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X.

Das war eine seltsame Weihnachtszeit für Viele in England, jener erste Christtag in dem stürmischen Leben des langen Parlaments. Seit dem 28. November war Graf Strafford im Tower. Eine Woche vor dem Christfeste wurde der Erzbischof Laud zur Verantwortung gezogen und in's Gefängniß gebracht. An ein Auflösen des Parlaments war nicht zu denken. Herr Pym und andere patriotische Mitglieder waren beschäftigt, die gerichtliche Untersuchung des Lords vorzubereiten, welche erst den 22. März des folgenden Jahres begann.

Anderseits hörte man wieder im ganzen Lande umher von vielen Kanzeln herab treue Stimmen, die lange in Kerkern zum Schweigen gebracht worden waren.

Richter Berkeley, der den ungerechten Ausspruch zu Gunsten des Tonnengeldes gethan, wurde auf dem Richterstuhl in seinem Hermelin ergriffen und wie ein gemeiner Verbrecher in's Gefängniß geschleppt.

Die schwere Gewitterwolke der Sternkammer und des hohen Commissionshofes hatte sich zertheilt. Die Puritaner und Patrioten athmeten endlich wieder freier, und die mächtige Stimme der Nation, deren Worte in Westminster Thaten waren, beruhigte die Seufzer und das Jammergeschrei des bedrückten Landes und gab im ganzen Lande jeder Zunge Freiheit zu ernster, entschiedener Rede beim Kamin jeder Wohnstube, jeder Schmiede, jedes Bierhauses, auf jedem Dorfrasen oder sonstigen Platze, wo man zu gemeinsamer Unterhaltung sich einzufinden pflegte.

Die Schmiede im Dorfe Netherby war Roger und mir in der That ein sehr wohlbekannter Ort. Hiob Forster, der Hufschmied, ein wackerer, gutmüthiger Riese von Cornwallis, der sehr geneigt war, unsere Bauern des inneren Landes, die noch nie das Meer gesehen hatten, zu verachten, und im Verdachte stand, die Hauptstütze einer kleinen Schaar Sektirer der Nachbarschaft zu sein, war stets Rogers bester Freund gewesen; während Rahel, sein sanftes, kränkliches, frommes Weibchen (die er mit einer Art ängstlicher Zärtlichkeit liebte, als etwas zu Kleines und Zartes für ihn), mir die Kindesstelle in ihrem mütterlichen Herzen eingeräumt hatte, da ihr kein Kind geschenkt worden war, das dieselbe hätte ausfüllen können. Wenn wir in unserer Kindheit zu Hause vermißt wurden, so suchte und fand man uns gewöhnlich in Hiob Forsters Schmiede. Und auf diese Weise lernten wir viel Politik von Hiobs Gesichtspunkte aus, sowie eine Menge wunderbarer Geschichten von Gottes Vorsehung zu Land und zur See, welche uns zu zeigen schienen, daß Gott denen, die auf Ihn vertrauen, noch immer so nahe ist, wie ehemals den Israeliten, eine Thatsache, wovon Hiob und Rahel auch fest überzeugt waren.

Allein während sich der Himmel über England immer mehr aufhellte, zog eine schwere Wolke sich über uns in Netherby zusammen.

Die Familie Davenant war auf das Schloß gekommen, um hier das Christfest zu feiern. Wir kamen während dieser Zeit mehr als je zusammen. Die freundschaftlichen und nachbarlichen Bande schienen über den Parteigeist zu siegen, der uns so lange getrennt hatte.

War doch nun Hoffnung vorhanden, daß mit dem Falle des verhaßten Lord Statthalters diese Parteizwiste ein Ende nehmen würden.

Sein plötzlicher Uebertritt von der Seite der Patrioten, seine rasche Erhebung, sein stolzer, heftiger Charakter konnte nicht verfehlen, ihm sogar unter seiner eigenen Partei Feinde zu machen. Sir Walter Davenant sagte, er liebe Renegaten nicht; sie übertrieben stets ihre neue Rolle und schadeten gemeiniglich mehr der Partei, zu der sie sich schlügen, als derjenigen, welche sie verriethen; wenn einmal der stolze Graf aus dem Wege geräumt sei, werde der König auf bessere Diener und auf richtigere Räthe hören.

