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siehe Bildunterschrift

Georg Stephenson

Georg Stephenson.

Die Wahrheit, von einem einzelnen einsamen Denker ausgesprochen, wird alsbald von Tausenden mit- und nachgedacht, zeugt neue fruchtbare Gedanken; die unscheinbare Entdeckung, die zuerst nur den Erfinder interessirt, wird vor Ablauf des Jahrhunderts zu einer Angelegenheit des Volkes, ja ganzer Nationen. Die Rollbahnen in den Bergwerken führen hinaus auf die Heerstraße und werden zur Eisenbahn für das Volk, welche den Verkehr von Millionen Menschen, den Handelstransport unendlicher Waarenschätze vermittelt.

Im Jahre 1769 hatte James Watt die erste moderne Dampfmaschine aufgestellt, und schon 1778 baute der französische Ingenieur Cugnot die erste Lokomotive, von welcher freilich der Erfinder glaubte, sie könne auf dem Straßenpflaster laufen. Als die starke Maschine den Ueberschuß ihrer Kraft an der Mauer des Arsenals ausließ, welche sie einrannte, stellte man sie bei Seite, und es verfloß das ganze achtzehnte Jahrhundert, ohne daß die Erfindungen auf dem Gebiete der Ortsbewegung durch Dampf Fortschritte machten. Im Jahre 1802 baute der Engländer Trevethik eine schon recht zweckmäßig konstruirte Lokomotive; doch er war von dem leidigen Irrthum beherrscht, daß ein glattes Rad auf glatter Schiene sich nicht fortbewegen könne, weil es an der nöthigen Reibung fehle. So brachte er denn Nägel am Rad und Querfalze an der Schiene an. Das gab natürlich arge Stöße, und Nägel wie Falze waren bald abgenutzt. Blenkinsop glaubte dem Uebelstande am besten abhelfen zu können, indem er 1811 ein gekerbtes Schienengeleis legte, in welches die gezähnten Räder seiner Maschine eingreifen sollten. Bei der geringsten Seitenbewegung brachen aber die Zähne, und man war rathlos, da auch der Versuch Chapmans, durch Ketten eine starke Reibung hervorzubringen, eben so unglücklich ausfiel, wie die Einrichtung Burntons, der (1813) an dem hinteren Ende einen Mechanismus wie zwei Pferdefüße anbrachte, die sich ähnlich wie diese bewegten. Doch schon im folgenden Jahre (1814) entdeckte Blackett, daß selbst solche Körper, deren Oberfläche uns glatt erscheint, noch Friktion genug besitzen und besondere Reibungsapparate gar nichts nöthig seien. Damit war denn der durch viele Jahre gehegte Irrthum gefallen und die Lösung des Problems angebahnt, welche zum Bau der ersten brauchbaren Lokomotive durch Georg und Robert Stephenson führte.

Der Ingenieur Robert Stephenson war der Sohn von Georg Stephenson, dem Begründer der modernen Eisenbahnen. Selten haben Vater und Sohn für einen großen Zweck so einmüthig und beharrlich zusammen gearbeitet, wie die Stephenson.

Georg Stephenson wurde am 9. Januar 1781 als das zweite von sechs Kindern von armen, aber braven und fleißigen Eltern geboren. Sein Vater war Heizer bei der Dampfmaschine des Kohlenwerks zu Wylam bei Newcastle, ein Arbeiter, der gerade so viel verdiente, um sich und die Seinen ehrlich durch die Welt zu bringen. Jedermann hatte ihn gern wegen seines leutseligen Wesens, und namentlich die Kinder des Dorfes hingen ihm an, denn der anspruchslose Heizer wußte Abends beim Feuer der Pumpmaschine gar schöne und wunderbare Geschichten zu erzählen. Er hatte auch viel Sinn für die Natur, namentlich für die Vögel. Eines Tages nahm er seinen kleinen Georg mit, damit derselbe zum ersten Mal ein Amselnest sehen möchte. Den Knaben mit den Armen emporhaltend, ließ er ihn eine Weile in's Nest voll junger Vögelchen schauen – ein Anblick, von welchem der Mann noch mit Entzücken erzählte, wenn er auf seine Jugendzeit zu sprechen kam.

Von Schulunterricht war keine Rede, ein solcher wäre für die arme Familie zu kostspielig gewesen. Der kleine Georg mußte seinem Vater das Essen bringen und daheim die jüngern Brüder und Schwestern hüten und sie namentlich abhalten, daß sie nicht auf den Holzschienenweg sich setzten, auf welchem die Kohlenwagen rollten. Diese Kohlenwagen wurden von Pferden gezogen; die hölzernen Schienen von Wylam sollten aber die ersten sein, auf denen eine Lokomotive fuhr.

Da die Kohlengrube auf der Nordseite erschöpft und die alte Maschine abgebrochen worden war, zogen die Stephenson nach Dewley-Burn. Georg war acht Jahre alt. Eine Wittwe hatte daselbst ein kleines Bauerngut und suchte einen Hüterbuben für ihre Kühe. Georg bewarb sich um dieses bescheidene Amt und erhielt es zu seiner großen Freude um den Tagelohn von zwei Pence (sechs Kreuzer). Das Hirtenamt gewährte ihm Muße genug, Vogelnester zu suchen, und – mit einem Kameraden allerlei Maschinen aus Thon zu bauen, denn das größte Verlangen des Knaben war, auch einmal wie sein Vater bei einer Dampfmaschine angestellt zu werden.

Doch die Stelle eines Heizers war für einen unerwachsenen Buben ein viel zu glänzendes und hohes Ideal, zu dem erst durch mancherlei andere Aemter emporgestiegen werden mußte. Der arbeitslustige Knabe ward also vorerst Rübenbehacker mit vier Pence täglichen Lohnes; darauf ward er seinem älteren Bruder Jakob beigegeben, um aus den Kohlen die Steine und unbrauchbaren Schlacken auszulesen; er stieg höher und erhielt die Weisung, das Maschinenpferd anzutreiben; endlich, als er vierzehn Jahre alt geworden war, wurde er Gehülfe seines Vaters beim Heizen, mit einem Schilling täglichen Lohnes.

