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37. Das Galgenmännlein.

. Auf einen heissen Herbsttag war eine finstere, stürmische Gewitternacht gefolgt. In dumpfen Schlägen rollte der Donner, der Sturmwind heulte und trieb schwarze, tiefgehende Wolkenmassen vor sich her, und als er nachliess, goss der Regen in Strömen herab. Es war eine Nacht so unfreundlich und wild, dass selbst den drei muntern Studenten der Muth sank, die auf der Strasse nach Offenburg längs dem Gebirge hinwanderten. Anfangs hatten sie dem ungestümen Wetter nur Lust und Scherz entgegengesetzt und laut in die Nacht hineingesungen:

Wer macht aus Wind und Regen sich was?
Der Wind macht trocken, der Regen macht nass.

Doch als das Unwetter immer ärger tobte, ihre Kleider endlich vom Regen trieften, verging ihnen allmählich Muthwille und Sangeslust. Still und stumm zogen sie ihre Strasse fürbass, nur hier und da einen leisen Fluch, eine Verwünschung zwischen den Zähnen murmelnd, und waren gar hoch erfreut, als ihnen die Lichter aus dem Städtchen Steinbach plötzlich ganz nahe entgegenschimmerten. Mit einem Male waren ihnen die Zungen wieder gelöst, und jubelnd begrüssten sie den vergoldeten Löwen, der von einem Wirthsschilde herab ihnen gleich im Eingange des Städtchens Schutz und Labung verhiess. Als sie eingetreten waren, fanden sie zwar keine glänzende Herberge, aber eine desto freundlichere, redseligere Wirthin. Zuvorkommend schob sie ihnen Stühle zurecht und lud sie ein, sich ihrer durchnässten Oberkleider zu entledigen und solche am flackernden Herdfeuer trocknen zu lassen, was auch dankbar gethan ward. Sie machten sichs alle drei so behaglich als möglich, und als erst die zweite Flasche Neuweierer Niederländer vor ihnen stand, da war ihre alte Munterkeit zurückgekehrt, und man hätte kaum glauben sollen, dass sie noch vor wenigen Augenblicken den Unbilden des ärgsten Unwetters ausgesetzt gewesen. Die Unterhaltung war bald lebhaft im Gange, gewürzt mit harmlosen Witzen und heitern Scherzen. Plötzlich aber ward sie unterbrochen durch einen tiefen Seufzer, wie aus bedrängter Brust, der vom Ofen her zu ihren Ohren drang. Ueberrascht, denn sie hatten ausser sich Niemand als die Wirthin im Zimmer geglaubt, schauten alle drei zugleich nach der Stelle hin, woher der Ton gekommen, und bemerkten alsbald hinter dem Ofen im tiefen Schatten eine weibliche Gestalt auf einem Schemel sitzend, den Kopf, wie im tiefen Schlafe, an die Wand gelehnt.

Als sie mit dem Lichte näher getreten, erblickten sie ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren in reinlicher, aber sehr abgetragener Kleidung. Ihr Gesicht war blass und abgemagert, aber ihre Züge hatten etwas überaus Liebliches. Sie war augenscheinlich aus grosser Ermattung eingeschlafen, und Armuth und schwere Entbehrungen schienen bereits das junge Leben vergiftet zu haben.

»Gut, dass sie schläft«, nahm alsbald die Wirthin das Wort. »Es ist die arme Nanny aus dem Nachbarshause. So jung sie ist, so viel Elend hat sie schon durchgemacht. Ihr Vater war ein wohlhabender Handwerksmann, der aber in lockerem Leben sein ganzes Vermögen durchgebracht. Vor einiger Zeit ist er in die weite Welt gegangen und hat die Seinen in Noth und Elend zurückgelassen. Die Mutter hat der Jammer auf das Krankenlager geworfen, wo sie aus Mangel verkümmert, und hartherzige Gläubiger wollen jetzt auch noch die Arme sammt ihrer Tochter aus dem Hause treiben. Wir möchten gerne helfen, sind es aber nicht im Stande. Da kömmt denn das Mädchen öfters herüber und holt, was wir eben mitzutheilen vermögen. Jetzt ist sie hier vor Ermüdung eingeschlafen.

