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XVI.

Kaum eine Woche nach dieser Unterredung wurde das ganze Land durch die Nachricht entflammt, daß Seine Majestät in höchst eigener Person, an der Spitze von fünfhundert Bewaffneten, – meistens junge Wagehälse – welche die Nacht zuvor in Whitehall festlich bewirthet worden waren, die fünf Mitglieder (Pym, Hampden, Hazelrig, Denzil Hollis und William Strode) in dem unverletzten Heiligthume der Nation, dem Parlamentshause hatte festnehmen wollen.

Nach dieser That gaben mein Vater und Lady Lucia auf, je mit einander über Politik zu streiten.

Er sagte nur, als wir ihr an demselben Abend im Dorfe begegneten:

»Jetzt sieht man deutlich, wie die Versprechungen Seiner Majestät gemeint waren.«

Darauf erwiderte sie:

»Wenn alle wackern Männer Seiner Majestät mißtrauen, wird er da nicht gezwungen, schlechten Menschen zu trauen?«

»Ich fürchte, der Lauf der Falschheit geht immer abwärts,« antwortete er sehr traurig; »und das gerechte Mißtrauen greift immer mehr um sich.«

»Aber, um's Himmels willen, Herr Drayton,« sagte sie mit bittender Stimme, als wir sie nach dem Schlosse begleiteten, »bedenken Sie es wohl, ehe Sie sich in diese schrecklichen Parteikämpfe stürzen!«

»Ich habe es längst überlegt, gnädige Frau,« sagte er, »denn ich habe im dreißigjährigen Kriege mitgefochten und die Verwüstungen gesehen, welche der Krieg anrichten kann.«

»Und das war noch lange nicht so schlimm,« versetzte sie. »Dort kämpfte Kirche gegen Kirche, Staat gegen Staat, Fürst gegen Fürst. Aber hier wird die Kirche gegen sich selbst uneins, ein Theil der Nation gegen den andern, der Unterthan gegen den König, ein wackerer Mann gegen den andern streiten. Bedenken Sie, welch edle und weise Männer Sie gegen sich haben werden (denn Sie achten Sir Bevil Grenvill und Lord Falkland so gut wie wir), wenn Sie es mit Herrn Hampden und Herrn Pym halten; und welch leidenschaftliche, fanatische Leute auf Ihrer Seite sein werden!«

»Wenn alle Guten auf einer Seite stünden,« sagte er kummervoll, »so brauchte man wenig zu kämpfen in Staat und Kirche.«

»Mir scheint,« setzte sie hinzu, »daß man keine Partei lieber ergreifen möchte, als die der Friedensstifter.«

»Das ist in der That diejenige, zu der ich mich halten möchte,« sagte mein Vater. »Aber mir däucht, daß zu allen Zeiten gerade diese Partei als diejenige gebrandmarkt wurde, welche in der Welt das Unterste zu oberst kehren möchte. Seit dem ersten Sündenfall kann der Friede selten anders als durch Kampf gewonnen werden.«

 

Mittlerweile hatte sich Roger zu uns gesellt, und als wir im Begriffe waren, uns zu trennen, flüsterte Lätitia, meine Hand in der ihren haltend, mir zu:

»Mögen sie auch die Welt umkehren, Olivia, uns sollen sie nicht trennen! Wie glücklich ist es für uns,« sagte sie zu Roger gewendet, welcher ein wenig bei Seite stand, »daß, wie Harry sagt, Frauen nichts mit der Politik zu thun haben!«

»Ich fürchte sehr,« sagte er in seiner etwas hastigen Weise, »daß Frauen oft mehr als Andere von der Politik zu leiden haben.«

»Sie nehmen Alles so ernst, Roger,« erwiderte sie. »Alles würde noch gut gehen, wenn Ihr Alle nicht so streng gegen Leute wäret, die ein wenig Unrecht gethan haben; und wenn Ihr Euch bemühen wolltet, zu glauben, was wir Alle wünschen, da es dann gewiß zu Stande käme.«

»Alles wird schlimm gehen,« sagte Roger mit traurigem Nachdruck, »wenn Sie Menschen und Dingen glauben, weil Sie wünschen, daß sie wahr sein möchten, nicht weil sie wirklich wahr sind.«

Denn Roger, der gegen Jedermann aufrichtig war, bewies Lätitia gegenüber die strengste Aufrichtigkeit; denn ihm lag noch weit mehr am Herzen, was sie war, oder wurde, als was sie von ihm dachte.