Nachdem auch die Grube zu Dewley-Burn erschöpft war, zog die Familie abermals weiter nach Jolly's Close, nahe dem Dorfe Newburn, nach einem Kohlenwerk des Herzogs von Northumberland. Georg war so fleißig und ordentlich in seinem Dienst, daß er in seinem fünfzehnten Jahre Zapfner (Plugman) mit zwölf Schilling Wochenlohn wurde, und als er seinen ersten vermehrten Lohn empfing, rief er jubelnd aus: »Jetzt bin ich ein gemachter Mann mein Leben lang!«

Als Maschinenbursche hatte Georg darüber zu wachen, daß die Maschine nicht in's Stocken gerieth und die Pumpen beim Ausschöpfen des Wassers immer gehörig anzogen. War das Wasser in der Grube tief gesunken, so daß die Sauglöcher über dem Wasser standen, so mußte der Bursch in den Schacht hinabsteigen und ein Stück ansetzen, damit die Pumpe zog. Trat ein erheblicher Schaden oder Mangel ein, so mußte der Oberingenieur des Kohlenwerkes herbeigeholt werden. Georg sorgte jedoch dafür, daß dies so selten als möglich geschah. Er ward bald mit seiner Maschine so vertraut, daß er sie in- und auswendig kannte, nahm auch in seinen Mußestunden diese und jene Theile auseinander, um sie gründlicher kennen zu lernen. Er hielt Schrauben und Räder, Stempel und Griffe so rein und blank, wie ein mahrattischer Kanonier seine Kanone, und war in seine Maschine recht eigentlich verliebt.

Der biedere alte Heizer Stephenson blickte mit freudigem Stolz auf seinen Sohn, der ihn bereits überholt hatte. Georg fuhr fort, aus Thon allerlei Maschinen zu modelliren, namentlich solche, die man ihm beschrieben hatte und deren Einrichtung er sich auf solche Weise veranschaulichen wollte. Als man ihm sagte, daß alle die wunderbaren Maschinen von Watt und Boulton, von denen er gern mehr gewußt hätte, in Büchern beschrieben seien, da empfand er es schmerzlich, nicht lesen zu können. Dieses Mittel der Fortbildung mußte er, es koste was es wolle, sich erwerben, und so ging er drei Mal in der Woche in eine benachbarte Abendschule, wo er für drei Pence wöchentlich das Buchstabiren und Lesen erlernte und es auch im Schreiben so weit brachte, daß er, neunzehn Jahre alt, seinen Namen schreiben konnte. Im Winter 179' kam ein schottischer Pfarrvikar nach Newburn; bei diesem erlernte Georg auch das Rechnen. Er benutzte mit eiserner Ausdauer jede freie Minute, um die Exempel, die ihm der Lehrer auf die Tafel geschrieben hatte, zu lösen, und machte bald solche Fortschritte, daß er alle Schüler jener Abendschule einholte und übertraf.

Im Jahre 1801 ward Georg, nachdem er das Bremsen gelernt, nach dem Kohlenwerk Black Callerton versetzt, und zwar als Brakesman (Bremser) mit dem für seine Jahre einträglichen Lohn von einem Pfund Sterling in der Woche. Ein Bremser mußte sehr pünktlich und zuverlässig sein. Waren nämlich die durch Maschinenkraft heraufgewundenen Körbe oben angelangt, so ließ sich eine Glocke hören. Dann mußte der Bremser die Geschwindigkeit mäßigen, was dadurch geschah, daß er die mit den Dampfventilen in Verbindung stehende Vorrichtung erfaßte und darauf eine große hölzerne Bremse gegen das Schwungrad drückte. Georg war glücklich im neu erlangten Beruf. Nun erwachte aber auch die Liebe in seinem Herzen. Er hatte Fanny Henderson, ein bescheidenes, verständiges und hübsches Mädchen – sie diente in einem Bauernhause – kennen gelernt und zu seiner künftigen Ehefrau erkoren Von dem großen mechanischen Talent des Bräutigams erhielt Fanny die erste überzeugende Probe dadurch, daß Georg ihr – ein Paar Schuhe besohlte, denn mit der sehr nützlichen Kunst des Schuhausbesserns hatte sich der junge Mann längst vertraut gemacht. Welche Freude, als er an einem Sonntag Nachmittag die fertig gewordenen Schuhe in die Tasche stecken und seinem Schatz überbringen konnte! Er konnte es nicht lassen, die Schuhe wieder aus der Tasche zu ziehen und sie einem vorübergehenden Freunde zu zeigen: »Sind es nicht wundernette Schühchen?« so rief er ein Mal über das andere aus.

Durch Sparsamkeit, Mäßigkeit und unermüdlichen Fleiß hatte sich Georg so viel erspart, daß er, nach Willington Quay versetzt, sich dort ein eigenes Häuschen miethen und mit dem nöthigsten Hausrath versehen konnte. Am 28. November 1802 ward er mit Fanny getraut, begab sich mit seiner jungen Frau zuerst nach Jolly's Close, um vom alten Robert Stephenson und seiner braven Mutter sich den elterlichen Segen zu erbitten, und ritt sodann auf einem kräftigen Bauernpferde, die junge Mistreß George Stephenson hinter sich, stolz nach seiner neuen, fünfzehn englische Meilen entfernten Heimath.

Dort wurde ihm am 16. Dezember 1803 sein einziger Sohn Robert geboren, und dieser war schon als zartes Kind Zeuge von dem Fleiß und der Ordnungsliebe seiner Eltern. Um noch etwas nebenbei zu verdienen, setzte Stephenson das Schuhmachen fort und fügte sogar noch das Schneidern hinzu. Nachdem ein Feuer in seinem Hause ausgebrochen, jedoch schnell gelöscht worden war, machte er sich an die Reparatur seiner Achttage-Uhr, und die gelang ihm so gut, daß er bald in den Ruf eines sehr geschickten Uhrmachers kam. Etwa drei Jahre blieb er als Bremser in Willington und zog dann nach Killingworth, um dort in gleicher Eigenschaft sich am West-Moor-Kohlenwerk verwenden zu lassen. Hier zu Killingworth ward sein außerordentliches Talent zuerst von seinen Arbeitgebern erkannt und sein Ruhm als Ingenieur und Erfinder begründet, ein Ruhm, der seinen Namen über den ganzen Erdkreis trug. Aber es waren noch viel Schwierigkeiten zu überwinden, noch manche Sorge, mancher Schmerz, manche Entbehrung und Selbstverleugnung mußten von dem Strebenden durchgekämpft werden.