Lady Lucia verabscheute des Grafen Privatleben. Sie sagte, der König sei ein hochherziger Herr, ein liebevoller Gatte und Vater – seine Gegenwart und sein Beispiel hätten schon viel zur Besserung des Hofes beigetragen; der Graf hingegen sei ein Mann von Achtung gebietender Geschicklichkeit – aber seine Hände seien nicht rein genug, um eine so erhabene Sache zu verteidigen. Edlere, wenn auch schwächere Männer, dachte sie, wären eine festere Stütze für den Thron des Gesalbten Gottes. Wenn Lord Strafford abgesetzt würde, meinte sie, könnten die vorzüglichsten Männer aller Parteien sich einigen, sich und ihren König verstehen und Alles könnte noch gut werden. Auch mein Vater, obwohl weniger sanguinisch, war nicht ohne Hoffnung, jedoch aus etwas andern Gründen. Während Lady Lucia glaubte, Lord Straffords Gewaltthätigkeit und unsittliches Leben schade der Sache, die sie an sich für heilig hielt, hielt mein Vater dafür, daß Lord Straffords Charakter und Geistesstärke eine unheilbringende Stütze für die in seinen Augen schlechte Sache sei. Wenn nur der Graf einmal fort wäre, glaubte er, würde der König nicht so leicht einen neuen Halt für seine willkürlichen Maßregeln finden; die kleineren Tyrannen müßten fallen, wie ein Gewölbe, wenn der Schlußstein herausgenommen sei, und der König werde sich gezwungen sehen, den gerechten Forderungen der Nation nachzugeben.

So kam es, daß in dieser Zeit die Gefangenschaft Lord Straffords, zu Rogers und meiner Freude, ein Band der Uebereinstimmung zwischen den beiden Familien knüpfte. Es herrschte ein freundschaftlicher Wettstreit in Ausschmückung der beiden Kreuzflügel unserer Kirche mit Gewinden von Epheu und Stechpalmen, der damit endigte, daß wir uns offen für überwunden erklärten, da unsere etwas schwerfälligen Büschel von Immergrün gegen die leichten, anmuthigen Gewinde und Kränze, womit Lätitia die Denkmäler der Davenants geschmückt hatte, einen unvortheilhaften Kontrast bildeten.

Einen Augenblick freute sie sich ihres Triumphes; dann bat sie um Erlaubniß, unsere Anordnungen ein wenig verändern zu dürfen, und mit der ihr eigenen raschen Phantasie und ihren feenhaften Fingern, die nichts berühren konnten, ohne etwas von ihrer eigenen Anmuth darein zu verweben, hatte sie in ein Paar Stunden die massiven Säulen und Bogen unserer väterlichen Kapelle mit Gewinden von glänzendem Laube und Beeren so leicht und anmuthig geziert, wie das schönste Monument der Davenants.

Lätitia's Geburtstag war am Dreikönigsfeste. Sie wurde fünfzehn, war also fast zwei Jahre jünger als ich und drei Jahre jünger als Roger.

Große Heiterkeit herrschte an diesem Tage auf dem Schlosse. Am Morgen vertheilte Lätitia mit eigenen Händen Kleidungsstücke an alle Mädchen ihres Alters im ganzen Kirchspiel. Für jede hatte sie ein freundliches oder fröhliches Wort, und den ganzen Tag hindurch war sie die Seele aller Festlichkeiten. Sie war selbst so voll Leben und Heiterkeit und besaß so ganz die Gabe, aus sich heraus zu gehen und an den Freuden oder Bedürfnissen Anderer Theil zu nehmen. Sie schien mir der Mittelpunkt von Allem, gerade wie die Sonne, welche ihre Strahlen nach allen Richtungen aussendet. Während Jedermann von dem Gedanken an sie erfüllt war, war sie nur von dem Verlangen beseelt, nach Art der Sonne in jeden vergessenen Winkel und jede schüchterne Blüthe zu scheinen, und Alle froh und heimisch zu machen, sogar bis auf Gammer Grindle's armen, blödsinnigen Jungen.