Die jungen Leute hatten Mitleid mit dem armen Mädchen und waren eben im Begriff, etwas für sie zusammenzulegen, als ihre Aufmerksamkeit durch eine neue Erscheinung in Anspruch genommen wurde. Sperrangelweit öffnete sich die Stubenthüre, und herein trat ein kleines, kurzes Männlein pustend und vom Regen triefend. Eine mächtige Papierrolle, die aus einer Seitentasche seines Oberrockes hervorragte, liess nicht lange in Zweifel über seinen Stand. Es war Herr Fingerlein, der wohlbestallte Aktuarius des gestrengen Herrn Amtmanns auf der Yburg. Er mochte schon etwas bejahrt sein, aber seine lebhaften, kleinen Äuglein verliehen ihm ein jugendlicheres Ansehen, noch mehr aber seine weingrüne Gesichtsfarbe. Die letztere war aber ganz natürlich, denn der Herr Aktuarius hatte viel Durst, und der war wieder natürlich, denn sein Gaumen war immer trocken, sintemal das Plaudern sein Element und seine Zunge vom frühen Morgen bis in die späte Nacht ununterbrochen im Gange war. Er galt zwar für keinen Stammgast der Frau Löwenwirthin, seiner Gevatterin; allein wenn er irgend eine Neuigkeit aufgetrieben, war es ihm rein unmöglich, an ihrem Hause vorüberzugehen, ohne sie ihr mitzutheilen.

Kaum hatte der Neuangekommene am Tische Platz genommen und sein Krüglein vor sich stehen, als er auch das Gespräch aufnahm. Zu der Frau Wirthin gewendet, begann er:

»Na! hab' ich's nicht immer gesagt, der Jäger Klaus ist unschuldig. Jetzt kommt's heraus, wo's zu spät ist. Hätte man nur auf mich gehört!«

»Unschuldig?« fragte verwundert die Wirthin. »Wie ist denn das an den Tag gekommen?«

Aktuarius Fingerlein besass viel zu viel Lebensart, um bei dem begonnenen Gespräch nicht die gehörige Rücksicht gegen die anwesenden Reisenden, die er sofort als Studenten erkannt, zu beobachten, daher antwortete er, gegen sie gewendet:

»Die Herren sind hier fremd und wissen somit nichts von der Geschichte; ich erlaube mir deshalb, die Sache von vornherein zu erzählen.

»Vor etwa einem halben Jahr war der reiche Müller aus dem benachbarten Ottenhöfen in Geldgeschäften nach Rastatt gegangen. Abends fanden ihn zwei Rebleute an der Kummerstung an der Erde liegen, und den Jäger Klaus über ihn gebeugt und im Begriff, ein blutiges Messer aus seiner Brust zu ziehen. Als der Jäger nahende Tritte vernahm, rief er um Hilfe. Da die Geldgurte des Ermordeten fehlte, schien die Sache verdächtig, und der Jäger wurde gefänglich eingezogen. Er leugnete zwar hartnäckig, aber es half nichts. Der Schein war gegen ihn, und er wurde ohne Weiteres gehangen. Hätten wir ein Wort mitzusprechen gehabt, so wäre es anders abgelaufen. Aber damals hauseten die Feinde im Lande und die machten wenig Federlesens und kürzen Prozess: der Jäger Klaus musste die Galgenleiter hinauf und Hochzeit halten mit der Seilerstochter. Jetzt hätte fast Niemand mehr an die Sache gedacht, wenn nicht der Jäger Klaus noch draussen am Galgen hinge, das heisst sein Leichnam, oder vielmehr sein Gerippe. Da wird plötzlich vor ein Paar Tagen der alte Schäfersepp sterbenskrank. Je näher es dem Ende zugeht, desto untröstlicher, desto verzweifelter geberdet er sich. Endlich lässt er den Geistlichen holen, und zuletzt das Amt. Und was meint Ihr, dass er ausgesagt hat? Niemand anders als er hat den Müller umgebracht. Er wusste, dass selbiger viel Geld bei sich trug. Bei der Kummerstung hat er ihm aufgelauert, ihn rücklings zu Boden gerissen und das Messer in's Herz gestossen. Kaum hatte er dem Sterbenden die Geldgurte abgeschnallt, so hört er den Jäger Klaus lustig pfeifend aus dem Walde kommen. Schnell versteckt er sich in's. Gebüsch, der Jäger findet den sterbenden Müller, will ihm helfen und – in dem Augenblick wird er von den Rebleuten überrascht. Das Uebrige wisst Ihr. Das Alles hat der Schäfersepp noch beschworen und bald darauf den letzten Seufzer ausgebracht.«

Als der Aktuarius jetzt schwieg, trat eine Pause ein, auf seine Zuhörer hatte die Erzählung ihren Eindruck nicht verfehlt, und Alle sassen still und in Gedanken über einen Vorfall, dessen ungewöhnliche Verkettung einem schuldlosen Menschen das Leben gekostet.

