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VIII.

Von dieser Zeit an (1638) war mehr als ein Viertel-Jahrhundert lang das öffentliche wie das Privatleben so in einander verflochten, daß sie in keiner wahrheitstreuen Geschichte getrennt werden können. In ruhigen Zeiten, wo die großen historischen Gemälde in Parlamentshäusern und Palästen verfertigt werden, weben sich in zahllosen Privathäusern, ganz unabhängig von jenen, eine Menge kleiner Familienbilder. Aber in Revolutionszeiten findet sich die Geschichte des Landes mit derjenigen jedes Einzelnen zu einer großen Tapete verwoben, von welcher die unbedeutendste Figur nicht abgelöst werden kann, ohne das ganze Gewebe zu zerstören.

Solche Zeiten sind hart, aber veredelnd, oder wenigstens den Gesichtskreis erweiternd. Fehler oder gewöhnliche Tugenden werden zu Verbrechen oder zum Heroismus, nur durch den mächtigen Einfluß der herrschenden Temperatur und des Spielraums. Die Grundsätze werden erprobt; der Schein zerfließt, eben weil er nur Schein ist. Solche Epochen sind veredelnd, aber nothwendiger Weise auch tragisch. Jedes edle Leben, jedes, das sich verlohnt gelebt zu werden, breitet sich aus über den engen Kreis alltäglicher Häuslichkeit und wird ein Theil der großen Weltenbahnen. Allein dadurch muß freilich ein solches Leben oft zu einem Bruchstücke werden, statt zu einem Ganzen, und muß in sich selbst unvollendet und unerklärlich erscheinen.

Aber sind nicht sogar die großartigsten Geschichten der Völker und der Revolutionen selbst nur Fragmente jener größeren Bahnen, deren Bewegungen wir kaum nach Jahrhunderten verfolgen können? Ist es daher ein Wunder, wenn die Geschichten der Völker sowohl als einzelner Personen so oft tragisch scheinen? Wie es leider jetzt uns armen Bruchstücken einer vom Sturme umgetriebenen Schiffsgesellschaft ergeht, die wir geglaubt hatten, Fahrzeuge genug für viele Jahrhunderte heimzubringen, und uns nun an diese fernen ungebahnten Küsten verschlagen sehen, während es England scheinen mag, unser Unternehmen habe ihm statt des goldenen Fließes des Friedens und der Freiheit nur einen grausameren Despotismus und einen noch verderbteren Hof gebracht. Allein vielleicht wird die Zukunft diejenigen, welche zurückblicken, über die Geschicke Englands und dieser wilden Küsten aufklären, die wir liebevoll Neu-England nennen.

Sollten wir vielleicht doch das goldene Fließ gewonnen und hieher gebracht haben?

Ueberdies ist es etwas, in stürmischen Zeiten gelebt zu haben. Es herrscht dann eine erhöhte Temperatur; das ganze Leben ist schärfer, die Farbe lebhafter, das Wachsthum rascher.

Ein Volk im Revolutionszustande gleicht einem vom Sturme gepeitschten Schiffe in mehr als einer Hinsicht. Die trennenden Schranken der Selbstsucht lösen sich für eine Weile in ein gemeinsames Streben nach demselben Ziele, in eine gemeinsame Hoffnung auf. An dem Pochen unserer Herzen in gemeinsamer Furcht und Hoffnung, an unsern vereinten Anstrengungen zur Befreiung fühlen wir uns als Glieder der gesammten Menschheit. Wir werden dadurch edler und weitherziger, oder sollten es wenigstens werden. Und ich glaube, dies ist auch bei den Meisten wirklich der Fall; in gewissem Grade vielleicht bei Allen. Natürlich die Schiffskatzen ausgenommen, welche ohne Zweifel mitten im Aufruhr der Winde und Wellen die Schiffsmäuse mit unermüdlicher Begier verfolgen und den Aufruhr der Elemente als eine weise Anordnung der Vorsehung betrachten, damit sie ihre Mausebestimmung ungestörter erfüllen können.

