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Zwölftes Kapitel.
New Yorker Sehenswürdigkeiten

Das Millionärbaby, vor und nach seiner Geburt, ist ein wichtiges Aktivum des sozialen Lebens von New York. Ich meine, nicht nur für die Leute seiner eigenen Klasse, sondern für eine ganze Menge gewöhnlicher Sterblicher, zum Beispiel für mich. Drei – oder vielleicht waren's auch vier – Millionärbabies (zwei davon noch ungeboren) versorgten mich nach meiner Rückkehr von Amicus mit einer zweiwöchigen lukrativen Beschäftigung, die ich nur durch meine eigene Undankbarkeit verlor.

Als ich das Hotel Terminus verließ, wurde mir plötzlich bewußt, daß ich das Opfer eines bösen Ehrgeizanfalles sei. Erstens hatte ich über zwanzig Dollar in der Tasche. Zweitens besaß ich einen repräsentablen Anzug – solange ich im Schatten stand und Knie und Schultern hinter irgendetwas verborgen waren. Ich hatte diesen Anzug übertragen gekauft, als ich noch ein indischer Magier war, und der Verkäufer hatte mir versichert, er könne jede Garantie geben, denn er selbst habe ihn fünf Jahre lang getragen und infolgedessen genügend erprobt.

Ich nahm ein Zimmer im Westen, in der vierundvierzigsten Straße, und ich hatte das fabelhafte Glück, daß die dunkelhäutige Dame, die mir die Tür öffnete, bei meinem Anblick sofort ganz weg war – weshalb ich nichts vorauszahlen mußte. Auch ich meinerseits war ganz weg über die dunkelhäutige Dame – besonders als sie, unter der Annahme, ich sei ein Engländer, gelegentlich eine Bemerkung über »die verdammten Yankees« machte und mir sagte, sie sei selbst eine Engländerin. Sie fragte mich, ob ich aus London käme, und als ich das bejahte, sagte sie, wir seien möglicherweise Cousins, denn sie selbst sei in Brixton geboren. Ich weiß nur, daß sie eine Negerin war und daß ich mich an jenem Morgen ordentlich gewaschen habe; aber ich sagte nur, sie könnte leicht recht haben.

Cousine Euphemia war der Anlaß, daß ich Fremdenführer wurde. Es war das auch ganz zufällig; hätte ich am Ende der dritten Woche genug Geld gehabt, um meine Rechnung zu zahlen, so würde ich wahrscheinlich noch heute Arbeit suchen. Ich machte die größten Anstrengungen, einen Posten als Kontorist oder dergleichen zu bekommen und meine Garderobe wieder auffrischen zu können, aber ich glaube, ich faßte die Sache nicht richtig an. Ich suchte mir entsprechende Annoncen heraus, aber kaum hatte ich das Haus gefunden und mir Mut gemacht, hineinzugehen und nach dem Posten zu fragen, so war ich auch schon wieder draußen. Nicht etwa, daß man mich hinausgeworfen hätte. Ich wurde in ein Zimmer gewiesen, wo ein hölzernes Schreibpult stand, hinter dem ein Mann saß, dessen Gesicht aus dem gleichen Stück Holz geschnitzt zu sein schien. Bevor ich ein Wort herausgebracht hatte, pflegte er mich anzusehn und »Nee« zu sagen und in seiner Arbeit fortzufahren. Es war immer dasselbe. Schließlich wurde ich ganz verzweifelt, ging in ein Geschäftshaus am Broadway und machte dort mit einem Bureau nach dem andern den Versuch. Da war immer derselbe Mann und dasselbe Schreibpult und immer sah er mich an und sagte »Nee« – immer dasselbe, vom achtzehnten Stockwerk bis zu ebener Erde. Darnach verlor ich das Interesse, ging zur Battery hinunter und beobachtete die Dampfer, die nach England abfuhren.

