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siehe Bildunterschrift

François de Salignac de La Mothe-Fenelon

Fénélon.

Vergl. die Éloges von Laharpe, d'Alembert und Maury. Die Biographieen Fénélons von Marquis de Fénélon (dem Urenkel) 1734, dem Pater Querboeuf 1787, dem Bischof Bausset Lebensgeschichte Fénélons nach Originalhandschriften von Franz Ludwig von Bausset, deutsch von Dr. M. Feder, 3 Bde. Würzburg 1811 – das gründlichste und umfassendste Werk). Die Mémoires d'Aguesseau 5 vol. Vie de Fénélon par Ramsay 1723 (kurz gefaßt, aus lebendiger Anschauung geschrieben).


François de Salignac de Lamotte-Fénélon ward auf dem Schlosse Fénélon in Perigord den 6. August 1651, in einer durch ihr Alter wie durch ihren Glanz gleich ausgezeichneten Familie geboren. Sein Vater Pons de Salignac, Graf de Lamotte-Fénélon, vermählte sich in vorgerücktem Alter zum zweiten Mal, und aus dieser Ehe, »die Alles in sich vereinigte, was in Rücksicht des Geschmacks, der Geburt und öffentlichen Meinung verlangt werden konnte«, ging Franz von Fénélon, der berühmte Erzbischof von Cambrai, hervor, der seinem Namen Unsterblichkeit sichern sollte.

Fénélons Eltern, ausgezeichnet durch wahrhaft feine Bildung, hatten in Betreff der Erziehung ihres Sohnes die besten Grundsätze; sie erzogen, wie P. Querboeuf bemerkt, einfach, vernünftig und christlich. Der Vater pflegte das Kind seines Alters mit einer liebevollen Sorgfalt, welche den glücklichen Anlagen, die es ankündigte, die schnellste Entwickelung bereitete. In dem zierlichen feinen Körper Franzens trat bald genug ein lebhafter, vor keiner Anstrengung zurückschreckender Geist hervor. Der Unterricht ward einem Lehrer anvertraut, der durch das Studium der Klassiker zu feiner Bildung gelangt, auch seinem Zögling Geschmack für ihre Schönheit beizubringen verstand. In wenigen Jahren verhalf er seinem Schüler zu einer sehr gründlichen Kenntniß der griechischen und lateinischen Sprache, indem er die Kraft auf diesen Einen Punkt zusammenfaßte und nicht durch eine Menge verschiedener Lehrgegenstände zersplitterte. Diese frühe entschiedene Richtung auf die Muster der Darstellung ward entscheidend für Fénélon's Geschmacksbildung und legte namentlich den Grund zu dessen so ausgezeichnetem schönen Styl, der mit der Fülle und Wärme seiner Empfindungen wetteifernd seinen Gedanken so leicht Eingang verschaffte und so segensreich wirkte. Selbst die besten Schriftsteller der damaligen Zeit litten noch an einer gewissen Steifheit, Rauhheit und Eckigkeit der Darstellung; um so wunderbarer erschien die Fénélon'sche Leichtigkeit, Eleganz und Biegsamkeit, der es übrigens keineswegs an der Kraft des Gedankens und Gediegenheit des Inhalts fehlte. Und wie schon an dem 12jährigen Knaben diese glanzvolle Seite des Mannes hervortrat, so zeigte sich auch schon damals in der Unerschrockenheit und Festigkeit, die er schreckhaften aufregenden Ereignissen entgegensetzte, ein bedeutender Zug seines Charakters.

Sobald er das zwölfte Jahr zurückgelegt hatte, ward er auf die Universität Cahors geschickt, welche dem Wohnsitze der Eltern am nächsten lag. Dort absolvirte er seinen Kursus der Humaniora und der Philosophie und zwar mit so viel Erfolg, daß er in sehr kurzer Zeit die üblichen akademischen Würden erwarb, und durch Fürsprache des Oheims eine Stelle in dem Kollegium du Plessis zu Paris erhielt, wo er seine theologischen und philosophischen Studien gründlich fortsetzen konnte. Er lernte hier den jungen Abbé Noailles kennen, den nachherigen Kardinal und Erzbischof von Paris, und schloß mit ihm den Freundschaftsbund.

Der junge Abbé Fénélon that sich gleich so sehr hervor, daß man es wagte, dem 15jährigen Jüngling eine Kanzelrede zu erlauben. Der Versuch ward vom besten Erfolg gekrönt, trotzdem, daß man ihm nur wenige Zeit gelassen hatte, um über den gegebenen Stoff nachzudenken. Auch von Bossuet erzählt man, daß er in demselben Alter vor einer glänzenden Versammlung zu Paris gepredigt habe, zum größten Beifall der Zuhörer.

Daß der große und frühe Erfolg nicht nachtheilig auf den Charakter wirkte und daß Fénélon schon frühzeitig auf die echt priesterlichen Tugenden des Gehorsams, der Demuth und Resignation hingewiesen wurde – dafür wurde nun auch in bester Weise gesorgt.

Großen Einfluß auf die christliche Bildung Fénélons übte nämlich der Oheim Anton, Marquis de Fénélon, der zu jenen Kriegsmännern des 17. Jahrhunderts gehörte, deren militärische Laufbahn ihrer Frömmigkeit keinen Eintrag that, selbige vielmehr noch stärkte, indem die christliche Strenge mit soldatischer Festigkeit sich verband. Der große Condé sagte von ihm, daß er gleich gut geeignet sei für die Unterhaltung, für den Krieg und für's Kabinet. Von seiner Geradheit gibt folgender Zug einen Beleg. Als Herr v. Harlay zum Erzbischof von Paris ernannt wurde, beglückwünschte ihn der Marquis folgendermaßen: »Es ist ein großer Unterschied zwischen dem Tage, wo eine solche Ernennung die Komplimente von ganz Frankreich herbeiführt und zwischen jenem andern Tage, wo der Tod gebietet, vor Gott Rechenschaft abzulegen über die Verwaltung des Amtes.« Dieser Herr von Fénélon hatte einen einzigen Sohn, den er bei der Belagerung von Kandia verlor; es blieb ihm noch eine Tochter, die später den Marquis von Montmorency-Laval heirathete. Diese Tochter und sein Neffe bildeten den Trost und die Freude seines Alters. Für die zartgeschaffene weiche Seele des jungen Fénélon war der starkmüthige Sinn des Oheims ein Stahlbad, und das frühzeitig hervorbrechende Genie des Neffen ward durch das strenge Urtheil des Onkels vor Eitelkeit und Stolz bewahrt. Nach jener ersten Predigt, die der 15jährige Fénélon zur Bewunderung seiner Zuhörer gehalten hatte, schrieb ihm der Oheim: »Meine Freunde wollen durch ihre Beifallsbezeigungen Dir die Bahn des Glückes ebenen, aber bist Du um dieses eitelen Idoles willen Geistlicher geworden? Möchtest Du Dir zum Lohn Deiner Arbeit bloß solche Ausbrüche der Bewunderung und des Erstaunens wünschen, die mehr die Armuth derer beweisen, die sie spenden, als den Reichthum dessen, dem sie gelten?« In väterlicher Besorgniß, daß die Huldigungen der großen Welt der Demuth des Neffen keinen Schaden bringen möchten, brachte er ihn von der Schule du Plessis in's Seminar von Saint-Sulpice, das der wackere Tronson leitete, unter dessen sicherer Führung Fénélon seine ersten Jahre in Paris verlebte. Hier konnte der Charakter sich befestigen, während das Herz sich den edlen Gefühlen der Freundschaft öffnete. Die Zuneigung zu Herrn Tronson wurde immer inniger, der Jüngling sah hier seine Liebe von jenen Fesseln befreit, die bei dem strengen Kriegsmann die kindliche Ehrfurcht mit sich brachte, und Fénélon schrieb dafür ganz offenherzig seinem Onkel: »Ich möchte so gern Ihnen etwas Näheres über mein Verhältniß zu Herrn Tronson mittheilen, aber ich kann Ihnen nur dieses sagen: Obgleich meine Offenherzigkeit Ihnen gegenüber mir wohl bestellt zu sein scheint, so will ich Ihnen doch bekennen, ohne zu fürchten Ihre Eifersucht rege zu machen, daß ich noch offener und freier mich dem Herrn Tronson aufschließe, und wenn ich Ihnen den ganzen Austausch unserer innersten Gedanken und Gefühle darlegen sollte, würde mir das in der That schwer fallen. Wenn Sie unsere Unterhaltungen hören und die einfache Art sehen könnten, mit welcher ich Herrn Tronson mein Herz öffne und mit welcher er mich Gott kennen lehrt, so würden Sie kaum Ihr Werk wieder kennen, das auf dem Grunde, den Sie gelegt haben, unter Gottes Hülfe emporgewachsen ist. Meine Gesundheit bleibt immer schwächlich; dieß würde mir sehr leid thun, wenn ich nicht gelernt hätte, mich darüber zu trösten.«

Die Kongregation von St. Sulpice, welche in allen Provinzen von Frankreich ihre Häuser hatte, war ein höchst achtbares Institut, das in apostolischer Einfachheit fern von allen weltlichen Interessen, auch von aller dogmatischer Streitsucht und Rechthaberei in rein evangelischem Sinne zu wirken strebte. Sie wollte nur der Kirche für die verschiedenen Orden Diener bilden, wollte nicht herrschen, sondern dienen, und unterschied sich dadurch wesentlich von der Gesellschaft der Jesuiten. Fénélon konnte keine bessere Bildungsstätte finden, als diese, die ihn mit heißem Eifer der Kirche zu dienen erfüllte, ohne unreine hierarchische Gelüste beizumischen.

