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XVII.

Wenn ich an die Monate denke, welche zwischen dem Versuche des Königs, die fünf Abgeordneten gefangen zu nehmen und der ersten Schlacht des Bürgerkrieges verflossen, so wundere ich mich zuweilen, wie es Jemand unternehmen mag, Geschichte zu schreiben.

In dem kleinen, uns bekannten Fleckchen Welt waren die Parteien so seltsam verflochten, so sonderbar getheilt und aus so fremdartigen Theilen zusammengesetzt. Die Beweggründe, welche die Menschen auf die eine oder die andere Seite zogen, waren so mannigfaltig und so gemischt, daß von denen, die wir kannten, wohl kaum zwei aus demselben Grunde auf derselben Seite kämpften, während viele Männer derselben Partei in ihren Ansichten über manche Punkte viel weiter aus einander gingen, als dieß mit manchen, gegen welche sie fochten, der Fall war.

Welcher himmelweite Unterschied, zum Beispiel, zwischen Harry Davenant und Sir Launcelot Trevor! Wie gering war das Uebergewicht in der Wagschale, welches meinen Vater und John Hampden zu »Rebellen«, Harry Davenant und Lord Falkland zu »Uebelgesinnten« machte!

Und doch waren die Verschiedenheiten wirklich vorhanden, wenigstens scheint es mir so. Auch sehe ich nicht ein, wie ein Jeder, wenn Alle noch einmal von demselben Punkte ausgehen sollten, vermeiden könnte, an dasselbe Ziel zu kommen.

Harry Davenant hielt Revolution für ein Verderben und erwählte dafür lieber die eigenmächtigste Herrschaft.

Mein Vater, der gleichfalls eine Revolution fürchtete, hielt den König für den ärgsten Revolutionär, der durch seinen Eigenwillen Zeiten und Gesetze änderte und durch seine unverbesserliche Unaufrichtigkeit die Grundlagen der Gesellschaft untergrub. Langsam stieg er hinab in die kalten, bittern Fluthen des Bürgerkrieges, mit der Losung: »Treue gegen England und seine Gesetze!« Seine hauptsächlichste Hoffnung setzte er auf Hampden.

Roger dagegen und Andere seines Gleichen hofften mehr von der Freiheit, als sie die Revolution fürchteten; sie glaubten, der Kampf werde heiß, aber kurz und entscheidend sein, und stürzten sich daher muthig in die Fluth, die Freiheit als ihr Panier erhebend – die Freiheit recht zu thun und die Wahrheit zu reden. Rogers erwählter Führer war Herr Cromwell, in dessen Schaar er gleich von Anfang diente. Gott allein weiß, welch bittern Kampf es ihn kostete, (ich erfuhr dieß erst in spätern Jahren), seinen Posten im Felde anzutreten, welcher, wie er wohl wußte, eine solche Kluft zwischen ihm und den Davenants eröffnen mußte. Roger sprach nur selten von dem, was er fühlte, und fast nie von dem, was er litt.

Indessen schrieb Dr. Antonius aus London:

»Wundärzte haben, wie die Frauen, ihren Platz auf dem Schlachtfelde, nicht außer dem Bereiche der Gefahr. Allein ihr Werk ist an den Verwundeten, und ihre Waffen sind gegen den allgemeinen – den letzten Feind gerichtet, der wohl schwerlich in diesem Kriege zerstört werden wird! Ich hoffe denjenigen auf dem Schlachtfelde beizustehen, welche ich in den Gefängnissen zu trösten suchte. Gott gebe, daß die Luft im Felde den Seelen meiner Patienten so zuträglich sei, wie die des Kerkers!«

