertig waren. Wenn ich Gladys dann in ihren Leinenstall zurückführte, den sie mit Danny teilte und den drei Schecken und Senor Vivaidas Affen und Joey, dem gemeinen Esel, da pflegte sie mir anzuvertrauen, daß sie eine »Femme incompromise« sei – ihr Französisch war nicht sehr gut. Ich glaube wenigstens, daß sie das meinte, denn ihr Gram machte sie etwas zusammenhanglos und sie suchte nach Zuckerstückchen, die sie nicht verdient hatte, in allen meinen Taschen herum, während sie sprach.

Wäre Herr Wolff ein Zirkusbesitzer gewöhnlicher Art gewesen, ich hätte sicherlich in der ersten Woche meine Kündigung bekommen. Glücklicherweise – denn ich fühlte mich bei ihm sehr wohl – war er das nicht. Sein Ehrgeiz war, Priester zu werden. Ich weiß, das klingt so, als habe ich das erfunden, doch es ist wirklich wahr – und jeder, der im Frühling 1912 in Coney-Island gearbeitet hat, kann es bestätigen. Er war noch ein ganz junger Mann und hatte irgendwo in Marmaroneck, im Staate New York, Theologie studiert, und, wie ich ihn kenne, würde er noch heute dort studieren, wenn er nicht geheiratet hätte.

Vor ihrer Verheiratung war Frau Wolff Schullehrerin gewesen. Sie war die Nichte des ersten Besitzers des Zirkus, aber sie stand mit ihm in keinem Verkehr, denn ihre Mutter hielt Zirkusse für unmoralisch. Ihr Gatte war mit ihrer Mutter ganz einer Meinung, und ich zweifle nicht, daß sie wieder ganz einer Meinung mit ihrem Gatten war und seinen langweiligen Auseinandersetzungen über »die wahren Pflichten des Menschen« mit jener ernstblickenden Bewunderung folgte, zu der sich jedes wirklich nette Mädel überreden kann, wenn sie verliebt ist. Sie waren ungefähr sechs Monate verheiratet – wobei sie meist nicht allzu viel zu essen hatten, wie ich glaube –, als ihr Onkel starb und ihnen den Zirkus hinterließ. Herr Wolff hätte sich der Verantwortung entzogen und seine Feigheit für hohe Moral erklärt, doch Frau Wolff war anders. Sie bewies ihm – ich war freilich nicht dabei, aber ich stelle es mir so vor –, daß das Geschäft, wenn man es sofort verkaufe, soviel einbringen würde, um sie beide – und eine zu erwartende dritte Person – etwa zwei Wochen lang zu nähren. Wenn man es aber im Gang erhalte und ordentlich führe, so könnte man schließlich soviel dabei verdienen, daß er in die Lage versetzt würde, Priester zu werden.

Frau Wolff war im unkolonisierten Teile von Vermount gebürtig, das heißt, sie war eine Frau von Neu-England – so nennt man die sechs nordöstlichen Staaten von U. S. A. Und das bedeutet, daß sie Ansichten über Schicklichkeit und Würde hatte, die man sonst nirgends in der Welt antrifft. Als ich mich der Gesellschaft anschloß, hatten sie den Zirkus über ein Jahr betrieben und Frau Wolff pflegte fünf traurig blickende Bären dreimal täglich in die Arena zu führen. Sie waren als Soldaten gekleidet und sie trug ein schmuckes Marketenderinnenkostüm, und sehr hübsch sah sie darin aus. Sie war keine gute Bärenführerin. Sie erzählte mir selbst, daß sie anfangs schreckliche Angst vor den Bären hatte, so herabgekommen und unternehmungslos sie auch waren. Ihr Kostüm beleidigte all ihr Empfinden – doch sie war in der Klemme und sie wollte aushalten, und das tat sie auch. So eine Frau war sie. Die echte Signora Esmeralda – ich nehme an, daß das irgendeine Nutte war, aber ich hab sie nie gesehen – hatte dreißig Dollar wöchentlich und Nebengebühren bekommen. Als das Geschäft in andere Hände überging, glaubte sie, das sei eine gute Gelegenheit zur Erpressung und verlangte fünfundsiebzig. Herr Wolff hätte ihr das gegeben, um Scherereien zu ersparen. Frau Wolff kündigte der Signora kurzerhand, verschaffte sich eine entsprechende Konzession und übernahm selbst die Stelle der Bärenführerin.