Allein Lätitia lachte nur, indem sie ihm erwiderte:

»Ich bin noch nicht sechszehn, und habe schon, ich weiß nicht wie oft, das Land am Rande des Verderbens gesehen. Andere Wolken sind schon vorüber gezogen, und diese wird auch vorbeigehen.«

Und damit eilte sie ihrer Mutter nach; doch drehte sie sich noch einmal um und rief mir mit der Hand winkend:

»Auf Wiedersehen morgen Vormittag am Liebfrauen-Quell, Olivia! Das Eis wird stark genug sein, daß wir auf dem See Schlittschuh laufen können. Adieu, bis morgen!«

Allein als Roger und ich den nächsten Morgen zu der Quelle kamen, war keine Lätitia zu sehen.

Es hatte während der Nacht geschneit.

Die Eisdecke des Sees war mit Schnee bedeckt, ausgenommen da, wo das überhängende Gestrüpp den Schnee aufgefangen hatte, unter dem der Eisspiegel dunkel wie Stahl gegen die weißen Ufer abstach. Strom und Wald lagen in tiefes Schweigen gehüllt. Die Tropfen, deren sanftes Gemurmel im vorigen Sommer Lätitia und mich in ein Zauberland versetzt hatte, hingen in glänzenden lautlosen Eiszapfen um den steinernen Rand des Brunnens.

Still kehrten Roger und ich nach Hause zurück.

»Der Schnee hat sie abgehalten,« sagte ich.

»Sie bricht nicht so leicht ein gegebenes Wort,« sagte er.

Bei unserer Rückkehr fanden wir einen Boten mit einem Briefe von Lätitia, worin sie uns mittheilte, Lady Lucia sei zur Königin nach Windsor gerufen worden, und sie begleite ihre Mutter; da Harry Davenant und Sir Walter um die Person des Königs beschäftigt seien, sei Sir Launcelot Trevor gekommen, ihnen das Geleite zu geben.

»Prinzeß Marie steht im Begriff sich mit dem Prinzen von Oranien zu vermählen,« schrieb Lätitia, »und da die Königin sie nach den Niederlanden begleiten soll, so wünscht sie meine Mutter noch zu sehen, ehe sie England verläßt.«

»Sie würde uns Allen einen großen Dienst erweisen, wenn sie ganz fortbliebe,« sagte Tante Dorothea, mit diesen Worten die Gefühle eines großen Theils der Nation aussprechend; »der König würde den schlimmsten seiner schlechten Rathgeber verlieren.«

»Es kommt darauf an,« versetzte mein Vater traurig, »ob der König nicht selbst sein schlechtester Rathgeber ist. Wenn das Böse von Andern ausgeht, so kann die Königin ihm in der That mehr schaden, falls sie hier bleibt. Auf der andern Seite kann sie ihn auch auf dem Kontinent mehr unterstützen.«

»Jedenfalls wird ihre Abwesenheit für Lady Lucia und Fräulein Lätitia zum Segen gereichen. Denn dem Kinde fehlt es nicht an guten Anlagen. Vorige Woche kam sie, da Ihr alle ausgegangen waret, und um die Zeit nützlich anzuwenden, bat ich sie, mir aus den Predigten des frommen Adams vorzulesen; und sie las zwei und einen Theil von der dritten, und ging nur zweimal an das Fenster, um zu sehen, ob Niemand käme, und schaute nicht ein einziges Mal mehr auf, nachdem ich sie gefragt hatte, ob das Lesen sie ermüde.«

»Glaubst Du wirklich, daß die Predigten ihr Vergnügen machten, Tante Dorothea?« fragte ich, da ich wußte, wie schwer es war, zu erkennen, wogegen Lätitia Abneigung empfand, da bei ihr stets der Wunsch vorherrschte, Andern Freude zu machen.

»Ich denke zu gut von dem Kinde, um zu glauben, daß sie sich stellen würde, als ob ihr etwas gefiele, das ihr wirklich nicht angenehm wäre,« sagte Tante Dorothea; und obgleich sie mich damit noch nicht überzeugte, so freute es mich doch, daß Tante Dorothea ihrem Zauber nicht entgangen war.

»Was sagte sie denn?« fragte ich.