Und was solche Revolutionszeiten bei einer Nation bewirken, sollte dies nicht das Christenthum, diese große, unaufhörliche Revolution, beständig bei uns Allen hervorbringen?

Das größte Hinderniß besteht wohl darin, daß es in der Kirche sowohl als im Staate weit leichter ist, Parteigänger als Patriot zu sein.

Wenn die Menschen für das Vaterland thun wollten, was sie für ihre Partei thun, wie wohl würde es da um das Land stehen!

Wenn Christen für die Kirche dieselben Opfer bringen wollten, wie für ihre Sekte, wie wohl würde es da um die Welt stehen!

Ein Viertel-Jahrhundert dauerte der Kampf, welcher mit der Unterzeichnung des Covenants in der Edinburger Hochkirche begann. Und noch ist er nicht geendigt, obgleich er von anderen Streitern und auf einem anderen Schlachtfelde fortgeführt wird.

Aus den schottischen verbündeten Gemeinden wurde bald ein Bundesheer, das nach der Grenze marschirte. Der König, welcher an den Covenant nicht glauben wollte, erließ auf Erzbischof Lauds Rath eine Proklamation, worin er den Schotten sechs Wochen Zeit gab, auseinander zu gehen und auf ihren Bund zu verzichten, widrigenfalls er mit einem Heere kommen werde, um sie (auf väterliche Weise) zu züchtigen. Der König und seine Rathgeber betrachteten den Covenant als einen Einfall rebellischer, irre geleiteter Kinder. Die Schotten dagegen betrachteten ihn als einen Theil des ewigen, göttlichen Gesetzes, den sie halten sollten – und entschlossen waren, auf Tod und Leben zu halten. Ein Streit, der nicht durch eine königliche Proklamation entschieden werden konnte.

Die Schotten halten den Vortheil, daß sie selbst ihr eigenes Heer waren, bereit, für ihr göttliches Gesetz zu kämpfen, während der König seine Armee mit dem Gelde des Reiches bezahlen mußte, und bis an's Ende seinen Soldaten keine andere Ueberzeugung einflößen konnte, als daß sie für das Geld des Landes kämpften.

Ueberdies war das Geld des Reiches im Verwahrsam jener Drachen, Parlamente genannt, die Seine Majestät bei ihrer letzten Zusammenkunft »Nattern« titulirt und in einem Briefe an Lord Strafford mit »Katzen« verglichen hatte, die jung leicht zu zähmen seien, die aber, wenn man sie habe alt werden lassen, »verflucht« seien, und die er deshalb elf Jahre lang in die Unterwelt zum Stillschweigen verdammt hatte.

Als daher der König und die Bundesarmee an der Grenze zusammenstießen, fand es sich, daß die Schotten von alten Offizieren Gustav Adolphs befehligt waren, wie mein Vater sagte, und jedes Regiment, wie im schwedischen Heere, auch eine Gemeinde war, die sich Morgens und Abends um ihr Banner »Christi Krone und Bund«, versammelte; denn das Gebet war ein Felsen, gegen welchen das englische Heer vergebens anprallte; vor welchem es aber, wie der Erfolg zeigte, lieber sich still verlief, besonders auch, da der Sold, für den es allein zu kämpfen eingestand, erschöpft war.

Der König nahm zu einem Vertrage seine Zuflucht, worin er versprach, die kirchlichen Angelegenheiten der Kirche zu überlassen und eine freie Versammlung zu berufen. Armer Herr! man glaubte noch immer, daß etwas Wahres an seinen Versprechungen sei, und so kam eine Versöhnung zu Stande.

Nun schöpften diejenigen, welche diese Bewegungen mit der gespanntesten Aufmerksamkeit beobachtet hatten, wieder neuen Muth.

Unter den beiden Uebeln, einem unzufriedenen Parlament in London und einer fechtenden Kirche in Schottland, schien der König das erstere doch noch vorzuziehen. Wenn ihm gleich das Parlament wie ein ungeheurer Drache erschien, so wußte er doch, daß es das Geld in Verwahrung hatte. So wurde denn, nach elfjähriger Pause, den 15. April 1640 das Parlament berufen, eine durch erlittenes Unrecht und elfjährige Geduld zusammengeschmiedete Waffe, vor welcher der König wohlgethan hätte, sich zu hüten.