Der Aktuarius Fingerlein war aber nicht der Mann, der lange Pausen im Gespräch liebte. Er fuhr alsbald wieder fort:

»Da hätte nun Einer schöne Gelegenheit, ein Galgenmännlein zu graben. Wer nur den Muth dazu hätte!«

»Galgenmännlein? Was ist das?« fragten, wie aus einem Munde, die drei Studenten.

»Wie?« das wisst Ihr nicht, und seid doch hochgelahrte Leute? Na, kann's schon glauben, 's gibt noch Viele, die nichts davon wissen. Unsereins eben, der von Geschäfts wegen viel mit Geisterbannern, Teufelsbeschwörern, Hexen, armen Sündern, und was derlei Gelichters mehr ist, zu verkehren hat, findet Gelegenheit, manches zu erfahren, was andern Menschenkindern verborgen bleibt. Nun, ich will's Euch erklären.« Nach einem tüchtigen Schluck nahm nun der Herr Aktuarius eine wichtige, geheimnissvolle Miene an und fuhr fort:

»Galgenmännlein, Alraun, Heinzelmann, Erdmännlein oder Zaubermännlein genannt, wächst an der Stelle, auf welcher ein Mensch schuldlos am Galgen gestorben. Aus dem letzten Schweisstropfen, der hier von der Stirne des Hingerichteten zur Erde fällt, entsprosst ein Kraut mit breiten Blättern, wie etwa der Wegerich, und bringt eine gelbe Blume. Die Wurzel dieser Pflanze hat menschenähnliche Gestalt und Leben, und ist das Galgenmännlein oder der Alraun (Atropa Mandragora L.). Wem es gelingt, sie zu gewinnen, dem fehlt es nimmer an Glück, Geld, Gut und Gesundheit; ihm wird zu Theil, was sein Herz nur immer begehren mag. Alles was der verscheidende Hingerichtete an reichem Erdensegen hätte noch erreichen können, geht mit seinem letzten Schweisstropfen in diese Wurzel über. Aber es gehört Muth, viel Muth dazu, sie zu graben. Um Mitternacht muss man mit einem schwarzen Hund zum Galgen gehen, und darf ja nicht unterlassen, sich vorher die Ohren mit Wachs oder Harz wohl zu verstopfen. Man macht das Zeichen des Kreuzes über das Kraut und umgräbt es bis auf die äusserste Wurzelfaser; dann bindet man einen Faden um den Hals des Hundes mit dem einen Ende, an das Kraut mit dem andern. Ist diess geschehen, so lockt man den Hund von Weitem mit einem Stückchen Fleisch oder Brod, und er zerrt im Laufen die kostbare Wurzel aus der Erde. Da diese aber bereits als Alraun lebt, stösst sie einen entsetzlichen, grässlichen Schrei aus, so sie aus dem heimathlichen Boden gerissen wird, woran Jeder des Todes stirbt, der ihn vernimmt. Hat man aber seine Ohren wohl verwahrt, so muss der Hund sein Leben lassen für das des Galgenmännleins, und um diesen Preis führt man dann ein wonniges Leben nach Herzenslust.«

Der unermüdliche Erzähler liess nun eine ganze Reihe von Beispielen folgen, worin er zu zeigen suchte, wie Leute aus der Umgegend durch einen Alraun aus grosser Dürftigkeit zu gar grossem Wohlstand gelangt seien. Er gerieth dabei so in Eifer, dass er nicht müde ward, ein solches Glück mit den glänzendsten, verlockendsten Farben zu schildern. Die Studenten mochten Zweifel erheben und Einwendung machen so viel sie wollten, sein Glaube an die Sache stand zu fest, als dass er so leicht zu erschüttern gewesen wäre.

Während dieses Gespräches hatte sich draussen der Himmel aufgeklärt, die Sterne schauten so freundlich hernieder und das helle Mondlicht schaute so traulich durch die runden Fensterscheiben in die Stube, dass die drei Wanderer sich zur Fortsetzung ihrer Reise entschlossen, wie spät es auch immer sein mochte. Alle drei befanden sich auf der Ferienreise in die Heimath, die sie nach jahrelanger Abwesenheit an diesem Tage wieder zu begrüssen gehofft, hätte nicht das Unwetter einigen Verzug verursacht, den sie jetzt in der hellen Sternennacht wieder einbringen wollten. Und so beschleunigten sie ihren Aufbruch dahin, wo es sie mit tausend Banden hinzog, in die Heimath, zum Vaterhaus. Vergebens war die Warnung des Aktuars, dass sie nicht trauen sollten, indem das Unwetter baldigst von Neuem wieder ausbrechen werde; seine Worte hatten nicht die Kraft, wie die Sehnsucht nach dem heimischen Boden. Bald standen sie, den Ziegenhainer in der Hand und das Ränzlein auf dem Rücken, zum Abmarsch gerüstet. Nachdem sie ihre Zeche berichtigt, nahmen sie Abschied, gedachten aber noch zuvor ihres früheren Vorhabens, für die arme Nanny hinter dem Ofen etwas zusammenzusteuern, was sie auch sogleich ausführten. Als sie aber ihr Scherflein der Schlafenden in die Schürze legen wollten, war diese von ihrem Platze verschwunden und nirgends mehr zu finden. Die milde Spende wurde nun der Wirthin zur Uebergabe eingehändigt, und die drei Wanderer schritten in die Nacht hinaus.

