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42. Der Mummelsee.

. Der an Sagen reichste Punkt des ganzen Schwarzwaldes ist der Mummelsee. Zahllose Dichter haben an ihnen ihre Kunst versucht, auch der Simplicissimus (B. 5 Cap. 10) hat einige davon aufgenommen, welch letztere wiederum die Gebrüder Grimm ihren gesammelten Sagen einverleibt haben. Von diesen, die wir als bekannt voraussetzen dürfen, sehen wir ab und fügen der Seite 7 aufgeführten Sage noch folgende bei.

*

A. Die Spinnschwestern vom See.

Ungefähr in der Mitte des schönen Thales von Oberkappel, da wo der Weg vom Mummelsee herabführt, liegen mehrere zerstreute Wohnungen, die zusammen den Zinken Seebach ausmachen. Wie in vielen Gegenden Süddeutschlands, so ist es auch hier Sitte, dass die jungen Mädchen mit ihren Kunkeln an den langen Winterabenden sich abwechselnd in einer der Wohnungen versammeln, um sich beim Spinnen die Zeit in Gesellschaft angenehmer verstreichen zu machen. »Zur Spinnstube gehen« nennt man es. Auch die unverheiratheten Bursche finden sich dabei ein, und es wird unter der Aufsicht der Eltern allerlei ehrbare Kurzweil getrieben.

Vor vielen Jahren war eines Abends die Spinnstube bei dem reichen Erlfried, und man eben recht munter und guter Dinge, als die Thüre sich öffnete und drei weissgekleidete Jungfrauen hereintraten von ausnehmender Schönheit, jede ein niedliches Spinnrädchen von ungewöhnlicher Form in der Hand. Sittsam grüssten sie die Gesellschaft, und die Eine von ihnen fragte mit lieblicher Stimme, ob man ihnen als friedlichen Nachbarinnen nicht gestatten wollte, Theil zu nehmen an der Unterhaltung der Spinnstube. Augenblicklich, doch nicht ohne Verwunderung, ward es den unbekannten Nachbarinnen zugestanden, man setzte ihnen Stühle in den Kreis, und bald schnurrten ihre Rädchen mit denen der übrigen Spinnerinnen um die Wette. Durch diesen unerwarteten Besuch war freilich die trauliche Heiterkeit des kleinen Kreises gestört worden und Alle fühlten sich von einer gewissen Scheu befangen. Allein als die Jungfrauen mit Allen so freundlich sprachen, und mit ihren klaren Augen so offen und zutraulich umherblickten, verlor sich allmälig das fremde Wesen, und bald war die vorige Munterkeit und der harmlose Frohsinn zurückgekehrt.

Von nun an fehlten die drei Fremden in keiner Spinnstube mehr. Sobald es Abend ward, erschienen sie, aber mit dem Glockenschlag elf standen sie auf, nahmen ihr Spinnzeug zusammen und gingen hinweg; da half kein Bitten, kein Zureden, nichts konnte sie zum Bleiben vermögen. Man wusste nicht, woher sie kamen, wohin sie gingen; doch sagte man sich leise in's Ohr, es wären Fräulein aus dem Mummelsee, und bald nannte man sie nicht anders, als die drei Schwestern vom See. Seit sie aber in's Thal gekommen, gingen Bursche und Mädchen noch einmal so gern zur Spinnstube. Sie wussten stets neue Lieder mit schönen Weisen und unterhaltende Spiele, sie erzählten anmuthige Historien und Geschichten, und die Spinnerinnen brachten viel vollere Spulen und feineren Faden nach Haus, denn früher, wenn schon ihr Gespinnst mit dem der Fremden an Feinheit und Silberglanz nicht zu vergleichen war. Die Bursche aber waren unerschöpflich im Lobe der reizenden Schwestern, was unter den verliebten Pärchen manches Schmollen verursachte; doch wurden die Dirnen den Schwestern vom See darob nicht gram, denn ihr Betragen blieb stets züchtig und sittsam. Vor allen aber war es der Sohn des reichen Erlfried, der einer der Seejungfrauen zu tief in die blauen Augen geschaut hatte; sein Herz brannte in lichterlohen Flammen zu der Schönen. Weil er sich stets darüber ärgerte und grämte, dass sie so frühe aufbrachen, so verfiel er einmal auf den Gedanken, die hölzerne Wanduhr um eine Stunde zurückzustellen. Unter Scherz und Plaudern schlug es endlich elf, eigentlich war es schon zwölf, und die Fremden nahmen wie gewöhnlich ihre Kunkeln zusammen und entfernten sich.