Nach rühmlich vollendeten Studien wurde Fénélon Priester. Er hatte sich mit einem Lieblingswunsch lange beschäftigt, in den Missionen von Kanada thätig zu sein, aber das rauhe Klima wäre für ihn gefährlich gewesen, und so gab er auf das Zureden seiner Vorgesetzten den Plan auf, um ihn auf entgegengesetzter Seite, in der Levante, zu verwirklichen. Aber auch dagegen erhoben sich Schwierigkeiten; dafür wies ihm Herr von Harlay, Erzbischof von Paris, einen Missionsposten in Frankreich selber an. Fénélon, obwohl erst 27 Jahr alt, erhielt die Leitung der neubekehrten weiblichen Katholiken in Poitou, und diese konnten sich in der That zu einem so milden, wahrhaft christlichen Seelsorger Glück wünschen, denn sein Unterricht war eben so einfach und faßlich als eindringend und herzlich, und nur dahin zielend, Liebe zur Tugend, zum frommen Handeln zu erwecken.

Der Erzbischof von Paris hatte großes Wohlgefallen an Fénélon und zog ihn zu sich heran, als er wahrnahm, wie dieser an Bossuet, dem schon damals berühmten Bischof und Lehrer des Dauphin, mit Vorliebe hing, in welchem Herr v. Harlay nicht mit Unrecht einen gefährlichen Nebenbuhler am Hofe erkannte. Ganz charakteristisch für Fénélon ist es, daß er dem strengen, geistvollen, aber etwas herben Bossuet huldigte, obwohl derselbe für einen jungen Mann manches Abschreckende hatte. Wie er hier einem Manne sich zuneigte, der bildend auf ihn einwirken konnte, trotz der Ungleichheit des Wesens, so hatte er aber auch das Glück, im jungen Abbé von Langeron einen Freund zu finden, der durch Alter, Geschmack und Charakter völlig mit ihm harmonirte, der an allen seinen Arbeiten und Erfolgen, an Glück und Unglück den aufrichtigsten Antheil nahm und ihm seine Freundschaft bis in den Tod bewahrte.

Das erste Werk, das Fénélon schrieb und durch das er den Grund zu seinem Ruhme legte, war an Umfang ein sehr kleines Bändchen, an Ideenfülle und praktischer Brauchbarkeit desto reicher: eine Abhandlung » über die Erziehung der Töchter.« In einfachster anspruchlosester Weise sind da eine Menge feiner Bemerkungen über weibliches Wesen und weibliche Bildung gegeben, die ursprünglich nur für eine Mutter, die Frau Herzogin von Beauvilliers verfaßt, doch so viel Menschenkenntniß und pädagogischen Takt verrathen, daß sie zu dem Besten gehören, was die pädagogische Literatur aufzuweisen hat. Fénélon war durch sein reiches Gemüthsleben und sein weiches Gefühl ganz besonders geeignet, die weibliche Natur zu verstehen; er wußte das früheste kindliche Alter in seinen Grundzügen so zu zeichnen, daß jede Mutter in der Zeichnung ein Bild ihres Kindes finden konnte und durch die Anschauung des Idealbildes in den Stand gesetzt ward, die Fehler zu erkennen, die zu bekämpfen, die Neigungen, welche zu leiten, die Eigenschaften, welche zu entwickeln sind. Fénélon's Worte üben einen erziehlichen Einfluß auf die Eltern, Lehrer und Lehrerinnen selber aus, diese für den Standpunkt gewinnend, auf den er sein Erziehungssystem überhaupt gründet – für das christlich-religiöse Leben. Dieses wird zugleich in seiner Schönheit und Wahrheit aufgezeigt und in der humanen Weise, mit welcher Fénélon christliche Sittlichkeit und Frömmigkeit als Endzweck aller Erziehung predigt, erkennt man den durch klassische Studien gegangenen freien Geist, der sich von allem Dogmatisiren und theologischen Schulkram fern hält. So z. B. weist er, um die Damen auf das Geschmacklose so vieler Moden aufmerksam zu machen, auf die edle einfache Tracht der griechischen und römischen Frauen hin, die noch an den antiken Statuen zu erkennen ist. Aber er setzt zugleich hinzu, daß ein Frauenzimmer mit Recht als überspannt verschrieen wurde, die sich wie eine Griechin kleiden wollte; nur sollte man in den jetzigen Moden die edle Einfachheit der Alten nicht ganz vergessen. Was Fénélon über das Romanlesen, über äußeren Glanz ohne inneren Gehalt, über die wahre Häuslichkeit der Frauen sagt, ist ganz, als wäre es mit Bezug auf unsere Zeit geschrieben.

Im Jahre 1685 hob Ludwig XIV. das Edikt von Nantes, in welchem allen Protestanten freie Religionsübung zugesichert war, auf, und strebte nun mit allen Mitteln, die »Abtrünnigen« wieder in den Schooß der »alleinseligmachenden« Kirche zurückzuführen. Die protestantischen Geistlichen wurden vertrieben; katholische Missionäre sollten an ihrer Stelle die Seelsorge führen. Auf Bossuets Empfehlung ward Fénélon für die Missionen von Poitou und Saintonge ernannt, und einen Würdigeren hätte man in der That für solchen Posten nicht finden können. Ihm gelang durch Milde, was dem Könige und vielen seiner fanatischen Priester durch Gewalt nicht gelang, Viele zum katholischen Glauben zu bekehren und darin zu befestigen. Während der »allerchristliche« König mit Dragonersäbeln die protestantische Lehre ausrotten und mit Blut die Widerspenstigen taufen wollte, lehnte der wahrhaft christliche Fénélon alle militärische Unterstützung mit den Worten ab: »Ich will lieber durch die Hand irrender Brüder umkommen, als einen einzigen von ihnen dem Trotz und der Gewaltthat von Kriegsleuten aussetzen.«

Als im Jahre 1689 der Herzog von Beauvilliers zum Hofmeister des Herzogs von Burgund ernannt wurde, schlug er sogleich den Abbé Fénélon als Lehrer für den Prinzen vor und dieser Vorschlag ward genehmigt. Es war ein höchst ehrenvoller, aber auch ein höchst, bedenklicher Ruf, der an Fénélon erging, denn welche Verantwortlichkeit ruhte auf der Erziehung eines Prinzen, der zu so wichtiger Stellung ausersehen war, dabei aber ein schwer zu behandelndes Wesen zeigte! Denn er war von sehr reizbarer empfindlicher Natur, stolz, vergnügungssüchtig, voll Widerspruchsgeist, der durch die Frühreife seines Verstandes noch genährt wurde.

Der Herzog von Beauvilliers hatte noch zwei tüchtige Männer, die Herren von Léchelle und Puy zu Unterhofmeistern mit dem Titel von »Gesellschaftskavalieren« ausersehen. Alle diese zur Erziehung des Herzogs von Burgund bestimmten Männer traten im September 1689 ihre Amtsverrichtung an. Fénélon war damals 38 und Herr von Beauvilliers 41 Jahr alt. Unter ihnen herrschte eine in der That seltene Harmonie, die einen günstigen Erfolg verbürgte; sie hatten alle nur Einen auf das Gute und Wahre gerichteten Willen, und jene beiden Unterhofmeister wie Herr von Beauvilliers erkannten willig den Abbé Fénélon als die Seele des ganzen Erziehungswerkes an.