»Die erste Predigt hieß: ›Der geistliche Schiffer nach dem heiligen Lande,‹ und handelte von dem gläsernen Meere; sie sagte, es sei fast so hübsch zu lesen, wie Spenser's ›Feenkönigin‹, – eine Bemerkung, welche zwar einen Mangel an geistlichem Urtheil beurkundete, aber doch wenigstens zeigte, daß sie sich nicht gelangweilt hatte. Die zweite Predigt hatte das ›Himmelsthor ‹ zum Gegenstande, und als wir an die Stelle kamen, wo es heißt, daß das Thor in unserm eigenen Herzen sei, und an die Worte – ›Große Schlösser haben mächtige Thore; der Himmel muß nothwendig sehr geräumig sein, wenn ein kleiner Stern, der sich in einem weit engern Kreise bewegt, die Erde an Umfang übertrifft; allein er hat ein niedriges Thor, keine stolze Einfahrt‹ – da sagte sie, sie habe geglaubt, das Himmelsthor öffne sich für uns nur, wenn wir sterben, nicht so lange wir leben, und es sei ein merkwürdiger Gedanke. Die dritte Predigt war ›Semper Idem, die unwandelbare Barmherzigkeit Jesu Christi,‹ und von dieser lasen wir nicht viel; denn als wir an die Stelle kamen: ›die Sonne der Gottesgelehrsamkeit ist die Heilige Schrift, die Sonne der Schrift ist das Evangelium, die Sonne des Evangeliums ist Jesus Christus; Er ist aber nicht nur der Mittelpunkt des Evangeliums, sondern auch unseres Friedens; Du hast uns für Dich geschaffen, o Christus; und das Herz hat keinen Frieden, bis es in Dir ruht; – wenn wir suchen, können wir Ihn finden, denn Er ist dazu bereit; wenn wir Ihn finden, können wir noch immer suchen; denn Er ist unendlich;‹ – da zitterte ihre Stimme, sie blickte auf und Thränen glänzten in ihren Augen, indem sie sagte: ›Das ist's wohl, was die andere Predigt unter den Worten versteht, daß wir jetzt schon durch das Thor des Himmels eingehen sollen.‹ Und das finde ich sehr vernünftig geredet von einem Kinde, das wie sie, unter den Mauern Babylons erzogen worden ist. Und das Wesen der armen Kleinen gefiel mir so gut, daß ich ihr die drei Predigten schenkte. Sie sagte, sie wolle dieselben werth halten, und in einem Kästchen von Cedernholz, das sie besitzt, mit einigen Büchern von Dr. Taylor aufbewahren. Und obgleich Dr. Taylor ein Arminianer ist, so konnte ich es doch nicht über's Herz bringen, dem Kinde zu widersprechen. Zumal da es mit Büchern nicht geht, wie mit den Menschen, indem ihnen schlechte Gesellschaft nichts schadet.«

Roger machte keine Bemerkung über diese Erzählung. Nur als wir am folgenden Sonntag mit einander aus der Kirche gingen, sagte er kummervoll:

»Ach, Olivia! daß sie, die so leicht mit Allem zufrieden ist, die sich so gerne Jedem gefällig erzeigt, die so sicher Allen gefällt, sie die so wahr und edel und so bereit ist, von Jedem Gutes zu glauben – daß sie an diesen falschen Hof gehen mußte! Mir wird es in Zukunft immer grauen, wenn Jemand ›bis morgen‹ sagen wird. Wenn wir es nur gewußt hätten, wie Vieles würden wir gesagt, wie Manches verschwiegen haben. Meine letzten Worte, die ich zu ihr sprach, kommen mir jetzt so hart vor. Sie wird sich jetzt immer unseres Tadels erinnern. Und sie ging mit einem herausfordernden Lächeln hinweg! Wenn man doch nur immer wüßte, welche Tage oder Worte die letzten sein sollen! Morgen,« setzte er hinzu, »wollte sie an dem alten Quell mit uns zusammentreffen, und jetzt ist sie an dem königlichen Hofe, und zwischen uns gähnt der Abgrund des Bürgerkriegs. Das ganze Land ist in solchem Aufruhr, daß es fast Untreue gegen das Vaterland scheint, an den eigenen Kummer zu denken.«

Was Roger sagte, war nur zu wahr. Es ist unmöglich, die Entrüstung der ganzen Nation über jene That des Königs, sein Eindringen in das Parlament zu beschreiben. Sie zeigte, wie keine andere es vermocht hatte, daß das, was der Nation als geheiligte Stätte galt, wie Vater sagte, dem König nur gemeiner Boden war. Man hatte es ertragen, daß Soldaten auf ungesetzliche Weise in die Privathäuser einquartirt, daß Väter, dem Gesetz zum Trotz, ihren Familien entrissen worden und im Gefängniß verschmachtet waren. Jede dieser tyrannischen Handlungen war eine Ausnahme oder bezog sich nur auf Einzelne und es konnte durch geduldige Berufung auf unsere alten Gesetze wieder Abhülfe geschafft werden.