Am andern Morgen gingen Holzhauer am See vorüber, und vernahmen in der Tiefe ein seltsames, klägliches Wimmern und Stöhnen, und auf der Oberfläche schwammen drei grosse Flecken Blut. Der junge Erlfried war in derselben Nacht noch schwer erkrankt, und nach drei Tagen war er eine Leiche. Die drei Schwestern aber wurden nie wieder im Thale gesehen.

*

B. Kristalline.

Am Eingange des Kappler Thales liegen auf einem vorspringenden Hügel einige wenige Mauerreste, deren Umfang vermuthen lässt, dass ehedem hier ein bedeutendes Gebäude gestanden; diess sind die einzigen Ueberreste der Burg Hagenbrugg, des Sitzes eines der mächtigsten Geschlechter der Gegend, das längst erloschen ist im Laufe der Zeiten, und nur Weniges ist bekannt von seiner Geschichte. Der letzte seines Geschlechts war Junker Folker von Hagenbrugg, ein blühender Jüngling, der frühe seine Eltern verloren und in einem Alter von zwanzig Jahren unumschränkter Gebieter von Schloss und Gebiet Hagenbrugg war.

Folker war von stiller Sinnesart und besass ein sinniges Gemüth. Die lärmende Gesellschaft seiner Alters- und Standesgenossen sagte ihm wenig zu, desto mehr aber war er mit Leib und Seele dem Waidwerk ergeben, und ganze Tage schweifte er ohne alle Begleitung im unwegsamen Gebirge umher, den Fährten des Wildes nachspähend. Aber es war nicht die Jagdlust allein, die ihn hinauszog in die herrliche Gebirgswelt, es waren die Reize der hohen Naturschönheiten, die ihn anzogen und ihm Bewunderung einflössten. So weilte er vor Allem gerne an den Ufern des räthselhaften Mummelsee's. Die ganze Gegend mit ihren Wildnissen und ihrer Grabesstille und der wundersame See mit seinen unergründeten Tiefen hatten unbeschreiblichen Reiz für ihn; er konnte hier stundenlang verweilen am Felsufer, allein seinen Träumen nachhängend. Seine Gedanken stiegen hinab auf den Grund des See's, seine Einbildungskraft bevölkerte ihn mit den seltsamsten Gestalten, und er vermeinte wundervolle, niegesehene Herrlichkeiten zu erblicken auf seinem Grunde.

So lag der Junker Folker auch eines Tages wieder am steilen, steinigen Hange des Grenzberges und schaute unbeweglich auf den Spiegel des Bergsee's hinab, der unter ihm sich ausbreitete. Neben dem Ruhenden sprudelte eine Quelle lustig über das Gestein und Felsgerölle hinab und vereinigte schäumend ihr frisches Bergwasser mit den dunklen Fluthen des See's, und ihr leises Plätschern war der einzige Ton, den er vernahm in dieser stillen, schauerlichen Oede. Todt und unbeweglich lag der weite Wasserspiegel da, und seine Tiefen schienen kein lebendes Wesen zu beherbergen. Nur von Zeit zu Zeit erhob es sich vom untersten Grunde der Wasserfluth, und wie ein Seufzer, der sich losringt aus schmerzerfüllter Brust, stieg quellend eine Wasserblase zur Oberfläche empor, wo sie platzte und den Spiegel des Wassers in kleinen, stets wachsenden Kreisen zu kräuseln begann. Immer weiter, immer grösser wurde der Ring und wogte nach allen Seiten dem Ufer zu, bis endlich die ganze Oberfläche, wie von leisem Geisterhauche überweht, sich seltsam regte und bewegte. Bald aber waren die schimmernden Wellchen verrauscht und verzitterten sterbend am Gestein des Ufers, und unbeweglich und spiegelklar lagen die Wasser wieder da, dass der hohe Himmel leuchtend darin widerstrahlte, bis nach einer Weile dasselbe Spiel von Neuem anhob.

