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26. Der Klingel.

. Bei Gernsbach an der Murg, da, wo sich der Weg zum Schlosse Eberstein hinanwindet, steht eine Kapelle, vom Grossherzog Leopold erbaut, die den Namen »der finstere Klingel« führt. In uralten Zeiten wohnte hier im Schatten einiger Eichen eine heidnische Zauberin. Als aber das Christenthum sich in dieser Gegend ausbreitete und auch sie vertrieb, wählte sich ein Einsiedler diese Stelle für seine Klause, und neben seiner Hütte richtete er ein Kreuz auf. Eines Nachts hörte er vor seiner Thür eine klagende Stimme. Er stand von seinem Lager auf und ging mit einer Lampe hinaus. Da erblickte er unter einem Baume ein junges, schönes Weib in einem Gewande, welches ihre Reize verführerisch durchblicken liess. Lange dunkle Locken fielen ihr über Schultern und Nacken hinab und in der Hand hielt sie einen Stab.

»Die Nacht ist kalt und unfreundlich, und der Regen flutet in Strömen herab«, sagte sie, »gib mir Schutz und Obdach in deiner Hütte.« Der Einsiedler wollte ihre Bitte erfüllen, aber sie weigerte sich, ihm zu folgen, ehe er das Kreuz, das vor seiner Thür stand, hinweggebracht hätte. Der fromme Mann entsetzte sich anfänglich ob diesem Verlangen; aber die wunderbaren Reize des schönen Weibes entzündeten bereits eine begehrliche Flamme in seinem Herzen. Doch ermannte er sich wieder, ward Herr über seine aufgeregten Sinne und sprach ein leises Gebet zur heiligen Jungfrau. Plötzlich ertönte der Schall eines Glöckleins und die fremde Frauengestalt war in diesem Augenblicke verschwunden. Den Glockenton aber vernahm er noch immer; er ging dem Schalle nach und fand im Gebüsch an einem Zweige ein silbernes Glöcklein, welches den lieblichsten Klang von sich gab. Er baute aus Baumrinden eine Kapelle und hing das Glöcklein hinein. Das Kirchlein aber hat davon den Namen Klingel erhalten.

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