Pym und Hampden waren die Hauptsprecher und Herr Cromwell war der Deputirte von Huntingdon.

Im letzten Parlament hatten diese und andere wackere Männer über die willkürlichen Maßregeln des Königs und über seine falschen Handlungen bittere Thränen geweint.

In diesem Parlament wurden keine Thränen vergossen, kein unehrerbietiges oder übereiltes Wort gesprochen.

Es war als hätten sie sich im Geiste um das Grab des Märtyrers Sir John Eliot versammelt, und als möchten sie nichts thun oder reden, was dieses Grab, in das er um der Freiheit willen gesunken war, entehren könnte.

Aber weder durch Gewalt noch Schmeichelei vermochte der König den geringsten Theil des gesammelten Schatzes zu erlangen. Der Hof bestand auf Subsidien, das Parlament auf seinen Beschwerden.

Und am 5. Mai löste der König das Parlament wieder auf.

Die Stimme meines Vaters zitterte vor Gemüthsbewegung, als er es hörte. »Sie würden ihn gerettet haben!« rief er schmerzlich aus. »Sie würden den König und das Land gerettet haben!«

Tante Dorothea sagte grimmig: »Der König zieht die Heere den Parlamenten vor; nun ja, seine Wahl wird ihm ohne Zweifel gewährt werden.«

Vermittelst Erpressung des Schiffsgeldes, Beschlagnahme des Pfeffers der Ostindienfahrer, und Zwangsanleihen, wodurch große und kleine Städte mit Unzufriedenen, die nicht wagten sich zu widersetzen, und die Gefängnisse mit muthigen Männern, die es wagten, gefüllt wurden, – brachte der König eine neue Armee auf die Beine. Und um das Land noch mehr zu entrüsten, rief die Königin die Katholiken öffentlich um Beistand an, während der Erzbischof Laud von der Geistlichkeit Beisteuer verlangte. Der aus Irland zurückberufene Graf von Strafford ward zum Oberbefehlshaber ernannt. Auch suchte der Hof den alten Haß der Grenzkriege wieder zu entflammen; allein die Grenznachbarn waren Glaubensbrüder, und statt einander zu hassen, vereinigten sie sich in dem gemeinsamen Haß der Bischöfe.

Das zweite Heer zerschmolz, wie das erste, nach kurzem, muthlosem Kampfe für eine Sache, die ihm zuwider war, nachdem es sich hauptsächlich dadurch ausgezeichnet hatte, daß es in den verschiedenen Städten, durch die es zog, den puritanischen Predigern seinen Beifall zurief, und darauf bestand, zu prüfen, ob seine Befehlshaber keine Papisten seien, ehe es ihnen folgte, und daß es des Königs Schatzkammer aussog, bis dieser nicht mehr weiter konnte, ohne sich abermals nach den gefürchteten Wächtern des Geldes umzusehen.

»Sie versammeln sich nun in ganz anderer Stimmung als das letzte Mal,« sagte Vater auf unserem Heimwege von dem Dorfe, wohin wir geeilt waren, begierig die Schnellpost zu treffen, welche von dem Hause eines Patrioten zum andern galoppirte, um gedruckte Blätter und Briefe zu überbringen, worin Berichte über die Eröffnungsrede des Königs vom 3. November sich fanden. »Die Stimmung ist eben so verschieden, wie die süßen verheißungsvollen Maitage, während welcher das kurze Parlament verhandelte, von dem grauen Nebel, der heute vor unsern Augen sich über die Moore hinzieht. Sommer und Hoffnung und Wiederherstellung alter Rechte lächelten jenem April-Parlamente zu. Ueber diesem schweben Stürme, Winter und Vergeltung, langsame Säuberung der Stoppelfelder von Jahrhunderten, rauhes Pflügen des Bodens für bessere Ernten, die schwerlich von den Händen eingeheimst werden, welche jetzt säen.«

Denn die verflossenen sechs Monate waren von der Hofpartei übel angewandt worden.