Jetzt aber begann es deutlicher und vernehmlicher zu murmeln und zu quellen, zu wogen und zu wallen im Schooss der Gewässer, und wie Folker aufhorchend und mit verhaltenem Athem dahin sah, erhob sich aus der dunkeln Tiefe der Oberleib einer Mädchengestalt von fast überirdischer Schönheit. Ihr Antlitz war so sanft und zart, so rosig weiss wie Alpenschnee vom Abendroth geküsst; die schwellenden Lippen waren so frischroth wie Korallen am Meeresgrund, und um den Alabaster des blendenden Nackens und der hochwallenden Brust wogte eine Fülle blonder Locken herab, über die ein langer Schleier herabfiel, so fein und duftig, als sei er gewoben aus Wellenschaum und Himmelsduft. Dabei schaute sie mit ihren blauen Veilchenaugen so klar und freundlich in die Welt hinein, als wüsste sie nimmer, was Gram sei und Sorge. Leicht und zierlich, mit den anmuthigsten Bewegungen, schwamm sie der Gegend zu, wo Folker eben auf dem Felsen ruhte, und als sie aus den Wellen ans Land gestiegen war, konnte er, trotz Schleier und wallenden Gewändern, eine Frische, Fülle und Zartheit ihrer Formen und ihres Wuchses wahrnehmen, dass ihm vor wonnigem Entzücken das Herz hörbar schlug. Sie setzte sich in das weiche Moos des Ufers, nahm ihren Schleier ab und begann ihre seidenen Flechten zu ordnen. Dem Junker, wie er so von oben hinabschaute in den rosigen Himmel ihrer Schönheit, ward es wohl und wehe in der Brust. Der Liebe Wonnen und Schmerzen zogen ein in sein Herz, und ihre Flammen loderten auf in verzehrender Gluth. Unwillkürlich seufzte er tief auf. Da schaute die liebliche Erscheinung empor, und ihre Blicke begegneten denen des Jünglings. Anfangs malten sich Angst und Schrecken in ihrem Antlitz; aber je länger sie in die hellen Augen Folkers blickte, desto milder wurden ihre Züge. Doch mit einem Male zog es wie ein Schatten schmerzlicher Erinnerung über ihre Stirne, rasch sprang sie auf und stürzte sich jählings in den See, dass das Wasser rauschend und wogend über ihr zusammenschlug und die bodenlose Tiefe die liebreizende Gestalt aufnahm in ihren dunkeln Schooss.

Noch lange, lange lag der Junker von Hagenbrugg auf derselben Stelle und starrte unverwandt in die Tiefe des Sees hinab. Er wähnte, es müsse die holde Erscheinung sich noch einmal seinen Blicken zeigen. Und als der Abend herabsank und die dunkeln Sterne heraufzogen am dunkelnden Abendhimmel, harrte er noch immer. Jetzt erst stand er auf und wandelte missmuthig seiner Burg zu.

Ein Abend wie der andere fand ihn nun am Ufer des See's harrend und hoffend auf die süsse Erscheinung. Mehrere Tage war es vergebens. Endlich aber, als er wieder einmal über die Felsen zum See hinabklimmte, gewahrte er sie, wie sie unten im Ufergras sass. Auch sie hatte ihn erblickt und wollte sich aufraffen zur Flucht; da fasste er allen seinen Muth zusammen und rief mit flehendem Tone: »O fliehe, fliehe nicht vor mir, süsses, holdes Wesen, vor mir, den dein längeres Bleiben zum glücklichsten Sterblichen machen kann. Siehe, bei allem, was Erde und Himmel Heiliges kennen, schwöre ich dir, im Schutze der heiligen Engel sollst du nicht sicherer sein, als in meiner Nähe. Höre mein Flehen und sei nicht grausam!« Diese Worte schienen sie zu beruhigen, und sie blieb. Als sich der Junker neben ihr niedergelassen, blickte sie ihm freundlich in die Augen und sprach mit einer silberhellen Stimme:

»So will ich denn Euren Worten trauen; seit ich Euch zuerst gesehen, konnte nie in meiner Brust Misstrauen gegen Euch Wurzel fassen, wie oft ich auch vor der Falschheit der Menschen gewarnt worden. In diesen offenen Zügen kann kein Arg wohnen, und diese treuen, klaren Augen wissen nichts von Tücke. Ist dem nicht so, Junker von Hagenbrugg?«

»Wie, du kennst meinen Namen?« fragte verwundert Folker.