Ich fühlte mich unbeschreiblich glücklich, Lätitia's Freundin zu sein, und hatte an ihr fast eben so große Freude, wie Sir Walter, der sie mit väterlichem Stolze betrachtete, oder wie Lady Lucia, deren Augen so oft feucht wurden, wenn sie auf ihr ruhten. Lätitia wollte Roger und mich bei Allem, was vorging, stets zu ihrer Rechten haben.

Am Nachmittage kam Harry Davenant mit Sir Launcelot Trevor. Harry sah ziemlich ernst aus, wie mir vorkam; doch war dies ja seine Natur, und bald wurde er von Lätitia's Fröhlichkeit angesteckt, so daß er bei allen Spielen die Hauptrolle übernahm, bis nach Sonnenuntergang die Diener und Landleute sich zerstreuten, um die zwölf Freudenfeuer anzuzünden. Nur Sir Launcelot schien sehr übel gelaunt. Seine dichten Brauen zogen sich finster zusammen über den durchdringenden schwarzen Augen, so daß sie wie Blitze aus einer Wetterwolke darunter hervor sprühten. Kaum grüßte er meinen Vater oder eines von uns, und obgleich er gegen Lady Lucia und ihre Tochter in Artigkeiten so verschwenderisch war wie immer, so hellte sich doch seine Stirne nur selten auf, um mit dem Lächeln seines Mundes übereinzustimmen.

Als die Sonne völlig verschwunden war, wurden die zwölf Feuer angesteckt, und zwar dieses Mal, Lätitia zu Ehren, dem Schlosse gegenüber anstatt auf dem Dorfrasen.

Wir warteten, bis sie angezündet waren, und begaben uns dann auf den Heimweg. Roger blieb noch zurück. Es sollte noch um die Feuer herum gesungen und getanzt und bis spät am Abend im Schlosse geschmaust werden. Allein Roger wollte nur noch ein kleines Weilchen dableiben, um dem Anfang der Lustbarkeit beizuwohnen.

Ich erinnere mich wohl, wie ich zurückschaute, um noch einen letzten Blick auf die Feuer zu werfen, welche bald aufflackerten, bald sanken, einen Moment lang jede Thurmzinne, jedes Bildwerk der Fenster mit grellem Lichte erleuchteten, in den Scheiben wie Karfunkel glühten und den nächsten Augenblick die Wirklichkeit ihres eigenen phantastischen Lichtes und ihrer gespenstischen Schatten damit vertauschten, so daß keine Ecke, kein Giebel des alten Gebäudes sich mehr ähnlich sah. Deutlich erinnerte ich mich später, daß ich Roger, Lätitia und Sir Launcelot nahe beisammen an einem dieser Feuer stehen sah; Roger legte unter Lätitia's Anweisung Holz auf das Feuer und Sir Launcelot beobachtete sie von der Seite mit über der Brust verschränkten Armen. Er sah roth und zornig aus. Ich dachte, es sei vielleicht der grelle Widerschein der Flammen. Aber ein unbestimmtes Gefühl zog mich zurück, um Roger mit uns fortzunehmen. Dies war jedoch unmöglich. Unwillkürlich sah ich nochmals zurück. In demselben Augenblicke flackerte das Feuer abermals auf und ich sah so deutlich wie beim Tageslicht Sir Launcelot und Roger augenscheinlich in eifrigem Wortwechsel begriffen.

Ich blieb zurück, um sie zu beobachten, aber gerade in diesem Moment erloschen die wechselnden Flammen; ich konnte nichts mehr sehen und mußte eilen, Vater und Tante Gretchen einzuholen.

Ehe wir unser Haus erreichten, begannen die Wolken, welche den ganzen Tag über gedroht hatten, sich in einem Hagelschauer zu entleeren.

Noch waren wir keine Stunde zurückgekehrt und plauderten fröhlich am Kaminfeuer über die Vorgänge des Tages, als plötzlich Roger mit aschbleichem Gesicht und glühenden Augen eintrat und meinen Vater hinausrief, um mit ihm zu sprechen. Ein Paar Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, saßen wir in banger Erwartung. Tante Gretchen ließ ihr Strickzeug, völlig unbekümmert um gefallene Maschen, auf ihren Schooß sinken; Tante Dorotheens Spinnrad drehte sich, wie von Furien getrieben. Endlich kam mein Vater allein wieder in die Stube, selbst so bleich wie Roger.