Gar wohl erinnere ich mich, wie in dieser Zwischenzeit meines Vaters Hand eines Tages zitterte und seine Stimme fast versagte, als er uns einen Brief vorlas, der die Beschreibung enthielt, wie ein armer, sorgloser junger Trommelschläger im Tower gefoltert worden war, der, von der Armee im Norden beurlaubt, sich bei einem Angriff auf den Palast Lambeth unter einen wilden Haufen Londoner Lehrlinge gemischt hatte; und wie man ihn, da die Qualen dem armen Jungen die Namen seiner Mitschuldigen nicht zu erpressen vermochten, den Tag darauf gehängt und geviertheilt hatte.

»Vor einigen Jahren wagten sie nicht, Felton wegen Buckinghams Ermordung zu foltern,« sagte Vater; »und jetzt drehen sie aus dem Vergehen dieses armen Burschen Verrath, weil der Pöbelhaufe zufällig getrommelt hat, damit der arme irregeleitete Junge die Strafe eines Verräthers erleiden und die Ehre seiner Heiligkeit, ihres Pontifex Maximus, ihres Erzengels, wie sie ihn nennen, gerächt werden könne.«

(Solche Dinge erstickten selbst in guten, barmherzigen Menschen die Stimme mitleidiger Fürsprache, als in späteren Jahren der Erzbischof selbst auf's Schaffot geführt wurde.)

Nun, da Verbrechen und Rache vorüber, und Opfer sowohl als Mörder und Rächer vor dem höchsten Richterstuhle erschienen sind, kann man sich nur schwer die leidenschaftliche Entrüstung zurückrufen, welche solche Thaten selbst in den sanftesten Gemüthern erweckten, als noch wenig Aussicht vorhanden war, daß sie je gerächt werden würden. Allein ist nicht das unbeugsamste Urtheil das Erzeugniß gröblich beleidigter Gnade?

Den ganzen Sommer hindurch fuhren der König, Strafford und der Erzbischof fort, die Nation mit Unbilden zu überhäufen, welche nur zu sicher auf sie selbst zurückfallen mußten.

Es mag schon manche schlimmere Tyrannei gegeben haben. Aber nie kann eine ärgerlicher und erfinderischer gewesen sein, Unzufriedenheit in jedem Winkel des Landes zu verbreiten.

Der Erzbischof machte in einer Kirchenversammlung einen neuen Kanon (Kirchengesetz) und verlangte, jeder Geistliche und jeder akademische Würdenträger der Universität solle beschwören, daß Alles zur Seligkeit Erforderliche in der Lehre und Zucht der englischen Kirche, in ihrer Trennung sowohl vom Presbyterianismus als vom Katholicismus enthalten sei.

Ich erinnere mich dieses Kanons ganz genau, weil er Roger von Oxford vertrieb, wo er schon seit zwei Jahren studirt hatte und im Begriffe stand, sein Examen zu machen, ein Ereigniß, das sehr traurige Folgen für uns hatte, obgleich man dieselben dem Erzbischof eigentlich nicht zuschreiben durfte. Roger wollte, wie er sagte, nicht gegen die Religion des halben Königreichs schwören, wenigstens nicht, bevor er es besser verstände.

Von Northamptonshire, Kent, Devonshire, – von dem alten conservativen Kent und dem loyalen Westen kamen heftige Bittschriften gegen diesen Kanon. London war außer sich über die Verhaftung zweier Rathsherren, die sich geweigert hatten, dem Könige die Namen der Personen in ihrem Bezirke zu nennen, welche die Mittel besaßen, seiner Majestät Geld zu leihen. Jeder Marktflecken des Landes war aufgebracht durch die Rückkehr seines schmählich aus dem aufgelösten Parlament fortgeschickten Deputirten; neun Flecken waren noch tiefer erregt durch die Abwesenheit ihrer Abgeordneten, welche am Tage der Auflösung in das Gefängniß des Tower geschleppt worden waren. Jeder Tag brachte Berichte von neuen Opfern, welchen die Sternkammer wegen des verhaßten Tonnengeldes eine Buße auferlegt hatte. Besonders kamen Klagen aus dem Norden, den Strafford durch seine Gegenwart im Rathe zu York schwer bedrückte.