»Ei«, erwiderte das holde Kind, »meint Ihr, wir da unten in der Tiefe der Gewässer wüssten die Namen unserer Nachbarn nicht? Kommen wir gleich nur selten zu eurer lieben, hellen Sonne herauf, so sehen wir euch doch, oft wo ihr es am wenigsten vermuthet.«

»Und du wohnst da unten im tiefen See?« entgegnete der Junker, nicht ohne einen innern Schauder.

»Ei freilich, und wesshalb wundert Ihr Euch? Da unten ist's schön und anmuthig zu leben. Haben wir gleich keine wärmende, leuchtende Sonne über uns, wie ihr Bewohner der Oberwelt, so sind doch Dinge in Menge bei uns zu finden, um die ihr uns sicherlich recht beneiden würdet, hättet ihr sie nur erst gesehen.«

Und mit geläufigem Zünglein begann sie jetzt die Herrlichkeiten und den Glanz des unterirdischen Wasserreichs auszumalen. Sie erzählte von den schimmernden Wohnungen und Palästen, die erbaut seien aus Achat und Jaspis, aus Bergkristall und Amethyst, in denen alles funkle und strahle von den kostbarsten Edelsteinen, und alles Geräthe von getriebenem Gold und Silber sei. Sie sprach von den prachtvollen Gärten, wo die rothe Koralle blühe neben der duftenden Seerose und köstliche Perlen statt des Thaues an den Gewächsen glänzten. »Wenn Ihr uns einmal in meiner Heimath besuchen wollt«, schloss sie scherzend, »es soll Euch gewiss gefallen. Ich würde Euch gern alle unsere Herrlichkeiten zeigen.«

Dem Junker ward bei dem Gedanken an einen Besuch in dem unergründeten Bergsee unheimlich zu Muthe, und eben wollte er die Einladung höflich ablehnen, als die Seejungfrau hastig aufsprang und dem See mit den Worten zuflog:

»Hört, man ruft mich; ich muss eilen, dass man mich nicht lange vermisst. Lebt wohl!«

»Und wann seh' ich dich wieder, reizendes Kind?« bat Folker.

»Vielleicht bald, recht bald; vielleicht morgen, doch versprechen kann ich nichts. Indessen behüte Euch Gott und seine Engel!« So sprechend war sie allmälig in die Fluthen geschritten, doch nicht mit Hast und Ungestüm, wie das erste Mal, sondern langsam und bedächtlich, und tauchte endlich hinab, indem ihr letzter Blick freundlich auf Folker ruhte.

Zwei-, dreimal in der Woche fand so der Junker von Hagenbrugg die Wasserjungfrau am Ufer des Bergsee's, und sie scherzten und kosten wie harmlose Kinder, doch nie wollte sie ihm voraussagen, wann sie wieder kommen werde. »Wenn Ihr so gern in meiner Gesellschaft seid, wie Ihr sagt«, meinte sie jedesmal, wenn er sie darum bat, »so wird es Euch auch nicht schwer fallen, einige Male vergeblich auf mich gewartet zu haben, doch dürft ihr dann meines Wiederkommens um so gewisser sein.«

Als er eines Abends desshalb wieder heftiger in sie drang, sprach sie mit bewegter Stimme:

»Seht, Junker, seit meine Aeltermuhme in ihrer Verbindung mit Euresgleichen so unglücklich war, wollen unsere Eltern durchaus nicht mehr dulden, dass wir zu euch Menschenkindern heraufkommen, und nur heimlich und verstohlen kann dies geschehen. Seit einigen Tagen nun sind Vater und Mutter drüben im Fliedersee, und der Aufsicht des Grossvaters kann ich schon eher entwischen. Und will dieser auch einmal wunderlich werden, der ist leicht hinters Licht zu führen.«

»Und kommst du denn gern herauf aus deinem unheimlichen See?« fragte Folker nicht ohne bange Erwartung.