Das erste große Unglück, das den starken Mann gewaltig erschütterte, war der Tod seiner innig geliebten Frau. Von den Besitzern der großen Kohlenwerke bei Montrose in Schottland bekam er einen Ruf, als Maschinenmeister bei ihnen einzutreten, und er schnürte sein Bündel, um zu Fuß nach Schottland zu wandern, nachdem er sein Kind einem achtungswerthen Nachbar in die Kost gegeben hatte. Die Sehnsucht nach seinem Robert trieb ihn schon nach Jahresfrist wieder heim. Kaum nach Hause zurückgekehrt, kam die Trauerkunde, sein alter Vater sei erblindet. Derselbe hatte im Innern der Maschine etwas ausbessern wollen und ein anderer Arbeiter zufälliger Weise den Dampf einströmen lassen, der dem armen Stephenson gerade in's Gesicht drang und das Augenlicht für immer raubte. Von seinen übrigen Söhnen konnte der Verunglückte keine Unterstützung hoffen, Georg aber lud alsbald die Eltern zu sich ein, bezahlte ihre Schulden und miethete ihnen auf seine Kosten eine Wohnung. Er selber ließ sich wieder als Bremser anstellen und blickte nicht ohne schwere Sorgen in die Zukunft; denn die Lage der arbeitenden Klassen war in den Kriegsjahren 1807 und 1808, wo die Industrie sehr darnieder lag, eine schwankende und gedrückte. Lord Castlereagh hatte überdieß im Parlamente eine Bill durchgesetzt, nach welcher zwanzigtausend Mann Lokalmiliz ausgehoben werden sollten, und Georg Stephenson gehörte zu denen, welche sich stellen sollten. Er mußte entweder die Muskete in die Hand nehmen oder einen Ersatzmann stellen; er entschied sich für das Letztere, mußte nun aber auch den letzten, so mühsam ersparten Schilling zum Opfer bringen. Es kam ihm der Gedanke, ob er nicht lieber nach Amerika auswandern sollte? Doch zur Ueberfahrt und Ansiedlung in der neuen Welt fehlten ihm die Mittel. Wie ihm damals zu Muthe war, schilderte er später einem Freunde: »Du kennst den Weg von meinem Hause zu West-Moor nach Killingworth. O, welche bittere Thräne vergoß ich, wenn ich diesen Weg ging; denn dunkel, dunkel lag die Zukunft vor mir!«

Es sollte aber bald »Licht« werden. Die Vorsehung hatte ihn zu Höherem bestimmt, als in den Wildnissen Amerika's das Land zu bauen. Gerade die Armuth, welche ihn an den Ort fesselte, ward ihm zum Heil. Die Taue, welche durch die Hebemaschine die Kohlen aus der Tiefe heraufzogen, nützten sich rasch ab, und da der Hanf sehr theuer geworden war in Folge des durch den Krieg unterbrochenen Handels mit Rußland, so war jede Verbesserung, welche längere Erhaltung des Seilwerks mit sich führte, von großem Werth. Stephenson schlug vor, die Stellung der Zugrollen zu ändern, der Oberaufseher des Kohlenwerks ging auf den Vorschlag des Bremsers ein, und der gewonnene Vortheil sprang sogleich in die Augen. Bald nachher zeigte sich wieder eine Gelegenheit, bei der Stephenson sein Licht konnte leuchten lassen. Im Jahre 1810 ward im Dorfe Killingworth ein Schacht abgeteuft und dazu eine atmosphärische oder Newcome'sche Maschine aufgestellt, welche sehr schlecht pumpte, so daß alle Maschinenmeister der Umgegend zu Hülfe gerufen wurden und dennoch das Wasser in der Grube mehr zu- als abnahm. Stephenson hatte in aller Stille die Maschine öfters in Augenschein genommen und bald ihre Fehler erkannt. Ein Schachtarbeiter, der ihn bei Untersuchung der Maschine antraf, sagte zu ihm: »Nun, Georg, was ist deine Meinung? Glaubst du, du wissest Etwas, um sie zu verbessern?«

»Ich sage dir, Mann,« erwiederte Stephenson, »ich kann sie verbessern und machen, daß sie zieht; in Zeit von einer Woche könnte ich machen, daß du hinunterkommst.« Diese Worte hinterbrachte der Arbeiter dem Oberaufseher Ralph Dods, welcher alsbald den Bremser kommen ließ und ihm alles zu Gebote stellte, um die Reparatur sogleich zu beginnen. In kurzer Zeit war das Werk vollbracht; der Oberaufseher, hoch erfreut, machte dem intelligenten Bremser ein Geschenk von zehn Guineen, und es kam nun ein Antrag nach dem anderen an den Maschinenarzt Georg, die Pumpenmaschinen auszubessern und zu vervollkommnen. Das Erfreulichste für Stephenson war aber, daß er im Jahre 1812 als Maschinenmeister angestellt wurde mit einem jährlichen Gehalt von hundert Pfund und einem eigenen Reitpferd für seine Inspektionsreisen.

Seine bessere ökonomische Lage kam dem Sohne Robert zu Statten, für dessen gute Schulbildung der Vater die größte Sorge trug. Robert machte in der Schule zu Newcastle die erfreulichsten Fortschritte und der Vater lernte mit ihm und bildete sich mit ihm weiter. Am Samstag Nachmittag kam Robert nach Killingworth hinaus und brachte einen Band der Edinburger Encyklopädie oder des Repertoriums der Künste und Wissenschaften mit. Das gab für die Abendstunden trefflichen Stoff zu Gesprächen zwischen Vater und Sohn. Da Robert die Bücher wieder zurückbringen mußte, so excerpirte er fleißig und kopirte für den Vater auch die interessantesten Pläne und Zeichnungen. Dieser seinerseits brachte eine vortreffliche Methode in Anwendung; er ließ seinen Robert die Pläne studiren und erklären, ohne daß derselbe im Texte nachlesen durfte, und pflegte zu ihm zu sagen: »Eine gute Zeichnung, ein guter Plan müssen sich selbst erklären.« So lernte Robert Zeichnungen und Risse so leicht lesen, als wenn er ein Buch vor sich gehabt hätte.