Hiob Forster war keinen Augenblick im Zweifel, welches die rechte Seite sei. England war für ihn in einem gewissen Sinne das zu erobernde Kanaan, in einem andern das auserwählte Land, welches man heilig halten sollte. Der König war Saul; oder in anderer Beziehung Sihon, der König der Amoriter, oder Og, der König von Basan. Zuerst das Parlament, dann der Lord Protektor und die Armee galt ihm als das auserwählte Volk Gottes, als Moses, Josua und David. Nur darüber war er ungewiß, ob er im Felde kämpfen oder zu Hause in der Schmiede arbeiten und Rahel und das Dorf beschützen sollte. »Der Allmächtige,« sagte er, »hat mich gewiß nicht umsonst so groß und stark gemacht. Gott verhüte, daß von Hiob Forster gesagt werden könne: ›Warum bliebst du bei den Schafherden, um das Blöcken der Schafe zu hören?‹ – das ist der Schall des Hammers auf den Amboß, der für mich wie das Blöcken der Herden ist. Aber meine Rahel! Und das alte Gesetz war barmherzig; und wenn es einem Manne verbot, sein kürzlich angetrautes Weib zu verlassen, wie könnte ich es verantworten, sie allein zu lassen, die meiner noch mehr bedarf und Niemand hat als mich? Und da sie noch dazu so kränklich ist und mir der Herr so deutlich gesagt hat, als Worte es nur ausdrücken können: ›Sei Du mehr für sie als zehn Söhne!‹«

Vielleicht war dies die erste Schwierigkeit, die er ihr nicht anvertraut hatte, und er war in großer peinlicher Ungewißheit, bis er eines Morgens im August mit erheitertem Antlitz zu meinem Vater kam und sagte:

»Herr Drayton! Sie hat mir das Wort gegeben, so deutlich wie je Deborah zu Barak geredet hat. Ich habe meine Vollmacht und bin bereit, noch diesen Abend fortzuziehen.«

Später erzählte er einmal Roger in einem vertraulichen Gespräche am Lagerfeuer, wie er an jenem Morgen im Zwischenlicht aufwachte und sie mit über dem Buche gekreuzten Armen und zum Himmel gerichteten thränenvollen Augen habe knieen sehen. »Ich stützte mich auf meinen Elbogen,« sagte er, »und sah sie an. Aber ich wollte nicht reden; denn ich sah, daß etwas zwischen ihrer Seele und dem Herrn vorging. Endlich stand sie auf und kam zu mir her mit einem Gesicht so blaß wie ein Leintuch, aber ohne eine Thräne in ihrem Auge oder ein Zittern in ihrer Stimme, und sagte: ›Hiob! Du sollst Deinen Willen haben; der Herr hat mich willig gemacht, Dich zu opfern!‹ Ich sagte, blöde wie ein Schaf: ›Wie kannst Du wissen, was ich wollte? Ich habe Dir nie etwas gesagt!‹ Da lächelte sie und sagte: ›Du meinst nie, daß Du etwas sagest, wenn Du nicht so deutlich sprichst wie der Ausrufer. Hab' ich nicht Deine Seufzer gehört und Deine verlangenden Blicke gesehen, wenn in den vergangenen Wochen junge Burschen sich anwerben ließen? Aber ich konnte zuvor nicht sprechen; jetzt kann ich es. Denn ich habe das Wort vom Herrn für Dich und mich erhalten, und wehe mir, wenn ich schwiege! Das Wort für mich lautete: »Nun weiß ich, daß Du Gott fürchtest, und hast deines eigenen Sohnes nicht verschonet, um meinetwillen.« Und dies,‹ sagte sie, ›bedeutet Dich, Hiob, denn Du bist mir noch mehr als dies, weit mehr; mein Ein und Alles! Ich habe keine Verheißung, Dich zu behalten, wie Abraham für Isaak hatte; aber was kann ich machen, wenn der Herr ruft?‹ Hier zitterte ihre Stimme; aber sie faßte sich schnell und setzte hinzu: ›Und ich habe auch ein Wort für Dich bekommen: » Habe ich Dir nicht befohlen? Sei stark und habe guten Muth; denn der Herr wird mit Dir sein, wohin Du auch gehest.«‹ So,« beschloß Hiob seine Erzählung, »erhielt ich meinen Marschbefehl; und da war nichts mehr dagegen zu sagen. Wir knieten zusammen nieder und übergaben uns dem Herrn; und sobald es heller Tag war, ging ich fort und ließ mich einschreiben.«