Unterdessen prägten die befreundeten Schotten den vier Grafschaften jenseits der Tees den Presbyterianismus und die Vortheile bewaffneten Widerstandes ein. Diese Gegenden waren nämlich in ihrem Besitze geblieben, bis sie den Preis erhalten würden, womit der König ihre Rebellion zu belohnen versprochen hatte.

Es war große Unruhe und Bewegung im Lande während aller dieser Monate, und da Netherby nahe an der Landstraße lag, erhielten wir viele Besuche. Einmal kam Herr Cromwell auf seinem Wege nach Cambridge, (als dessen Abgeordneter er im Parlamente saß) zu uns; wie immer kurz und bündig im Reden, lebhaft und herzlich in Blick, Wort und Geberden, und zuweilen auch im Lachen. Ferner Herr Hampden, so würdevoll und höflich, wie nur irgend ein Edelmann am königlichen Hofe. Herr Pym mit starken, festgeschlossenen Lippen und ernsten Augen kam mehrmals zu Pferde und übernachtete bei uns auf den vielen Reisen, welche er durchs Land machte, um die Patrioten zu ermuntern, in Uebereinstimmung zu handeln. Auch mein Vater war öfters abwesend, um Versammlungen der Landpartei beizuwohnen, welche in Broughton Hall (Lord Brooks Schlosse) in der Nähe von Oxford gehalten wurden, wobei er zuweilen mit Roger, welcher dort studirte, zusammen kam.

So verging der Sommer; seine hinfälligen Gaben verwelkten; die dauernden reiften zum Herbste. Ein Feld königlicher Versprechungen nach dem andern keimte, blühte und brachte keine Früchte; bis das Volk mit Schmerz einsehen lernte, daß königliche Worte, wie Blumen in dem magern Boden königlicher Gärten gezogen, nie dazu bestimmt sind, Früchte zu tragen, sondern nur durch den leeren Schein ihrer Blüthen zu ergötzen. Der Adel petitionirte um ein Parlament; zehn tausend Bürger petitionirten allen Warnungen zum Trotze um ein Parlament, und endlich sah sich der König genöthigt, eines zu berufen.

Einen Monat später, Anfangs Dezember, versammelte mein Vater das ganze Haus um das große Feuer der Wohnstube, um uns einen Brief von Dr. Antonius vorzulesen.

 

»Meinem vielgeliebten Freunde
» Roger Drayton, Hochwohlgeboren.

Den 28. November.

Geehrtester Herr! Freuen Sie sich und danken Sie Gott mit mir! Meine Arbeit ist vorbei. Die Gefängnisse sind alle geleert bis auf ihre rechtmäßigen Insaßen. Eine Gemeinde um die andere wird ihre treuen Prediger wieder begrüßen, welche von der Sternkammer und auf allerhöchsten Befehl abgesetzt und eingekerkert worden waren. Gott gebe, daß Verfolgung und Gefangenschaft ihre Stimmen stark und sanft, nicht scharf und gellend gemacht haben; denn ich weiß aus Erfahrung, daß Gefängnißriegel den Teufel nicht auszuschließen vermögen. Und nur zu sicher wird er sich auch in Triumphzüge zu mischen wissen, wie wir heute Fräulein Oliviens alten Freunden, Herrn Prynne, Herrn Bastwick und Burton zu Ehren einen gehabt haben. Doch lassen Sie mich Alles der Ordnung nach erzählen.

»Vierzehn Tage ehe das Parlament eröffnet wurde, hatten zweitausend Aufrührer die Bänke in der St. Paulskirche, wo die hohe Commission ihren Sitz hatte, niedergerissen, indem sie schrieen, man wolle keine Bischöfe, keine hohe Commission mehr. Jetzt haben diese Unordnungen ein Ende. Das Sperrholz ist von den Lippen jedes Fleckens, jeder Grafschaft Alt-Englands hinweg; das bittere, ohnmächtige Stöhnen, das wilde, undeutliche Geschrei, das während der letzten elf Jahre vergebens das ganze Land erfüllte, hat ruhiger, gemäßigter Rede Platz gemacht. Aus Nord und Süd, aus Ost und West strömen Petitionen und Vorstellungen herbei, manche von berittenen Haufen überbracht. Die ruhigsten Stimmen werden am deutlichsten vernommen.

