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siehe Bildunterschrift

Ludwig van Beethoven. Portrait von Joseph Karl Stieler

Ludwig van Beethoven.

Biographische Notizen über L. v. Beethoven von Dr. Wegeler und F. Ries. Biographie von L. v. Beethoven von A. Schindler (Münster 1840). Beethoven et ses trois styles par W. de Lenz (St. Petersbourg 1852).


Beethoven, der gewaltige Heros im Reich der Töne, der für den Instrumentalsatz vielleicht das Größte geleistet hat, was auf diesem Gebiete geleistet werden kann, erblickte in einer armen Musikantenfamilie zu Bonn, am 17. Dezember 1770 das Licht der Welt. Sein Vater war Tenorist an der kurfürstlichen Kapelle Maximilian Friedrichs, der wie alle Kinder der Kaiserin Maria Theresia ein Kenner und Liebhaber der Musik war. Wie sein Bruder der Kaiser Joseph der Schutzpatron Mozarts war, so ward Kurfürst Maximilian der Beschützer Beethovens, dessen herrliche Anlagen bald seine Aufmerksamkeit erregten, obschon Beethoven keineswegs gleich Mozart schon als musikalisches Wunderkind die Welt in Erstaunen setzte. Uebrigens mußte er schon 4 Jahre alt die edle Musika beginnen, und dem Willen des Vaters kam der Kleine gern nach, denn es machte ihm große Freude, die Violine zu spielen.

Der Knabe hatte etwas Drolliges und Aufgewecktes, das ihn bei allen seinen Verwandten und auch bei den Musikern der Kapelle beliebt machte. Leider ging's im elterlichen Hause etwas unordentlich zu, es war ein lockeres Musikantenleben. Doch der kleine Ludwig erhielt sich rein von allen nachtheiligen Einflüssen und besuchte am liebsten eine wohlhabende patrizische Familie von Breuning, von der er höchst liebreich empfangen wurde und wo er es gut hatte wie ein verzogenes Kind. Oft, wenn es schon spät geworden war, blieb er des Nachts bei den Breunings, und seine Eltern ließen ihn gewähren. Der stille Friede, die Sauberkeit und Wohlhäbigkeit in diesem Hause wirkten tief auf das Gemüth des phantasiereichen Knaben, in dessen Seele die ersten Ahnungen eines künftigen schöneren Lebens, das über die Gegenwart hinaus strebt, erwachten. Schiller und Göthe waren die gefeierten Lieblinge des Herrn von Breuning und wurden es auch für den Knaben Beethoven. Daheim aber mußte ihm die Mutter, eine geborene Maria Magdalena Kewerich, fleißig vom Großvater väterlicherseits erzählen, der seiner Zeit ein beliebter Opernsänger gewesen war und aus Holland stammte.