Bald sollte der Hof das unerwartete Resultat solcher einheitlichen Erziehung bewundern; aus dem störrischen, eigenwilligen, rechthaberischen jungen Prinzen ward ein sanfter, wohlwollender, frommer Jüngling, der seine Leidenschaften wie ein wildes Roß gebändigt hatte und wenn sie ihn einmal überraschten, nicht Anstand nahm, seinen Fehler zu bekennen und zu bereuen; der an seinen Erziehern mit Liebe hing und für Fénélon die zärtlichste Anhänglichkeit bewies, so daß ein ernstes Wort von diesem ihn härter traf, als jede andere Strafe; der mit dem Streben nach sittlicher Reinheit zugleich eine Lust zur Wissenschaft und zur Erforschung der Wahrheit zeigte, wie sie selten bei einem königlichen Prinzen sich offenbart hatte. Zur Erreichung dieses glänzenden Erfolgs trug zweierlei das Meiste bei: Der Charakter Fénélons und seine glücklich gewählte Unterrichtsmethode.

Der Kanzler von Aguesseau hat uns in den »Denkwürdigkeiten aus dem Leben seines Vaters« eine treffliche Schilderung Fénélons hinterlassen. Oeuvres du Chancelier d'Auguesseau, tome XIII. »Der Bischof von Cambrai,« heißt es daselbst, »war einer von den seltenen Männern, welche berufen sind, in ihrem Zeitalter Epoche zu machen, und welche der Menschheit durch ihre Tugenden und den Wissenschaften durch ihre hervorragenden Talente gleich große Ehre machen. Sie haben etwas Leichtes und Schimmerndes an sich, und ihrem Charakter liegt eine fruchtbare und bezaubernde Einbildungskraft zum Grunde, mit welcher sie Alles beherrschen, ohne ihr Uebergewicht fühlen zu lassen. Fénélons Beredsamkeit war wirklich mehr sanft eindringend als heftig, und er herrschte ebenso sehr durch seinen reizenden Umgang als durch seine überlegenen Talente. Während er sich allen Andern gleich stellte, jedem Streit auswich, und sogar ihnen nachzugeben schien, riß er sie mit sich fort. Große Gegenstände schien er spielend zu behandeln, die Anmuth floß von seinen Lippen. Die unbedeutendsten Stoffe veredelten sich unter seiner Feder, und er hätte selbst den Dornen Blumen entlocken können. Eine edle Eigenheit, die über seine ganze Person sich verbreitete, und ich weiß selbst nicht, etwas Erhabenes bei seiner Einfachheit kündigten ihn wie einen Propheten an. Die stets neue Wendung, welche er, ohne in das Affektirte zu fallen, seinen Ausdrücken zu geben wußte, brachte Viele auf die Meinung, als seien ihm alle Wissenschaften durch eine höhere Begeisterung zu Theil geworden. Man hätte sagen mögen, er habe sie mehr erfunden als erlernt. Immer originell, immer schöpferisch, Niemand nachahmend, schien er selbst unnachahmlich zu sein. Seine Talente, so lange in der Dunkelheit der Seminarien verborgen, und selbst zur Zeit, wo er sich den Missionsgeschäften zur Bekehrung der Protestanten widmete, am Hofe wenig bekannt, äußerten sich erst dann in ihrer Stärke, als ihm der König die Erziehung seines Enkels, des Herzogs von Burgund, anvertraute. Für einen so großen Mann war dieser Platz nicht zu groß, und wenn seine Vorliebe für das Mystische nicht die geheime Stimmung seines Herzens und die schwache Seite seines Geistes geoffenbart hätte, so würde keine Stelle gewesen sein, die ihm das Publikum nicht bestimmt hätte und mit welcher nach seinem Dafürhalten die Verdienste Fénélons kaum hätten belohnt werden können.«

Auch das kam dem Abbé Fénélon zu Statten, daß er schon wegen seines alten Adels, ganz abgesehen von seiner Stellung, am Hofe manche Auszeichnung genoß, die dem Bischof Bossuet nicht zu Theil ward. Ludwig XIV. gestattete ihm, mit dem Herzog von Burgund an Einer Tafel zu speisen und in Einem Wagen zu fahren.

Bei den glücklichen Anlagen des Prinzen machte der Unterricht gar keine Schwierigkeit, aber dem weisen Lehrer kam es auch gar nicht darauf an, möglichst schnell mit glänzenden Erfolgen zu prunken, sondern durch den Unterricht zu erziehen und die Liebe zum rechten Handeln fest zu gründen. Fénélon verlor es nie aus dem Gesicht, daß sein Zögling für den Thron bestimmt sei. Er nahm daher mit großer Sorgfalt den Inhalt seiner Aufgaben entweder aus der Mythologie, weil ihm diese sehr geeignet erschien, um dem Gedächtnisse und der jugendlichen Einbildungskraft farbenvolle lebhafte Bilder zuzuführen, oder aus der alten und neuen Geschichte, die er mit vieler Kunst für die moralische Bildung des Prinzen zu benutzen wußte. Der Knabe war ein großer Freund von Fabeln; Fénélon komponirte deren selber zuweilen, wenn es galt, die Fehler des Schülers im Spiegel der Dichtung sehen zu lassen. So die Fabel von dem Phantasten: »Was ist denn dem Melanthus Leids begegnet? Von außen nichts, alles von innen heraus. Als er sich gestern niederlegte, war er die Wonne aller Menschen: diesen Morgen schämt man sich seiner und darf ihn vor Niemanden sehen lassen. Schon beim Aufstehen ärgerte er sich über die Falte eines Strumpfes. Nun wird der ganze Tag stürmisch sein und Jedermann darunter leiden müssen. Man fürchtet, man bemitleidet ihn; er weint wie ein Kind, brüllt wie ein Löwe. Bösartige wilde Dünste steigen ihm in den Kopf und schwärzen seine Einbildungskraft, wie Tinte an der Feder seinen Finger besudelt. Rede man ihm ja nicht von Dingen, welche er noch einen Augenblick zuvor so sehr liebte! Ebendeßwegen, weil er sie liebte, verabscheuet er sie nun. Alle Zeitvertreibe, nach denen er sich früher sehnte, machen ihm nun Langeweile; man muß sie aussetzen. Er sucht nun zu widersprechen, zu klagen und Andere zu reizen, ärgert sich aber, wenn diese ruhig bleiben. Da er mit Andern nicht anbinden kann, wendet er sich gegen sich selbst, und beginnt zu klagen, findet auch an sich nichts mehr gut und giebt allen Muth auf. Will man ihn trösten, verdrießt es ihn. Er will allein sein und kann doch die Einsamkeit nicht, ertragen. Er kommt zur Gesellschaft zurück, und erbittert sich über dieselbe. Schweigt man zu seinem Thun, so hält er das Schweigen für Verstellung: ist man traurig, so hält er dieß für einen Tadel seiner Fehler, und lacht man, so glaubt er, man wolle ihn verspotten. Was ist zu thun? Man muß ebenso fest und geduldig sein, als er unerträglich ist, und es ruhig abwarten, daß er morgen wieder ebenso vernünftig werde, wie er gestern war. Diese seltsame Laune vergeht wieder, wie sie kommt. Zuweilen findet er selbst sein heftiges Aufbrausen lächerlich. Aber hat man denn kein Mittel, solche Stürme vorauszusehen und die Wetter zu beschwören? Nein, gar keins. Es fehlt an guten Kalendern, um diese üble Witterung anzudeuten. Heute ist dieser Mensch so, morgen wieder anders; jetzt verspricht er etwas, aber plötzlich hat er es vergessen und kann sich dessen nicht mehr erinnern. Er hat keine Dankbarkeit, keine Liebe mehr für irgend einen Menschen, es gilt ihm Alles gleich.« Vorzüglich hielt er sich an die biblischen Geschichten, um auf die anschaulichste Weise die Lehren der christlichen Religion einzuprägen, welche allein vermögen, den Stolz der Könige niederzuhalten und dem Mißbrauch ihrer Gewalt einen Damm entgegen zu setzen. Oft, indem er nur mit Einprägung weltlicher Kenntnisse beschäftigt schien, bauete er auf die wirksamste Weise den Boden des Gewissens an. Fénélon selbst erzählt von seinem Zögling: er habe ihn mit Vorbedacht jedes Mal das Studiren aufgeben lassen, so oft er ein Gespräch anknüpfte, in welchem er ihm nützliche Kenntnisse beibringen konnte, und dieser Fall sei oft eingetreten. »Zum Studiren kam er ohnehin wieder zurück, weil er Freude daran hatte. Allein sein Lehrer wollte ihm auch Geschmack für eine gründliche Unterredung einflößen, um ihn für den Umgang zu bilden und ihm Gelegenheit zur Menschenkenntniß zu verschaffen. In dergleichen Unterredungen machte er sichtbare Fortschritte im Fach der Literatur, der Politik und selbst der Metaphysik. Ganz ungezwungener Weise ließ man die Beweise für die Religion darin einfließen. So ward sein Herz sanft gestimmt; er ward ruhig, gefällig, munter, liebenswürdig. Man hatte nur seine Freude an ihm. Er äußerte dann keinen Uebermuth, und solche Unterhaltungen machten ihm weit mehr Vergnügen als alle Kinderspiele, die ihn sehr oft, wo man es am wenigsten vermuthete, verdrießlich machten.«