Er setzte sich nieder, stützte seine Arme auf seine Kniee und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen – eine Stellung, in der ich ihn nie zuvor gesehen hatte. Sie gab ihm das Ansehen eines Greisen, und ich erinnere mich noch sehr wohl, daß mir zum ersten Mal seine ergrauten Haare auffielen.

Niemand konnte sich entschließen, eine Frage an ihn zu richten.

Endlich sagte mein Vater mit leiser, ruhiger Stimme:

»Roger und Sir Launcelot haben Streit gehabt. Roger schlug Sir Launcelot und dieser fiel gegen einen der großen Klötze, die für die Freudenfeuer bereit lagen. Er ist schwer verwundet und Roger reitet nach Cambridge, einen Arzt zu holen.«

»In solcher Nacht!« sagte Tante Gretchen; »kein Stern ist am Himmel, und seit einer halben Stunde schlägt der Hagel gegen die Fenster!«

»Es ist das Beste, was Roger thun kann,« erwiderte mein Vater ruhig.

In der nächsten Minute hörten wir ein Pferd über den gepflasterten Hof sprengen und dann einen langen Galopp, der sich auf der Landstraße unter dem Geheul des Sturmes und dem Gerassel des Hagels verlor.

Aber Keines von uns sprach, bis das Haus sich zum Abendgebet versammelt hatte.

Es war keine Abänderung weder in dem Kapitel, das gelesen wurde, noch in dem gewöhnlichen Gebet zu bemerken, nur eine zitternde Tiefe in Vaters Stimme, als er um Segen für den Sohn und die Tochter des Hauses flehte.

Und als ich ihm hierauf gute Nacht wünschte, legte er mir die Hand aufs Haupt und sagte:

»Wache und bete, Olivia, wache und bete, mein Kind, auf daß Du nicht in Versuchung fallest.«

Da fiel ich auf meine Kniee, verbarg mein Gesicht in seinem Schooß und rief:

»O Vater! Roger muß furchtbar gereizt worden sein – ich weiß es gewiß! Ich bin überzeugt, es war nicht Rogers Schuld – und fest überzeugt! O gewiß! Sir Launcelot ist so gottlos; ich werde es ihm nie verzeihen.«

»Roger sagte, es sei seine eigene Schuld, meine arme kleine Olivia,« erwiderte mein Vater sehr liebreich, »und er werde es sich selbst nie vergeben. Und was auch Sir Launcelot gesagt oder gethan haben mag, Du mußt ihm vergeben, und bitten, daß Gott ihm vergebe; denn er ist sehr gefährlich verwundet und wird vielleicht bald sterben.«

»Es sieht Roger ganz ähnlich, so zu sprechen,« entgegnete ich. »Er ist immer bereit, sich anzuklagen und Andere zu entschuldigen. Aber Gott wird Sir Launcelot nicht sterben lassen, Vater! Was können wir thun?«

»Beten, Olivia!« sagte er mit zitternder Stimme; – »beten!« und mit diesen Worten zog er sich in sein Zimmer zurück.

Allein die ganze Nacht, so oft ich aus meinem unruhigen Schlummer erwachte und an das Fenster eilte, um zu sehen, ob der Sturm nachgelassen habe und Roger zurückkomme, sah ich Licht im Zimmer meines Vaters.

Als ich das letzte Mal aufstand, kam Tante Gretchen sachte hinter mir her, hüllte mich in ihr großes Umschlagetuch und zog mich mit sanfter Gewalt vom Fenster hinweg.

»Ich habe schlecht für Roger gewacht!« sagte ich. »Sieh! Vaters Lampe brennt noch immer. Er hat die ganze Nacht gewacht.«

»Ein Anderer wacht, Olivia!« sagte sie sanft, »Tag, und Nacht. Der Mittler schläft noch schlummert nicht. Es wird nie dunkel im Heiligthum, denn Er ist dort; und nie ganz still, denn Er bittet beständig für uns.«


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