Dies war Hiob Forsters Beweggrund. Er glaubte den Befehl direkt vom König aller Könige erhalten zu haben. Und ich glaube, Hunderte und Tausende, mehr oder minder ihm ähnlich, hatten dieselbe Triebfeder; Männer welche, wie der Lord Protector, nachdem der Kampf vorüber war, sagte, »nie geschlagen werden konnten.« In Hiob Forsters Augen bestand ein himmelweiter Unterschied zwischen den beiden Heeren und den beiden Zwecken, für die sie kämpften; weil er durch keine feine Bemerkung von Recht auf der Seite der Gegner, noch von Unrecht auf der seinen irre gemacht wurde.

Tante Dorothea schien die Sache nicht minder klar, obgleich ihr Gesichtspunkt nicht ganz derselbe war und sie und Hiob in den später eingetretenen Spaltungen ernstliche Gegner wurden. Tante Dorothea glaubte im Neuen Testament ein Muster von kirchlichem Ritual und Regiment zu finden, genau bezeichnet bis auf die geringste Nadel und Franse der Stiftshütte, und lieber würde sie jeden zeitlichen Verlust erlitten haben, als auf den kleinsten Theil dieser heiligen Einzelheiten zu verzichten. In der Apostelgeschichte und den Episteln sah sie die ganze Presbyterianische Kirchenordnung klar dargestellt; und daß gottesfürchtige Männer wie Herr Cromwell einerseits, und Gelehrte wie Dr. Jeremias Taylor anderseits, dies nicht ebenfalls einsehen sollten, schien ihr ein Wunder, das sich nur durch die verblendende Macht des Satans, die besonders auf diese letzten Tage prophezeit war, erklären ließ. Auch in Beziehung auf die Regierung des Staats war ihre Ansicht ebenso bestimmt, und, wie sie meinte, aus derselben Quelle geschöpft. Der König war »der Gesalbte des Herrn.« »In diesem Punkte,« sagte sie, »hatte Lady Lucia ohne Zweifel die richtige Ansicht.« Man konnte seine schlechten Rathgeber als Verräther an ihm und dem Vaterlande zum Tode verurtheilen; das Parlament durfte Heere ausheben gegen ihn; aber es mußte in seinem Namen geschehen, mit der Absicht, ihn von jenen schlechten Rathgebern zu befreien, von denen er gleichsam gefangen gehalten wurde. Da sein Urtheil durch sie unterdrückt, er also für seine Handlungen nicht mehr verantwortlich war, so durften seine getreuen Unterthanen, die den Covenant beschworen, gesetzmäßig, aber mit aller Ehrfurcht, seine körperliche Freiheit beschränken, wenn dadurch sein Geist von den drückenden Fesseln der Gottlosen befreit werden konnte. Aber weiter zu gehen, hatte kein Unterthan das Recht. Die Person des Königs war heilig; keine frevelnde Hand durfte sich ungestraft gegen ihn erheben. Jede Schwierigkeit, jede Unordnung, jedes Uebel mußte eher erduldet, als ein Haar des gesalbten Hauptes gekrümmt werden. Und für diese Ueberzeugung war Tante Dorothea bereit, jeden Widerspruch, jedes Unglück, wie schwer es auch sein mochte, zu ertragen. Sie war überzeugt, daß der schmale Bergrücken, auf dem sie aufrecht und ohne Furcht und Schwanken einherschritt, eben so deutlich vorgezeichnet war, wie der Weg der Israeliten durch das rothe Meer, durch die aufgethürmten Wasser zu beiden Seiten und die Wolken- und Feuersäule vorne und hinten. Auf diesen schmalen Pfad suchte sie jede Seele zu locken, zu führen und wenn es nöthig, selbst zu zwingen, zu ihrem eigenen Besten und zur Ehre Gottes. Kein Glückswechsel konnte das Geringste an ihrer Ueberzeugung ändern; denn sie schrieb den Kummer aller derer, die von diesem schmalen Pfade abwichen, dem Schwerte des Rächers zu, aber die Leiden derer, welche auf dem rechten Wege blieben, nur der Ruthe des Trösters.