Sie hatten aber noch nicht lange das Städtlein im Rücken, als die Prophezeiung des Aktuars in Erfüllung zu gehen und das Gewitter von Neuem loszubrechen begann. Rabenschwarz hatte sich plötzlich der Himmel wieder umzogen, in dumpfen Schlägen rollte der Donner, heulend strich der Sturmwind vom Rhein herüber und schlug ihnen dicke Regentropfen in's Gesicht, dass sie kaum vorwärts zu gehen vermochten. Wie bereuten sie es jetzt, die wohlmeinende Warnung verachtet zu haben, und dies um so mehr, als sie eben von einem fernen Kirchthurme die Glocke Mitternacht verkünden hörten. Gerne wären sie wieder umgekehrt, hätten sie nicht den Spott gefürchtet. Indem sie so mühsam führbass zogen und jeden Augenblick zu besorgen hatten, in der dichten Finsterniss von der rechten Strasse ab zukommen, sahen sie mit einem Male seitwärts zur Linken, wo sich längs der Strasse die Hügelreihe hinzog, ein Lichtlein flimmern, und als sie genauer hinschauten, glaubte der Eine von ihnen etwas wie das neu aufgerichtete Gebälk eines Hauses zu erblicken. Da sie hierüber nicht in's Reine kommen konnten, so beschlossen sie, um Gewissheit zu erlangen, dem Schein des Lichts zu folgen. Sie schritten rüstig quer über das Feld, da schlug plötzlich ein herzzereissender Schrei so markdurchschneidend an ihr Ohr, dass sie alle drei unwillkürlich schaudernd stille standen und ängstlich forschend nach der Gegend hin lauschten, woher der Ton gekommen und wo sie das Licht gesehen. Es blieb todtenstill und nur das Rauschen des Windes in den Bäumen war zu vernehmen. Die drei Wanderer fassten frischen Muth und setzten den Weg fort. Nach einer kleinen Strecke fanden sie mit Staunen und Schrecken die arme Nanny leblos am Boden. Der schwarze Haushund der Wirthin sprang ihnen bellend entgegen, und eine Laterne lag zerbrochen neben dem Mädchen, das ein Todtengerippe gleichsam in den Armen hielt.

Voll Entsetzen suchten die Wanderer den rechten Weg wieder zu gewinnen, was ihnen auch bald gelang, und machten davon die Anzeige. Aus dem, was die Gerichte über dies Begebniss erhoben, liess sich etwa Folgendes ermitteln:

Von Elend und Noth auf's Aeusserste getrieben, hatte die arme Nanny ihre Einbildung durch die Erzählung des Aktuars dermassen erregt gefühlt, dass sie beschloss, das Wagniss zu unternehmen, um ihrer Mutter das Galgenmännlein und damit sicheres Glück zurückzubringen. Sie hatte den schwarzen Hund der Wirthin an sich gelockt, schlich zum bezeichneten Ort, verstopfte sich, in Ermangelung des Harzes, die Ohren mit Moos, das sie von den Bäumen am Weg genommen, fand ein wegerichartiges Pflänzlein, band an dasselbe den Hund – kurz, sie that alles genau so, wie sie es so eben in der Wirthsstube vernommen. Während sie damit beschäftigt war, riss, wahrscheinlich durch Wind und Wetter mürbe geworden, der Strick am Galgen entzwei, und das Gerippe des Jägers fiel klappernd auf das zitternde Kind. Offenbar hatte sie der Schreck getödtet und ihr auf diese Weise vielen künftigen Kummer und Elend erspart.

So viel liess sich fast mit Gewissheit annehmen. Nur Herr Aktuarius Fingerlein blieb steif und fest dabei, das Mädchen habe die Ohren nicht fest genug verstopft gehabt und deshalb den Schrei vernommen, den das Galgenmännlein von sich gegeben, und dieser habe sie getödtet.

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