»In der angenehmen Zwanglosigkeit dieser Unterhaltungen hörte man ihn einige Mal sagen: » Ich lasse den Herzog von Burgund hinter der Thür und bin in der Gesellschaft mit Ihnen weiter nichts als der kleine Ludwig! – Eine bemerkenswerthe Aeußerung, weil sie zeigt, wie lebhaft dieses Kind das, was es von Geburt war, selbst noch in dem Augenblicke fühlte, wo es dieß vergessen wollte.«

Wenn das höchst reizbare Temperament des jungen Prinzen dessen Besonnenheit unterdrückt und ihn zu Ausbrüchen des Zorns und der Ungeduld hingerissen hatte, so waren Hofmeister, Lehrer, Unterlehrer, alle Beamten und Bedienten des Hauses einig, das strengste Stillschweigen gegen ihn zu beobachten. Sie behandelten ihn wie einen Gemüthskranken, entzogen ihm die Bücher, die er bei gestörtem Bewußtsein ja doch nicht brauchen konnte, bedienten ihn mit einer Art Scheu, als fürchteten sie, in seine nähere Berührung zu kommen, betrachteten ihn allesfalls mit einem Blick des Mitleids. Dann kam der Leidenschaftliche schnell zu sich, und wußte keinen anderen Ausweg, um mit sich und den Menschen wieder in Harmonie zu kommen, als sich dem geliebten Lehrer zu Füßen zu werfen, und unter heißen Thränen ihn um Verzeihung zu bitten. Fénélon drückte seinen geliebten Zögling mit kaum minderer Rührung an seine Brust, und Alles ging wieder gut. Der Prinz brachte sogar schriftlich, damit man seiner Versicherung um so williger glauben möchte, sein Versprechen.

»Ich verspreche, so wahr ich Prinz bin, dem Herrn Abbé Fénélon, auf der Stelle das zu thun, was er mir befehlen wird, und ihm in dem Augenblicke zu gehorchen, in welchem er mir etwas verbieten wird. Und halte ich hierin nicht Wort, so unterwerfe ich mich allen Arten von Strafe und Unehre.

Geschehen Versailles am 29. Nov. 1689.

Ludwig.

Ich, Ludwig, mache mich neuerdings anheischig, mein Versprechen zu halten. Den 20. Sept. Ich bitte Herrn v. Fénélon, dieses Billet zu bewahren.«

Eines Tages sah sich Fénélon genöthigt, zu seinem Zögling in so strengem ernsten Tone zu reden, wie es der von demselben begangene Fehler erheischte. Das dünkte dem Prinzen zu hart; leidenschaftlich erregt, brach er in die Worte aus: »Mein Herr, ich weiß wer ich bin, und wer Sie sind!« Fénélon sagte hierauf kein Wort, denn er fühlte, daß sein Zögling in dem Augenblicke nicht fähig sei, die Wahrheit zu vernehmen. Nur seine Miene drückte die Betrübniß seines Herzens aus; er sprach diesen Tag kein Wort mehr mit ihm. Am folgenden Morgen aber war der Herzog von Burgund kaum erwacht, als Fénélon, der dieß Mal die gewöhnliche zum Studiren bestimmte Stunde nicht abwarten wollte, auch schon in's Zimmer trat, und den bereits kleinlaut gewordenen jungen Menschen also anredete: »Ich weiß nicht, mein Herr, ob Sie sich noch der Worte erinnern, die Sie gestern zu mir gesagt haben: Sie wüßten wohl, wer Sie wären und wer ich wäre. Es ist meine Pflicht, Ihnen zu sagen, daß Sie weder das Eine noch das Andere wissen. Sie bilden sich also ein, Sie seien mehr als ich? Dieß haben Ihnen ohne Zweifel einige Bediente gesagt; ich aber nehme keinen Anstand, Ihnen zu sagen, daß ich mehr bin als Sie. Sie begreifen leicht, daß hier von der Geburt nicht die Rede ist. Sie würden Denjenigen für wahnsinnig halten, der es sich zum Verdienste anrechnen würde, daß ein fruchtbarer Regen auf seine Felder, nicht aber auf die seines Nachbars gefallen sei. Eben so unweise würden Sie sein, wenn Sie auf Ihre Geburt sich etwas einbilden wollten, die zu Ihren persönlichen Verdiensten nichts beiträgt. Sie werden zugestehen, daß ich in Bezug auf Einsichten und Kenntnisse über Ihnen stehe. Sie wissen nichts als was ich Sie gelehrt habe, und das, was ich Sie gelehrt habe, ist wenig gegen das, was mir zu lehren noch übrig bleibt. Ansehen haben Sie keines über mich; ich aber habe es voll und unumschränkt über Sie. Der König und Ihr Herr Vater haben Ihnen dieß oft genug gesagt. Sie glauben vielleicht, ich schätzte es für ein großes Glück, daß ich bei Ihnen angestellt bin. Geben Sie diesen Wahn auf! Bloß um dem Könige zu gehorchen und Ihrem Herrn Vater ein Vergnügen zu machen, habe ich in diese Anstellung gewilligt, nicht aber wegen des beschwerlichen Vortheils, Ihr Lehrer zu sein. Um Ihnen hierüber jeden Zweifel zu benehmen, werde ich Sie zum Könige führen, und Seine Majestät bitten, für Sie einen andern Lehrer zu ernennen, dem ich es wünsche, daß ihm seine Bemühungen besser gelingen mögen als mir.«

Der Prinz war tief beschämt und erschüttert; unter lautem Schluchzen stammelte er: »Ach, mein Herr, ich bin in Verzweiflung wegen des gestrigen Vorfalls. Theilen Sie die Sache dem Könige mit, so bringen Sie mich um seine Freundschaft … Verlassen Sie mich, was wird man von mir denken? Ich verspreche Ihnen, daß Sie von nun an mit mir zufrieden sein sollen … Aber versprechen Sie mir …«

Fénélon versprach nichts. Noch einen ganzen Tag ließ er den Prinzen in Ungewißheit, und erst dann, als er glaubte, von der Wahrhaftigkeit seiner Reue überzeugt zu sein, gab er seinen wiederholten Bitten und den Vorstellungen der Frau v. Maintenon Gehör, welche letztere man an diesem Auftritt Antheil nehmen ließ, um ihn desto feierlicher und wirksamer zu machen. Unter allen königlichen Prinzen war der Herzog von Burgund derjenige, welcher mit der zärtlichsten Dankbarkeit seinen Erziehern anhing, wie er auch der war, dem man in seiner Jugend am wenigsten geschmeichelt hatte.

Fénélon hatte sich, als er an den Hof kam, zwei Gesetze gemacht, von denen er nie abging; das erste, nie um eine Gnade für sich, das zweite, was seinem Herzen viel schwerer fiel, nie um eine Gnade für seine Anverwandte und Freunde anzuhalten. Nun war sein Gehalt nicht bedeutend, und er mußte oft Trinkgelder und sonst Ehrenausgaben bestreiten, die seine Kasse in Verwirrung brachten. Fünf Jahre lang befand er sich in dieser Lage, ohne daß Herr v. Beauvilliers oder Frau v. Maintenon ein Wort darüber vernahmen. Er suchte durch möglichste Oekonomie den Ausfall zu decken, und er brachte gern das Opfer der Entbehrung, da ihn hinlänglich die Freude lohnte, daß sein Zögling sich immer hoffnungsvoller entwickelte. Fénélon genoß schon im Geist der Wonne, Frankreich einen Herrscher erzogen zu haben, der Gerechtigkeit mit Milde, die Macht mit dem Recht zu paaren wußte. Es ist wohl keine zu gewagte Behauptung, daß, wenn der Herzog von Burgund am Leben geblieben wäre, auch die Geißel der Revolution nicht über Frankreich gekommen sein würde. Doch wer vermag die Wege des Schicksals- und die Rathschlüsse Dessen, der es in seiner Hand hält, zu deuten!

Fénélon hatte für seinen Zögling eine Geschichte Karls des Großen geschrieben, und in dem großen Kaiser das Muster eines christlichen Regenten gezeichnet. Leider ist das Werk bei dem Schloßbrande verloren gegangen. In seinem elften Jahre las der Prinz bereits den Tacitus, nachdem er den Livius schon ganz gelesen und den Cäsar übersetzt hatte. Der strenge Bossuet, der dem Gerücht von den großen Fortschritten des fürstlichen Knaben nicht recht traute, erbat sich eine Privatunterredung und bekannte nach derselben, daß hier keine Schmeichelei übertrieben habe.