»Ei, das will ich wohl meinen!« war die rasche Antwort. Ich ergötze mich an dem zarten, lieblichen Grün eurer Wälder und Fluren, und an dem sanften, klaren Frühlingshimmel, der über euch lacht. In eurer milden, erquicklichen Luft athmet sich's noch einmal so leicht und behaglich, und – und –« sie wollte noch etwas hinzusetzen, das sie aber wieder gereuen mochte, denn plötzlich stockend und verstummend schlug sie die Augen nieder, und rosige Gluth überströmte das liebliche Antlitz bis zur hochwallenden Brust herab.

Wohl vermochte Folker, so unerfahren er auch sonst war, diese wortlose Sprache der Liebe zu deuten, und wonniges Entzücken durchschauerte ihn. Sein kräftiger Arm umschlang sie, und ein glühender Kuss brannte auf ihren frischrothen Lippen. Nur schwaches Sträuben setzte sie diesem leidenschaftlichen Ausbruch seiner feurigen Liebe entgegen, ja es wollte dem liebeseligen Jüngling fast dünken, als habe sie seinen Kuss leise erwidert. Im Uebermass seines Glückes rief er mit dem Ausdruck der innigsten Zärtlichkeit: »O, kehre nie mehr in dein düsteres Reich zurück! Bleibe hier oben auf der freundlichen Erde, begleite mich auf mein Schloss, und noch heute soll der Segen der Kirche unsern Bund heiligen für das ganze Leben.«

Aber schmerzlich lächelnd schüttelte das Wassermädchen das lockige Haupt und sprach mit bewegter Stimme: »Ach, ihr Menschenkinder wisst ja nicht treu und wahr zu lieben; eure Neigung ist wandelbar wie euer wechselnder Mond. Uns Töchter des Wassers ergreift nur einmal im Leben die Liebe das glühende Herz und erlöscht nur mit unserm Athem. Doch wenn der, dem wir das heiligste Gefühl unseres Herzens weihen, in seiner Treue wankt, wenn er meineidig wird an seinen Schwüren, dann wehe ihm und uns! Schneller Tod ist sein Loos, und unser harrt unendliche, namenlose Qual.«

»0, glaube mir, ich bin nicht wankelmüthig und treulos in meiner Neigung. Die Liebe zu dir hat mein ganzes Leben in seinem innersten Marke erfasst, dass sie nur mit meinem Leben verlöschen kann. Bei allem, was heilig ist, schwöre ich dir, meine Liebe ist echt und rein; nie, nie wird sie von dir sich wenden, sie wird ausdauern über dies Leben hinaus.«

»So sprach auch der Ritter von Staufenberg, und doch vergass er seines Schwures und ward treubrüchig und meineidig an seiner Liebe. Deshalb ereilte ihn aber auch schnell die Rache, und meine arme Mutter sitzt noch heute drüben im Wildsee und weint in glühenden Thränen ihren Schmerz aus um das verlorene Glück ihres Lebens, um den treulosen, verlorenen Liebling ihres Herzens. Wir wollen uns beiden ein solches Loos ersparen; und wäre ich auch schwach genug, dem Zuge meines Gefühles folgen zu wollen, ich dürfte nicht. Seit jenem unglückseligen Ereigniss hat sich unser ganzes Geschlecht gegen das eure verschworen, und die Arme wäre rettungslos verloren, die, blos dem eigenen, liebenden Herzen folgend, mit einem von euch Menschen eine Verbindung zu schliessen sich erkühnte. Ihr wisst nicht, welch harter Strafe ich mich schon aussetze, indem ich hier oben die Zeit mit euch verplaudere. Noch einmal«, setzte sie erröthend hinzu, »ich kann und darf die Eure nicht werden, so gerne ich auch wollte.«

