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Walter Scott. Portrait von Henry Raeburn

Walter Scott

Denkwürdigkeiten aus Walter Scott's Leben. Mit besonderer Beziehung auf seine Schriften. Nach Lockhart's Memoirs of the Life of Sir Walter Scott und den besten Originalquellen bearbeitet von Moritz Brühl. (5 Bdchen. Leipzig. 1839-40.) Vergl. Leben und Werke Walter Scott's. Nach Allan Cunningham etc. von G. v. Krämer in der Brodhag'schen Ausgabe W. Scott's sämmtlicher Werke. Und Willibald Alexis in den Wiener Jahrbüchern der Literatur. 1821, XV.


Als Mensch wie als Dichter bildet Walter Scott den entschiedensten Gegensatz zu Lord Byron. Wenn dieser, von der Gluth seiner Gefühle verzehrt, von der Macht seiner Phantasie fortgerissen, stets der Gewalt subjektiver Stimmung anheimgegeben war und nie den rechten Schwerpunkt des Lebens zu finden wußte: so sehen wir in Scott den von Kindheit an ruhig und sicher fortschreitenden, politisch und religiös, wissenschaftlich und künstlerisch in sich festgegründeten Mann, bei dem Alles nach Einem Ziele hin wirkt. Ausgestattet mit einer überreichen Phantasie ist sein Gedächtniß doch nicht minder stark, die Fülle des unaufhörlich auf ihn eindringenden Stoffes zu bewältigen und festzuhalten, und der kühle Verstand nicht minder thätig, das Mannigfaltige zu sondern und in die gehörigen Fächer zu schieben. Mit leichtester Erregbarkeit verbindet sich ein gesundes Phlegma, und ein glücklicher Humor weiß die schroffsten Gegensätze schnell auszugleichen. Scott ist wie Byron von früher Jugend an mit einem lahmen Fuße heimgesucht, aber dieses Uebel trägt nur dazu bei, seinen Fleiß, die Liebe zur stillen sinnenden Beschäftigung zu verdoppeln; es verstimmt ihn nicht, macht ihn nicht nervös, stört nicht die innere Harmonie, den ruhigen Fortschritt seiner Thätigkeit. Selten ist ein Dichter wohl so belesen gewesen, namentlich so in den alten Chroniken, Legenden und Sagen seines Vaterlandes erfahren, wie Scott; aber keinem ist auch die natürliche Romantik seines Landes und Volkes so zu Statten gekommen wie diesem schottischen Dichter, der in seinen Umgebungen, in den Bergen und Thälern Schottlands, in den Sitten ihrer Bewohner und ihrer geschichtlichen Vergangenheit einen noch unbenutzten jungfräulichen Boden für seine poetischen Schöpfungen fand. Indem er sich innig an Land und Leute, an das Nationale und Historische anschloß und das Naturwüchsige darin sich aneignete, blieb seine Romantik kerngesund, ward sie nicht von der »bleichen Reflexion« angekränkelt. In den gelungensten Romanen des Dichters erscheinen die Gedanken, welche ein Zeitalter bewegten, vollkommen verkörpert in den vorgeführten Charakteren, und diese sind historisch; nicht weil sie eine poetisch-aufgestutzte Geschichte liefern, sondern weil sie aus dem Geist der Geschichte, aus der Natur der Sitte und Volksindividualität heraus erschaffen sind. Die wirklichen Heroen der Geschichte hat der Dichter als echter Künstler nur im Hintergrunde gezeigt, als hohe Alpengipfel, welche die Aussicht auf die schöne Landschaft begrenzen, aber er hat ihre ureigne Poesie zu sehr geachtet, um sie künstlerisch nachschaffen zu wollen. Es fehlt auch nicht an lieblichen Blüthen des Gefühls und zarten Früchten des Verstandes, aber sie sind keusch unter dem grünen Laube der Thatsachen verborgen. So ist Scott der Schöpfer und echte Repräsentant des historischen Romans geworden, der, nachdem die Zeit des Epos vorüber und der Roman an seine Stelle getreten, diesem eine neue Kunstform sammt der reichsten Quelle des Stoffes eröffnete. Was seinen Vorgängern nicht gelungen war: das Leben treu zu kopiren und doch der freien poetischen Schöpfung keinen Abbruch zu thun – das gelang ihm, der nicht wie Smollet und Fielding bloß das Glück und Unglück eines Erdensohnes vor unserem Auge entrollt, daß wir uns für die gelungene Darstellung des Privatlebens interessiren; sondern uns mit dem Privatleben seiner Helden vertraut macht, daß wir uns für die Zeit, Volksthümlichkeit, für eine historisch gewordene Natur und Sitte begeistern und davon ein treues Bild empfangen. Das Reinmenschliche tritt dabei keineswegs zurück; selbst die unbedeutendsten Charaktere gewinnen uns ein tiefes psychologisches Interesse ab, und die gemüthlichsten Darstellungen des inneren Lebens wechseln mit der objektiven oft allzu ausführlichen Darstellung des äußeren. Das Talent, zu beschreiben und zu schildern, war so groß, daß es freilich oft den Dichter selber mit fortriß und zuweilen in's Maaßlose verführte. Und doch mußte die Epik des Romans sich erst Bahn brechen durch die Lyrik der Romanzen und Balladen. An der Nachbildung von Bürgers »Lenore« und »wildem Jäger« versuchte sich zuerst des jungen Schotten poetische Kraft; dann trat sie selbstständig hervor in den »Balladen von Schottlands Grenze«, im »Lied des letzten Minnesängers« und im »Mädchen vom See«, welches letztere Gedicht besonders ihm reichsten Beifall erwarb, der den Dichter ermuthigte, diese Bahn zu verlassen, und auf einer neuen sich noch schönere Lorbeeren zu erwerben. Er begann mit außerordentlicher Fruchtbarkeit die große Reihe der »Waverley-Novellen«, die seinen Namen weit über England hinaus im ganzen gebildeten Europa und Amerika gleich berühmt und beliebt machen sollten.

Wie nun Alles, was den vollendeten Mann und Dichter auszeichnete, schon im Kindes- und Knabenalter mit merkwürdiger Bestimmtheit als hoffnungsvoller Keim hervortrat: das erzählt uns Walter Scott selber in den unschätzbaren Fragmenten seiner Selbstbiographie, wovon wir nur einige Hauptzüge mittheilen, ihnen aber folgende Notizen vorausschicken.

Walter Scott wurde am 15. August 1771 zu Edinburg (als der älteste von 12 Geschwistern) geboren, wo sein Vater ein sehr geachteter Anwalt und Signetschreiber Die Writers of the Signet bilden in Edinburg eine eigene Klasse von Juristen, welche alle Schriften, die dem königlichen Gerichtshofe vorgelegt werden sollen, zu gegenzeichnen (kontrasigniren) haben. war. Seine Mutter, eine Tochter des Squire Rutherford, war durch hohe Tugend und besonderes Talent für die Dichtkunst ausgezeichnet; mehrere ihrer Gedichte wurden nach ihrem 1789 erfolgten Tode der Bekanntmachung würdig befunden. Sie nahm sich mit großer Sorgfalt der Erziehung und des Unterrichts ihres Erstgebornen an, zumal da dieser seiner anfänglichen Schwächlichkeit und einer Lähmung des rechten Fußes willen sich viel im Zimmer hielt. Walter brachte jedoch die erste Zeit seiner Kindheit theils auf Sandy-Knove, dem Landsitz seines Großvaters, theils in Seebädern zu, und erst im achten Jahre finden wir ihn im elterlichen Hause zu Edinburg, von welcher Zeit er also berichtet:

»Meine Beschäftigungen an Wochentagen waren sehr angenehm. Mein lahmer Zustand und öfteres Alleinsein hatten mich schon frühe zum Lesen angeleitet, und die Freistunden wurden gewöhnlich damit zugebracht, meiner Mutter Pope's Uebersetzung Homers vorzulesen, welche mit Ausnahme einiger Balladen und der Gesänge in Allan Ramsay's Immergrün, meine erste poetische Lektüre bildete. Meine Mutter hatte einen sehr guten, natürlichen Geschmack und tiefes Gefühl. Sie pflegte mich bei den Stellen pausiren zu lassen, welche großartige und edle Gesinnungen ausdrückten, und wenn sie meine Aufmerksamkeit auch nicht ganz von solchen Stellen abziehen konnte, die Schlachten und Gefechte beschrieben, so suchte sie dieselbe wenigstens in solchen Fällen zu theilen. Mein eigener Enthusiasmus wurde indessen vorzüglich durch das Wunderbare und Schauervolle geweckt – der gewöhnliche Geschmack der Kinder, doch bin ich in dieser Beziehung stets Kind geblieben. Ich lernte, ohne daß ich mich darum bemühete, leicht diejenigen Stellen auswendig, die mir gefielen; sagte sie dann auch wohl laut her, am liebsten wenn ich allein war, denn ich hatte bemerkt, daß einige Zuhörer über meine Redeübungen lächelten, und für das Lächerliche war ich damals empfindlicher als in späterer Zeit.«

Nachdem Walter eine Zeit lang die lateinische Schule in Edinburg besucht hatte, wurde sein Gesundheitszustand wieder so bedenklich, daß sein Vater es für nöthig hielt, ihn abermals auf's Land und zwar dieß Mal nach Kelso zu seiner Tante, Miß Janet Scott, zu senden, wo er täglich bloß einige Stunden die Schule des Ortes besuchte. Auf diese Zeit bezieht sich folgende Notiz aus Scott's Selbstbiographie:

»Meine Kenntniß in der englischen Literatur nahm zu. Wenn ich nicht in der Schule sein mußte, verschlang ich begierig Geschichten, Gedichte, Reisebeschreibungen, wie sie mir ein günstiges Geschick zuführte, ohne alle Auswahl, da meine gute Mutter mich nicht mehr lesen hörte und der Lehrer es für eine Sünde hielt, ein profanes Gedicht oder Drama selber zu lesen oder seinen Zöglingen zur Lektüre zu empfehlen. Ich hatte indeß im Zimmer der Mutter, wo ich eine Zeit lang schlief, mehrere Bände von Shakespeare gefunden – und nicht leicht werde ich das Entzücken vergessen, das ich empfand, wenn ich im Hemd beim Schein des Kaminfeuers darin las, bis der Lärm der Familie, die vom Souper kam, mich mahnte, daß es Zeit sei, in's Bett zurückzukehren, wo man mich schon seit neun Uhr vermuthete. Der Zufall führte mir jedoch auch einen poetischen Lehrer zu, nämlich den gütigen, vortrefflichen Dr. Blacklock, zu seiner Zeit als ein literarischer Charakter wohlbekannt. Ich weiß nicht, womit ich seine Aufmerksamkeit erregt hatte, aber bald war ich in seinem Hause ein häufiger und gern gesehener Gast. Der freundliche Mann öffnete mir die Schätze seiner Bibliothek, und so wurde ich auch mit Ossian und Spenser bekannt, die er mir empfahl. Beide versetzten mich in Entzücken, doch Spenser noch mehr als Ossian, dessen Wiederholungen ich früher überdrüssig ward, als von einem Jungen meines Alters zu erwarten gewesen wäre. Den Spenser hätte ich immer lesen können. Zu jung noch, um mich um die Allegorie zu kümmern, nahm ich alle die Ritter und Damen und Drachen und Riesen buchstäblich, und Gott nur weiß, wie wohl mir war, mich in solcher Gesellschaft zu befinden. Da ich stets mit vollkommener Leichtigkeit diejenigen Verse im Gedächtniß behielt, die mir besonders zusagten, so konnte ich eine Menge von Spensers Stanzen rezitiren. Jedoch war mein Gedächtniß ein gar launiger Bundesgenosse und operirte Zeit meines Lebens stets auf eigene Hand. Es behielt mit größter Treue eine Lieblingsstelle aus einem Gedichte, oder ein Liedchen aus irgend einem Theaterstücke und vor Allem eine volkstümliche Ballade; aber Namen, Daten und das übrige Technische der Geschichte entfielen mir auf die traurigste Weise.

»Ich verließ die höhere Schule, ausgerüstet mit einer großen Masse allgemeiner Kenntnisse, die, im Grunde schlecht geordnet und ohne System aufgegriffen, doch in meinem Gemüthe tiefe Wurzeln geschlagen hatten – was ich gerade bedurfte, hielt meine Kraft der Association und des Gedächtnisses stets bereit, übergoldet, wenn ich so sagen darf, von einer lebhaft arbeitenden Phantasie. Standen meine Studien in Edinburg unter keiner Leitung, so war dieß, wie man leicht denken kann, auf dem Lande noch weniger der Fall. Ein respektabler Lesezirkel, eine Leihbibliothek von altem Datum, und einige Privatbibliotheken lieferten mir das ungeordnete Material für meine Lektüre, und ich watete im Strome gleich einem blinden Manne. Mein Bücherappetit war ebenso umfassend und grenzenlos, als unersättlich, und ich habe seitdem nur zu oft schon Gelegenheit gefunden zu bemerken, daß Wenige je so viel und so zwecklos lasen. –

»Vor Allem muß ich erwähnen, daß ich in jener Periode zuerst mit Bischof Percy's ›Reliquien alterthümlicher Poesie‹ bekannt wurde. Von Kindheit an auf Legenden dieser Art erpicht, hatte ich meine Neigung doch nur selten befriedigen können, weil die in meinem Besitz befindlichen zu roh und ungeordnet waren. Man kann sich daher wohl denken – denn beschreiben läßt es sich nicht – mit welchem Entzücken ich sah, daß Poesieen, die meine Kindheit ergötzten, nun des Kommentars und der ernsten Untersuchung eines Herausgebers würdig erachtet wurden, der poetisches Genie genug besaß, um das Erhaltungswerthe in's günstigste Licht zu setzen. Ich entsinne mich noch ganz wohl des Ortes, wo ich diese Bände zum ersten Mal las – es war unter einem dicken Platanenbaume. Der Sommertag verflog so schnell, daß ich, der gesunden Eßlust eines 13jährigen Knaben ungeachtet, die Zeit des Mittagsessens versäumte, bis man mich nach längerem Suchen mit dem geistigen Mahle beschäftigt fand. Lesen und Behalten war zu jener Zeit eins und dasselbe, und sofort überfluthete ich meine Schulkameraden und alle, die mich anhören wollten, mit tragischen Vorträgen aus den Balladen des Bischofs Percy. Und als ich bald darauf ein paar Schillinge zusammenbringen konnte, kaufte ich mir ein Exemplar des vielbeliebten Buches, und ich glaube nicht, daß ich je ein Werk mit so großem Enthusiasmus gelesen habe.