Daß mein Vater so ziemlich dasselbe Verfahren beobachtete, weil er es für das Rathsamste hielt, und Tante Gretchen ebenfalls, aus zärtlichem Mitgefühl, welches sie immer auf die Seite zog, wo am meisten zu leiden war, betrachtete Tante Dorothea als einen glücklichen Zufall, oder als eine ganz besondere, unverbürgte Gnade, welche Personen von so unsicheren und unbestimmten Ansichten sonderbarer Weise geschenkt worden war. Nicht als ob Tante Dorotheens Charakter niedrig oder kleinlich gewesen wäre. Im Gegentheil, ihr Herz war tief und hoch, wenn auch nicht immer weit. Ihrer Ueberzeugung hätte sie zuerst sich selbst und dann die ganze Welt geopfert. Für das Wohl des geringsten menschlichen Wesens von der Welt brachte sie mit Freuden ihre Bequemlichkeit zum Opfer; aber für das geliebteste Wesen auf der Erde wäre sie nicht ein haarbreit von dem schmalen Pfad ihrer Orthodoxie abgewichen; obgleich sie sich herabgebeugt hätte, um den elendesten Verirrten oder ihren größten Feind zu retten oder zu unterstützen.

Allein ihre gefährlichste Ueberzeugung war unglücklicher Weise auch am tiefsten eingewurzelt, nämlich die von ihrer eigenen Unfehlbarkeit. Es war höchst seltsam, daß sie bei aller tiefen und praktischen Erkenntniß ihrer eigenen Sündhaftigkeit nie einsehen lernte, daß so lange noch ein Rest von Sünde übrig bleibt, unmöglich aller Irrthum aufhören, und nicht alle Dunkelheit im Geiste verschwinden kann, so lange noch so viel im Herzen übrig ist. Seltsamer, doch nicht ungewöhnlicher Irrthum. Sie gestand ein, daß ihre Sünde aus ihr selbst herrühre; ihren Glauben dagegen betrachtete sie als identisch mit der heiligen Schrift. Dieser, sagte sie, sei nicht ihr eigen, sondern bis auf das geringste Jota göttliche Wahrheit; darum war sie bereit für jeden Ausspruch derselben zu leiden und zu kämpfen.

Nichtsdestoweniger fühlten Roger und ich mit reiferen Jahren immer innigere Ehrfurcht vor ihrem Charakter. Wenn sie in unserer Kindheit uns die personificirte Gerechtigkeit mit Schwert und Wage repräsentirte (nach unserer Ansicht nur zu häufig mit verbundenen Augen), während Tante Gretchen die Rolle der ihr entgegenwirkenden Barmherzigkeit darstellte, so lernten wir in spätern Jahren Beide als die Wahrheit und die Liebe ansehen, welche sich nicht entgegen, sondern in Uebereinstimmung mit einander wirkten. Und in dieser unvollkommenen Welt, wo Wahrheit und Liebe in keinem Charakter sich das Gleichgewicht halten, vermag ich nicht zu bestimmen, auf welche wir uns am meisten stützten. Es war merkwürdig zu beobachten, wie oft ihre entgegengesetzten Eigenschaften sie zu denselben Handlungen antrieben. »Die Wahrheit reden in der Liebe,« war Tante Dorotheens Grundsatz; und wenn auch zuweilen die Liebe im Eifer für die Wahrheit verloren ging, so opferte sie doch weder Wahrheit noch Liebe jemals ihrem eigenen Interesse. »Auf's erste keusch, darnach friedsam,« war ihre Weisheit, obgleich ich nicht behaupten kann, daß sie es stets bis zum »gelinde sein und sich sagen lassen« brachte. Allein es ist sicher schon viel, auf ein Leben wie das ihre zurückblicken zu können, das von keiner einzigen Unwahrheit, von keiner einzigen niedrigen Absicht befleckt war. Erst beim Zurückblicken sehen wir ein, welch eine felsenfeste Stütze sie für uns Alle war, oder wie die liebsten Erinnerungen aus der Heimath oft wie Moose solche Felsen umranken, häufig um so fester, je rauher dieselben sind.