Der König belohnte den Erzieher seines Neffen im Jahre 1694 mit der Abtei St. Valery und im folgenden Jahre mit dem Erzbisthum zu Cambrai. Doch sollte die königliche Gnadensonne dem guten Fénélon bald wieder untergehen. Den ersten Anlaß zu der nun folgenden nicht glücklichen Epoche Fénélons Leben gaben die Streitigkeiten über den Quietismus.

Es hatten nämlich einige Mönchsorden, besonders die Dominikaner und Jesuiten, in übertriebenem Eifer, die äußeren Werke der Frömmigkeit (Fasten, Beichten, Beten des Rosenkranzes etc.) wieder in Aufnahme zu bringen, eine Werkheiligkeit und Scheinheiligkeit hervorgerufen, die gefühlvolleren Seelen, denen die innere Frömmigkeit mehr galt als das äußere Werk, ein Aergerniß sein mußte. Viele fromme Gemüther nahmen ihre Zuflucht zur Mystik, und suchten den rechten Gottesdienst im seligen Gefühl der Verbindung mit Gott, wozu die Ruhe des Gemüths ( quies), das von allen weltlichen Einflüssen sich frei machen sollte, die erste Bedingung war. Daher der Name »Quietisten«. Eine am Hofe Ludwigs XIV. früher beliebte, reiche und schöne Wittwe, Madame Bouvier de la Motte Guyon, gab sich besonders dieser Richtung hin, zum großen Mißfallen der unter dem Einflusse der Jesuiten stehenden Frau von Maintenon, die sich vergeblich bemühete, Frau v. Guyon auf andere Gedanken zu bringen. Es lag in dem Quietismus allerdings ein protestantisches Element, das die äußeren Werke in Mißkredit zu bringen drohete, und Madame Guyon war in ihren Gefühlen und Einbildungen etwas überspannt. Aber sie meinte es mit ihrer Frömmigkeit redlich und ihre Tugend war ohne Tadel. Bossuet, das Orakel der französischen Theologie und ein eifriger Zionswächter, wollte dieser Ketzerei Einhalt gethan wissen; er hatte den König auf seiner Seite, und brachte es dahin, daß Madame Guyon sich in's Kloster zurückziehen mußte. Aber Fénélon hatte sich eifrigst der Dame angenommen, weil er ihre Ansichten mit seinen erhabenen Begriffen von der Liebe zu Gott übereinstimmend fand. Er wollte nicht das Ueberspannte und Irrthümliche der Frau in Schutz nehmen, nichts gegen das katholische Dogma in Umlauf bringen, nur das Recht des Gefühls, die Freiheit des inneren Menschen glaubte er selbst gegen einen König wie Ludwig XIV., und gegen einen Bischof wie Bossuet, in Schutz nehmen und vertheidigen zu müssen. Der despotische König stimmte hier ganz mit dem Dogmatiker, denn beiden lag daran, die Welt mit der Formel, mit der allgewaltig durchschlagenden Einheit zu beherrschen; beiden ward nun der gefühlsselige, zur Mystik geneigte Fénélon ein Stein des Anstoßes. Hatten sie auch das formelle Recht auf ihrer Seite, die Lehre des Quietismus zu verdammen, so blieb es doch ein Akt der Ungerechtigkeit, eine Person, die ihr anhing, in's Kloster zu sperren.

Es entspann sich nun jener traurig-berühmte Streit zwischen zwei Bischöfen, die beide achtbar durch ihre strenge Sittlichkeit wie ihren aufrichtigen Eifer für die Religion vor der Welt mit ihrem Zank ein großes Aergerniß gaben. Fénélon gab seine Explication des maximes des Saints sur la vie intérieure (Grundsätze der Heiligen) heraus, die allgemeines Aufsehen erregte, Bossuet verfaßte eine Gegenschrift, die mit vielem Scharfsinn verfaßte »Instruktion über die Zustände des Gebets,« und wollte Fénélon zum Widerruf seiner Grundsätze zwingen. Dieser beschloß, seine Sache der Entscheidung des Papstes anheim zu stellen, ja wollte selbst nach Rom, um sich zu vertheidigen; der König versagte ihm die Erlaubniß und verwies ihn in seine Diözese Cambrai. Kaum dort angekommen, schrieb er »die Pastoralinstruktionen«, worin er sich zu rechtfertigen suchte und Bossuet nicht wenig in's Gedränge brachte. Dieser rüstete sich zu einem entscheidenden Schlage, und verschmähete selbst die Verdächtigung und Verketzerung des edlen Fénélon nicht, er nannte ihn offen einen »Ketzer« – eine Waffe, mit der die Dogmatiker zu jeder Zeit ihre Streiche führen. In einem Briefe Fénélons an Bossuet findet sich folgende charakteristische Stelle:

»Möge der Papst mein Buch verdammen; möge so meine Person in der ganzen Kirche für immer gebrandmarkt werden, ich hoffe, durch die Gnade Gottes schweigen, gehorchen und mein Kreuz bis zum Ende tragen zu können. So lange aber der heilige Stuhl mir erlauben wird, meine Unschuld darzuthun, und so lange noch ein Funken von Leben in mir bleibt, werde ich nie aufhören, Himmel und Erde gegen die Ungerechtigkeit Ihrer Anklagen zu Zeugen anzurufen. – Unmöglich kann ich mich bei jeder Einwendung aufhalten, die Sie allenthalben anzubringen wissen: die Schwierigkeiten entstehen bei Ihnen unter jedem Federzuge. Mag auch in meinem Texte etwas noch so rein sein, sobald Sie darauf stoßen, verwandelt es sich in Irrthum und Gotteslästerung. Wie kann man sich aber darüber verwundern? Sie verkleinern oder vergrößern Alles, wie Sie es eben bedürfen, und bekümmern sich wenig darum, Ihre Ausdrücke mit einander zu vereinigen.« In der That galt dieß von Bossuets »Bericht über den Quietismus«, den man als ein Meisterstück polemischer Schreibart bewundern könnte, wenn nicht die leidenschaftlichste Härte, die Verdächtigungen, scheinbare Vertuschung von Manchem, »was wohl noch zu sagen wäre, aber besser verschwiegen bliebe« und dergleichen Kunststücke zu Hülfe nimmt, der Achtung vor dem Verfasser und seiner Schrift so vielen Eintrag thäte. Im Juni 1698 war Bossuet's »Bericht« erschienen; Jedermann glaubte, daß für Fénélon eine fernere Vertheidigung nicht wohl möglich sei; dieser hatte erst am 8. Juli die neue Anklage zu lesen bekommen, und schon am 30. August war seine Antwort gedruckt, die durch Klarheit der Darstellung, Ordnung und Genauigkeit in Anführung der Thatsachen, aber auch durch scharfe Dialektik mit dem Bericht des redegewaltigen Bossuet es wohl aufnehmen konnte. Alle Billigdenkenden in Paris und in Rom waren auf Fénélon's Seite, aber Bossuet, der überall den König hinter sich hatte und auf seine Orthodoxie pochte, wußte zu bewirken, daß 60 Lehrer der Sorbonne zwölf Sätze aus den »Grundsätzen der Heiligen« als verdammlich heraushoben, daß Louis XIV. selbst an den Papst die Bitte stellte, das Buch zu verdammen und den Verfasser desselben mit eigener Hand aus der Liste der Erzieher des Herzogs von Burgund strich. Vergeblich bat der junge Prinz fußfällig den König um Gnade für seinen geliebten Lehrer. Der Papst sammt dem Kardinalkollegium kannten und schätzten den frommen, der Kirche treu ergebenen Fénélon, sie zögerten lange mit der Verwerfung seiner Schrift, aber mit dem mächtigen König von Frankreich mochten sie es auch nicht gern verderben, und so erschien am 12. März 1690 in einem Breve des Papstes Innozenz XII. das Verwerfungsurtheil jedoch ohne das Wort »ketzerisch«.