»In diese Zeit fällt auch, wie ich mich deutlich erinnere, das Erwachen jenes entzückenden Gefühls der Schönheit der Natur, welches mich seitdem nie verlassen hat. Die Nachbarschaft von Kelso, dem schönsten Dorfe in ganz Schottland, ist ganz vorzüglich geeignet, solche Ideen zu erwecken; diese Landschaft ist reich an Gegenständen, die nicht bloß großartig an sich, sondern auch ehrwürdig in ihren Beziehungen sind. Das Zusammentreffen zweier prächtiger Flüsse, des Tweed und des Teviot – beide berühmt in Gesängen – die Ruinen der alten Abtei, die entfernteren Spuren vom Schloß Roxburg, das moderne Herrenhaus Fleurs, welches zugleich an alte Baronengröße erinnert – sind an sich selbst Punkte von höchster Schönheit, jedoch mit so vielen andern minder hervorstechenden Schönheiten vermengt, daß sie in ein großes allgemeines Gemälde harmonisch zusammenfließen und mehr durch ihren Totaleindruck als in ihrer Vereinzelung gefallen. Die romantischen Gefühle, welche ich als vorherrschend in meinem Gemüthe geschildert habe, vereinigten sich auf die natürlichste Weise mit der grandiosen Physiognomie der Landschaft, die mich umgab; die historischen Erinnerungen oder überlieferten Legenden, die sich daran knüpften, gaben meiner Bewunderung ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht, so daß mir zuweilen war, als müßte mein Herz die enge Fessel des Busens sprengen. Von dieser Zeit an wurde die Liebe zur Naturschönheit, besonders wenn sie mit alten Ruinen oder Ueberbleibseln von der Pietät und dem Glanz unsrer Väter verbunden ist, eine unersättliche Leidenschaft.«

Dieselbe »Leidenschaft für die Romantik« bestimmte den angehenden Jüngling, als er 1783 nach Edinburg zurückkehrte und in's Kollege eintrat, die italienische und spanische Sprache zu erlernen, wozu auch bald das Deutsche und Französische kam. Der Vater hielt es für das Beste, seinen Sohn zuvörderst bei ihm eine förmliche Lehrzeit als Signetschreiber durchmachen zu lassen, und so betrat denn der junge Romantiker die beiden Jahre 1785 und 1786 »die trockene und unfruchtbare Wildniß des Formel- und Schriftwesens«. »Ich kann mir nicht vorwerfen,« erzählt Scott, »ein gänzlich unnützer Lehrling gewesen zu sein. Zwar war mir das Mechanische der Büreauarbeiten zuwider und das beständige Eingesperrtsein verabscheuete ich gänzlich; aber ich liebte meinen Vater und fand meinen Stolz und mein Vergnügen darin, mich ihm nützlich zu machen. Außerdem war ich ehrgeizig, und unter meinen Gefährten war das einzige Mittel, Auszeichnung zu erlangen, anstrengend und gut zu arbeiten. Auch versöhnten mich andere Umstände mit meiner Gefangenschaft: das Kopirgeld lieferte einen kleinen Fond für die menus plaisirs der Leihbibliothek und des Theaters, und dieß war kein schwacher Sporn zum Arbeiten. War ich einmal am Ruder, so konnte gewiß Niemand es fleißiger handhaben, und ich erinnere mich, über 120 Folio-Seiten Werden wohl keine enggeschriebenen und ungebrochenen gewesen sein. geschrieben zu haben, ohne daß ich mich des Essens oder der Ruhe wegen unterbrochen hätte. Auch wurden die Büreaustunden dadurch um Vieles erträglicher, daß mir die freie Wahl meiner Lektüre blieb und ich nach meiner eigenen Manier ungestört lesen durfte, d. h. ich fing oft am Ende oder in der Mitte des Buches an. Ein verstorbener Freund, der zugleich mit Lehrling war, äußerte oft sein Erstaunen darüber, daß ich nach einem solchen Sprung- und Hupflesen eben so viel vom Buche wußte als er, der es doch in größter Ordnung durchgelesen hatte. Mein Pult enthielt gewöhnlich einen Vorrath der ungleichartigsten Werke, besonders Phantasiestücke jeder Gattung, denn diese gewährten mir das höchste Entzücken. Novellen las ich mit Auswahl, Familienerzählungen und dergl. mochte ich nicht; doch Alles, was abenteuerlich und romantisch war, verschlang ich ohne nähere Prüfung und Auswahl, und ich glaube wirklich, von diesem Zeuge ebenso viel als irgend ein Zeitgenosse gelesen zu haben. Alles, was auf die irrende Ritterschaft Bezug hatte, war mir besonders willkommen, und bald versuchte ich nachzuahmen, was in so hohem Grade meine Bewunderung erregte. Meine Versuche waren indeß eher in der Manier des Erzählers als des Barden gehalten.

»Am Schlusse der achtziger Jahre begannen die eigentlichen juristischen Studien. Ein kleines, nettes Zimmer ward mir im Hause meines Vaters eingeräumt, und ich trat in den ausschließlichen Besitz meines neuen Reiches mit den so süßen Gefühlen der Neuheit und Freiheit. Mein Freund Clerk und ich hatten es uns zur Regel gemacht, an jedem Morgen, den Sonntag ausgenommen, einen gewissen Punkt der Gesetzeslehre für das Examen in's Klare zu bringen, und uns darüber selber gegenseitig zu prüfen. Unser Examen sollte wechselsweise in dem Hause des Einen oder Andern Statt finden, aber bald zeigte sich's, daß mein Freund seine Stunde verschlief. So ließ ich mich willig finden, jeden Morgen zu ihm zu kommen; aber er wohnte zwei englische Meilen von mir entfernt! Doch mit großer Pünktlichkeit schlug ich jeden Morgen um 7 Uhr Lärm, und so arbeiteten wir uns im Laufe zweier Sommer auf katechetische Weise durch Heineccius' Analysis der Institutionen und Pandekten und durch Erskine's Institutionen des schottischen Gesetzes. Diese Methode des Studirens setzte uns in den Stand, mit Ehren die gewöhnlichen Prüfungen zu bestehen, welche jeder Rechtskandidat durchmachen muß, ehe er Advokat werden kann.«

Am 11. Juli 1792 ward Walter Scott mit der Robe bekleidet und begann in Gemeinschaft mit seinem Freunde Clerk noch in selbigem Jahre die regelmäßigen Besuche des Gerichtshofes. Nach und nach »schmuggelte er sich in solche Theile des Geschäfts ein, als durch die Konnexionen eines Writer of the signet am füglichsten zu erreichen waren.« Eine Advokatenlaufbahn ist mühsam, und bevor es ihm vergönnt war, als Anwalt zu glänzen, hatte er einen andern Ruhm errungen: der beste Geschichtenerzähler unter seinen Kollegen zu sein. Diese hatten eine Gesellschaft gebildet, welche – für jene Zeitepoche charakteristisch genug – der »Berg« hieß. In diesem literarischen Klub hatte jedes Mitglied seinen besondern Namen; Scott ward Duns Scotus, Clerk der »Baronet« genannt. Letzterer erzählt, daß, als er eines Morgens eine um Scott versammelte Gruppe in konvulsivischem Lachen fand, und merkte, daß ihm Duns Scotus mit einer guten Anekdote zuvorgekommen sei, die er ihm doch unter vier Augen den Abend zuvor erzählt habe, er sich gegen Scott beklagte und ihm vorwarf, die Geschichte nicht allein gestohlen, sondern auch noch verändert zu haben. Darauf habe aber Scott geantwortet: »Je nun, so macht's der Baronet doch immer! Stets behauptet er, ich änderte seine Histörchen, während ich ihnen doch nur einen dreieckigen Hut aufstülpe und einen Stock in die Hand gebe, damit sie fähig werden, in Gesellschaft zu gehen

