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33. Die Wolfsgrube.

. Munter und guter Dinge zog auf dem Gebirgspfade, der aus dem Bühlertbal nach der Murg hinführt, Burkard, der Spielmann, seiner Heimath zu. Er kam von einer Hochzeit, wo er mehrere Tage zum Tanze gespielt, und hatte sich ein hübsches Stück Geld verdient. Er überrechnete bei sich, wie viel ihm noch zu seiner Ersparniss fehle, um ein kleines Feld anzukaufen, das gerade in seiner Nachbarschaft feil geboten war, und freute sich gar sehr, dass ihm nur noch eine kleine Summe zu dem Kaufschilling fehle, indem er jetzt wieder etwas recht Erkleckliches zulegen konnte. Aber er ward gar unsanft aus seinen Träumereien und Berechnungen geweckt.

Es war eine mondhelle Herbstnacht; aber der Wind trieb zerrissenes Gewölk am Nachthimmel hin, so dass die Mondscheibe von Zeit zu Zeit davon bedeckt und verdunkelt ward, und das nicht an die Dunkelheit gewöhnte Auge in solchen finstern Zwischenräumen desto leichter die Richtung des Weges verlieren konnte. So war es auch unserm Spielmann ergangen, und ehe er sich wieder zurechtfinden konnte, stürzte er in eine Tiefe hinab, die in der Dunkelheit sein geblendetes Auge nicht bemerkt hatte. Als er sich von seinem Falle erholt und überzeugt hatte, dass er, einige Beulen abgerechnet, nicht bedeutend beschädigt sei, fing er an, den Ort zu untersuchen, an den er auf einer eben so im vorsätzlichen als schnellen Luftfahrt gelangt war. Es musste, so viel fand er sogleich, eine kürzlich erst ausgeworfene Grube sein, von deren Vorhandensein an dieser Stelle er eben so wenig wusste wie von ihrem Zweck. Sehr tief war sie nicht, davon überzeugte ihn ein Blick in die Höhe, indem sich die pechschwarzen Wände nicht hoch über ihm von dem dämmerigten Nachthimmel abschnitten, doch immerhin tief genug, um ihm das Herauskommen ohne menschliche Beihülfe unmöglich zu machen. Eben wollte er auch vorsichtig über den Umfang derselben eine Untersuchung anstellen, da gewahrte er nicht weit von sich zwei feurige, bewegliche Punkte, wie glühende Kohlen. Nachgerade ward es ihm ein wenig bange ums Herz, und er getraute sich nicht, in der Nähe die Ursache zu erforschen. Aber wie ward ihm jetzt, als der Mond, von den verdunkelnden Wolken befreit, seine Strahlen in die Tiefe herabsandte, und er das glimmende Feuer für die rollenden Augen einer wilden, zottigen Bestie erkannte, mit der er sich in einer nicht gar grossen Grube eingeschlossen sah. Augenblicklich wurde ihm zum grossen Schrecken Alles klar: er war in der Dunkelheit in eine Grube gerathen, welche man zum Fangen der Wölfe eingerichtet hatte, und in welcher sich schon ein solches Unthier befand. Zugleich mit dieser Gewissheit überkam ihn auch das bleiche Entsetzen des Todes. Allein und ohne Waffe, stundenweit von jeder menschlichen Hülfe entfernt, wie sollte ihm da Rettung werden vor dem grässlichen Tode unter den Zähnen eines reissenden Thieres, mit dem er sich an einem Orte befand, von wo kein Entrinnen möglich? »O Gott!« wimmerte er, »sterben ist schon hart; aber erst ein solcher Tod unter den Klauen eines hungerigen Wolfes! Ach mein Weib, meine Kinder, was soll aus euch werden!