So enthielt unsere Heimath in Netherby verschiedene geistliche sowohl als politische und moralische Elemente, welche sich jedoch, beim Beginn des Bürgerkriegs alle unter der Losung vereinigten: »Treue vor Allem dem König der Könige, und Freiheit, Gott zu gehorchen.«

Dies war es auch in der That, was uns bei aller Verschiedenheit unserer Ansichten über Kirchenregiment und Staatsregierung zu einer Partei vereinigte. Wie mannigfaltig die Meinungen über Kirchenregiment auch in unserm Kreise waren, der aus Presbyterianern, Independenten, gemäßigten Bischöflichen oder Quäkern, aus Republikanern, Aristokraten, Constitutionellen und endlich aus Anhängern des Befreiers bestand, der (wie sie meinten) ebenso wohl von Gott erwählt war und ebenso blinden Gehorsam verlangen konnte, wie einer der Richter in Israel – Alle glaubten an die Theokratie.

Die Freiheit, für welche unsere Partei kämpfte, war kein Auflösen aller Bande. Es war die Freiheit, den höchsten Gesetzen zu gehorchen. Es war kein Gleichmachen, um für neue Experimente Raum zu gewinnen. Es war das Abräumen des Schuttes, um einen erhöhten Platz für das Reich Gottes zu reinigen.

Und gerade dieser Punkt in den Erinnerungen meines Lebens macht es mir fühlbar, welch eine große, komplizirte Unternehmung es sein muß, Geschichte zu schreiben.

In unserer Jugend pflegte man uns Kirchengeschichte und Weltgeschichte in die Hand zu geben, beide so bestimmt und klar von einander abgesondert, als ob Kirche und Welt zwei völlig getrennte Planeten wären.

Allein in unserer Zeit wenigstens scheint es mir absolut unmöglich, sie zu trennen. Für Oliver Cromwell und sein Heer war die Schlacht bei Dunbar eine eben so religiöse Handlung wie ihre Gebetsversammlung zu Windsor. Den armen Leuten im Gerichtsbezirk von Somersham wieder zu ihrem Rechte zu verhelfen, betrachtete Herr Cromwell, wie mir scheint, als ein ebenso frommes Werk, wie die Ernennung von evangelischen Predigern. Und wie mit den Handlungen, so verhält es sich auch mit den Personen. Wer mag bestimmen, welche Menschen unserer Zeit zur Kirchen- und welche zur Weltgeschichte gehören?

Ist die Geschichte der Kirchenversammlung, der Sternkammer oder der Westminsterversammlung zur heiligen, und die Geschichte von dem langen Parlamente, wo Beschlüsse für Zeit und Ewigkeit gefaßt wurden, oder von den Schlachtfeldern, wo Tausende vor den ewigen Richterstuhl gefordert wurden, zur profanen Geschichte zu rechnen? Ist das Abfassen von Glaubensbekenntnissen eine religiöse That, und das Leben nach denselben und das Sterben für dieselben eine weltliche? Sind der Erzbischof Laud, Bischof Williams, Herr Baxter, Dr. Owen, Herr Howe geistliche, Lord Falkland, Herr Hampden, Herr Pym oder Oliver Cromwell weltliche Personen?

In unsern Zeiten, so wie in meinem eigenen Leben scheint es mir absolut unmöglich zu sagen, wo die heilige Geschichte beginnt und wo die profane endet?