Im Jahre 1792 wurde auch noch kurz vor Weihnachten die deutsche Stunde eingerichtet, an der fast alle Mitglieder des »Berges« Theil nahmen. »Die literarischen Personen Edinburgs – schreibt Walter Scott – wurden endlich aufmerksam auf das Dasein von Geistesprodukten in einer Sprache, die, mit der englischen verwandt, von gleicher männlicher Kraft des Ausdrucks ist; sie erfuhren zu gleicher Zeit, daß der Geschmack, welcher jene deutschen Schöpfungen hervorrief, ebenso nahe dem englischen verwandt sei, als die Sprache, worin sie geschrieben. Diejenigen, welche von Jugend auf gewöhnt waren, Shakespeare und Milton zu bewundern, wurden endlich mit einem Geschlecht von Poeten bekannt, die der gleiche schwindelnde Ehrgeiz beseelte, die flammenden Grenzen des Universums zu erspähen, die Reiche des Chaos und der ewigen Nacht zu ergründen (!); mit Dramatikern, welche, die Pedanterie der drei Einheiten verachtend, danach strebten, auf den Bretern – selbst auf Kosten gelegentlicher Unwahrscheinlichkeiten und Uebertreibungen – das Leben in seinen wildesten Gegensätzen darzustellen und in aller grenzenlosen Verschiedenheit der Charakterzeichnung. Auch die Erzählungen voller Fiktion, die Balladenpoesie und andere Zweige dieser Literatur erregten in hohem Grade die Aufmerksamkeit der englischen Literaten, und namentlich mußte zu Edinburg die frappante Aehnlichkeit zwischen dem deutschen und niederschottischen Dialekte die jungen Leute ermuthigen, an der neu entdeckten Literaturquelle sich zu laben.« Ihr Lehrer im Deutschen war Dr. Willich, der sich aber vergebens bemühete, in seinen Schülern Sympathie für »die kränkliche Monotonie« und die »affektirten Entzückungen« von Geßners »Tod Abels« zu erwecken. Dagegen wandten sich Einige zu den philosophischen Abhandlungen Kants, Andere zu den Dramen von Schiller und Göthe.

Im Sommer des Jahres 1793 machte Scott einen für ihn bedeutungsvollen Ausflug in's schottische Hochland, wo er mit Bewunderung und Freude zum ersten Male sich jener Bilder freuete, die er später so gut in seinen Romanen zu zeichnen verstand. Auf den bedeutendsten Familiensitzen seiner Genossen »vom Berge« nahm er einen bald längeren, bald kürzeren Aufenthalt, und als er von dieser Reise zurückkehrte, fand er in Jedburg zum ersten Mal Gelegenheit, als öffentlicher Vertheidiger in einem kriminellen Rechtsfalle aufzutreten, bei dessen Abschluß er die Genugthuung hatte, »einem alten Wild- und Schafdiebe durch einige Maschen des Gesetzes durchschlüpfen zu helfen.«

Im Herbst des folgenden Jahres (1794) kam eine Dame nach Edinburg auf Besuch, die in einer Gesellschaft William Taylors Uebertragung von Bürgers »Lenore« vorlas. Scott wurde davon sehr aufgeregt; er hatte nichts Eiligeres zu thun, als sich das deutsche Original zu verschaffen, das er mit Entzücken las. Sogleich begann er die Uebersetzung und stand nicht eher vom Schreibtisch auf, als bis er sie vollendet hatte. Er las sie den Freunden vor in einem sehr leisen, feierlichen Tone; sein ganzes Gemüth war von dem Gedichte erfüllt. Bald darauf hatte er die Freude, seine Uebersetzung der »Lenore« und des »wilden Jägers« gedruckt in einem dünnen Quartbändchen herausgeben zu können; seinen Namen hatte er jedoch nicht genannt. Sein Exemplar von Bürgers Werken hatte er einer Verwandten, der jungen Frau Scott von Harden, Tochter des Grafen Brühl (früheren sächsischen Gesandten am englischen Hofe) zu verdanken, die, vollkommen mit der deutschen Sprache und Literatur vertraut, ihn noch mit andern deutschen Klassikern und Adelungs Wörterbuche versah, und durch ihr treffendes Urtheil viel zu seiner ästhetischen Bildung beitrug. Dankbar äußerte sich Walter Scott nachher, daß sie die erste Frau aus der wirklich höhern Welt gewesen, die sich seiner angenommen habe; daß sie von den Vorrechten ihres Geschlechts und Standes mit der gewinnendsten Güte Gebrauch machte, daß sie ihn in tausend Kleinigkeiten zurechtwies, welche sonst Niemand zu rügen sich die Mühe genommen hätte, und daß sie überhaupt für ihn that, was nur eine elegante Frau für einen jungen Mann thun kann, der seine Jugendjahre in engen Kreisen der Provinz verlebt hatte. Frau Scott von Harden äußerte sich ihrerseits: »Als ich zum ersten Mal Sir Walter sah, war er ungefähr vier- oder fünfundzwanzig Jahr alt, sah aber viel jünger aus. Er schien schüchtern und linkisch; aber schon von vorn herein waren in seiner Konversation solche Funken eines höheren Geistes und Verstandes, daß ich erstaunt war, als unsere Bekanntschaft ein wenig älter wurde, mit einem Manne von Genie mich im Gespräch zu finden. Er war sehr bescheiden und zeigte seine kleinen Piècen, offenbar ohne daran zu denken, daß sie eine besondere Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen berechtigt seien. Nichts war natürlicher und gutmüthiger als die Art, wie er meine Winke aufnahm, wenn er am Englischen etwas stutzig wurde. So fällt mir bei, wie er einmal über sich selbst lachte, als ich ihn darauf aufmerksam machte, daß die »kleinen zwei Hunde« ( the little two dogs) in einigen seiner Verse einem englischen Ohre nicht gefielen, das gewöhnt sei an die »zwei kleinen Hunde« ( the two little dogs).

Obwohl die näheren Freunde Scott's seinen Uebersetzungen (auch Göthe's »Erlkönig« ward bald nachher in's Englische übertragen) viel Beifall zollten, wurden sie doch vom Publikum nicht eben beachtet, was übrigens den guten Humor des angehenden Dichters nicht störte, der sich immer mehr zu seinem Vortheil als Reiter und heiterer Gesellschafter hervorthat, auch im Jahr 1797 als Adjutant eines Kavallerieregiments von Freiwilligen der Grafschaft Mid-Lothian erschien. Im Sommer desselben Jahres, während der Gerichtsferien, unternahm Scott einen Ausflug nach den englischen Seen in Begleitung seines Bruders Johann und seines Freundes Ferguson. Als er mit letzterem eines Tages in der Nähe des Brunnenortes Gilsland spazieren ritt, trafen sie plötzlich eine junge Dame zu Pferde, welche keiner von beiden früher bemerkt hatte, und deren reizende Gestalt die Herren so fesselte, daß sie ihr von fern folgten, bis sie die Ueberzeugung erlangt hatten, die junge Dame gehöre wirklich zu der Gesellschaft in Gilsland. Denselben Abend war ein Ball daselbst, für den Scotts Bruder und Ferguson ihre hochrothe Uniform der Edinburger Freiwilligen anlegten. Die Reisenden wetteiferten, der Schönheit vom Morgen zuerst vorgestellt zu werden; die uniformirten Gefährten genossen des Vortheils, mit der schönen Fremden zu tanzen, doch Freund Walter war so glücklich, sie zum Souper zu führen – und damit begann seine Bekanntschaft mit Charlotte Margarethe Charpentier, engl. Carpenter, die er so lieb gewann, daß er bald darauf um ihre Hand anhielt, die ihm auch nicht verweigert wurde. Sie war die Tochter eines französischen Emigranten aus Lyon und stand unter Vormundschaft des Marquis von Downshire; als Protestantin getauft und erzogen, von lebhaftem Geist, klarem Verstande und heiterer Lebenslust, war sie ganz für Walter Scott geschaffen, der in ihr eine sehr tüchtige Hausfrau und würdige Lebensgefährtin erhielt. Noch im Dezember des Jahres 1797 ward die Hochzeit gefeiert. Im folgenden Jahre kaufte sich Scott ein Haus zu Edinburg, verlebte aber den Sommer auf einem reizend gelegenen Landhäuschen, das er für einige Jahre gemiethet hatte. Dem Einfluß der Familie gelang es, daß Scott im Jahre 1799 zum Sheriff der Grafschaft Selkirk erwählt wurde, mit einem Gehalte von 300 Pfund Sterling. In seiner richterlichen Eigenschaft entwickelte er einen bewundernswürdigen Scharfsinn, ja die größte Schlauheit, wenn es darauf ankam, die Angeklagten und Zeugen auszuforschen und das Wahre aus dem Gewirr der widerspruchsvollen Aussagen zu scheiden. Aber der Romantiker verleugnete sich auch hier nicht, denn der sonst so gerechte Mann nahm stets Partei für die Wildschützen und Schmuggler. Seinen vertrauteren Freunden war es übrigens längst kein Geheimniß mehr, daß die Jurisprudenz ihn nur halb beschäftigte, denn oft fanden sie bei seinen Akten die Skizzen von Erzählungen und Gedichten, zu denen er bei jeder Gelegenheit übersprang.