Mit einer Geistesgegenwart und echt christlichen Ergebung, die allen seinen Freunden Thränen der Theilnahme und Bewunderung abnöthigte, publizirte Fénélon selbst die päpstliche Entscheidung, und bewies gerade durch diese Ruhe, wie unversehrt seine Tugend geblieben und wie wenig seine Gegner Ursache hatten, über solch einen Gegner zu triumphiren. Bossuet selber schien seine Hitze zu bereuen, Louis XIV. aber ward nun erst recht feindlich gesinnt, so daß er dem Erzbischof von Cambrai für immer den Hof verbot. Dazu mochte die Erscheinung des »Telemach« besonders beigetragen haben, die gerade um diese Zeit erfolgte. Fénélon hatte das Werk lediglich für seinen Zögling verfaßt, um in seiner Weise auf eine leichte gefällige Art den Schüler in die griechische Mythologie und alte Sagen-Geschichte einzuführen, aber ihm dabei im Telemach ein Bild seines leidenschaftlichen, oft unerfahrenen und getäuschten Wesens vorzuhalten, in der Person des Mentor ihm alle die Lehren, die namentlich für einen jungen Fürsten zu beherzigen sind, einzuprägen, die Fénélon selber so oft in mannigfacher Gestalt ihm an's Herz gelegt hatte. Durch die gefällige Einkleidung so vieler weiser und großer Lehren, durch die schöne korrekte Sprache und die außerordentliche Leichtigkeit und Gewandtheit, mit welcher die alten Sagen und Mythen zu einem Roman verarbeitet sind, ist das Werk gleicherweis pädagogisch bedeutsam wie eine Zierde der französischen Literatur geworden; der Abbé Terasson sagt nicht mit Unrecht vom Telemach: »Wenn das Glück der Menschheit durch ein Gedicht könnte bewerkstelligt werden, so müßte es durch den Telemach geschehen.« Der Verfasser hatte das Werk zu einem theuern Angebinde für den königlichen Schüler ausersehen; aber ein Diener entwendete ihm das Manuscript und übergab es in Paris dem Drucke, wo es unter dem Titel: »Fortsetzung des vierten Buches der Odyssee, oder Begebenheiten des Telemach« (Paris, bei der Wittwe des Claudius Balbin am Palaste, 6. April 1699) erschien. Sogleich benutzten die dem Erzbischof von Cambrai feindlich gesinnten Höflinge diese Gelegenheit, um dem König den Argwohn beizubringen, als sei unter den im Telemach aufgeführten Personen eine Anspielung auf Louis XIV. Regierung gemacht, in der Kalypse die Frau von Montespan, in der Eucharis das Fräulein Fontanges, in der Antiope die Herzogin von Burgund, im Protesilaus der Minister Louvois, in dem Idomeneus König Jakob von England, in dem Sesostris Ludwig selber gezeichnet. Fortan wurde dem jungen Herzog von Burgund aller Verkehr mit Fénélon untersagt, selbst die beiden Unterlehrer, die zwei oben genannten Abbés, wurden in seinen Fall mit hineingezogen, litten aber aus Liebe zu dem verehrten Manne mit Freuden die ungerechte Strafe. Der König nannte Fénélon einen Phantasten, der nichts von der Regierung verstehe und doch sich unterfangen habe, einen Fürsten zu bilden. Sein Unwille gegen den Telemach war so groß, daß Keiner von den Höflingen es wagte, auch nur den Namen auszusprechen, um nicht das königliche Ohr zu beleidigen, ja daß 16 Jahre nach dem Erscheinen des Telemach, als dies Buch schon in ganz Europa verbreitet und in verschiedene Sprachen übersetzt war, der Nachfolger Fénélons an der französischen Akademie, Herr von Boze, sich nicht getrauete, in seiner Lobrede des Erzbischofs von Cambrai des Telemach Erwähnung zu thun, so wie auch der Präsident der Akademie Dacier in seiner Antwort das gefährliche Wort sorgfältig vermied.

Der Brief, den der Herzog von Burgund an seinen ehemaligen Erzieher schrieb, ist zu charakteristisch und ehrenvoll für beide, als daß wir ihn auslassen könnten.

 

»Endlich, mein lieber Erzbischof, bietet sich mir eine Gelegenheit dar, das Stillschweigen zu brechen, das schon 4 Jahre dauerte. Ich habe seither viel gelitten, doch am schwersten fiel mir dieses, daß ich Ihnen nicht sagen konnte, was ich seit dieser Zeit für Sie fühlte, und daß meine Freundschaft durch Ihr Unglück nur zugenommen, keineswegs aber sich erkältet hat. Mit wahrem Vergnügen denke ich an den Zeitpunkt, wo ich Sie wieder einmal werde sehen können; nur fürchte ich, es könnte noch lange dauern. Man muß sich hier in den Willen Gottes ergeben, von dessen Barmherzigkeit ich stets neue Gnadenerweisungen empfange. Ich brach ihm mehrere Mal die Treue, seitdem ich Sie nicht mehr gesehen habe; aber er ließ mir stets die Gnade angedeihen, mich wieder zu sich zu rufen, und Dank sei ihm dafür! ich war nicht taub gegen seine Stimme. Seit einiger Zeit will es mir scheinen, als behauptete ich mich besser auf dem Pfade der Tugend. Beten Sie für mich zu Gott dem Herrn, daß er mich durch seine Gnade in meinen guten Entschlüssen stärken möge, seinem heiligen Willen zu folgen. Ich fahre fort, für mich allein zu studiren, obgleich ich seit zwei Jahren es nicht mehr so methodisch thue, doch macht es mir mehr Vergnügen als je. Die meiste Freude gewährt mir die Moral und Metaphysik, und ich kann gar nicht müde werden, mich damit zu beschäftigen. Ich habe einige kleine Aufsätze über diese Materien angefertigt, und wünschte nur, sie Ihnen zusenden zu können, damit Sie dieselben verbesserten, wie Sie es vormals mit meinen Aufgaben machten. Alles, was ich Ihnen sage, ist nicht recht zusammenhängend, aber daran liegt nichts. Ich melde Ihnen nichts davon, wie sehr mich Alles, was man in Hinsicht Ihrer vorgenommen hat, empört; aber man muß sich dem Willen Gottes unterwerfen und glauben, daß es zu unserem Besten geschehen ist. Lassen Sie diesen Brief keinen Menschen in der Welt sehen, nur den Abbé Langeron ausgenommen, wenn er wirklich zu Cambrai ist, denn auf seine Verschwiegenheit baue ich. Machen Sie ihm mein Kompliment, und versichern Sie ihn, daß seine Abwesenheit meine Freundschaft nicht vermindert hat. Schreiben Sie mir keine Antwort, außer auf einem recht sicheren Wege, und legen Sie Ihren Brief in das Packet des Herrn von Beauvilliers, sowie ich es mit dem meinigen thue; denn er ist der Einzige, dem ich mich anvertraue, indem er selbst wohl weiß, daß, wenn etwas herauskäme, er sich selbst am meisten schaden würde. – Adieu, mein theurer Erzbischof, ich umarme Sie von ganzem Herzen und werde vielleicht lange Zeit keine Gelegenheit haben, an Sie zu schreiben: ich bitte Sie um Ihr Gebet und Ihren Segen.

Ludwig«

 

Fénélon's Antwort enthält die zärtlichsten Ermahnungen für den jungen Prinzen, um ihn in seiner christlichen Gesinnung zu befestigen, aber kein Wort über das eigene Schicksal. »Ich spreche,« so heißt es am Schluß, »mit Ihnen nur von Gott und von Ihrer eigenen Person; von mir darf nicht die Rede sein. Mein Herz ist, dem Himmel sei dafür Dank gesagt, ruhig; mein größtes Kreuz ist, daß ich Sie nicht sehe. Aber vor Gott sind Sie mir ohne Unterlaß weit näher und inniger verbunden, als wenn Sie vor meinen Augen stünden; tausend Leben wollte ich wie einen Wassertropfen hingeben, wenn ich Sie so sehen könnte, wie Sie Gott haben will.«

Entfernt vom Hofe und seinen Kabalen konnte Fénélon um so nachdrücklicher seine Pflichten als Bischof erfüllen. Von der großen Bedeutung tüchtiger theologischer Seminare hatte er sich selber in St. Sulpice, wo er seine Bildung empfangen hatte, überzeugt; er gründete nun auch zu Cambrai ein Seminar und stellte es unter die Leitung des Abbé von Chanterac. Zur Belebung des wissenschaftlichen Studiums hielt er jede Woche im Seminare Konferenzen und sah streng dahin, daß die Kandidaten nur nach vorausgegangenen fünf Prüfungen zur Weihe zugelassen wurden. Er predigte während der Fastenzeit in allen Kirchen der Stadt, an Festtagen in der Domkirche. Seine Predigt war wie sein ganzes Wesen einfach und herzlich, aber von Geist durchdrungen, von Liebe beseelt, aus dem Herzen kommend, zum Herzen gehend. Er pflegte nur die Hauptgedanken sich vorher zu skizziren, um dem lebendigen Moment des Redens selber keinen Abbruch zu thun. Von der Kanzelberedsamkeit verlangte er keine Rednerkunst, wie sie Bossuet mit so viel Pracht entfaltete, sondern die Wirkung auf das Gemüth, die auch erfolgt ohne ein logisch-kunstgerecht durchgeführtes Thema mit seinen Ober- und Unterabtheilungen. Die Prediger sollten vor allen Dingen kurz sein und weder den Geistlichen noch das Volk ermüden. Fénélon's »Dialogen über die Kanzelberedsamkeit« enthalten sehr feine und richtige Bemerkungen und zeugen, wie die »geistlichen Briefe« (an Menschen von jedem Stand und Alter gerichtet) von großer Menschenkenntnis. Mit seltenem Takt wußte aber auch der Erzbischof mit Leuten aller Art umzugehen. Traf er auf seinen Spaziergängen Landleute an, so setzte er sich zu ihnen auf den Rasen, tröstete sie, wenn er durch wenige Fragen ihr Herz geöffnet hatte, und gab ihnen manchen guten Rath. Zuweilen besuchte er sie auch in ihren Hütten und nahm bereitwillig die Einladung an, an ihrer ländlichen Mahlzeit Theil zu nehmen. Obgleich die Revolution so vielfach das moralische Gefühl verwilderte, konnte sie doch bei den Flamländern das dankbare Andenken an Fénélon nicht in Vergessenheit bringen. Als man in Cambrai zufällig seine Gebeine wieder fand, brach alles Volk in lautes Entzücken aus.