Vom Vater empfing Ludwig den ersten Unterricht in der Musik, und diese Lektionen waren nicht die angenehmsten, da der ungeduldige Lehrer bei dem kleinsten Versehen in Zorn gerieth. Auch andere Musikfreunde des Vaters nahmen sich des kleinen Beethoven an Namentlich der Kapellmeister Pfeifer, dem B. viel verdankt. und dieser lernte so gut, daß er schon in seinem 15. Jahre die Stelle eines Organisten in der kurfürstlichen Kapelle bekleiden konnte. Aber schüchtern, wie er war, versteckte er sich gewöhnlich in einem Winkel der kleinen Kirche, damit ihn Niemand sehen sollte. Diese Stelle hatte der junge Beethoven durch Fürsprache des Grafen Waldstein erhalten, eines am Hofe sehr einflußreichen Herrn, der mit Kennerblick das aufkeimende Genie durchschaute und höchst überrascht ward, als ihm der Knabe seine 3 Sonaten vorspielte, die er in einem Alter von zehn Jahren komponirt hatte. Sie wurden dem Kurfürsten gewidmet und auf der Rückseite des Titelblattes steht folgende Dedikation, die man natürlich dem Knaben in die Feder diktirt hatte:
Erhabenster!
Mit meinem vierten Jahre begann die Musik die erste meiner jugendlichen Beschäftigungen zu werden. So frühe mit der holden Muse bekannt, die meine Seele zu reinen Harmonieen stimmte, gewann ich sie, und wie mir's oft wohl däuchte, sie mich wieder lieb. Ich habe nun schon mein elftes Jahr erreicht, und seitdem flüsterte mir oft meine Muse in den Stunden der Weihe zu: »Versuch's und schreib einmal deiner Seele Harmonieen nieder!« Elf Jahre, dachte ich, und wie würde mir da die Autormiene lassen? und was würden dazu die Männer in der Kunst wohl sagen? Fast ward ich schüchtern, doch meine Muse wollt's – ich gehorchte und schrieb.
Und darf ich's nun, Erlauchtester! wohl wagen, die Erstlinge meiner jugendlichen Arbeiten zu Deines Thrones Stufen zu legen? und darf ich hoffen, daß Du ihnen Deines ermunternden Beifalls milden Vaterblick wohl schenken werdest? O ja, fanden doch von jeher Wissenschaften und Künste in Dir ihren weisen Schützer, großmüthiger Beförderer, und aufsprießendes Talent unter Deiner Vaterpflege Gedeihen. Voll dieser ermunternden Zuversicht wag' ich es mit diesen jugendlichen Versuchen mich Dir zu nahen. Nimm sie als ein reines Opfer kindlicher Ehrfurcht auf, und sieh mit Huld, Erhabenster! auf sie herab und ihren jungen Verfasser
L. van Beethoven.
In seinem 11. Jahre spielte er Bachs wohltemperirtes Klavier, und im Gebrauch der Harmonie war er so fertig, daß er dem tüchtigsten Sänger Namens Heller den Antrag machte, er wolle durch seine eigenthümliche Begleitung ihn aus der Melodie bringen, wenn er (wie das in der Charwoche üblich war) die Klagelieder aus Jeremias singen würde. Heller hielt das nicht für möglich, mußte sich aber bald überzeugen, daß Beethoven Wort hielt. Dieser hatte durch eine geschickte Modulation den Sänger in eine fremde Tonart geführt, wo er sich verirrte und stecken blieb. Beethoven spielte ein nicht leichtes Trio von Pleyel (mit dem berühmten Violoncellisten Bernhard Romberg und dem Vater von Ferdinand Ries) vom Blatte weg; Niemand hatte darauf geachtet, daß Beethoven zwei Takte, die in seiner Pianofortepartie fehlten, auf der Stelle ergänzt hatte, so gut war Alles zusammengeklungen. Auch im Violinspiel hielt er sich wacker.

Es ward dem Grafen Waldstein nicht schwer, vom Kurfürsten die Erlaubniß zu erwirken, daß der junge Beethoven nach Wien zu dem berühmten Haydn geschickt würde, um unter dessen Leitung seine Studien zu vollenden. Der Kurfürst bewilligte die nöthigen Stipendien, und so machte sich der 22jährige Künstler im Jahre 1792 frohen Muthes auf nach der Kaiserstadt, die damals den Mittelpunkt musikalischer Kunst bildete, und die nun zu den zwei glänzenden Sonnen Mozart und Haydn ein drittes Gestirn empfangen sollte, das um so wunderbarer am Himmel der Kunst aufstieg, als der Schmerz um den früh dahin geschiedenen Mozart noch in Aller Herzen lebendig war. Beethoven hatte den großen Tondichter glücklicherweise zu hören Gelegenheit bekommen, auf seiner ersten Reise nach Wien (im Jahre 1786-87), wo er bereits, nachdem er vor Mozart phantasirt hatte, von diesem anerkennend beurtheilt wurde. »Dieser Jüngling,« soll sich Mozart geäußert haben, »wird noch viel von sich reden machen.« Die schwere Erkrankung seiner Mutter rief aber den jungen Beethoven damals nach Bonn zurück.

