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50. St. Ottilien.

. Ottilia, die Tochter des elsässischen Herzogs Attich, war im Kloster zu Mayenfeld erzogen worden und hatte frühe schon in ihrem Herzen gelobt, den Schleier zu nehmen. Als sie einst aus ihrem Kloster an das Hoflager ihres Vaters zum Besuche kam, ward Alles von ihrer Schönheit und Geisteshöhe bezaubert. Bald fanden sich Fürsten und Grafen genug ein, die um ihre Hand warben, darunter auch ein reicher Alemanne, der sich bei dem Herzog so sehr in Gunst zu schmeicheln gewusst hatte, dass dieser darauf bestand, seine Tochter solle dem Klosterleben entsagen und dem stattlichen Freier ihr Jawort geben. Ottilia aber hielt fest an ihrem Gelübde, und da ihr Vater immer dringender wurde und sie keinen andern Ausweg mehr sah, beschloss sie, die Flucht zu ergreifen. Sie entledigte sich ihrer kostbaren Gewänder, hüllte sich in ein ärmliches Pilgerkleid und gelangte solcherweise glücklich an den Rhein, wo ein Schiffer sie alsbald an das andere Ufer setzte. Ihre Flucht blieb nicht lange verborgen und der Herzog sandte seine Leute nach allen Richtungen aus, die Ungehorsame aufzusuchen. Er selbst durchstreifte die ganze Gegend und schlug endlich zufällig denselben Weg ein, den die Flüchtige genommen. Der Fährmann, welcher sie übergeschifft, beschrieb ihm ihr Aeusseres so genau, dass ihm kein Zweifel mehr blieb, und er sich und sein Gefolge unverzüglich an's andere Ufer übersetzen liess.

Ottilia hatte bereits die Hälfte eines Berges erstiegen, der im Eingange des Schwarzwaldes lag und von welchem aus man das Rheinthal überschauen konnte. Ermattet von der ausgestandenen Angst und der ungewohnten weiten Wanderung, setzte sie sich auf ein Felsenstück und flehte zum Himmel, ihre Kräfte nicht ganz schwinden und sie einen sichern Zufluchtsort finden zu lassen. Kaum hatte sie eine Weile so gebetet, als sie ein Geräusch im nahen Walde vernahm. Ein Trupp Reiter kam den Berg herauf und bald erkannte sie die Farben ihres Vaters. Sie sprang auf und eilte dem Dickicht der Höhe zu, um sich dort wo möglich zu verbergen. Am Anfang lieh die Furcht ihren Schritten Flügel, doch bald erschlafften ihre Kräfte wieder und sie war nahe daran, erschöpft zusammenzusinken. Nur ein Fels, um den sich der Pfad schlängelte, verbarg sie noch den Blicken ihrer Verfolger. Zitternd breitete Ottilia ihre Arme nach dem Himmel und flehte zur Mutter Gottes um Rettung aus dieser Noth. Siehe, da that sich plötzlich die Wand des Felsens auseinander, Ottilia stürzte sich hinein und sogleich schloss er sich wieder hinter ihr. Drinnen vernahm sie deutlich das Getrappel der Rosse und die Stimme ihres Vaters, der sie mit schmerzlichem Tone beim Namen rief. »Es ist umsonst, mein Vater!« antwortete Ottilia, und mit Bestürzung hörte Attich die Stimme seiner Tochter aus dem Fels erklingen.

Ein Schauer erfasste ihn und reuevoll ging er in sich, als er sah, dass der Himmel selbst Ottilien vor ihm so wunderbar in Schutz genommen habe, und er schwur, das Gelübde seines Kindes zu ehren und an der Stelle eine Kapelle zu erbauen.

Kaum war das in seinem Innern beschlossen, so öffnete sich der Felsen wieder, Ottilia trat hervor, strahlend von überirdischem Glanze, und sank an die Brust ihres Vaters.

Der Fels blieb aber von dieser Stunde an offen, und in der Höhle, welche Ottilien geborgen, entsprang ein krystallklarer frischer Quell, der mit Heilkraft begabt war für kranke Augen. Ottilia kehrte mit ihrem Vater in das Elsass zurück, wo er bei Hohenburg ein Kloster bauen liess, in welchem sie den Rest ihres Lebens unter gottseligen Uebungen zubrachte.

* * *


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