Und doch war Fénélon, man möchte sagen, scrupulös streng, um nichts den Rechten seiner Kirche zu vergeben, und kein Haar breit von dem, was Papst und Konzilien festgesetzt hatten, abzuweichen. Als die Streitigkeiten über den Jansenismus wieder ausbrachen, veröffentlichte er seinen »Pastoralunterricht«, worin er in populärer Weise die Dogmen der Kirche entwickelte, nachdem er in seiner Beurtheilung des Jansenismus an dem Satze festgehalten hatte, die Kirche sei in Beurtheilung dogmatischer Thatsachen ebenso untrüglich als in Glaubensentscheidungen. Von seinem Standpunkte konnte er nicht anders urtheilen; aber die Dogmen waren bei ihm keineswegs der Götze, dem er opferte, sein Herz voll Liebe erhob ihn weit über den dogmatischen Standpunkt eines Bossuets.

Als Fénélon vom Hofe verwiesen wurde, stand Ludwig XIV. auf dem Gipfel seiner Macht; das Glück stachelte den ländersüchtigen König zu einem Raubkriege nach dem andern, wobei die eigenen Unterthanen bis auf's Blut ausgesogen wurden. Um den Uebergriffen Frankreichs ein Ende zu machen, hatten sich endlich Holland, England und Oesterreich verbündet, und im spanischen Erbfolgekriege Frankreich selber an den Rand des Verderbens gebracht. Noch ehe dieser Krieg ausbrach, hatte Fénélon, den Ludwig XIV. einen Phantasten nannte, mit sicherem politischen Blick (28. August 1701) eine Denkschrift an den Herzog von Beauvilliers gesandt, die das drohende Ungewitter hätte abwenden können, wenn man die gegebenen Rathschläge beherzigt haben würde. Nachdem der Krieg ausgebrochen war, schrieb er (1702) seine zweite Denkschrift, um den General Catinat und seinen Zögling, den Herzog von Burgund, zu empfehlen. Als dieser 1703 Generalissimus beider Armeen in Deutschland wurde (er hatte den genialen Vauban zur Seite), ertheilte ihm Fénélon die freundschaftlichsten und besten Rathschläge und hatte auch die Genugthuung, daß der Prinz durch seine Tapferkeit und Umsicht bewies, nicht blos zu Andachtsübungen erzogen worden zu sein. Im Jahre 1708 wurde der Herzog von Burgund Oberbefehlshaber in den Niederlanden, und die Belagerung von Lille brachte ihn in die Nähe seines geliebten Lehrers, mit dem er fleißig (aber immer noch heimlich) korrespondirte. Diese Korrespondenz giebt das rühmlichste Zeugniß von dem edlen Freimuth Fénélon's, der es wagen konnte, dem Prinzen ohne Umwege die Wahrheit zu sagen, und von dem Edelmuth des Prinzen, der die Wahrheit in jeder Form achtete. Fénélon durchschaute klar den tiefen Abgrund, in welchem das französische Reich sich befand, aber er mußte den großen Begebenheiten ihren Lauf lassen. Sein Haus war angefüllt mit kranken und verwundeten Soldaten, die er aufs beste verpflegte; er besuchte ohne Unterlaß die Spitäler, stellte seine Getreidevorräthe zu freier Disposition des Kriegsministers, und zeigte in dieser für Frankreich so unglücklichen Zeit die schönsten Tugenden von Muth und Entschlossenheit eines wahren Patrioten. Nicht bloß die eigenen Landsleute wußten ihn zu schätzen; als die Gegend von fremdem Kriegsvolk überschwemmt wurde, wetteiferten Engländer, Holländer und Deutsche mit den Bewohnern von Cambrai in den Ausdrücken der Verehrung, die sie dem geliebten Erzbischof zollten. In seiner Nähe schien aller Unterschied der Nationalität und des Glaubensbekenntnisses zu verschwinden, aller Haß und jede Eifersucht zu verstummen. Er mußte sich zuweilen vor den durchmarschirenden Truppen verbergen, nur um den ihm zugedachten Ehrenbezeugungen zu entgehen; die militärische Bedeckung, die sie ihm aus freiem Antriebe anboten, damit ihn der Krieg nicht in der Ausübung seiner Amtspflichten stören möchte, konnte er gleichfalls ablehnen, denn er konnte überall sicher sein, da das Volk wie der gemeine Soldat den frommen Mann kannte. In seinem Palaste versammelte er die unglücklichen Landbewohner um sich, welche der Krieg von ihrem heimathlichen Herde vertrieben hatte, um sie an seinem eigenen Tische zu speisen, bis weiter für sie gesorgt war. Einer jener armen Landleute mochte gar nichts essen, und als ihn Fénélon deshalb fragte, sagte jener: »Ach, Herr! als ich aus meinem Hause floh, hatte ich nicht Zeit, meine Kuh wegzubringen, und doch giebt diese meiner Familie den Lebensunterhalt. Nun wird sie der Feind in Beschlag nehmen, und ich werde nie wieder eine so vortreffliche Kuh erhalten!« Sogleich machte sich Fénélon, nur von einem Diener begleitet, auf den Weg, und brachte in eigner Person die Kuh dem Landmann wieder zurück. Es bedarf nur dieses einzigen Zuges, um den Charakter Fénélon's in seiner ganzen sittlichen Schönheit und Würde darzustellen.

Endlich ward das Glück den Franzosen wieder günstig; Kaiser Joseph starb, Marlborough fiel in Ungnade, die Königin Anna war für den Frieden. Der schwache Dauphin von Frankreich war 1711 an den Blattern gestorben, und Louis XIV., der von den vortrefflichen Eigenschaften des Herzogs von Burgund sich überzeugt hatte, nahm diesen zum Mitregenten an, zum Jubel des ganzen Landes. Fénélon feierte einen wohlverdienten Triumph, denn unermüdlich dachte er Tag und Nacht über das Wohl des Reiches und eine vernünftige Politik nach, die fortan zu befolgen sei. Er arbeitete noch am Schluß des Jahres 1711 eine Reihe von Aufsätzen aus, die des besten Staatsmanns würdig sind. Es kommen darin Gedanken über Staatsökonomie und Volkswirthschaftslehre vor, die erst eine spätere Zeit würdigen lernte. Die Privilegien des Adels sollten nicht minder wie der unnütze Aufwand bei Hofe eingeschränkt werden, Landstände für die Verwaltung der Provinzen sollten die königlichen Intendanten entbehrlich machen. Die Rechtspflege sollte vereinfacht und auch das Heer reformirt werden. – Doch der Entwurf sollte nur Entwurf bleiben, denn drei Monate nach Abfassung desselben starb der Herzog von Burgund, 29 Jahr alt, den 18. Februar 1712, In all' seinem Schmerz raffte Fénélon doch noch seine Kräfte zusammen, um einen Regentschaftsrath in einer Denkschrift vorzuschlagen, von welchem der liederliche Herzog von Orleans ausgeschlossen werden sollte. Selbst für die Arbeiten der Akademie fand er noch Zeit, indem er einen Reformplan des französischen Wörterbuchs entwarf.