Mit steigender Angst hatte Folker der seltsamen Rede des Mädchens zugehört, die ihm mit einem Male der Liebe Paradies und des hoffnungslosen Liebesschmerzes tiefen Abgrund eröffnete. Stumm sass er neben dem Mädchen und nur tiefe Seufzer verriethen den gewaltsamen Kampf seines Innern. Endlich rief er:

»Nein, nein, ich kann ein Glück nicht fordern, das dir nur eine einzige bittere Stunde verursachen könnte. Aber ohne dich, ohne deine süsse Liebe ist mir das Leben zur Last. Am besten ist's, ich fliehe weit, weit von hier, und suche in Krieg und Kampf Zerstreuung von dem nagenden Schmerz, bis der Tod ihm mitleidig ein Ziel setzt. Doch dem Scheidenden wirst du die letzte Bitte gewähren. Ich weiss nicht einmal deinen Namen, angebetetes Wesen; hartnäckig hast du mir ihn bisher verschwiegen, nenne mir ihn. Er sei meine Losung in der Schlacht, er sei der letzte Hauch meines Mundes.«

Mit des tiefsten Schmerzes ergreifendem Tone hatte er gesprochen und seine Augen blickten mit einem Ausdruck zu ihr, dem sie nicht zu widerstehen vermochte. Was allen Bitten ihr zu entreissen nicht im Stande waren, das gelang dem Schmerz der Verzweiflung.

»Kristalline ist mein Name«, lispelte sie, indem schwere Gedanken sie zu bestürmen begannen.

»So lebe denn auf ewig wohl, Licht meines Lebens, lebe wohl!« rief Folker verzweifelnd, drückte einen brennenden Kuss auf ihren rosigen Mund und stürzte fort.

Doch mit süssen Schmeichelworten rief sie ihn zurück, und sprach von Neuem mit leiser, bebender Stimme: »So in Verzweiflung kann und darf ich Euch nicht von mir lassen. Die Gewissheit Eures unausbleiblichen Elends würde auch mir das Herz zerreissen; Euer Tod wäre auch der meine. Noch weiss ich ein Mittel, das uns vielleicht zum Glücke führen kann, ich will's versuchen. Worin es besteht, dürft Ihr für jetzt noch nicht erfahren. Doch hofft nicht zu viel davon, es könnte auch trügen; für heute lebt wohl! Doch noch eins: ich habe Euch eben unvorsichtig meinen Namen genannt; sollte ich auch, wider Erwarten, einige Zeit nicht zu Euch heraufkommen können, hütet Euch ja, mich beim Namen zu rufen, es wäre unser beider unausbleibliches Verderben.«

Mit diesen Worten hauchte sie einen leisen Kuss auf die Stirn des Jünglings und verschwand unter den Bäumen des Ufers. In banger Erwartung harrte Folker mehrere Tage; jeden Abend kam er zum See, allein Kristalline liess sich nicht sehen. Bald ergriff ihn düsterer, nagender Schmerz. Als aber eine ganze Woche verstrichen war, und er wieder einen ganzen Abend vergeblich geharrt hatte, da übermannte ihn namenloser Kummer. Er glaubte sich getäuscht, betrogen. Alles vergessend, brach er im Uebermasse seines schmerzlichen Gefühles in die Worte aus:

»O Kristalline, meine Kristalline, soll ich dich denn nimmer wiedersehen?«

Aber kaum waren diese Worte an den Felswänden verhallt, da schlug ein gellender Schrei an sein Ohr, so herzzerreissend und markdurchschneidend, wie er noch nie einen irdischen Ton vernommen, und in der schauerlichen Tiefe des See's fing es an zu brausen und zu wirbeln, und eine grausige Lache Blutes stieg zur Oberfläche empor.

Eisiges Entsetzen durchrieselte mit Todesschauer die Glieder Folker's, seine Sinne verwirrten sich, wahnsinnige Verzweiflung kam über ihn; es erfasste ihn, wie mit unsichtbarer Geistergewalt, es trieb ihn von hinnen, und er stürzte fort über Stock und Stein, über Berg und Thal, und nie wieder ward etwas von ihm weder gehört noch gesehen, nie gelangte eine Kunde in die Berge seiner Heimath, wo der Tod seinen Wahnsinn geendet.

* * *


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