Wie im Vater lebte auch im Sohne der gleiche praktische Sinn; was er gelesen hatte, das suchte er auch anzuwenden und zu erproben. Einst kaufte sich Robert, nachdem er von dem berühmten Versuche Franklins, den Blitz zur Erde zu leiten, gelesen hatte, von seinem ersparten Taschengelde einige tausend Fuß Kupferdraht, knüpfte denselben an den Drachen, den er insgeheim angefertigt hatte und nun zur Ueberraschung seines Vaters vor dem elterlichen Hause steigen ließ. Wohlweislich hatte er den Draht mit einem seidenen Taschentuche isolirt. Vor der Hausthür stand der väterliche Pony, bereit, seinen Herrn aufzunehmen. Robert lenkte nun seine Schritte auf das Pferd und brachte das Ende des Kupferdrahtes genau auf's Kreuz des Pferdes, welches einen so starken elektrischen Schlag bekam, daß es fast zu Boden stürzte. Im gleichen Moment trat der Vater mit der Reitpeitsche in der Hand aus dem Hause und sah, welchen Streich der Junge dem armen Thiere spielte. »Wart', du Schlingel!« – Robert sprang schnell davon, und der Zorn des Alten war bald vorüber, da er im Grunde des gelungenen Experimentes des Jungen sich freute.

Inzwischen waren von mehreren englischen Mechanikern Lokomotiven gebaut worden, welche den Kohlentransport erleichtern und minder kostspielig machen sollten. Stephenson war eifrig bemüht, die Einrichtung dieser Maschinen zu erforschen und dachte Tag und Nacht auf Mittel, wie man sie wohl noch vervollkommnen könnte. Es war im Jahre 1813, daß er den Pächtern der Killingworther Kohlenwerke zum ersten Mal von seiner Absicht sprach, eine »Reisemaschine« – so nannte er dazumal die ortverändernde Maschine – zu bauen. Lord Ravensworth, der Haupttheilhaber der Kohlengruben, ließ sich den Plan von Stephenson auseinandersetzen, faßte Zutrauen und ermuthigte den strebsamen Mechanikus, auf seine Kosten eine Lokomotive zu bauen. Viele nannten Seine Lordschaft einen Narren, daß er Geld zu einem solchen Unternehmen hinauswerfe. Stephenson brachte aber seine Lokomotive glücklich zu Stande und nannte sie »Mylord«. Sie zog achtzig Tonnen Gewicht auf vier englische Meilen in der Stunde, und die Kosten kamen denen eines Pferdes gleich. »Was ist damit gewonnen?« riefen die weisen Sachverständigen. –

»Alles ist gewonnen!« rief der geniale Stephenson, der bereits an diesem ersten Versuch erkannt hatte, was an seiner Maschine noch zu ändern und zu bessern sei, um ihr größere Kraft und Schnelligkeit zu geben.

Der Dampf war zischend in die Lust entwichen, zum Schrecken für Pferde und für Vieh jeder Art. Ein in der Nähe wohnender Gutsbesitzer drohte sogar schon den Grubenpächtern mit einem Prozeß, wenn dem Unfug nicht bald ein Ende gemacht würde. Stephenson's Scharfblick hatte aber bereits erkannt, daß der Dampf mit viel größerer Schnelligkeit aus der Austrittsröhre strömte, als der Rauch aus dem Schornstein der Maschine. Das brachte ihn auf den Gedanken, den Dampf, nachdem derselbe in dem Cylinder seinen Dienst gethan, vermittelst einer Röhre in den Schornstein entweichen zu lassen, so daß sich seine Geschwindigkeit dem Rauche oder dem aufsteigenden Luftstrom im Schornstein mittheilte, dadurch der Zug vermehrt und somit der Verbrennungsprozeß im Feuerkasten beschleunigt würde.

Kaum war der Versuch gemacht, als auch die Kraft der Maschine mehr als verdoppelt war; durch das Gebläse wurde die Verbrennung der Kohlen lebhafter, und der Dampfkessel konnte mehr Dampf erzeugen. So machte sich denn Stephenson an den Bau einer zweiten Lokomotive, zu dem ihm der oben genannte Ingenieur Ralph Dods das Geld vorschoß. Die wichtigsten Verbesserungen bestanden erstens in einer einfacheren und direkteren Verbindung zwischen dem Cylinder und den auf den Eisenschienen rollenden Rädern; zweitens in der Anwendung horizontaler Verbindungsstangen zwischen sämmtlichen Rädern; drittens in einem Schienen-Dampfgebläse, wodurch eine raschere Verbrennung der Kohlen herbeigeführt ward. Es sind seit dem Bau dieser Maschine viele Verbesserungen eingetreten, aber dieselbe enthielt den Keim zu alle dem, was bisher geleistet worden ist.

Ehe wir aber von dem Erfolg berichten, dürfen wir einer wichtigen Erfindung nicht unerwähnt lassen, welche Stephenson gleichfalls um diese Zeit machte. Die in den Kohlenbergwerken sich entwickelnden Gase hatten, mit der Lampe der Grubenarbeiter in Berührung gekommen, schreckliche Explosionen hervorgebracht. Eines Tages kam – es war im Jahre 1814 – ein Arbeiter in Stephenson's Haus gestürzt mit der Meldung, der tiefste Hauptgang der Grube stehe in Feuer. Stephenson eilte an die etwa hundert Schritte entfernte Einfahrt, wohin zu gleicher Zeit eine Menge Weiber und Kinder mit schreckenbleichen Gesichtern stürzten.

Stephenson sprang in den Korb und befahl dem Maschinenburschen, ihn sogleich in den Schacht hinunter zu winden. Die Gefahr war groß, man hörte aus der Tiefe Schreie der Todesangst und Verzweiflung aufsteigen. Stephenson, unten angekommen, schrie den Leuten zu: »Zurück! Sind nur Sechs unter euch, die Muth genug haben, mir zu folgen, so wollen wir das Feuer löschen!« Die Arbeiter hatten unbedingtes Vertrauen zu Stephenson und thaten, was er ihnen hieß. Backsteine, Mörtel und Werkzeuge waren zur Hand, und auf Stephenson's Befehl wurde in der Nähe des Feuers eine Mauer aufgeführt, welche den Gang abschloß, den Luftzutritt hinderte und so dem weiteren Umsichgreifen der Flammen Einhalt that. Stephenson selbst hatte am thätigsten gearbeitet.