Von Haydn hatte Beethoven mehr erwartet, als er fand, und zu einer näheren Verbindung beider Männer kam es nicht; ihre Charaktere waren zu verschieden. Haydn's kindliche Heiterkeit, ruhige Beschaulichkeit und zufriedene Selbstbeschränkung bildete den auffallendsten Gegensatz zu dem auffahrenden, kühnen, nach dem Höchsten ringenden Wesen des originellen Schülers, dessen Genialität wohl der alte Meister alsbald erkannte, dessen Eigenthümlichkeit er aber nicht zu fassen und zu behandeln verstand. Dazu kam ein Vorfall, der das leicht entzündbare Gemüth des Schülers mit Mißtrauen gegen den Lehrer erfüllte. Beethoven begegnete einstmals, mit dem Notenheft unter dem Arm, so eben von Haydn kommend, dem Komponisten Schenk, der sich damals durch seine komische Oper »der Dorfbarbier« bekannt gemacht hatte. Dieser nahm großen Antheil an den Fortschritten des jungen Mannes und durchblätterte neugierig dessen Studienhefte. Mit nicht geringer Befremdung entdeckte er sogleich mehrere Fehler in der Komposition, die Haydn unkorrigirt gelassen hatte. Von Stund' an war Beethoven entschieden, nicht länger seine Studien bei Haydn fortzusetzen, obschon es diesem höchst erwünscht gewesen wäre, wenn Beethoven auf dem Titel seiner ersten Kompositionen sich einen Schüler Haydn's genannt hätte. Beethoven behauptete, er habe bei Haydn gar nichts gelernt. Desto mehr profitirte er von dem geschickten Kontrapunktisten Albrechtsberger in der Harmonielehre, zumal da dieser Lehrer den genialen Schüler mehr gewähren ließ und nicht sklavisch an die Regel zu binden suchte. Das ist ja eben der Unterschied des Genius und des bloßen Talentes, daß letzteres nicht ungestraft die Regel verlassen darf, während jener neue Bahnen bricht und selber die Autorität wird, welche die Regeln vorschreibt. Beethoven wollte Alles selber finden, und nahm nichts auf Treu und Glauben an, bis er sich selber von der Wahrheit und Richtigkeit eines Gesetzes überzeugt hatte.

Ries entdeckte einmal, während er die Werke seines Meisters studirte, zwei verbotene Quinten in dem Violin-Quartett in C-moll. »Sie haben hier zwei Quinten gemacht!« – Bah! – »Sehen Sie doch zu!« – Wer hat denn verboten, Quinten zu machen? – »Aber Marpurg, Fuchs, Körnberger – alle Theoretiker ohne Ausnahme!« – Gut, ich gestatte sie. So antwortete er dem Freunde. Die gedruckten Kritiken würdigte er gar keiner Antwort. »Ja, ja,« sagte er, indem er sich vor Freude die Hände rieb, »sie wundern sich und verstehen es nicht, weil sie das nicht in ihren Büchern vom Generalbaß gefunden haben.«

Zu seiner großen Betrübniß verlor er schon im Jahre 1801 seinen Gönner und Wohlthäter, den Grafen Waldstein; doch der Aufenthalt in Wien, wo Alles sich zur Entwickelung seines künstlerischen Sinnes vereinigte, sagte ihm so zu, daß er beschloß, auch fernerhin dort zu bleiben. Und wie zu Bonn sich ihm eine liebe Familie geöffnet hatte, so widerfuhr ihm nun ein gleiches Glück durch die Familie Lichnowsky, welche den Künstler in ihr Haus aufnahm. Der Fürst Lichnowsky war sehr musikalisch gebildet und die neuesten Kompositionen Beethovens wurden zuerst in seinem Salon aufgeführt. Ein Hochgenuß war es, den jungen Meister zu hören, wenn er frei auf dem Piano phantasirte. Die Fürstin behandelte ihn wie ihren Sohn und war voll der zartesten Aufmerksamkeit. Aber gerade dieß war nicht nach dem Sinn des störrischen Genie's, das völlig frei und ungehindert ganz nach Belieben schalten und walten wollte, und an Ort und Zeit sich nicht band. Daß er erst 3½ Uhr zu Mittag essen, dazu eine sorgfältige Toilette machen sollte, wollte dem Hausfreunde durchaus nicht in den Sinn. Einstmals hörte er, wie der Fürst einem Kammerdiener den gemessensten Befehl ertheilte, daß, wenn Er und Beethoven etwa einmal zu gleicher Zeit schellen würde, er zuerst den Herrn Beethoven bedienen sollte. Weit entfernt, von dieser Aufmerksamkeit gerührt zu sein, miethete Beethoven sogleich einen Bedienten für sich allein. Von der Fürstin sagte er, als er das gastfreie Haus ganz verlassen hatte, sie habe ihn unter die Glasglocke setzen wollen, daß Niemand ihn berühren möchte. »Mit großmütterlicher Liebe hat man mich dort erziehen wollen.«