»Derjenige ist in der That ein Fremdling in Israel, sagte Lord Falkland, der nicht weiß, daß in diesem Königreiche Religion und Freiheit lange unter schwerem Drucke gelitten haben. Unter dem Vorwande der Einförmigkeit hat man Aberglauben und Aergerniß aufgebracht; unter dem Namen der Ehrfurcht und des Anstandes hat man die christliche Kirche entehrt, indem man unsere Kirchen verzierte. Man hat dem Gehorsam in Bezug auf Ceremonien größere Wichtigkeit beigelegt, als dem Gehorsam gegen das Christenthum selbst.

»Hierauf sagte Sir Eduard Deering, den hohen Commissionshof angreifend:

»›Ein Papst in Rom wird mir weniger schaden, als ein Patriarch in Lambeth.‹

»Sir Benjamin Rudyard sagte:

»›Wir haben gesehen, wie Geistliche sammt ihren Familien gegen Recht und Gewissen zu Grunde gerichtet wurden, weil sie am Sonntag nicht tanzen wollten. Man hat es so weit gebracht, daß unter dem Namen Puritaner unsere ganze Religion gebrandmarkt ist. Wer seine Handlungen nach göttlichem oder menschlichem Gesetze regelt, heißt Puritaner; wer nach den Gesetzen des Königs regiert werden will, heißt Puritaner; wer nicht Alles thun will, was andere Leute von ihm verlangen, heißt Puritaner.‹

»Noch nicht vier Tage war das Haus der Gemeinen versammelt, als man auf einen Beschluß desselben nach Herrn Prynne, Herrn Bastwick und Herrn Burton in ihren Gefängnissen jenseits des Meeres sandte, um zu untersuchen, mit welchem Recht sie verstümmelt, gebrannt und eingekerkert worden waren.

»Und heute, drei Wochen nach jenem Beschlusse, sind diese drei aus ihren von der See bespülten Gefängnissen auf Jersey, Guernsey und den Scilly-Inseln befreit und hier in London angekommen. Auf dem ganzen Wege, von der Küste an sind sie überall mit Jubel begrüßt und von Schaaren von Freunden unter Freudengesängen und Kränzen von Stadt zu Stadt geleitet worden.

»Fünftausend angesehene Bürger ritten ihnen entgegen, und unter ihnen manche Bürgersfrau, und Alle hatten Lorbeer- und Rosmarinsträuße auf ihren Hüten und Mützen, um die zu ehren, welche ihre Feinde vergebens zu beschimpfen gesucht hatten. Ich denke die muthige Frau Bastwick, welche trockenen Auges neben ihrem Gatten auf dem Pranger stand und seitdem ihn nicht einmal in seinem Gefängnisse besuchen durfte, wird es für keine Schande gehalten haben, ihn heute durch ihre Freudenthränen zu rühren. Der alte, ergraute, von Gefangenschaft und Folter gebeugte Herr Leighton und der junge John Lilburn, welchen Herr Cromwell so eifrig vertheidigt hatte, beide mit ehrenvollen Narben von der Sternkammer gezeichnet, waren zugegen, um an diesem Triumphe Theil zu nehmen. Dies geschah vor der Stadt. Und drinnen in Westminster wurde ein anderer Sieg – kein Triumph, sondern ein Sieg – nicht festlich, sondern feierlich und ernst, wie Siege auf den Schlachtfeldern zu sein pflegen, gefeiert.

»An diesem Tage, Nachmittags drei Uhr klagte Herr Pym im Namen aller Gemeinden Englands vor den Schranken der Pairskammer den Grafen Thomas von Strafford des Hochverrathes an. Und diese Nacht sitzt Lord Strafford im Tower.

»Er ist eine zu stattliche Ceder, als daß sein Fall nicht etwas Großartiges haben sollte.