« Noch machte das Unthier keine feindselige Bewegung; es mochte noch erschrocken sein über den eigenen Sturz, oder über den unerwarteten, unfreiwilligen Besuch des Spielmannes. Dieser kniete jetzt in seiner Angst nieder und betete, indem er seine Seele Gott und allen seinen Heiligen empfahl. Als er damit zu Ende war, kauerte er sich in einen Winkel nieder und beobachtete in banger Erwartung jede Bewegung seines unwillkommenen Gesellschafters. Jetzt erhob sich die Bestie vom Boden, streckte die Glieder, als bereite sie sich zum zerfleischenden Sprung auf den Spielmann. Immer drohender ward die Stellung des Thieres, immer mordgieriger rollten die funkelnden Augen. Dem armen Burkard stockte der Athem, sein Blut gerann, seine Haare sträubten sich, er wollte laut aufschreien, aber das Entsetzen schnürte ihm jeden Ton in der Kehle fest. Fast bewusstlos riss er in der Verzweiflung der Todesangst seine Querpfeife aus seinem Zwergsack und fing an, eine lustige Weise zu spielen, und zwar so laut und gewaltig, als es seine Lunge nur immer gestattete. Sei es nun, dass die Musik das unbändige Thier besänftigte und seine wilde Gier zügelte, oder dass es durch die grellen Misstöne, die dem geängsteten Pfeifer in seiner qualvollen Lage entschlüpften, erschreckt ward, genug, der Wolf horchte auf, kehrte sich um und legte sich ruhig in die Ecke zurück, aber stets die rollenden Augen auf Burkard gerichtet. Einige Hoffnung schöpfend, blies der Spielmann rüstig fort, so lange es sein Athem gestattete; endlich konnte er nicht mehr; ermattet liess er seine Arme herabsinken, und wartete zitternd den Erfolg ab. Allein sein Gefährte gönnte ihm nicht lange Ruhe. Der Wolf erhob sich wieder und zeigte ihm seinen zähnefletschenden Rachen, dass der Pfeifer, von neuer Furcht ergriffen, sein Spiel wiederum begann, trotz seiner Erschöpfung. Aber die Todesangst verlieh ihm übermenschliche Kraft, und wenn ihm wieder der Athem auszugehen drohte, durfte er nur einen Blick auf die wilde Bestie werfen, deren scharfes Gebiss ihm unvermeidlichen Tod drohte, wenn er nachliess, dann ermannte er sich aufs Neue und der Athem erstarkte in seiner Brust. Aber in die Länge vermochte er es nicht auszuhalten; seine Kräfte schwanden. Und je matter, je kraftloser er ward, desto jämmerlicher mühte er seine Lungenflügel ab, desto greller, desto schreiender wurden die Misstöne aus der Pfeife des angstgequälten Mannes. Jetzt ging es zu Ende, und mit jedem Augenblick vermeinte er, dass er den letzten Ton aus seinem Instrumente herausblasen werde, dass er sein Todeslied vollendet habe. Die gewaltsame, furchtbare Anstrengung hatte ihm alles Blut nach dem Kopfe getrieben, seine Augen starrten weit aus ihren Höhlen heraus, sein Gaumen, seine Zunge war trocken, wie die Rinde einer abgestorbenen Eiche. Eben wollte er sich todesmüde und in Alles ergeben in die Ecke zurücklehnen, da vernahm er über sich eine menschliche Stimme, welche rief:

»Welcher Unhold macht denn da unten die gräuliche Höllenmusik, die mir alles Wild aus dem ganzen Reviere verjagt? Welcher böse Geist hat dich denn da hinabgeführt?«

Lieblicher hatte wohl noch keine Weise in des Spielmanns Ohren geklungen als diese scheltende Anrede. In freudiger Erwartung schaute er nach oben und gewahrte im Dämmerlichte des grauenden Tages einen Jäger am Rande der Grube stehen, der so zu ihm gesprochen.

Mit schwacher, heiserer Stimme antwortete er:

»Ach lieber Herr Jägersmann, macht zuerst meinem Kameraden da den Garaus, dann will ich Euch gerne Rede stehen.«

»Kerl, du faselst! welchem Kameraden?«

»Ach, seht Ihr denn die wilde Bestie nicht! Macht schnell, sonst bin ich verloren; jetzt macht er wieder Miene auf mich loszugehen! Erbarmt Euch meiner und schiesst!«

Höchst verwundert erblickte jetzt der Jäger den Wolf, und schnell einsehend, was hier noththue, legte er an, zielte scharf und krach – da wälzte sich das wilde Thier sterbend in seinem Blute.

* * *


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