Er wollte aber dabei nicht stehen bleiben und dachte darüber nach, ob nicht eine Lampe hergestellt werden könnte, welche, hell genug brennend, um dem Bergmann bei seiner unterirdischen Arbeit zu leuchten, doch nicht die Flamme mit dem gefährlichen Gase in Berührung brächte. Im Jahre 1813 hatte bereits ein Dr. Clanny von Sunderland einen Apparat erfunden, wodurch er dem brennenden Lampendocht vermittelst eines Blasebalgs Luft aus der Grube, durch Wasser hindurch geleitet, zuführte. Die Lampe ging in brennbarem Gase von selbst aus. Doch ihr Gebrauch war so schwierig, daß sie die Bergleute nicht gebrauchen konnten. Man ließ jedoch in Sunderland die Sache nicht ruhen und berief den berühmten Chemiker Sir Humphry Davy, der auch in die Kohlenwerke von Newcastle ging, um Untersuchungen anzustellen, und seine Denkschrift: »Ueber die schlagenden Wetter in Kohlengruben, sowie über das Verfahren, solche Bergwerke so zu erleuchten, daß Explosionen nicht mehr vorkommen«, bald nachher in der königlichen Londoner Sozietät vorlas. Er umgab die Flamme einfach mit einem Drahtnetz und hinderte dadurch die Entzündung des Gases.

Unabhängig von Davy erfand Stephenson seine Sicherheitslampe und versuchte sie mit Gefahr seines Lebens. »Meine erste Lampe,« so berichtete er vor einem Komité des Hauses der Gemeinen, »hatte oben eine Rauchröhre und unten eine andere Röhre, um die atmosphärische Luft einströmen zu lassen, damit die Verbrennung in der Lampe unterhalten würde. Wie viel erforderlich sei, um die Verbrennung zu unterhalten, wußte ich nicht genau; um jedoch zu wissen, wie viel etwa nothwendig wäre, hatte ich unten an der Röhre einen Schieber angebracht.« Am 21. Oktober 1815 war die Lampe fertig, und obwohl es schon dämmerte, ließ Stephenson doch schnell seine Freunde holen, um mit ihnen die Lampe zu probiren. Die Männer stiegen in den Schacht und gingen an den gefährlichsten Theil der Gallerie, wo das Gas unter lautem Zischen aus einer Spalte der Decke hervorströmte. Um die Gase anzuhäufen, machte man einen Bretterverschlag, wartete eine Stunde, und der stechende Geruch bewies, daß jener Raum ganz mit Gas erfüllt sei. Stephenson zündete seine Lampe an. Wie nun aber, wenn sie ihren Dienst versagte? Die beiden Begleiter Stephenson's zogen sich ängstlich zurück, denn in der That stand ihr Leben auf dem Spiel, aber Stephenson ging mit seiner Lampe kühn auf die gefährliche Stelle zu und hielt sie dem ausströmenden Gase entgegen. Zuerst vergrößerte sich die Flamme der Lampe, dann flackerte sie und endlich ging sie aus; das Gas war aber nicht explodirt.

Schon waren dem rastlos nachdenkenden Manne einige Verbesserungen eingefallen; er beschloß, die Lampe in der Art abzuändern, daß der Flamme von mehreren Röhren mit ganz kleinem Durchmesser Luft zugeführt würde. Diese Lampe ward am 4. November in der Killingworther Grube probirt; sie brannte besser als die erste und gewährte vollkommene Sicherheit. Doch war der Erfinder noch nicht vollständig befriedigt; er ließ eine dritte Lampe anfertigen, bei der das Oelgefäß von einer Anzahl Haarröhrchen umgeben war, die Flamme war von einer doppelten Lage Metallplättchen mit feinen Löchern umgeben, Schon am 24. November – ehe noch Stephenson von der Davy'schen Erfindung gehört hatte – konnte die Lampe probirt werden, und die Flamme ging nicht einmal durch das erste Plättchen hindurch. Die Lampe gewährte vollkommene Sicherheit, und die Arbeiter zogen den »Geordy«, wie sie die Lampe ihres Georg Stephenson nannten, dem »Davy« vor.

Im Jahre 1818 verließ Robert Stephenson die Schule, und sein Vater that ihn bei Nikolaus Wood zu Killingworth in die Lehre. Unter dessen Leitung arbeitete der Jüngling drei Jahre als Unteraufseher in der West-Moor-Grube. Den Kohlengräbern war streng befohlen, die Geordylampe zu gebrauchen und nie bei einem bloßen Licht zu arbeiten, doch die Vorgesetzten selbst sündigten wider das Gesetz. Eines Tages ging Wood, der Oberaufseher, in Begleitung von Robert Stephenson und des Unteraufsehers Moodin, eine der Gallerien entlang. Wood trug ein Licht, Robert folgte mit einer Lampe. Sie kamen an eine Stelle, wo Steine von der Decke herabgestürzt waren. Als der Oberaufseher den Steinhaufen erklommen hatte und das Licht vorstreckte, berührte er das angesammelte Kohlenwasserstoffgas, das alsbald explodirte und die drei zu Boden warf. Ihre Lichter wurden ausgelöscht, sie waren, eine englische Meile vom Schacht entfernt, von stockfinsterer Nacht umgeben. Aus allen Theilen der Grube rannte man nach dem Schachte hin; die beiden Unteraufseher rafften sich auf, flohen auch und stürzten dabei über ein von der Explosion betäubtes Pferd. Sie hatten schon die Hälfte des Weges zurückgelegt, als sie ihres Oberaufsehers gedachten, wieder zurück eilten und Nikolaus Wood richtig fanden. Er war betäubt, voller Quetschwunden und mit verbrannten Händen auf dem Steinhaufen liegen geblieben. Sie brachten ihn glücklich aus der Grube heraus, in deren Inneres er fortan nie ohne eine Geordylampe eindrang.

Die Abende wurden der Lektüre und dem Studium gewidmet, und Georg und Robert Stephenson waren unzertrennlich beisammen. Wenn das Gespräch auf die Kräfte der Lokomotive kam, gerieth der junge Stephenson in eine wirkliche Begeisterung; er trug sich mit neuen Verbesserungen der Maschine seines Vaters, welche schon seit mehreren Jahren im Kohlenwerk gebraucht wurde; der Vater machte Einwendungen, aber wenn der Sohn siegreich seine Ideen vertheidigte, war der Alte mit Stolz erfüllt und hegte die besten Hoffnungen für die Zukunft seines Sohnes. Er beschloß, ihn auf einige Zeit nach der Universitätsstadt Edinburg zu schicken, und Robert ging (1820) voll Freuden. Lange konnte ihn der Vater nicht in Edinburg lassen, seiner beschränkten Geldmittel wegen, aber die sechs Monate, welche sein Sohn in Edinburg verweilte, wurden vortrefflich benutzt. Im Sommer 1821 kehrte Robert zurück und brachte von der Universität den mathematischen Preis mit, den er mit Ruhm erworben hatte.