Ich bin keine Schullehrerin aus Neu-England und habe keine Abneigung gegen Kostüme und Arenasand, auch fürchte ich mich nicht vor Bären, zumindest nicht vor schäbigen melancholischen Bären, die über keinen ordentlichen Tatzenhieb verfügen – und so habe ich kein volles Verständnis dafür, was das alles für Frau Wolff bedeutete. Aber ich kann es mir vorstellen. Das war aber beiweitem noch nicht alles, was sie tat. Sie hatte einen sehr kleinen, lebhaften Sohn, namens Tobias, und sie betreute ihn, und außerdem kümmerte sie sich um alles Geschäftliche, dirigierte das Personal, führte die Bücher, machte Kontrakte für Heulieferung und ordnete daneben noch hunderte andere Dinge. Ihr Mann hatte einen kleinen Zeltraum hinter dem Stall und dort verbrachte er fast die ganze Zeit. Ich glaube, daß er da betete, und ich weiß, daß er ein Buch schrieb über den nützlichsten Weg der Bekehrung, denn sobald er erfahren hatte, daß ich eine Zeitlang in Wales gelebt habe – von wo heutzutage die beste Qualität Religion exportiert wird –, bestand er darauf, mir etwas davon vorzulesen. Er war anfangs über mich enttäuscht, denn Czartorisky hatte, in der besten Absicht, bei ihn den Eindruck erweckt, ich habe während meines jahrelangen Aufenthalts in Mofusselbad etwas vom Buddhismus angenommen, und er freute sich auf eine glänzende Bekehrung.

Herr Wolff bekehrte mich zu gar nichts; Frau Wolff machte mich zu einem Frauenrechtler. Sogar Gladys, die nach meiner Meinung das femininste Geschöpf ist, das ich je getroffen habe, war unfähig, in mir je wieder Stolz auf Männlichkeit aufkommen zu lassen. Das war eine gute Probe für die Echtheit meiner Bekehrung, denn ohne Rücksicht auf Schicklichkeit, pflegten wir in den frühen Morgenstunden am Strande von Coney-Island Übungen abzuhalten. Arm in Rüssel wanderten wir da, indem wir uns den Weg durch die Tausende von New Yorkern bahnten, die hier während der warmen Monate billige Schlafplätze finden. Gladys hielt ihren Rüssel so, daß mir kein Wort entgehen konnte, und eröffnete mir ihr Herz – und doch bin ich noch ein Frauenrechtler.

Ich blieb bei Wolffs »Riesen-Hippodrom und Gesamtschau aller Weltwunder«, bis das Unternehmen in anderen Besitz überging. Das geschah in der Nähe eines Ortes namens Montauk, der auf der äußersten Spitze von Long-Island liegt, ziemlich weit entfernt von New York, und so glaube ich, daß es eigentlich nicht zu diesen New Yorker Abenteuern gehört. Aber da der Leser nun einmal bezahlt und mich so weit begleitet hat, will ich es auch noch erzählen.

Wir spielten in einem Dorf, dessen Name nichts zur Sache tut, als Herr Wolff eine Berufung bekam. Ich weiß nicht, wie das geschah, denn ich war gerade im Eisenbahnlagerhaus, um nach einer Heusendung zu sehen, die in Verlust geraten war. Und bevor ich zurückgekommen war, hatte Frau Wolff alles geordnet, das ganze Geschäft, wie es ging und stand, telephonisch verkauft, die Fahrkarten gelöst, den Angestellten gekündigt, den Arzt wegen einer Krankheit ihres Kindes geholt – ich glaube, es war Grippe oder Krämpfe oder etwas Derartiges, was der junge Herr Tobias da ausprobierte –, und sie hatte sich nach den Fahrzeiten der Schiffe von Montauk nach einem Ort in Connecticut, von wo die Berufung kam, erkundigt.

Sie hatte ihre Bären sehr lieb gewonnen und wollte sich nicht von ihnen trennen; so schloß sie sie vom Verkauf aus und nahm sie mit sich. Ich habe mir oft darüber den Kopf zerbrochen, was die Gemeinde dazu gesagt haben mag.


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