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19. Die Geistermesse in der Stiftskirche zu Baden.

. In uralter Zeit begab es sich in der Stiftskirche in Baden, dass während des Abendgottesdienstes ein Mann fest einschlief und nicht wahrnahm, wie die heilige Handlung zu Ende war und die Leute sich verliefen, weshalb er vom Küster eingeschlossen wurde. Als er erwachte, war es Mitternacht, und beim schwachen Schein der ewigen Lampe sah er, wie eine geisterhafte Gestalt im Priestergewand aus der Sakristei hervorkam, vor den Altar trat und, wie es schien, eine heilige Messe lesen wollte. Als sich die gespenstige Erscheinung beim Beginn der heiligen Handlung umwandte, wie es sein muss, gewahrte sie den erwachten Schläfer, und winkte diesem, dass er ihm ministiren möge. Allein der Mann war über das, was er vorgehen sah, so erschrocken, dass er sich nicht getraute, sich von der Stelle zu rühren, noch viel weniger sich dem Geiste zu nähern, welcher nun seine Messe ohne Diener las und nach deren Beendigung in die Sakristei zurückkehrte, woher er gekommen. Als der Mann am andern Morgen die Kirche verliess und die Begebenheit der vergangenen Nacht seinem Nachbar erzählte, schalt ihn dieser ob seiner Zaghaftigkeit und ermahnte ihn, sich noch einmal in die Kirche einschliessen zu lassen und abzuwarten, ob sich der Vorgang der vorigen Nacht wiederholen werde. Der Mann befolgte den Rath, und siehe da, es begab sich Alles wie in der Nacht zuvor. Als aber der Priester am Altar stand und dem ängstlich Harrenden zuwinkte, fasste dieser Muth, trat zum Altar und versah das Amt eines Ministranten bis zu Ende der heiligen Handlung, worauf der Priester zu ihm sich wandte und sprach: »Weil ich, als ich noch auf Erden wandelte, mich einmal unterfing, vor diesem Altar ohne Diener Messe zu lesen, ward ich nach meinem Tode verurtheilt, hier umzugehen, bis es mir gelänge, Jemand zu finden, der mir zur mitternächtigen Stunde zur heiligen Messe dienen würde. Du hast mir diesen Dienst geleistet und mich damit erlöst. Habe Dank dafür, dass ich nun eingehen kann zur Ruhe, nach der ich mich so lange gesehnt, und sei versichert, dass ich deiner gedenken werde.«

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