Arbeit fand sich genug. Die Besitzer des Hettoner Kohlenwerks in der Grafschaft Durham beschlossen im Jahre 1819, ihren gewöhnlichen Schienenweg in eine von Lokomotiven zu befahrende Eisenbahn umgestalten zu lassen, da die Killingworther Eisenbahn sich so gut bewährte. Stephenson ward mit der Ausführung beauftragt, fand jedoch, da ein hoher Berg im Wege stand, die Anlage einer ebenen Eisenbahn nicht möglich, wenn der Kostenanschlag nicht bedeutend überschritten werden sollte; er entschied sich dafür, stehende Dampfmaschinen aufzustellen, welche die Lokomotiven unterstützten. Auf der ursprünglichen Hettoner Linie waren fünf sogenannte selbstwirkende schiefe Ebenen, auf denen die herabrollenden vollen Wagen die leeren hinaufzogen, und zwei schiefe Ebenen mit stehenden Dampfmaschinen von je sechzig Pferdekraft. Auf der ebenen Strecke mußte das »eiserne Pferd«, wie das Volk die Lokomotive nannte, das Seinige thun.

Am Tage der Eröffnung der Hettoner Eisenbahn (18. November 1822) strömten Neugierige von nah und fern herbei, um die scharfsinnig erdachte und geschickt ausgeführte Maschinerie zu sehen Der Erfolg war vollständig. Fünf Stephenson'sche Lokomotiven waren unter Roberts Leitung thätig, und jede schleppte einen Zug von siebenzehn Wagen mit einer Geschwindigkeit von vier englischen Meilen in der Stunde.

Die entscheidende Schlacht, welche den Sieg der Eisenbahn für immer entschied, sollte aber erst noch geschlagen werden. Zwischen den Städten Liverpool und Manchester war eine Beschleunigung des Verkehrs von größter Wichtigkeit. Der Transport auf Kanälen und Heerstraßen war viel zu langsam, um die Nachfrage nach Baumwolle zu befriedigen. Die nach Manchester bestimmte Baumwolle mußte in Liverpool oft länger liegen bleiben, als sie Zeit gebraucht hatte, um über den atlantischen Ozean herüber zu kommen. Hunderte von Arbeitern mußten zeitweilig ihre Arbeit aussetzen, wenn die Vorräthe schneller aufgearbeitet waren, als sie durch neue Ballen ersetzt wurden. Stephenson wurde gerufen, und sein Urtheil sollte über die Anlage eines Schienenwegs entscheiden. Die Schwierigkeiten waren der vielen Unebenheiten und eines bodenlosen Moorgrundes wegen nicht gering, aber Stephenson erklärte getrost und fest, die Anlage einer Eisenbahn sei ausführbar und gewinnreich. Alsbald machten sich die Ingenieure und Feldmesser an's Werk. Aber nun erhoben sich Straßenaufseher, Grundbesitzer und Kanaleigenthümer, Lords und Bauern mit großem Zetergeschrei, Alle glaubten sich in ihrem Besitzrecht gefährdet, suchten auf alle Weise die Nivellirungsarbeiten zu stören, und selbst Weiber und Kinder fielen über die Feldmesser mit Steinwürfen und argen Scheltworten her. So sah sich Stephenson, der Oberingenieur, genöthigt, das große Werk einstweilen ruhen zu lassen. Er hatte aber die Genugthuung, daß jetzt (im Jahre 1824) ein reicher und unternehmender Mann, Mr. Pease, sich mit ihm zur Gründung einer Lokomotiv-Fabrik in Newcastle verband, und dieß war ein neuer Sieg für den Unternehmungsgeist Stephenson's. Er stellte geschickte Arbeiter an, die unter seiner Leitung bald so geschult und tüchtig wurden, daß die Stephenson'sche Fabrik die Universität für die Lokomotivarbeiter des ganzen Königreichs bildete und die berühmtesten Ingenieure Europa's, Amerika's, Ostindiens sich von dort die praktischen Kenntnisse holten.

Unterdessen war die Stockton-Darlington-Eisenbahn fertig geworden und die von Stephenson für dieselbe gebaute Lokomotive bewährte sich glänzend. Die erste Fahrt (im Jahre 1825) war ein großes Fest; der aus achtunddreißig Wagen bestehende Zug führte Kohlen, Mehl und zweihundert und fünfzig Personen. Die Maschine, von Stephenson selber geleitet, legte zehn englische Meilen in der Stunde zurück. Man hatte anfangs gar nicht auf Personenbeförderung Rücksicht genommen; da jedoch so viele Menschen mit dem Probezug gefahren worden waren, so dachte man an die Aufstellung eines besonderen Wagens für Reisende und setzte vorläufig eine alte Postkutsche, »Königin Charlotte« genannt, auf ein hölzernes Gestell. »Wie wollen wir diesen Wagen jetzt nennen?« fragte man. – »Das Expuriment,« sagte Stephenson in seiner breiten northumberischen Mundart, und man nannte nun diese erste Eisenbahnkutsche »das Experiment«, zierte sie mit dem Wappen der Gesellschaft und schrieb als Motto den lateinischen Satz daran: Periculum privatum utilitas publica! (Die Gefahr des Einzelnen dient zum Wohl des Allgemeinen.)

Nun war aber auch der Bau der Liverpool-Manchester-Bahn wieder aufgenommen und mit großen Kosten wirklich ausgeführt. Durchstiche, Brücken, Tunnels, der Damm über den Katzenmoor – Alles ward unter Stephenson's Leitung solid und praktisch ausgeführt. Im Jahre 1829 war die ganze Bahn vollendet und die Gesellschaft hatte bereits einen Preis auf die beste Lokomotive ausgeschrieben. Im Oktober wurden die verschiedenen Maschinen, die sich zum Wettkampf eingefunden hatten, probirt und die von Robert Stephenson in der Werkstatt der Stephenson'schen Fabrik erbaute »Rakete« gewann den Preis. Durch eine eigenthümliche Einrichtung des Kessels, in welchem fünfundzwanzig kupferne Röhren mit drei Zoll Weite die Dampferzeugung sehr beschleunigten, ward auch die Achsendrehung der Räder ungemein gefördert.

