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XI.

Dieser feurige Patriotismus, der in Netherby Alle beseelte, machte uns, fürchte ich, ein wenig hart gegen Base Placidia.

Das ganze Jahr hindurch, seit unserm Aufenthalt in Schloß Davenant hatte sie Roger und mich (und ich glaube insgeheim auch Tante Dorothea) oft geärgert, indem sie, auf ihre Weise, ungemein fromm wurde. An einem Wintermorgen, während Roger und ich bei unserm Vater an einem Ende des Zimmers eine italienische Stunde nahmen, fand zwischen Placidia und Tante Dorothea, die am Kamin mit Spinnen beschäftigt waren, folgendes Gespräch Statt. Placidia theilte Tante Dorothea mit, sie habe die Eitelkeit aller Dinge unter der Sonne, die Thorheit des Hochmuths, die Gottlosigkeit aller weltlichen Pracht, eingesehen, und wolle entschieden »es mit dem Herrn halten,« um bei Zeiten ihre Seligkeit zu schaffen, und sich einen reichlichen Eingang in's Himmelreich zu sichern. Tante Dorothea sprach davon, wie betrüglich das menschliche Herz sei, und wie sie hoffe, Placidia werde sich prüfen, ob auch bei ihr der rechte Grund nicht fehle. Placidia, etwas verletzt über den Zweifel, den Tante gegen ihre Orthodoxie zu hegen schien, erwiderte, sie wisse gar wohl, daß eines Jeden Herz überaus betrüglich und verzweifelt böse sei – das heiße, jeder ungöttlichen Person; um dies zu erkennen, brauche man sich ja nur umzuschauen, in welcher Richtung man wolle. Tante Dorothea sagte, sie finde ihr eigenes Herz noch immer sehr erfinderisch, sie zu täuschen, und der täglichen Wachsamkeit sehr bedürftig.

Diese Nothwendigkeit gestand Placidia ein. Ja sie sagte, bei der Prüfung ihres Lebens habe sie gefunden, obgleich sie vor manchen Schwächen, die Andern anhingen, gnädig bewahrt geblieben sei (da sie von Natur einen sanften Charakter habe und die Mäßigung liebe), daß sie doch noch ohne Zweifel an der allgemeinen Verderbniß Theil nehme. Allein sie habe, sagte sie, wie Jakob bei Bethel, einen feierlichen Bund mit Gott gemacht und versprochen, Ihm von nun an Seinen gebührenden Antheil an ihrer Liebe und ihrem Vermögen zu geben; sie habe denselben auf ihren Knieen unterzeichnet und versiegelt, und sie glaube, daß sie angenommen und auf des Herrn Seite sei, daß Er hinfort auf der ihrigen sein werde, so wie auf Jakobs.

Tante Dorotheens Spinnrad drehte sich mit verhängnißvoller Geschwindigkeit; allein es vergingen einige Minuten, bevor sie erwiderte:

»Ich hoffe, meine Liebe, daß Du den Unterschied kennst zwischen einem Bund und einem Handel. Der Patriarch Jakob meinte es ohne Zweifel gut; aber ich konnte seine ›Wenn‹ und ›Dann‹ dem Allmächtigen gegenüber nie recht leiden. Der beste Bund, däucht mir, fängt auf der andern Seite an. Wie zum Beispiel als der Herr zu Abraham sagte: ›Fürchte Dich nicht, Abraham; ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn.‹ Oder: ›Ich bin der allmächtige Gott, wandle vor mir und sei fromm.‹ Dann folgen die Verheißungen so verschwenderisch wie Sein Reichthum, der Himmel und Erde erfüllt – so frei wie die Luft, die Er uns athmen läßt. Gott gibt ohne Grenzen, ohne Rückhalt, ohne Bedingung. Aber umgekehrt verlangt Er auch unbedingt, ohne Rückhalt, ohne Grenzen. Nicht dies für das, sondern Alles in völligem Vertrauen. Er spricht: ›Du sollst vollkommen sein‹; und: ›Gehe aus deinem Vaterlande und von deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause;‹ ferner: ›Nimm Isaak, deinen einigen Sohn, den du lieb hast und opfere ihn.‹ Verstehst Du so den Bund mit Gott? Bedenke es wohl; ›Er läßt sich nicht spotten.‹ Seine Hand ist größer als die unsrige, wie das Meer größer ist als eine Trinkschale; aber Er will uns nicht mit halbvollen Händen annehmen.«

Da sagte Placidia:

»Tante Dorothea, ich habe gar nicht die Absicht, es halb mit der Welt und halb mit Gott zu halten. Ich mag nichts wissen von einer Religion, die in der Woche um Maibäume tanzt und am Sonntag dem Gottesdienst beiwohnt; welche Freitags fastet und betet und in der Fastenzeit Trauerkleider anlegt, aber an Festtagen sich mit Locken und Spitzen und Juwelen schmückt. Ich bin entschlossen, nie eine Feder noch sonstigen Tand oder Spitze an meinem Kragen, noch ein geschnürtes Bruststück zu tragen, noch Zangen zum Haarkräuseln zu gebrauchen, oder sonst Eitelkeit mit Haarflechten zu treiben; und ich will nie hellere Farben an meinem Mantel oder Schleier tragen, als grau oder höchstens ›Leberfarbe‹. Ich habe nicht im Mindesten die Absicht zwei Herren zu dienen, Tante Dorothea. Ich weiß wohl, daß man dabei nichts gewinnt. Aber ich weiß, daß Er diejenigen ehrt, die Ihn ehren, und daß die Gottseligkeit die Verheißung dieses und des zukünftigen Lebens hat.«

»Der Herr ehrt nicht oft wie der König Ahasverus,« sagte Tante Dorothea ernst. »Die Kronen derer, welche Er ehrte, sind zuweilen feurig gewesen, und ihr königlicher Anzug von Sackleinwand. Man kann«, fuhr sie fort und ihr Rad drehte sich wie der Wirbelwind, »zuweilen nur einem Herrn dienen – aber es ist nicht der rechte, obgleich er Seinen Namen annimmt. Und wir stehen am Rande dieses Abgrunds, so oft wir einen andern Lohn von dem Herrn suchen als sein ›Wohl gethan!‹ ›Ich bin dein Schild‹; ›Ich, der Herr selbst‹; nicht was Er verheißt oder was Er gibt, und wenn es die Hälfte Seines Königreichs wäre.«

Mittlerweile hatte der Streit die Aufmerksamkeit meines Vaters erregt, und er sagte aufstehend und zu den Spinnerinnen tretend:

»Was Du da sagst, Schwester Dorothea, erinnert mich an einige Worte, die ich neulich aus einem Briefe Herrn Cromwells gehört habe. ›Sicher hat kein Geschöpf mehr Ursache, der Sache Gottes zu dienen als ich,‹ schrieb er. ›Ich habe im Voraus reichen Lohn empfangen, und bin gewiß, daß ich nie den geringsten Heller verdienen kann.‹«

»Wahrhaftig,« sagte Tante Dorothea, »Herr Cromwell mag sich zu viel mit Entwässern und Urbarmachen beschäftigen; aber er ist jedenfalls ein frommer Herr, und er versteht den Covenant.«

 

Base Placidia jedoch verfolgte ihren Weg und blieb ein lebendiger Tadel für Roger und mich, wenn wir in zu laute Lustigkeit ausbrachen, und für jedes Mädchen, das der Versuchung unterlag, ein etwas bunteres Mieder zu tragen als gewöhnlich. Nie sah man sie Sonntags lächeln, oder an einem andern Tage lachen, als höchstens auf sehr milde, gemäßigte Weise, als eine höfliche Herablassung, wenn Jemand eine scherzhafte Bemerkung gemacht hatte und es zu erwarten schien. Sie erlaubte sich keinen Genuß, den sie nicht durch einen Bibelspruch rechtfertigte. Wenn ihre Kleider länger dauerten als gewöhnlich, um ihre Kasse zu schonen, so betrachtete sie es als einen Beweis, daß sie bei ihrer Wahl wunderbar mit Weisheit ausgerüstet worden war. Wenn sie den mannigfachen Unfällen entging, die mir nicht selten Strafe und meinen Kleidern frühzeitiges Verderben zuzogen, so hielt sie es für eine besondere Lenkung der Vorsehung, derjenigen gleich, welche in der Wüste über die Israeliten wachte.

In der That schien es Roger und mir, daß Placidia unter dem »Es mit dem Herrn halten« vorzüglich das verstand, daß im Allgemeinen der Allmächtige thun sollte, was ihr gefiel; und vorzüglich, daß das Wetter mit höflicher Rücksicht darauf eingerichtet werden sollte, ob sie ihren neuen Taffet oder ihren alten Wollenstoff anhatte. Wir waren daher sehr froh, wiewohl äußerst überrascht, als uns Tante Dorothea eines Tages ankündigte, daß Base Placidia nächstens Herrn Nicholls, den Unterpfarrer von Netherby, heirathen werde.

»Wunderst Du Dich nicht darüber?« wagte ich meinen Vater zu fragen. »Base Placidia ist eine solche Rigoristin, wie man zu sagen pflegt, und Herr Nicholls hält so viel auf den Erzbischof Laud.«

»Ich wundere mich gar nicht, Olivia,« sagte er. »Mir däucht, Placidia's und Herrn Nicholls Religion haben große Aehnlichkeit mit einander. Beide haben viel mit Farbe und Schnitt der Kleider, mit Platz und Zeit zu thun, wo etwas gethan, und mit der Art, wie etwas gesagt werden soll. Und beide sind kluge Leute, welche gern auf fromme Weise einen ehrenden Platz in der Welt einnehmen möchten. Ich sollte meinen, sie müßten sehr gut übereinstimmen.«

Tante Dorothea war entrüstet und zugleich getröstet.