»Der Botschaft des Unterhauses spottend, wollte der Graf mit stolzem, finsterem Gesicht sich an seinen Platz an der Spitze der Versammlung begeben; aber Viele riefen ihm zu, das Haus zu räumen. Mürrisch mußte er sich nach der Thüre zurückziehen, wo er, an dessen Thüre so Manche vergebens gewartet hatten, harren mußte, bis man ihn berief. Mit stolzer Miene stand er da, das Urtheil des Hauses erwartend. Man befahl ihm niederzuknieen, und auf seinen Knieen wurde er dem Thürsteher mit dem schwarzen Stabe als Gefangener übergeben. Er wollte sprechen, aber es wurde ihm, der England elf Jahre lang zum Schweigen gebracht hatte, mit Strenge Stillschweigen auferlegt, und er mußte abziehen ohne ein Wort zu sprechen. Draußen wurde ihm sein Schwert abgefordert. Der Graf rief laut nach seinem Diener, um das Schwert des Lord Lieutenants in Empfang zu nehmen. Eine Menge Menschen umdrängte die Thüren des Parlamentshauses, als er nach seinem Wagen ging. Kein Bursche zog die Mütze vor dem, mit welchem noch gestern kein Adeliger in England ungestraft hätte bedeckten Hauptes reden dürfen. Einer rief dem Andern zu: Was gibt's? Nichts Wichtiges, ich versichere Euch, entgegnete der Graf. Da er seinen Wagen nicht an der Stelle fand, wo er ihn gelassen hatte, mußte er nochmals durch die gaffende Menge wandern. Es wurde ihm nicht erlaubt, in seinen eigenen Wagen zu steigen, sondern er wurde in demjenigen des Thürstehers mit dem schwarzen Stabe vor dem Oberparlament abgeführt.

»Und diese Nacht logirt er – ruht oder schläft, darf ich wohl kaum sagen – im Tower. Ob wohl die Erinnerung an seinen frühern Gefährten, aus der Zeit, ehe er noch zum Verräther an England und der Freiheit wurde, – an unsern edeln gemordeten Patrioten Eliot – ihn dort verfolgt? Vor seinem Geiste ist der Graf sicher genug. Solche Geister sind in besserer Hut und Gesellschaft. Und was die Erinnerung anbelangt, so mögen wohl, wenn die Gerüchte wahr sind, noch dunklere als die an Eliot mit sammt allem ihm zugefügten Unrecht, ihn verfolgen, Erinnerungen, deren
Gräßlichkeit der alte Tower selbst mit all seinen Todtenkammern
nicht übertreffen kann.

»Allein Lord Strafford ist nicht der Mann um zu träumen, während es noch etwas zu thun gibt, oder um zurückzublicken, wenn sein Leben von seiner klugen Vorsicht abhängen kann.

»Der erste Streich ist geführt, aber die Ceder ist noch nicht gefällt. Und Niemand vermag zu berechnen, was sie in ihrem Falle mit begraben kann.

»Ihr treuer Diener und liebender Freund
Leonhard Antonius

 

»Es wird Roger Freude machen zu hören, daß sein Freund, Herr Cromwell, die Bittschrift für den armen John Lilburn einreichte, der, eine Zeitlang Herrn Prynne's Sekretär, von Westminster nach dem Fleetgefängnisse geschleppt worden war, und nicht minder, daß er sich sehr warm der Sache einiger armen Landleute aus der Nähe von St. Ives, die er kennt, angenommen hat, welche durch einen Diener der Königin auf tyrannische Weise ihrer alten Weiderechte beraubt worden waren.

»Herrn Cromwell schien das den armen Leuten zugefügte Unrecht sehr zu Herzen zu gehen, und er sprach zu ihrer Vertheidigung mit gerötheten Wangen und feuriger Beredtsamkeit. Freilich fanden gewisse Höflinge seine Stimme rauh und unmelodisch, seinen Rock und Binde (Bäffchen) unschön, von einem schlechten Dorfschneider verfertigt, und seinen Hut ohne Band gar zu einfach. Allein das Parlament hörte ihn mit großer Achtung an und beherzigte sehr wohl seine Rathschläge.«

 

Rogers Augen funkelten.