Am 25. September 1830 ward die Manchester-Liverpool-Bahn eröffnet; es war ein Nationalfest. Der Herzog von Wellington, damals erster Minister, Robert Peel, Staatssekretär, Huskisson, eines der Mitglieder für Liverpool und eifriger Unterstützer des Unternehmens, waren mit einer Menge durch Rang und Stellung ausgezeichneter Personen anwesend. Der letztgenannte Herr ward, als er auf einer Haltstelle eben dem Herzog von Wellington, der ihm aus dem Wagen heraus die Hand entgegenstreckte, freundlich die Hand drückte, von der daherbrausenden »Rakete« gefaßt, überfahren und gab noch am selbigen Tage den Geist auf. Das war freilich ein Dämpfer für die Festfreude. Doch der Festzug brauste weiter nach Manchester, mit einer Geschwindigkeit von vierundzwanzig englischen Meilen in der Stunde. »Diese unglaubliche Schnelligkeit,« schrieb ein Berichterstatter, »brach über die Welt herein mit der ganzen Wirkung einer neuen ungeahnten Erscheinung.« Kurze Zeit vorher hatte noch die Vierteljahrs-Revue ( Quarterly-Review) geschrieben: »Was kann handgreiflicher abgeschmackt und lächerlicher sein, als die in Aussicht gestellte Erwartung: Lokomotiven würden zweimal so schnell fahren als Postwagen? Man könnte noch eher erwarten, daß sich die Leute auf einer Congreve'schen Ricochet-Rakete abschießen ließen, als daß sie sich der Gnade einer mit solcher Schnelligkeit fahrenden Maschine anvertrauen sollten!« Und der Parlamentsausschuß, von welchem Stephenson zuvor vernommen worden war, hatte den Mechaniker für einen Mondsüchtigen erklärt, als dieser die Behauptung wagte, er getraue sich mit der Lokomotive durchschnittlich zwölf englische Meilen in der Stunde zurückzulegen. Eines der Ausschußmitglieder glaubte nach Advokaten-Weise dem Allzukühnen noch einige verfängliche Fragen stellen zu müssen und sagte unter Anderem: »Gesetzt, eine der Maschinen, welche auf der Eisenbahn neun bis zehn Meilen in der Stunde zurücklegt, stößt unterwegs auf eine Kuh; glaubt Ihr nicht, daß dieß ein sehr leidiger Umstand sein würde?« – »Allerdings,« versetzte Stephenson blinzelnd, »wäre das ein sehr leidiger Umstand – für die Kuh!« Die Lords Derby und Softon hatten die Bahn um keinen Preis über ihre Besitzungen ziehen lassen wollen, und man war genöthigt worden, sie über das erwähnte Chat-Moß, eine lange Strecke weichen Grundes, zu führen. »Diese Strecke wird mindestens zweimalhundert und siebenzigtausend Pfund Sterling kosten!« meinte ein Ingenieur. – »Und man wird dennoch versinken,« versetzte ein Anderer. Stephenson stellte die Strecke her mit einem Kostenaufwande von achtundzwanzigtausend Pfund, und sie bildet jetzt den allerbesten Theil der Straße zwischen Liverpool und Manchester. Sobald aber die ganze Bahn fertig war und statt der vierhundert bis fünfhundert Personen, auf die man gerechnet hatte, gleich in den ersten Tagen zwölfhundert täglich zum Fahren sich einstellten, da wurden jene beiden Lords alsbald die Patrone einer zweiten Eisenbahnlinie zwischen Liverpool und Manchester, unter der Bedingung, daß die Bahn ihre Güter durchziehe.

Stephenson feierte über alle seine Neider und Widersacher den vollständigsten Triumph. Mit dem Erfolg der Liverpool-Manchester-Bahn war der Erfolg der Eisenbahn überhaupt, in England nicht nur, sondern in allen Ländern entschieden. Denn gerade diese Bahn, die schon bei ihrem Beginne in einem dreitausend Schritt langen Tunnel unter einer Vorstadt Liverpools sich hinzieht, die auf sumpfigen Stellen Faschinen und Pfahlwerk hat und zum Theil selbst von der Moorerde, über die sie hinführt, ihre Dämme aufgeführt hat, welche Thäler und Hügel, Flüsse und Sümpfe durchschneidet, hatte überzeugend dargethan, daß auch große Terrainhindernisse sich überwinden lassen. Alle großen Städte Großbritanniens beeilten sich nun, vom Parlament die Bewilligung für Eisenbahnanlagen zu erlangen, und wenige dieser Unternehmungen gab es, bei welchen Stephenson nicht betheiligt gewesen wäre. Dreißig Jahre, nachdem er gemeiner Arbeiter in einer Kohlengrube von Newcastle gewesen, reiste er von eben dieser Stadt hinter einer seiner eigenen Lokomotiven in neun Stunden nach London.

Obwohl mit Ehre und Reichthum gesegnet, blieb er doch der einfache, biedere, rastlos thätige Mann, von seinen Arbeitern, Zöglingen, Gehülfen wie ein Vater geliebt. Die größte Freude hatte er an dem Talente des Sohnes, der bald einer der berühmtesten und gesuchtesten Ingenieure Großbritanniens wurde. Derselbe begann im Jahre 1833 den Bau der London-Birmingham-Bahn, die im Jahre 1838 fertig wurde; er war besonders in den kühnsten Brückenbauten unübertrefflich. Im Eisenbahnfach wurde Robert Stephenson die größte Autorität, aber auch in Bergwerks- und Fabrikanlagen sind die Wasserwerke und Tunnels, die er ausführte, Muster ihrer Art. Von Roberts Brückenbauten verdient Erwähnung die bei Newcastle aus Holz und Eisen aufgeführte, die aus Stein und Ziegel gebaute von Berwick, die Eisenbrücke über den Nil, die Britanniabrücke über die Menaistraße, einem Meeresarm zwischen der Insel Anglesea und dem Festlande. Die Vollendung der von ihm entworfenen »Viktoriabrücke«, die über den St. Lorenzenstrom in Kanada führt, sollte er nicht mehr erleben.