Auf die Uebersetzung von Göthe's »Götz von Berlichingen« folgte die Herausgabe einiger trefflicher Balladen in den Wundergeschichten (» Tales of Wonder«) von Lewis, sodann das erste größere Werk, das auch die verdiente Aufmerksamkeit erregte: die »Balladen von Schottlands Landgrenze« ( The Minstrelsy of the Scottish Border) in einer prachtvollen Ausgabe von drei Bänden. Die geistreichen und belehrenden Anmerkungen, womit der Herausgeber die Sammlung schmückte, waren nicht minder anziehend als die Balladen selbst, zu deren Sammlung und Aufzeichnung Walter Scott in die entlegensten Thäler und zu den armseligsten Schäferhütten gewandert war. Namentlich mußten ihm die alten Leute erzählen und singen, und sein starkes Gedächtniß faßte Alles schnell und sicher auf.

Er erhielt zwar die erste Stelle am Sessionshof, aber der günstige Erfolg seiner Arbeiten bestärkte ihn in seinem Entschluß, sich vorzugsweise der Literatur zu widmen, zumal da er nach dem Tode seines Vaters der lästigen Advokatenarbeiten ledig wurde, die er nur aus Rücksicht übernommen hatte. Sein erstes Gedicht, womit er als selbstständiger Dichter hervortrat, war »das Lied des letzten Minnesängers« ( Lay of the last Minstrel), das in Schottland mit wahrer Begeisterung aufgenommen wurde und alle öffentlichen Blätter mit dem Lobe Scott's erfüllte. Bald darauf folgte ein neues Gedicht »Marmion«, eine Erzählung aus der Schlacht von Floddenfield, das dem Dichter noch allgemeineren Ruhm erwarb, obschon es nicht die lyrische Kraft des Minstrels hatte. Als er im Jahre 1809 mit seiner Gemahlin London besuchte, ward er mit den schmeichelhaftesten Huldigungen überrascht, die aber weder seine Bescheidenheit noch Besonnenheit störten. »Alles das« – pflegte er zu sagen – »ist sehr schmeichelhaft, ist sehr höflich; und wenn es die Leute unterhält, mich alte Geschichten erzählen oder lebendigen jungen Mädchen und gähnenden Matronen ein Pack Balladen vortragen zu hören, so kann man ihnen leicht den Gefallen thun, und es wäre sehr unhöflich, etwas zu versagen, was so wohlfeilen Kaufs gegeben werden kann.« Speiste er mit Freunden und fand fremde Gesichter, so war seine gewöhnliche Frage: »Nun, soll ich heute den Löwen spielen? Ich will brüllen, wenn Sie wollen, wie Sie's nicht besser verlangen können.« Er bot dann auch wirklich alle seine unnachahmlichen Talente der Unterhaltung auf, und lachte über sich selbst, wenn die Gäste fort waren, die Worte aus Shakespeare's Lustspiel citirend: »Doch wisse, daß ich Snug, der Schreiner, bin, kein stolzer Löwe« etc.

Im folgenden Jahre (1810) erschien Scott's schönstes Gedicht: »das Mädchen vom See« ( the Lady of the Lake), das stürmischen Beifall erhielt, besonders wegen der unübertrefflichen naturgetreuen Schilderung der Sitten und Gebräuche der Hochschotten, der frischen glänzenden Farbe der Naturschilderungen und des ebenso zarten als eindringlichen Styles willen.

Der reiche Ertrag seiner Werke setzte den fleißigen Autor in den Stand, sich ein kleines Landgut nahe bei der Abtei Melrose zu kaufen, dem er den Namen »Abbotsford« gab. Es lag am Ufer des Tweed in einer höchst romantischen Gegend, und war selber, wie ein geistreicher französischer Reisender sagte, ein »Roman von Schutt und Ruinen«. Sein neuer Besitzer machte aber treffliche Gartenanlagen, baute nach Innen und Außen und schuf einen höchst gemüthlichen Herrensitz, dessen Einrichtung ihm allmählig freilich die große Summe von 60,000 Pfund Sterling kostete. Trotz dem unruhigen, mannigfach bewegten Leben in der ersten Zeit der Uebersiedelung ward der Umgang mit den Musen doch nie vernachlässigt; doch blieben die folgenden Gedichte mittelmäßig. Da fiel ihm wieder ein altes Manuskript von einer angefangenen Novelle »Waverley« in die Hände; er las das Fragment mit großem Interesse und beschloß, einen vollständigen Roman daraus zu schaffen. Die Arbeit dauerte auch gar nicht lange, aber der Verfasser wollte aus seiner neuen Richtung vorläufig noch ein Geheimniß machen und gab sein Werk seinem Freunde Ballantyne, der es dem Buchhändler Constable mittheilte. Dieser erkannte bald, von welcher Feder die neue Schöpfung herrühren möchte, und bot sogleich 700 Pfund Sterling für den Verlag. Scott ließ antworten, daß dies zu viel sei, wenn der Erfolg nicht den Erwartungen entspräche, aber zu wenig, wenn der Roman Glück machte. Autor und Verleger einigten sich also, den Gewinn zu theilen. Im Jahre 1814 erschien » Waverley, or t'is sixty years ago« (»so war es vor 60 Jahren«), und die Aufnahme übertraf alle Erwartungen des Verfassers, dessen Namenlosigkeit noch mehr das Interesse erhöhte. Mehr Sittengemälde als Roman, ist Waverley in der vollendeten Sittenschilderung die ausgezeichnetste Novelle Scott's. Die Charaktere sind so meisterhaft gezeichnet, der Dichter weiß das Herz und die Phantasie des Lesers so zu erregen, daß bei der größten Einfachheit der Darstellung die Entwicklung immer spannender wird, und die ästhetische und stoffliche Wirkung sich vollkommen durchdringen. Mit gewohnter Bescheidenheit äußerte sich Scott: »Ohne mir einzubilden, den Geist, das Gefühl und die bewunderungswürdigen Charakterschilderungen in den Schriften meiner Freundin Miß Edgeworth zu erreichen, glaubte ich doch auch den Versuch machen zu dürfen, etwas der Art über Schottland zu schreiben, wie sie es über Irland that; und ich hoffe das, was meinem Talente fehlte, durch meine Kenntniß des Landes, seiner Geschichte und der Sitten und Gebräuche der Einwohner ersetzen zu können.« Gleich nach dem Erscheinen des Waverley hatte er, mit neuen Plänen beschäftigt, eine Reise nach den Shetland-Inseln unternommen; wie freute er sich nun, als er zurückkehrte, und seinen ersten Roman »auf der höchsten Stufe der Volksthümlichkeit« fand! Es fehlte natürlich nicht an vielen Versuchen, dem Autor das Geheimniß zu entreißen, das nur im Besitz von etwa zwanzig Personen war; aber es gelang nicht.