Sein schwächlicher Körper war aber so vielen Anstrengungen nicht gewachsen, und die Leiden der Seele beschleunigten sein Ende. Der Tod des Herrn von Beauvilliers, seines innig geliebten Freundes, war der letzte harte Schlag, der ihn traf. Gleich nach demselben schrieb er (am 1. Januar 1715); »Bald werden wir Alles finden, was wir nicht können verloren haben; noch eine kleine Weile und wir haben nichts mehr zu beweinen.« Drei Tage nachher warf ihn ein Fieber auf das Krankenlager; er starb voll freudigen Glaubens am 7. Januar 1715 in einem Alter von 64 Jahren 5 Monaten. Sein Tod verbreitete über das ganze Land Bestürzung und Wehmuth. Der Papst Clemens XI. vergoß Thränen und bedauerte, den frommen Erzbischof nicht zum Kardinal gemacht zu haben, wovon ihn seine Furcht vor Ludwig XIV. abgehalten hatte. Dieser frömmelnde Despot blieb ungerührt, als er die Todesnachricht vernahm. Desto wärmer war der Antheil, den das Ausland und selbst die Protestanten an Fénélon's Tode nahmen. Der berühmte Dichter Johann Baptist Rousseau, der zu jener Zeit im Auslande reiste, schildert lebhaft den Eindruck, und schrieb an einen würdigen Protestanten die bezeichnenden Worte: »Große Talente gehören allen Ländern und Kirchen an, und mich nimmt's daher nicht Wunder, wenn Sie so gerührt bei dem Verluste sind, den die Kirche und die gelehrte Welt an der Person des Herrn Erzbischofs von Cambrai erlitten haben. In einem Jahrhundert, wo echtes Verdienst so selten wird, muß jeder ehrliche Mann einen so wahrhaft großen Mann betrauern; sein Ruhm wird so lange leben, als es Menschen auf der Erde giebt, die Sinn für wahre Tugend und echtes Verdienst haben, – und zur Schande unsrer Nation sei es gesagt, vielleicht wird gerade bei uns sein Tod am wenigsten beweint werden.«

Bei allen schätzbaren Eigenschaften des französischen Volks geht doch das Höflingswesen durch alle Klassen. Der von jeher üblich gewesenen Sitte nach sollte dem verstorbenen Erzbischof eine Leichenrede gehalten werden, aber das Domkapitel wollte nicht bei Hofe anstoßen, und meinte, es möchte doch wohl schicklicher sein, unter den jetzigen Umständen von dem Herkommen abzuweichen. Allerdings bedurfte der Ruhm Fénélon's des äußeren Gepränges nicht; hatte er doch bei Lebzeiten der Freundschaft und Liebe der Edelsten sich erfreuen können. Und mit einem Wort über sein »Freundschaftsgenie« wollen wir sein Lebensbild beschließen.

Das Herz Fénélon's war ganz zur Freundschaft geschaffen; sie war bei ihm nicht bloß Neigung, sondern Leidenschaft, und doch ertrug er mit wahrhaft christlicher Größe manche Schmerzen, die sie ihm verursachte, und stand erhaben über jeden Egoismus. »Ich lebe bloß noch von Freundschaft,« sagte er am Ende seines Lebens, »und die Freundschaft wird mir auch noch den Tod bringen.« Es hat aber auch kein Schriftsteller mit größerer Zartheit darüber geschrieben als Fénélon. Er verknüpfte sie mit der christlichen Liebe, aber vermischte sie nicht damit; der Glaube sollte sie heiligen und vollenden, aber nicht absorbiren. »Nichts ist so zart, so offen, so lebendig, so sanft, so lieblich und hingebend als ein Herz, das eine von der Religion gereinigte Freundschaft besitzt.« Diese Worte zeichnen ganz den Verfasser des Telemach, rechtfertigen aber auch die Anhänglichkeit, die ihm seine Freunde bewahrten, als er in Ungnade gefallen war. Wenn Frau v. Maintenon eine Ausnahme machte, so lag die Schuld wahrlich nicht an Fénélon, sondern an ihrem kalten berechnenden Geiste, dem die Gefühle der Seele untergeordnet waren wie das Mittel dem Zweck.

»Fénélon,« sagt Saint-Simon, »hatte mehr als irgend Einer die Gabe zu gefallen, ja recht eigentlich Talente dafür, eine Sanftmuth, Biegsamkeit, natürliche Anmuth, die aus unerschöpflicher Quelle hervorsprudelten. Man mußte sich selber Zwang anthun, um aufzuhören, ihn zu betrachten; alle seine Manieren und Bewegungen entsprachen dem nicht zu beschreibenden Reiz seiner Physiognomie; mit einer Leichtigkeit, die sich Allen mittheilte, verband er in seiner Unterhaltung jenen guter Geschmack, der nur in der besten Gesellschaft gewonnen wird. Er wollte nie mehr Verstand haben oder zeigen als die, mit denen er sprach, versetzte sich in den Gesichtspunkt eines Jeden, und er ließ Keinem merken, daß er sich herabließ, also, daß man ihn nicht verlassen konnte ohne den Entschluß, ihn wieder aufzusuchen.«

Fénélon stellte den Menschen die Grundsätze der Tugend und Religion niemals in der Strenge des Pflichtgebots, als ein »du sollst«, sondern als Mittel vor, durch welches sie zuerst ihr eigenes Wohl und damit das Wohl Derer förderten, mit denen Gott sie verbunden habe. Immer war er ihr Freund, den sie fragten, den sie hörten, der ihnen nie untreu ward, der nicht von Amtswegen, sondern aus persönlicher Theilnahme an ihrem Wohl und Wehe zu ihnen sprach. Wie hätten sie einen Mann nicht lieben sollen, der sie mit so zarten Banden an sich fesselte, und wie seinem Wort nicht glauben, das nur die Freundschaft diktirt? Hier, auf dem Gebiet des Herzens, lag die Quelle der Beredsamkeit Fénélon's und aller seiner praktischen Erfolge.

Als Erzbischof in Cambrai führte er ein wahres Stillleben. Es war ihm von Jugend auf zur Gewohnheit geworden, nur einige Stunden dem Schlafe zu widmen und sehr früh aufzustehen. Er las täglich in seiner Kapelle die Messe, am Sonnabend aber in seiner Hauptkirche, und diesen Tag hatte er dazu bestimmt, um Jeden, der es verlangte, Beichte zu hören. Der Sitte der Vorzeit gemäß speiste er um Mittag; seine Tafel war stets prächtig besetzt, aber nur seines hohen Ranges willen, denn er selber genoß nur leichte und sehr wenige Speise, sein Trank war ein leichter weißer Wein. Dieser etwas übertriebenen Nüchternheit schrieb man seine große Magerkeit zu. Wenn sonst die Bischöfe von höherem Range für ihre Sekretäre und Almosenpfleger besondere Tische decken ließen, so mußten mit Fénélon alle Geistliche speisen, die zu seinem Dienst waren, und besuchte ihn Einer, so mußte dieser, gleichviel ob Hoch oder Niedrig, zu seiner Rechten sitzen. Dreizehn bis vierzehn Personen waren in der Regel an der Tafel des Erzbischofs von Cambrai versammelt; das Gespräch war lebhaft und ungezwungen. Kurz vor 9 Uhr kam man wieder zum Abendessen zusammen, wovon jedoch Fénélon kaum kostete. Mit einem Abendgebet des Almosenpflegers und dem Segen des Prälaten ward der Tag beschlossen.

Nachdem ihm 1697 sein Palast abgebrannt war, ließ er ein schöneres Gebäude aufführen und höchst geschmackvoll einrichten. Der erzbischöfliche Saal war mit schönen Hautelice-Tapeten behängt, welche die Schöpfungsgeschichte vorstellten; der Baldachin, unter welchem sich das erzbischöfliche Kreuz befand, war aus Carmoisin-Sammt und stand auf einem großen Fußteppich; ebenso waren die Sofas, Armsessel und Vorhänge aus rothem Sammet und mit goldenen Fransen und Tressen besetzt. Dieser Baldachinsaal stieß an das geräumige Schlafzimmer, das mit Carmoisin-Damast ausgeschlagen war; aus demselben Stoffe bestand das Bett, an dessen Seiten werthvolle Gemälde hingen. Aus dem Schlafzimmer kam man in die wohleingerichtete Bibliothek. Alle Kamine bestanden aus jaspisartigem Marmor; die Fußböden waren getäfelt und in der größten Reinlichkeit erhalten. So hatte es Fénélon für den Erzbischof einrichten lassen; für seine Person hatte er sich aber ein ganz kleines Schlafzimmer neben dem großen eingerichtet, dessen Wände, Bett und Sessel nur mit einem weißgrauen wollenen Zeuge überzogen waren. Seine Wappen hatte er weder an seinen Kaminen, Thüren, noch viel weniger am Baldachin anbringen lassen, denn das Haus war ja nicht für ihn und seine Familie, sondern für Bischöfe aus den verschiedensten Familien erbaut.

Das Hauptvergnügen Fénélon's war, einen guten Freund in seinem gastfreien Hause zu bewirthen, und mit ihm unter anregendem Gespräch in Gottes freier Natur spazieren zu gehen.


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