Mein Trost ist nur, daß es in der heiligen Schrift ebenso zu sein scheint. Wir nennen das erste Buch Mosis gewöhnlich heilige Geschichte; und was enthält sie anders, als eine Familiengeschichte? Was ist das zweite Buch Mosis anders, als der Bericht von den Befreiungen einer Nation? Was sind die Bücher der Chroniken und der Könige anders, als Geschichten von Kriegen und Belagerungen, durchflochten von ergreifenden Familiengeschichten? Ja, was sind sogar die Evangelien anders, als Berichte, nicht über einen Glauben oder kirchliche Streitigkeiten, sondern über ein Leben, über das Leben, wie es in Berührung trat mit jeglicher Art von Krankheit, Sünde und Noth in unserm gewöhnlichen Alltagsleben? Was wären die Evangelien, wenn sie von nichts als Sabbathen und Synagogen, von Sanhedrinen, von den Schriftgelehrten und Pharisäern handelten? Wenn der einzige Sohn der Wittwe und das Töchterlein des Jairus, die Sünderin, die auf den grasigen Hügeln von Galiläa gespeisten fünf Tausende und der reiche Jüngling darin fehlten, welcher traurig von dannen ging, »weil er viele Güter hatte?« Würde es ächtere Kirchengeschichte sein, wenn weniger Menschengeschichte darin vorkäme?

Die biblische Geschichte, scheint mir, ist Geschichte des menschlichen Lebens mit Beziehung auf Gott. Die Sünden in der Bibel sind in ihrer Entsetzlichkeit offenbare, weltliche Sünden: Ungerechtigkeit, Unkeuschheit, Neid, Grausamkeit. Ihre Tugenden sind einfache, häusliche, positive Tugenden; Wahrheit, Aufrichtigkeit, Gütigkeit, Barmherzigkeit, Dankbarkeit, Muth, Sanftmuth; Sünden und Tugenden, welche das Wohl oder Wehe der Nationen und der Familien begründen. Gewöhnliche Kirchengeschichte scheint mir nur zu oft blos ein Bericht von weltlichen Streitigkeiten um heilige Dinge und Namen und Orte, von selbstsüchtigen Bestrebungen, sich über Andere zu erheben. Die Sünden, welche sie geißelt, sind nur zu oft nichts als Übertretungen willkürlicher Regeln, als Verwechslung religiöser Ausdrücke, oder Vernachlässigung, Münze, Till und Kümmel zu verzehnten. Die Tugenden, welche sie empfiehlt, sind leider nur zu häufig ein blos negatives Verzichten auf gewisse Genüsse, Skrupel in Bezug auf gewisse Gebräuche, ein zweimaliges Fasten in der Woche – lauter Dinge, welche das Herz ganz ungeändert lassen, ob sie gethan werden oder nicht.

Aber verborgen unter diesem Allem wird eine Kirchengeschichte, wie die Geschichte der Bibel, im Stillen auf Erden gelebt und im Himmel geschrieben. Und von Zeit zu Zeit wird uns ein Blick darauf zu werfen vergönnt. Was wird es sein, wenn wir einmal das Ganze überschauen können!

 

Den ganzen Sommer hindurch war das Land in Bewegung durch die Werbungen für den König und das Parlament.

Ungefähr im April wurde damit begonnen.

Am 23. Februar hatte sich die Königin Henriette Marie mit der Prinzessin Marie sammt den Kronjuwelen zu Dover nach den Niederlanden eingeschifft.

Von dem Augenblicke an, da der König sie in Sicherheit wußte, nahm er (wie man dachte) einen andern Ton gegen das Parlament an. Nun, da seine ritterliche Fürsorge für sie ihn nicht mehr zurückhielt, begann er, unbekümmert um eigene Gefahr (denn keine Spur von der Aengstlichkeit seines Vaters konnte ihm zur Last gelegt werden) auf die Forderungen der Nation offenere Antworten zu geben. Auch hoffte er, wie man sagte, sehr viel von der Beredtsamkeit und den Bemühungen der Königin für seine Sache auf dem Continent. Es war sein Unglück, wie mein Vater sagte, daß jede günstige Wendung in seinen Angelegenheiten ihn unnachgiebig machte, und daß er daher nur dann unterhandelte, wenn es am schlimmsten mit seiner Sache stand, weßhalb seine Verträge den doppelten Nachtheil hatten, daß sie unter den ungünstigsten Verhältnissen und mit Menschen geschlossen wurden, welche aus wiederholter Erfahrung wußten, daß er seine heiligsten Versprechungen nicht halten werde, falls er nicht dazu gezwungen werde. Die Tugenden, welche er besaß, schienen immer im unrechten Augenblick in Ausübung zu kommen; sein Muth zeigte sich gerade, wenn er nur aufreizen, seine Güte und Leutseligkeit, wenn sie nur Verachtung einflößen konnten.