»Herr Cromwell wird über den neuen seine alten Freunde nicht vergessen,« sagte mein Vater, »noch kleine Pflichten übergehen, um große Zwecke zu erreichen.«

 

Nun löste sich unsere Familie in kleine Gruppen auf, welche diese Neuigkeiten besprachen.

Tante Dorothea schüttelte den Kopf. »Mir macht es in der That Kummer,« sagte sie. »Herr Cromwell könnte Großes vollbringen. Da steht Kirche und Staat in Flammen; der Allmächtige sendet Seine Blitze über die Cedern von Libanon und die Eichen von Basan, während Herr Cromwell immerfort bei diesen kleinen, weltlichen Dingen verweilt, sich um das Unrecht bekümmert, das einem unbedeutenden Diener des Herrn Prynne zugefügt worden, welchem man ohne Zweifel abgeholfen hätte, wenn der große Kampf einmal vorüber wäre; während er weiter danach fragt, ob ein Paar arme Tölpel bei St. Ives einige Morgen Weideplatz mehr oder weniger haben, um ihre Schafe zu füttern. Und unterdessen irren die Schafe des Herrn auf den Bergen umher ohne Nahrung und ohne Hirten! Und es thut mir auch leid, daß Herr Cromwell nicht einen andern Schneider annimmt; wir sollen auch in den Augen Aller anständig erscheinen. Ich will nur das sagen,« setzte sie am Schlusse noch hinzu, »Frau Cromwell und ihre Mädchen könnten wohl Manches davon übernehmen.«

 

Ich erinnere mich noch wohl, daß ich an jenem Abend Tante Gretchen fragte, ob es Unrecht wäre, den Grafen Strafford in mein Gebet einzuschließen. Er war nicht gerade mein Feind, sonst wäre es mir geboten gewesen für ihn zu beten; auch war er ganz gewiß nicht mein Freund, noch gehörte er hinfort mehr »zur Obrigkeit.« Allein der Gedanke ging mir zu Herzen, daß in einem Augenblicke all seine Herrlichkeit zu nichte geworden war, daß die Menge ihn angaffte und kein Mensch mehr die Mütze vor ihm abzog.

»Um was möchtest Du beten, Olivia?« fragte Tante Gretchen. »Doch gewiß nicht, daß er wieder die Gewalt in seine Hände bekäme, die Sternkammer wieder einsetzte und die drei Herren nochmals an den Pranger stellte?«

»Würde er dies thun, wenn er wieder aus dem Tower käme?« fragte ich.

»Weise und gute Männer glauben es, sonst würden sie ihn nicht dorthin geschickt haben,« erwiderte sie.

»Aber würde er nicht in Zukunft viel besser sein?« fragte ich.

»Man kann sich nicht darauf verlassen,« sagte sie. »Wenn er es noch so fest verspräche, so könnte man ihm doch nicht sogleich trauen.«

»Ist es denn zu spät, daß ihm vergeben werden könnte?« fragte ich.

»Zu spät, wie es scheint, daß die Menschen ihm vergeben könnten,« entgegnete sie ernst.

»Aber nie zu spät für Gott?« fragte ich.

»Nein, nie zu spät für Gott,« sagte sie langsam; »weil Gott weiß, ob wir die Absicht haben, von der Sünde zu lassen, selbst wenn wir nichts thun können, um es den Menschen zu beweisen. Darum ist es nie zu spät für Ihn, Seine verlorenen Kinder an Sein Herz zu drücken.«

»So darf ich also darum beten,« sagte ich. Und dies that ich auch.

Aber zum ersten Male in jener Nacht (was ich in den folgenden ernsten Jahren oft erfahren mußte) fielen mir die schrecklichen Worte aufs Herz » Zu spät«, das furchtbare Gefühl, daß eine Stunde kommen kann, wo Reue vor Gott wohl noch möglich ist, aber gegen die Menschen sich nichts mehr gut machen läßt und von ihnen keine Gnade mehr zu hoffen ist.


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