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15. Die weisse Frau im Schloss zu Baden.

. Wenige unserer alten Sagen waren so allgemein verbreitet wie die von der weissen Frau, und an keine andere bat sich der Glaube so lange, selbst unter den gebildeten Ständen und bis auf unsere Zeit erhalten. Dass sie einen historischen Grund und Boden habe, ist wol nicht zu bezweifeln, nur weichen die Erzähler in Hinsicht der Abkunft dieser Frau von einander ab. Einige lassen sie aus dem berühmten Hause Meran abstammen und machen sie zur Gemahlin eines Grafen Heinrich oder Otto von Orlamünde, die, als Witwe einem Buhlen zu Gefallen, ihre beiden Kinder gemordet haben soll. Andere versichern, auf dem Schlosse Neuhaus in Böhmen sei ihr Bildniss vorhanden, ganz in der Tracht, wie sie zu erscheinen pflege. Dieses Bild stellt aber die gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts verstorbene Gräfin Bertha von Rosenberg vor, welche an Johann von Lichtenstein verheirathet gewesen.

Es ist bekannt, dass diese weisse Frau noch jetzt in den Schlössern von Berlin, Baireuth, Darmstadt, Karlsruhe, Baden etc. erscheinen soll, und immer will man sie kurze Zeit vor dem Hintritt einer Person aus den ihr angesippten fürstlichen Familien gesehen haben. Jung-Stilling führt dafür in seiner Theorie der Geisterkunde das Zeugniss eines Regenten an, den er zwar nicht nennt, dessen Unbefangenheit und strenge Redlichkeit aber jeden Zweifel ausschliessen sollen.

Da jedoch die weisse Frau nur in verwandten fürstlichen Häusern erscheint, so ist anzunehmen, dass die Gräfin von Orlamünde und die Gräfin von Rosenberg in der Tradition zuletzt zu einer und derselben Person gemacht wurden. Wahrscheinlich aber ist es die erste, welche in Berlin und Weimar, die zweite, welche in Karlsruhe und früher in Baden sich zeigte. Das Haus Baden ist nicht mit Orlamünde, wohl aber mit den Grafen von Rosenberg verwandt, da die jüngste Tochter des Markgrafen Philibert an einen Grafen von Rosenberg vermählt war.

Bertha von Rosenberg, oder die weisse Frau, von welcher wir hier erzählen, wurde im Jahre 1449 mit Johann von Lichtenstein in Steiermark verheirathet. Ihre Ehe war sehr unglücklich, und Bertha trennte sich von dem ausschweifenden Gatten. Später lebte sie zu Neuhaus in Böhmen, wo sie ein Schloss erbaute, wobei ihre Unterthanen lange und schwere Arbeit verrichten mussten, sodass sie oft Verwünschungen gegen sie ausstiessen. Da versprach sie zuletzt, wenn das Schloss vollendet sein würde, ihnen einen süssen Brei vorzusetzen, was damals so viel hiess, als ein reichliches Gastmahl. Sie hielt Wort, und verordnete, dass künftig jedes Jahr ein solches Gastgebot gehalten werden solle, eine Anordnung, die sich bis auf unsere Zeiten in Neuhaus erhalten.

Der Geist der Gräfin Bertha soll meist bei Nacht, bisweilen auch am lichten Tage erscheinen. Sie trägt ein weisses Gewand nach dem Schnitt ihrer Zeit; das Antlitz verhüllt ein durchsichtiger Schleier, scheint aber gewöhnlich von einem matten Strahl beleuchtet. Besonders furchtbar, so versichern einstimmig Alle, die sie gesehen haben wollen, soll der starre, stechende Blick ihrer grossen schwarzen Augen sein, die sie fest und unbeweglich auf jene hefte, denen sie erscheint, wenn sie langsam und schweigend, von ihren seidenen Gewändern umrauscht, an ihnen vorüberschreite. Bis ins innerste Mark dringe dieser kalte, zermalmende Blick und erfülle die Seele mit Entsetzen. Wer einmal in diese Glutaugen geblickt, werde sie in seinem Leben nicht mehr vergessen. Manchmal wird sie auch mit einem Kind an der Hand gesehen.

Ihr Erscheinen bedeutet immer den Tod eines Gliedes der fürstlichen Familie oder sonst ein schweres Unglück, das diese bedroht. Kurz vor dem Tode von Kindern aus dem fürstlichen Stamme will man sie vor dem Lager derselben stehend und über die Schlummernden niedergebeugt bemerkt haben. Sie zeigt sich bald in den Gemächern und Gängen, bald in den Schlosskapellen, ja selbst in den Gärten.

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