Als nun die Königin sicher außer Landes, und der König außerhalb der Hauptstadt in Sicherheit war, kam aus York, wohin er sich geflüchtet, eine Erneuerung seiner alten ärgerlichen Forderungen des Schiffs- und Pfundgeldes, welches die Opposition nur noch hartnäckiger machte als je, in Folge dieses neuen Beweises von der Unzuverlässigkeit des königlichen Wortes.

Dieser Forderung alter Anmaßungen des Königs begegnete das Parlament mit der Behauptung alter Vorrechte und der Forderung neuer Gewalt, um jene zu sichern, sowie mit dem Rechtsanspruch, über die Finanzen Bestimmungen zu treffen, und mit der Forderung über die Miliz zu verfügen.

Allein wir Frauen in Netherby waren aller dieser Unterhandlungen und Wortfechtereien zwischen dem König und dem Parlament schon so lange gewohnt, dazu wurde Alles in so gemäßigter, constitutioneller Sprache ausgedrückt, daß man nicht leicht auf den Gedanken kam, dieselben könnten Größeres zur Folge haben, als Protestationen, Beschwerden, Bruch der Vorrechte und Behauptungen der Rechte.

Das Erste, was mich ahnen ließ, daß die Sache nicht mit Worten, sondern mit Schlachten endigen werde, war die Nachricht, welche wir an einem Aprilabend erhielten, daß der König in eigener Person an der Spitze von dreihundert Reitern vor die Thore von Hull gezogen war und Sir John Hotham aufgefordert hatte, die Stadt zu übergeben; daß Sir John sich geweigert, dieselbe zu überliefern, oder die Truppen des Königs einzulassen (während er übrigens dem König alle gebührende Höflichkeit und Ehrfurcht erwies), worauf der König beschämt mit seiner Schaar nach Beverley geritten war und dort Sir John Hotham als Verräther proklamirt hatte.

An diesem Abend sagte ich zu Tante Gretchen:

»Nun scheint mir die Sache eine neue Wendung zu nehmen. Jetzt ist nicht mehr von Protestationen und Beschwerden, sondern von feierlichen Aufforderungen und Uebergaben die Rede. Der König und seine Cavaliere gezwungen, vor den geschlossenen Thoren einer seiner eigenen Städte umzukehren! Tante Gretchen, dies sind neue Worte für uns; sieht das nicht aus wie Krieg?«

Und sie antwortete mit bebender Stimme:

»Ach, mein Herzchen, dies sind leider für mich keine neuen Worte. Mir däucht, Eure Nation ordnet Manches durch Reden, wofür andere fechten. Mir ist es schwer zu sagen, was die Worte bei Euch für eine Bedeutung haben. Aber diese Worte klingen mir schrecklich bekannt. Und in meinem Vaterlande würden sie in der That Krieg verkünden.«

Gar wohl erinnere ich mich noch, wie in dieser Nacht der Gedanke mein Gebet störte, ob ich nicht, indem ich wie gewöhnlich für den König betete, gegen das Parlament, gegen meinen Vater und Roger und die Nation bete, bis ich endlich, nachdem ich die Sache eine Weile ernstlich erwogen, zu dem Schlusse kam, daß, auf welch dunkeln Bergen wir auch zerstreut, durch welch tiefe Wasser wir auch getrennt sein möchten, vor Ihm doch noch immer »Eine Herde und Ein Hirte« ist; und daß Er, wie schlecht ich mich auch aufs Bitten verstehen möchte, doch wohl weiß, was Er geben will.

 


Druck von Felix Schneider
in Basel.

 


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