Billig erstaunt man über die riesenmäßige Thätigkeit, mit der Walter Scott jedes Jahr einen neuen, zuweilen selbst zwei Romane an's Licht brachte! Es erschien:

 

1815 Guy Mannering oder der Sterndeuter;
1816 der Antiquar und der schwarze Zwerg;
1817 der Todtengreis (dein Presbyterianer);
1818 Robin der Rothe und das Herz von Mid-Lothian;
1819 die Braut von Lammermoor und die Legende von Montrose;
1820 Ivanhoe, das Kloster und der Abt;
1821 Kenilworth;
1822 der Pirat und Nigels Schicksale;
1823 Peveril vom Gipfel und Quentin Durward;
1824 St. Ronansbrunnen und Redgauntlet;
1825 die Verlobten und Richard Löwenherz (die Kreuzfahrer);
1826 Woodstock;
1827-1828 die Chronik von Canongate;
1829 Anna von Geierstein;
1828-1830 die Erzählungen eines Großvaters (aus der schottischen Geschichte);
1831 Graf Robert von Paris und das gefährliche Schloß.

 

Ivanhoe, Kenilworth, Woodstock und Nigel spielen in England, Quentin Durward in Frankreich; die meisten und lebensvollsten natürlich in Schottland. Anfangs sind sie oft etwas breit und schleppend und brechen am Ende die Entwicklung über's Knie, aber die Fehler sind gering im Vergleich zu der übrigen Gediegenheit dieser historischen Romane, auf denen der Geist der Pietät ihres Verfassers ruht, der von sich sagen durfte, daß er keine Zeile geschrieben, die irgend Jemand hätte in seinem Glauben irre machen können. Die sittliche Würde des echt konservativen Tory hat sich auf schöne Weise mit dem ästhetischen Charakter des Dichters verschmolzen in der treuen Hingabe an den Gegenstand und der Achtung vor der Eigenthümlichkeit des Individuellen und historisch Gewordenen.

Die außerordentliche Fruchtbarkeit Scott's wird noch erstaunlicher, wenn man die lange Reihe der übrigen Arbeiten überblickt, die er neben den Romanen veröffentlichte. So gab er die Werke Dryden's heraus, und begleitete sie mit einer werthvollen Biographie des Dichters, ebenso die Werke Swifts; schrieb Artikel für das Edinburgh und Quarterly-Review, nach einer Reise auf's Festland »die Schlacht von Waterloo«, dann »die Alterthümer auf dem Grenzgebiete von England« etc.

Im Jahre 1820 wurde Walter Scott zur Würde eines englischen Baronets erhoben, 1821 zum Präsidenten der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Edinburg erwählt. Als König Georg IV. im Jahre 1822 Schottland besuchte, kam ihm W. Scott auf der Rhede von Leith zu Schiffe entgegen, begleitet von einer Deputation schottischer Damen, die dem König zum Willkommen ein reich mit Brillanten besetztes Andreaskreuz überreichen wollten. Kaum hatte Georg von der Annäherung Scotts Kunde erhalten, so rief er freudig aus: »Wie, Sir Walter Scott! der Mann Schottlands, den zu sehen ich das größte Verlangen trage? Laßt ihn sogleich an unsern Bord steigen!« Der König empfing den Dichter auf das liebreichste, behielt ihn zu Tische, und er mußte zu seiner Rechten sitzen.

Bei allen Arbeiten behielt Scott immer noch Zeit für frohe Geselligkeit und kleine Reisen. Er war mit allen Notabilitäten Englands und Schottlands bekannt, und sein gastfreies Haus stand den vielen Besuchenden offen.

Walter Scott wurde auch mit Lord Byron bekannt, und die Art, wie er das Zusammentreffen mittheilt, ist charakteristisch für beide Dichter, die, so grundverschieden in ihrem Charakter, doch sich anzogen. »Meine erste Bekanntschaft,« erzählt Walter Scott in einer Mittheilung, die er dem Dichter Thomas Moore für dessen Biographie Byrons machte – »meine erste Bekanntschaft mit Byron fing etwas verdächtig und bedenklich an. Ich war so weit von aller Theilnahme an der anstößigen Rezension in dem Edinburger Blatte (worin Lord Byrons »Stunden der Muße« hart mitgenommen wurden) entfernt, daß ich, wie ich mich noch deutlich erinnere, unserem Freunde, dem Herausgeber, mißfällige Bemerkungen darüber machte, weil ich glaubte, daß »die Stunden der Muße« mit ungebührlicher Strenge behandelt worden wären. Sie waren, wie alle jugendlichen Poesieen, mehr Reminiszenzen von dem, was dem Verfasser an Andern gefallen hatte, als Schöpfungen eigner Einbildungskraft; dessen ungeachtet glaubte ich, daß Stellen darin vorkämen, die etwas Ausgezeichnetes versprächen. Ich nahm mir die Sache so zu Herzen, daß ich mit dem Gedanken umging, an den Verfasser zu schreiben; aber gewisse übertriebene Schilderungen von seinen Eigenheiten, die mir zu Ohren gekommen waren, und mein natürlicher Widerwille gegen unberufenes Aufdringen von Meinungen, bewogen mich, meinen Vorsatz wieder aufzugeben.

Als Byron seine berüchtigte Satyre schrieb, bekam ich auch meinen Theil von den Geißelhieben, so gut wie viele Andere von größerer Bedeutung, als ich. Mein Verbrechen war, ein Gedicht (ich glaube Marmion) für tausend Pfund geschrieben zu haben; woran weiter nichts Wahres war, als daß ich das Manuskript für die angegebene Summe an den Verleger abgelassen hatte. Nicht zu gedenken, daß ein Schriftsteller wohl schwerlich deßwegen getadelt werden kann, wenn er sich so viel geben läßt, als die Buchhändler ihm zu geben Lust haben, so kam es mir auch so vor, als ob Einmischung in meine Privatangelegenheiten außer den Grenzen einer literarischen Satyre läge. Auf der andern Seite überstieg das Lob, das mir Lord Byron in mehreren Stellen ertheilte, so sehr mein Verdienst, daß ich weit empfindlicherer Natur gewesen sein müßte, um mich nicht ganz ruhig zu verhalten und die Sache zu vergessen.

Ich wurde, wie die ganze Welt, von der Lebendigkeit und Stärke der Einbildungskraft gewaltig ergriffen, welche sich in den ersten Gesängen von Childe Harold und den andern glänzenden Produkten an den Tag legt, die Lord Byron mit einer an Verschwendung grenzenden Leichtigkeit in's Publikum schleuderte. Mein eigener Dichterruf war damals im Abnehmen und ich hatte aufrichtige Freude darüber, einen Schriftsteller von solcher Kraft und Energie auftreten zu sehen. Mr. John Murray (der Verleger der Werke L. Byrons) war um diese Zeit gerade in Schottland, und da ich ihm sagte, daß ich sehr gerne L. Byrons Bekanntschaft machen möchte, hatte er die Güte, Sr. Lordschaft meinen Wunsch zu erkennen zu geben, welches dann zu einigem Briefwechsel führte.