Ein großer Theil der persönlichen Freiheit konnte eher geopfert werden, als daß man die Ordnung störte, auf welche alle wahre Freiheit gegründet ist. Aber das Parlamentshaus, während der Sitzung des Parlaments, war der heilige Herd der Nation selbst. Jeder fühlte in dessen Entweihung den eigenen Herd entweiht. Nichts im ganzen Lande war hinfort mehr heilig, nichts mehr sicher. Und von diesem Tage an schien mein Vater, der den Bürgerkrieg fürchtete, wie nur immer ein Soldat, der die Schrecken des Krieges kennt, ihn fürchten kann, gar nicht mehr daran zu zweifeln, daß er ausbrechen mußte. Und so aufrichtig es ihm darum zu thun war (bis zur Schwäche, wie Tante Dorothea meinte), gegen alle Parteien gerecht zu sein, so schien er doch hinfort nie mehr im Zweifel, auf welche Seite er sich schlagen sollte.

Jene Scene im Parlament am 3. Januar 1642 bot eine seltsame Mischung strenger Anhänglichkeit an alte Formen mit dem kühnsten Freiheitssinn dar.

Dr. Antonius schrieb uns, wie alle Mitglieder sich mit unbedecktem Haupte erhoben, wie der Redner neben seinem Stuhle knieend, den der König sich zugeeignet hatte, sich weigerte, die Fragen Seiner Majestät über die Abwesenheit jener fünf Mitglieder, die seine Blicke vergebens an ihren leerstehenden Sitzen suchten, zu beantworten, indem er sagte: »Eure Majestät werden entschuldigen, aber ich habe hier an dieser Stelle nur Augen zu sehen und Ohren zu hören und eine Stimme zu reden, wie das Haus mir befiehlt.« »Worte,« schrieb Dr. Antonius, »ehrfurchtsvoll genug für einen Höfling Nebucadnezars und von so königlichem Sinne wie die irgend eines Kaisers.« Keine unehrerbietige Rede oder Geberde folgte dem Könige, als er nach diesem vereitelten Versuche das Haus verließ, indem er sagte, er sehe wohl, die Vögel seien ausgeflogen, und versicherte, er habe gar nicht beabsichtigt, irgend welche Vorrechte zu verletzen. Allein noch ehe er die Stufen des Parlamentshauses hinabgestiegen war, um zu der bewaffneten Wache draußen zu stoßen, hatte, wie Vater sagte, der Bürgerkrieg begonnen.

Den nächsten Tag hatte der König abermals einen vergeblichen Versuch gemacht, die fünf Mitglieder in der Stadt zu arretiren. Die Rathsherren, ächte Repräsentanten der englischen Kaufmannschaft waren nicht minder entschlossen als das Parlament. Sie gaben Seiner Majestät ein großes Fest, machten ihm aber durchaus keine Zugeständnisse.

Im Laufe einer Woche hatten tausend Seeleute von den Kauffahrteischiffen auf der breiten Themse dem Parlament ihre Dienste angeboten, um dasselbe sicher zu Wasser aus seinem Zufluchtsort in der City nach Westminster zu geleiten, während eben so viele Lehrlinge um die Erlaubniß gebeten hatten, denselben Dienst zu Lande leisten zu dürfen. Viertausend berittene Freisaßen aus Buckinghamshire (Hampdens Grafschaft) waren mit Bittschriften gegen böse Räthe nach London gekommen, und den 10. Januar hatte der König Whitehall verlassen und sich nach Hampton Court begeben.

Niemand ahnte damals, daß er erst sieben Jahre später ebenfalls an einem Januartage in sein Residenzschloß zurückkehren sollte, um es nicht mehr zu verlassen.

So wenig letzte Tage erscheinen vor uns in Trauer gehüllt, und kündigen sich als letzte an. Lächelnd besteigen wir die Fähre, welche uns, wie wir glauben, eine kleine Weile über den schmalen Strom tragen soll, und winken denen, welche uns vom wohlbekannten Ufer nachsehen, mit der Hand und rufen ihnen » bis morgen,« zu, und ehe wir's uns versehen, ist der Strom zum Meere, die Fähre zum Boote des Charon geworden!; das heimathliche Ufer ist aus dem Gesichte verschwunden – das Fenster des Bankettsaales ist zur Schwelle des Schaffots geworden – und morgen ist die Ewigkeit.


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