»Ich habe Placidia's Gelübden nie recht getraut,« sagte sie; »allein, ich gestehe, dies übersteigt alle meine Befürchtungen. Einen Mann, der nie an dem sogenannten Altar vorbeigeht, ohne Verbeugungen zu machen, wie die alten Heiden vor Sonne und Mond, und der vor noch nicht sechs Monaten das Gotteshaus mit papistischem Weihrauch schändete!«

Allein Base Placidia hatte Erklärungen für Alles, die ihr vollkommen genügten.

»Die Vorsehung hatte ihr so viele Fingerzeige gegeben,« wie sie sagte; (es war nämlich Placidia's Gewohnheit, womit sie Roger stets am meisten aufbrachte, immer zu thun, was ihr beliebte, unter dem Vorwande, Jemand anders habe es gewünscht, und seitdem sie so sehr fromm geworden, machte sie gewöhnlich den Höchsten für Alles verantwortlich;) – »so deutliche Fingerzeige, daß sie dieselben nicht verkennen konnte, ohne sich des Ungehorsams schuldig zu machen. Daß Herr Nicholls überhaupt nach Netherby gekommen, war die Folge einer ganzen Reihe höchst merkwürdiger Umstände, die ganz außer dem Bereiche seiner Macht lagen. Auch die Art, wie die Vorurtheile, die sie anfänglich gegen einander gehegt, sich nach und nach in Achtung und dann noch in ein wärmeres Gefühl verwandelt hatten, war äußerst seltsam. Aber, das Allerauffallendste war, daß sie an dem Morgen, da er um sie warb, ganz zufällig, wie es schien – aber es gab ja keinen Zufall – ihre Bibel an der Stelle aufgeschlagen hatte: ›Gehe aus deinem Vaterland und aus deiner Freundschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will, und ich will dich segnen.‹«

»Aber, meine Liebe,« bemerkte Tante Gretchen, an welche Placidia, da Tante Dorothea sich unnahbar zeigte, diese Erklärung gerichtet hatte, – »Du gehst ja nicht aus Deinem Vaterlande, nicht wahr, meine Liebe? Und Du kennst das Land, wohin Du gehst?«

»Natürlich,« erwiderte Placidia, »gibt es immer kleine Verschiedenheiten. Allein die Anwendung war doch höchst merkwürdig. Herr Nicholls war ganz meiner Meinung, als ich es ihm erzählte.«

»Ohne Zweifel, meine Liebe,« sagte Tante Gretchen nachgebend. »Allein es scheint mir doch, daß Eure Ansichten ein wenig verschieden sind.«

»Onkel Drayton sagt, wir sollten vielmehr die Punkte aufsuchen, in welchen wir übereinstimmen, als die, in denen wir von einander abweichen,« erwiderte Placidia. »Ueberdies glaube ich, daß ich Herrn Nicholls schon nützlich gewesen bin; wenn Tante Dorothea es nur einsehen wollte. Erst gestern gestand er zu, daß sich Manches zu Gunsten einiger der neuesten Parlamentsbeschlüsse gegen zu große Annäherung an papistische Gebräuche sagen lasse. Herr Nicholls hatte nie die geringste Zuneigung für den Pabst; und er denkt jetzt, sein gesetzlicher Gehorsam gegen den Erzbischof Laud habe ihn vielleicht hin und wieder zu unkluger Nachgiebigkeit hingerissen. Allein der bestehenden Macht müsse man immer die gebührende Ehre erweisen, sagt er. Die große Frage ist nur die, welches die bestehende Macht ist, und welches sie nur zu sein scheint. Und nun, da das Parlament den Erzbischof Laud in Anklagezustand versetzt und in den Tower gesandt hat, ist dies in der That eine äußerst schwierige Sache für einen gewissenhaften Geistlichen, der auch zugleich ein guter Unterthan ist.«

Tante Gretchen, welche stets fürchtete, den Weg zu verfehlen und sich in Wüsten zu verirren, wenn von englischer Politik und Kirchengesetzen die Rede war, brach das Gespräch ab.

Und in gehöriger Zeit wurde Placidia Frau Nicholls und zog in das Pfarrhaus, mit einer schönen Aussteuer von meinem Vater und mit Allem, was nur die liberalste Auslegung als ihr Eigenthum bezeichnen konnte, bis auf ein Paar wohlriechende Corduan-Handschuhe, die sie von einer Verwandten erhalten hatte, und die, als nutzloser Tand in einen Winkel geworfen, Tante Dorothea langes und ärgerliches Nachsuchen kosteten. In ihrem einfachen Haushalt, sagte Placidia, könnte Alles von Nutzen sein. Auch erinnerte sie sich eines Spruches von Dr. Luther, den Tante Gretchen einmal angeführt hatte: »Was der Gatte verdient, muß das Weib durch Sparsamkeit vervielfachen.«

»Ein unschätzbarer Grundsatz,« bemerkte sie, »für Leute in beschränkten Verhältnissen, die sich, wie sie und Herr Nicholls, alle weltlichen Rücksichten mißachtend, ohne Ehrgeiz und Leidenschaft, aus reiner, gottseliger Zuneigung verbunden hatten.«


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