Es war im Frühling des Jahres 1815, daß ich zufällig in London so glücklich war, Lord Byron in Person vorgestellt zu werden. Das Gerücht hatte mich darauf vorbereitet, einen Mann von eigentümlichem Wesen und heftigem Temperament zu finden, und ich war besorgt, ob wir auch im geselligen Leben zu einander passen würden. Hierin hatte ich mich aber, wie ich zu meinem großen Vergnügen sah, gänzlich geirrt. Ich fand Lord Byron im höchsten Grade artig, selbst herzlich. Wir kamen fast täglich ein paar Stunden in Mr. Murray's Gesellschaftssaale zusammen, und wußten einander immer recht viel zu sagen. Auch trafen wir uns häufig bei Diners und Abendgesellschaften, so daß ich zwei Monate hindurch in ziemlich engem Verkehre mit diesem ausgezeichneten Charakter lebte. Unsere Ansichten stimmten mehrentheils überein, Alles ausgenommen, was Religion und Politik betraf, in welchen beiden Punkten ich geneigt war, zu glauben, daß es Lord Byron eigentlich an festen Grundsätzen fehlte.

In der Politik hatte er zuweilen einen starken Anklang von dem, was man jetzt Liberalismus nennt; aber es war mir wahrscheinlich, daß die gute Gelegenheit, die ihm dieser Parteiton darbot, seinen Witz und sein Talent der Satyre gegen die hohen Staatsbeamten spielen zu lassen, eigentlich der Grund war, warum er ihn anstimmte, nicht aber wirkliche Ueberzeugung von der Wahrheit der politischen Maximen, denen er das Wort redete. Er war gewiß stolz auf seinen Rang und das Alter seiner Familie, und in dieser Hinsicht ein so vollkommener Aristokrat, als sich mit einem gebildeten Verstande und seiner Erziehung vereinigen ließ.

Lord Byrons Belesenheit schien mir eben nicht ausgebreitet zu sein, in der Poesie ebenso wenig als in der Geschichte. Da ich ihm in dieser Hinsicht überlegen und mit einem ziemlich eifrigen Quellenstudium an Manches gerathen war, das wenig gelesen wird: so konnte ich ihn zuweilen mit Gegenständen bekannt machen, die für ihn noch den Reiz der Neuheit hatten. So erinnere ich mich, ihm einmal das schöne Gedicht von Hardiknut, eine Nachahmung der alten schottischen Ballade, hergesagt zu haben, wovon er so ergriffen wurde, daß mich Jemand, der sich in demselben Zimmer befand, fragte, was in aller Welt ich Byron mitgetheilt habe, wodurch er so sehr aufgeregt sei?

Das letzte Mal sah ich Byron im Jahre 1815, nachdem ich von Frankreich zurückgekehrt war, bei einem sehr vergnügten Mittagessen. Wie die alten Heroen im Homer tauschten wir Geschenke; ich gab Byron einen schönen mit Gold verzierten Dolch, der ein Eigenthum des gefürchteten Elfi Bey gewesen war. Es ging mir aber wie dem Diomedes in der Iliade; der Lord Byron übersandte mir einige Zeit nachher eine große silberne Graburne. Sie war mit Menschenknochen angefüllt, und hatte auf zwei Seiten des Fußgestells Inschriften. Die eine lautete: »Die in dieser Urne enthaltenen Knochen wurden in alten Gräbern innerhalb der Landmauern von Athen gefunden, im Monat Februar 1811.« Die andere Seite zeigte die Juvenalschen Verse:

Expende – quot libras in duce summo invenies Mors sola fatetur, quantula hominum corpuscula. Der Tod allein bringt an's Licht, wie gering der Menschen Gebeine.
(Juv. X.)

Ich fügte noch eine dritte Inschrift hinzu, nämlich: »Geschenk von Lord Byron an Walter Scott.«

Washington Irving, auf den Scott viel hielt, wollte den berühmten Schotten persönlich kennen lernen, und hatte, als er sich Abbotsford nahete, zuvor eine Karte übersandt mit der Anfrage, ob sein Besuch nicht ungelegen komme. Scott war gerade beim Frühstück, sprang voll Freude sogleich hinaus, die Hunde und Kinder ihm nach, wie gewöhnlich, um den Gast zu begrüßen und ihn von der Landstraße in's Haus zu geleiten. »Das Gerassel meines Wagens,« erzählt Irving, »hatte die Ruhe des Landsitzes gestört. Heraus sprang der Wächter des Schlosses, ein schwarzes Windspiel, schwang sich auf einen der Steinblöcke und hob ein wüthendes Gebell an. Dieses Lärmen brachte die ganze Hundsgarnison heraus, sämmtlich offenen Rachens und laut bellend. Nach einer kleinen Weile erschien der Herr des Schlosses selbst. Ich erkannte ihn sogleich, da ich die Porträts gesehen hatte, die von ihm erschienen waren. Er hinkte den Sandweg herab und half sich mit einem starken Spazierstocke fort, bewegte sich aber rasch und kräftig. An seiner Seite lief ein großer eisengrauer Jagdhund von sehr ernstem Gebahren, welcher an dem Toben des Hundepöbels keinen Antheil nahm, sondern der Würde seines Hauses gemäß sich für verpflichtet hielt, mir einen höflichen Empfang angedeihen zu lassen.

»Ehe Scott das äußere Thor erreichte, rief er mich in einem herzlichen Tone an, indem er mich zu Abbotsford bewillkommnete. Als er zum Wagenschlage gekommen war, nahm er mit Wärme meine Hand und sagte: ›Kommen Sie, fahren Sie herab an's Haus. Sie kommen gerade recht zum Frühstück! und dann sollen Sie alle Wunder der Abtei sehen.‹ Ich wollte mich entschuldigen, indem ich anführte, ich hätte mein Frühstück bereits eingenommen. ›Still, Mann!‹ rief er, ›eine Morgenfahrt in der scharfen Luft der schottischen Berge ist hinreichende Bürgschaft für ein zweites Frühstück!‹

»Demzufolge wurde ich im Fluge an die Thür der Cottage gefahren, und sah mich nach wenigen Augenblicken an dem Frühstückstische sitzen. Außer der Familie war Niemand anwesend; diese bestand aus Mrs. Scott, ihrer ältesten Tochter Sophie, damals ein schönes Mädchen von ungefähr 17 Jahren; Miß Anna Scott, zwei oder drei Jahre jünger; Walter, ein großgewachsenes Bürschchen, und Charles, ein lebhafter Knabe von 11-12 Jahren.