Im Jahre 1835 wurde Georg Stephenson mit seinem Sohne Robert vom König Leopold nach Belgien berufen, um sein Gutachten über das belgische Eisenbahnsystem abzugeben, und die beiden Ingenieure hatten wiederholte Besprechungen mit dem Könige und seinen Ministern. Georg Stephenson ward zum Ritter des Leopoldsordens ernannt und im Stadthause von Brüssel feierten die belgischen Ingenieure seine Anwesenheit durch ein prachtvolles Banket. Im Festsaal stand auf einem schönen Fußgestell von Marmor Stephenson's Büste mit einem Lorbeerkranze geschmückt. Die ausgezeichnetsten Männer der Wissenschaft beehrten das Fest mit ihrer Gegenwart und ein donnernder Jubel empfing den »Vater der Eisenbahnen« bei seinem Eintritt. Während des Essens bemerkte er auf dem in der Mitte stehenden Tisch das Modell einer Lokomotive unter einem Triumphbogen aufgestellt. Auf das angenehmste überrascht, wandte er sich zu seinem Freunde Sopwith mit dem Ausruf: »Siehst du dort die Rakete?« Es war in der That das Modell dieser historisch gewordenen Maschine, und er hatte über diese Aufmerksamkeit wohl noch größere Freude als über die Lobsprüche, die ihm der Abend in Fülle brachte.

Nachdem Stephenson die belgischen Eisenbahnprojekte in Ordnung gebracht hatte, riefen ihn die Unternehmer der »königlich spanischen Nordbahn« nach Spanien. Er reiste über Paris, besichtigte die Tours-Orleans-Bahn, und seinem Scharfblick entging nichts. In kürzester Zeit war er mit der Bodengestalt und dem geologischen Bau einer Gegend vertraut. Als er auf dem Wege nach Bordeaux über die Dordogne kam, schüttelte er beim Anblick der Kettenbrücke den Kopf, ging mehrere Male über dieselbe und sagte dann: »diese Brücke ist nicht solid; sie kann unmöglich den nöthigen Druck aushalten. Würde einmal eine größere Truppenmasse hinüber marschiren, so würde die Schwingung zu groß und sie müßte zusammenbrechen.« Der menschenfreundliche Mann schrieb an die Behörden und theilte ihnen seine Befürchtung mit. Man ließ aber die Brücke wie sie war, und als ein paar Jahre nachher ein Soldatentrupp hinübermarschirte, brach die Brücke, die Leute stürzten in's Wasser und Viele kamen um. Doch nicht bloß die Mechanik, auch die Landwirthschaft interessirte den großen Mann, der auch ein helles Auge hatte für die Heerden von Schafen, für Pferde und Maulesel, denen er auf seinem Wege begegnete. Denn auf seiner Besitzung in Tapton-House bei Chesterfield war Stephenson auch ein tüchtiger Landwirth geworden und hatte über die Mästung des Viehes allerlei Erfahrungen gesammelt und mit der Verwendung des Düngers Versuche gemacht.

Seit 1845 hatte Stephenson auch dem Gartenbau Interesse abgewonnen. Von seinen bisherigen Geschäften als Eisenbahningenieur zog er sich fast ganz zurück, um sich ausschließlich seinen ausgedehnten Kohlenbergwerken und Kalkbrennereien zu widmen und nebenbei seine Melonen, Ananas und Treibhäuser für Weintrauben in Aufschwung zu bringen. An Gästen fehlte es ihm nicht. Eines Abends erging er sich mit einem Freunde im Freien, und Beide blickten zu dem sternbesäeten Himmel empor und bewunderten die unermeßliche Pracht der Schöpfung. »Was ist doch der Mensch für ein unbedeutendes Geschöpf?« sagte der Freund, »gegenüber einem solchen Heer von Sonnen, von denen wahrscheinlich jede der Mittelpunkt eines Systems ist!« – »Ja,« erwiderte Stephenson, »aber welch' ein wunderbares Geschöpf ist andererseits auch der Mensch, daß er denken und vernünftige Schlüsse bilden und bis zu einem gewissen Grade auch eine so wunderbare Schöpfung sogar begreifen kann!«

Die große Stärke und Rüstigkeit des Körpers, deren sich Stephenson schon in der Jugend erfreute, behielt er noch im höheren Alter. Ging er mit seinen Freunden vom Chesterfielder Bahnhof nach Tapton-House, so forderte er sie gern zu einem Wettlauf heraus, wobei zu bemerken ist, daß der Weg steil bergan ging und theilweis aus Treppenstufen bestand. Noch am 26. Juli 1848 wohnte er einer Sitzung des Birminghamer Instituts bei, um einen von ihm verfaßten Aufsatz »über rotirende Maschinen« zu lesen. Ein plötzlicher Lungenblutsturz am 12. August machte seinem Leben ein Ende, einem Leben, das reich bewegt und inhaltreich war wie wenige. Der Amerikaner Emerson hatte sich im Frühling desselben Jahres über Stephenson geäußert: »Er habe das Leben vieler Menschen in sich.« Die irdische Hülle ward in der Dreifaltigkeitskirche von Chesterfield zur Erde bestattet und das Grab mit einem einfachen Steine zugedeckt.

Die Statue Georg Stephenson's war bereits unterwegs, als der große Ingenieur aus dem Leben schied; sie wurde in der Sankt-Georghalle zu Liverpool aufgestellt. Schon im Jahre 1845 war ihm auf der Eisenbahnbrücke über den Tyne, welche den Namen Stephensonbrücke erhielt, eine Statue gesetzt worden. Einige Jahre nachher ward noch eine Statue des Dahingeschiedenen, in Lebensgröße, in der prächtigen Halle des London-Nord-West-Bahnhofes aufgestellt. Mehr als dreitausend Arbeiter hatten zu dieser Bildsäule beigesteuert, um ihrem Meister ihre Verehrung zu bezeigen. Auch die Stadt Newcastle setzte dem großen Ingenieur ein Denkmal im Jahre 1862.

Die Insignien des Leopoldsordens hatte der einfache Mann nie getragen, und als man ihm später auch in England die Ritterwürde anbot, schlug er dieselbe aus. Als ihn einst Jemand fragte, welches seine »ornamentalen Anfangsbuchstaben« seien, die einer Dedikation beigefügt werden sollten, sagte er: »Ich habe keine Verzierungen an meinem Namen, weder vorn noch hinten, und ich glaube, es wird eben so gut sein, wenn Sie bloß sagen: »Georg Stephenson«.


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