Am Ende der dritten Woche hatte ich nur noch drei Dollar, und fünf war ich schuldig. Ich sagte es der Cousine Euphemia, und sie meinte, ich sollte Fremdenführer werden. Sie nannte mir eine Firma am Broadway, und ich bekam von meinem Freund, dem Polizisten Dempsey, eine Empfehlung, in der er mich als seinen Bruder vorstellte, und so wurde mir die Stelle gegeben. Ich fuhr in einem Gesellschaftsauto, hatte ein Megaphon und erklärte die Sehenswürdigkeiten mit lauter Stimme. New York ist keine üble Stadt, aber sie hat einen jämmerlichen Mangel an Sehenswürdigkeiten, und wenn's nicht die Millionärbabies gegeben hätte, ich glaube, ich hätte manchmal was erfinden müssen. Glücklicherweise haben die Leute, die vom Land nach New York kommen, kein Interesse für Sehenswürdigkeiten im europäischen Sinn, sie wollen nur das sehn, was schrecklich teuer ist. Meine beliebteste Route begann beim Hotel Waldorf. Dort blieben wir stehn, während ich erzählte, wie groß das jährliche Einkommen der Gäste sei, wieviel die Damen bei der Peacock-Parade für Diamanten an den Schuhabsätzen ausgeben und dergleichen. Ich kann mir Ziffern nicht gut merken, und so habe ich wohl nicht immer die gleichen genannt, aber meine Zuhörer waren immer befriedigt. Von dort fuhren wir zur St. Patricks-Kirche. Die Leute nahmen sich natürlich nicht die Mühe hineinzugehn, wir hielten ein bis zwei Minuten, während ich ausrief, was der Bau gekostet habe und was ungefähr die Edelsteine an den Chormänteln und an dem andern Priesterornat wert seien. Dann fuhren wir die Fifth-Avenue hinauf, wo die Babies wohnten. Zu meinem Glück gab es damals einen Überfluß daran. Wenn wir an einem Hause vorbeikamen, das ansprechend aussah – man kann sich nicht irren, denn diese Millionärshäuser sehn so aus wie bei uns die großen Restaurants – blieben wir stehn, und ich erklärte durch das Megaphon, daß dies der Palast des Mister Potiphar J. Scrawlenfeldt sei, der soundso viel Millionen pro Woche Einkommen habe, so viele Billionen für den Bau dieses Hauses ausgegeben, so viele für die Möbel, eine Frau geheiratet habe, die um so viel reicher sei und in ungefähr drei Wochen einen Sohn erwarte, der der Erbe von soundso vielen Trillionen sein werde. Ich hatte damit ziemlichen Erfolg.

Unser Wagen war keineswegs der einzige, der sich mit Sehenswürdigkeiten befaßte. Manchmal hielt gleichzeitig ein halbes Dutzend Gesellschaftsautos vor einem Gebäude und überall war ein Megaphon, und die Dame, die den Mutterfreuden entgegensah, konnte daran ihr Vergnügen haben. Ich glaube, ich hätte mich an ihrer Stelle darüber geärgert, aber sie als New Yorkerin pflegte sich das anzusehen und manchmal erschien sie am Fenster – begrüßt von den Hochrufen unserer Gäste, von der erhöhten Tätigkeit der Megaphone und dem Knipsen der Kinokameras. Wie gesagt, ich hatte sehr nette Erfolge, und ich glaube fast, daß ich da meinen Lebensberuf gefunden hätte, wäre mir nur nicht mein Erfolg zu Kopf gestiegen. In einer Gegend von Manhattan gibt es tatsächlich Sehenswürdigkeiten – was wir in der alten Welt eben unter diesem Begriff verstehen. Zwischen der Wallstreet – wo zur Zeit der Niederländer die alte Mauer stand – und der Spitze der Insel gibt es eine Menge merkwürdiger Straßen und ein oder zwei alte Häuser im Stil des siebzehnten Jahrhunderts mit dem gewissen historischen Hauch, und ich, mit meinem altweltlichen Vorurteil, glaubte, ich könnte da etwas Rechtes zeigen. Ich gewann meinen Chef dafür, daß er den Versuch mache und zur Abwechslung einen Wagen dorthin sende, und erklärte in meiner Voreiligkeit, ich könne für Erfolg garantieren. Aber das konnte ich nicht. Bei meiner vierten Fahrt hatte ich nur zwei Gäste, und beide waren wütend, weil ich ihnen nicht das Haus zeigte, wo man das Bilkheimer-Baby erwarte. Nach unserer Rückkehr beschwerten sie sich. Mein Chef erklärte mir, ich sei zu intellektuell – nur drückte er sich weniger höflich aus – und ich war entlassen.


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