»Ich fühlte mich bald ganz zu Hause und mein Herz schlug warm bei dem herzlichen Empfange, der mir zu Theil ward. Ich hatte geglaubt, einen bloßen Morgenbesuch zu machen, fand aber bald, daß man mich sobald nicht wieder loslassen würde. ›Sie müssen nicht glauben, daß unsere Gegend an einem Morgen wie ein Zeitungsblatt gelesen werden kann,‹ sagte Scott; ›sie erfordert das mehrtägige Studium eines aufmerksamen Reisenden, der einiges Wohlgefallen an dem Plunder der alten Welt hat. Nach dem Frühstück statten Sie der alten Melrose-Abtei Ihren Besuch ab; ich werde nicht im Stande sein, Sie dahin zu begleiten, da ich einige häusliche Geschäfte zu besorgen habe; allein ich werde Sie meinem Sohne Charles anvertrauen, der in Allem sehr gelehrt ist, was die alte Ruine und die Gegend betrifft, in welcher sie steht. Wenn Sie wiederkommen, nehme ich Sie zu einem Spaziergange in die Nachbarschaft mit. Morgen werden wir den Yarrow sehen und übermorgen nach Dryburgh-Abtei fahren, die eine schöne alte Ruine und wohl werth ist, daß Sie sie ansehen.‹ Mit Einem Worte, ehe Scott mit seinem Plane fertig war, fand ich, daß mein Besuch mehrere Tage dauern würde, und es schien, als ob ein kleines Reich der Romantik sich mir plötzlich erschlossen hätte.«

Der gute Scott sollte aber auch die Ungunst des Schicksals erfahren. Mitten in sein heiteres Stillleben traf wie ein Donnerschlag die Nachricht, daß die Häuser Ballantyne und Constable, mit denen er den Kontrakt über den Verlag seiner Werke abgeschlossen hatte, ihre Zahlungen eingestellt hätten. Durch diesen Bankerott verlor der Dichter die Früchte eines zwanzigjährigen Fleißes und sah sich plötzlich mit einer Schuld von 170,000 Pfund Sterling belastet. Heldenmüthig ertrug er das Unglück. »Es ist sehr hart – sagte er – den Lohn eines thätigen Lebens plötzlich zu verlieren und von Wohlhabenheit zu bitterer Armuth herabzusinken; wenn mir indessen der liebe Gott nur noch wenige Jahre Gesundheit und Kraft verleiht, so hoffe ich, mich dieser schrecklichen Lage wieder entwinden zu können.« Er begann mit seinem Bienenfleiße wieder zu schriftstellern, aber wenn auch die Bücher des berühmten Autors willen Abgang fanden, so war doch der alte Geist und Humor nicht mehr darin, und namentlich das großangelegte historische Werk »Leben Napoleons« in 9 Bänden zeigte bedeutende Mängel. Erfolgreicher war's, daß Scott von seinen bereits erschienenen Romanen eine neue verbesserte mit Anmerkungen bereicherte Ausgabe veranstaltete; er erhielt für das Manuskript 8400 Pfund Sterling. Die Hälfte des Ertrags sollte gleichfalls dem Dichter zukommen, der sie aber sogleich seinen Gläubigern überwies. Das Verlangen des Publikums, eine vollständige Sammlung der Romane Walter Scotts zu besitzen und seinen Vermögensumständen wieder aufzuhelfen, bewirkte, daß in kurzer Zeit 24,000 Exemplare verkauft wurden. Man kann sich einen Begriff von der Rührigkeit machen, mit welcher dieß Unternehmen betrieben wurde, wenn man erfährt, daß mehr als 1000 Menschen dabei beschäftigt waren. Das Geheimniß der Autorschaft war nun auf gewaltsame Weise gelöst worden; die Chronik von Canongate war der erste Roman-Cyklus, der unter Scotts Namen erschien. Bald folgte noch »Karl der Kühne oder die Tochter des Nebels« und »das schöne Mädchen von Perth«, ein sehr gelungener Roman. Diese Werke und die »Geschichte Schottlands«, welche wie Ivanhoe in alle Schichten des Volkes drang und von Jung und Alt mit Begeisterung gelesen wurde, setzten den Verfasser in den Stand, schon zu Ende 1830 fast die Hälfte seiner Schulden abtragen zu können und seine Gläubiger gaben ihm bei dieser Gelegenheit alle seine Bücher, Manuskripte und Alterthümer, welche sie von ihm zum Unterpfande erhalten hatten, unter Bezeigung ihrer innigen Hochachtung für seinen edlen Charakter wieder zurück.

Die außerordentliche Anstrengung in den letzten Jahren mochte wohl der Hauptgrund sein, daß Walter Scott zu Anfang 1831 von einem Schlaganfall heimgesucht wurde, der ihn fast gänzlich lähmte; doch behielt er die Lebendigkeit seiner Denkkraft und die ihm eigene überraschende Beredsamkeit bei sichtbar zunehmender leiblicher Schwäche.

Als das Publikum von dem leidenden Zustande des geliebten Dichters hörte, war die Theilnahme allgemein; von Nah und Fern kamen Verehrer des schottischen Barden, ihn zu sehen und die Stätte, die einen so erhabenen Geist beherbergte. Die Aerzte riethen zu einer Reise in die milden Länder des Südens. Die englische Regierung, hiervon unterrichtet, bot dem kranken Dichter sogleich ein Schiff an. So gern er dies ehrenvolle Anerbieten annahm, so traurig schied er doch von seinem geliebten Abbotsford, das er nimmer wiederzusehen fürchtete. Vorerst ging er nach London, und nachdem er in seinem letzten Romane (das gefährliche Schloß), den er ankündigte, der Welt eine Art von Lebewohl gesagt hatte, segelte er nach Italien. Unterwegs traten hoffnungsvolle Momente ein, wo seine Kraft zu neuem Leben zu erwachen schien, aber die schöne Hoffnung war nur vorübergehend. Bei seiner Ankunft in Neapel befand er sich so übel, daß er die ihm zugedachten Ehrenbezeigungen sich verbitten mußte. Von Neapel ging er nach Rom; aber inmitten der Wunderwerke alter Kunst und Größe, nach deren Anblick er sich so oft gesehnt hatte, überkam ihn die Sehnsucht nach den heimischen Ufern des Tweed. Er fühlte, wie schnell seine Lebenskräfte sanken und sein sehnlichster Wunsch war, in seinem Vaterlande zu sterben. So kam er denn bis zum Tode erschöpft im Herbste 1832 wieder in London an, wo ihn ein zweiter heftiger Schlaganfall befiel. Kaum so weit hergestellt, um sich einschiffen zu können, ging er nach Schottland unter Segel.

Als er durch das Portal seines Schlosses fuhr, sprangen ihm freudig seine Hunde, die treuen Gefährten so mancher frohen und traurigen Stunde, entgegen – unter Thränen und Lächeln streichelte er sie und ließ sich von ihnen die Hände lecken, bis er ermüdet auf das Bett in seinem Schlafzimmer sank und einschlummerte.

Ruhig und sanft wie ein Kind ließ er sich die folgenden Tage in einem Rollstuhle in den Garten fahren, genoß des warmen Sonnenscheins und labte sich an dem Grün der Bäume. Doch schon vom 17. September an konnte er das Bett nicht mehr verlassen, er phantasirte viel und hatte nur auf Augenblicke klares Bewußtsein. Am 21. September 1832 schloß er die Augen für immer. Es war ein warmer sonnenheller Herbsttag; die Fenster waren geöffnet, um die milde Luft hereindringen zu lassen, und in der Stille rings umher vernahm des Dichters Ohr zum letzten Mal das Plätschern des Tweed. Die Kinder knieten an seinem Sterbebett und sein Sohn Walter drückte ihm die Augen zu. Er hatte sein Alter auf 62 Jahre gebracht.

In Dryburgh Abtei ward seine sterbliche Hülle beigesetzt, Tausende von schlichten Landleuten folgten dem Sarge ihres Sheriffs. Das dankbare Schottland aber eröffnete eine Sammlung, um der Familie Scotts das Gut Abbotsford zu erhalten, und neuerdings hat es ihm in Edinburg ein schönes, würdiges Denkmal errichtet.

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Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.


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