Aber jene Liebeserweise waren für den ungebundenen Geist keineswegs verschwendet; er bedurfte, je mehr sein Genius ihn auf sich selbst zurückwarf, der befruchtenden Wärme herzlicher Theilnahme, bevor ihn sein Gehörübel ganz menschenscheu machte und zu völliger Einsamkeit verdammte. Beethoven trug in seinem Busen einen reichen Schatz von Liebe, aber sein Aeußeres war rauh und stachlicht, und sein Lebensgang erlaubte ihm nicht, selber eine Familie zu gründen. Um so herrlicher, tiefer und inniger strömte er die Gefühle seines Herzens und die Gedanken seiner Seele aus in seinen unsterblichen Tonwerken, die von Allem, was ein Menschenleben in Freude und Schmerz bewegt, in der Sprache der Töne verkünden, und hinweisen auf ein schöneres Jenseits, das die Räthsel und Dissonanzen dieser Welt auflösen soll. Haydn und Mozart fühlten sich heimisch in dieser Welt, das hört man aus jedem ihrer Werke; Beethoven stürmt mit heißer Sehnsucht über das Erdenleben hinaus, weil es ihn nicht befriedigt. Sehnsucht, aber auch unendlicher Freiheitsdrang: das ist der Grundcharakter seiner Musik.

Im Jahre 1809 ward Beethoven als Kapellmeister an den neuen Hof des Königs von Westphalen berufen und ihm ein Gehalt von 600 Dukaten angeboten. Der Künstler, der sich anfangs für den französischen Konsul begeistert hatte, war bald genug von seinem Irrthum zurückgekommen. Die herrliche Sinfonia eroica (Heldensymphonie) war ursprünglich zu Ehren des französischen Helden komponirt worden. Ries erzählt in Bezug hierauf: »Beethoven hatte sich Bonaparte gedacht, als er noch erster Konsul war. Er verglich ihn mit den größten römischen Konsuln. Auf dem Titelblatt der Partitur stand: Bonaparte. Ganz unten: Luigi van Beethoven. Ich war der Erste, der ihm die Nachricht brachte, Napoleon habe sich zum Kaiser erklärt, worauf er in Wuth gerieth und das Titelblatt zerriß. Nun erst erhielt die Symphonie den Titel: S. eroica. Der Fürst Lobkowitz kaufte sie von Beethoven zum Gebrauch für einige Jahre, wo sie in dessen Palais mehrmals gegeben wurde.«

Beethoven gab gern nach, als man in ihn drang, Oesterreich nicht zu verlassen. Seine Schüler, der Erzherzog Rudolph (später Kardinal und Erzbischof von Olmütz), ferner der Fürst Lobkowitz und Kinsky vereinigten sich, dem Meister zur Entschädigung ein Jahrgeld von 4000 Gulden auszusetzen, so lange er nicht zu einer entsprechenden Stelle berufen würde. Der Erzherzog gab 1500, Fürst Kinsky 1800, Lobkowitz 700 Gulden; leider traten um diese Zeit die österreichischen Finanzwirren ein, welche das Papiergeld auf den fünften Theil seines Werthes herabbrachten, und selbst diese Summe ward durch den Tod Kinsky's und den Bankerott von Lobkowitz gefährdet. Doch Erzherzog Rudolph half, so gut er konnte. Unterdessen war für Deutschland und Oesterreich, nach so viel Schmach und Unglück dem glücklichen und übermächtigen Napoleon gegenüber, die glorreiche Zeit der Ermannung, der Abschüttelung des Joches der Fremdherrschaft gekommen; die Völkerschlacht bei Leipzig war geschlagen und der Franzosenkaiser mit den Trümmern seiner Armee über den Rhein zurückgetrieben worden. Daß die gehobene und begeisterte Stimmung, welche damals die Herzen aller Vaterlandsfreunde durchdrang, bei einem Patrioten wie Beethoven sehr energisch sich äußern mußte, kann man sich leicht denken. In geselligen Kreisen sprühete sein Geist von froher Laune, treffendem Witz und auch beißender Satyre; seine Arbeitslust war reger denn je und die Fruchtbarkeit seines Genius schien unerschöpflich. Er hatte seine große A-dur Symphonie (die siebente) und die Symphonie »Wellingtons Sieg, oder die Schlacht bei Vittoria« beendet und der kaiserliche Hofmechanikus Mälzel hatte die gute Idee, ein Konzert zu veranstalten, worin diese Kompositionen zum Besten der in der Schlacht bei Hanau invalid gewordenen österreichischen und bairischen Krieger zur Aufführung kommen sollten. Am 8. und 12. Dezember 1813 fand die Feier unter lebhafter Theilnahme des Publikums in der Universitäts-Aula Statt. In dem Bericht der Allgem. Musikzeitung (XVI, 4) fand das allgemeine Urtheil folgenden Ausdruck: »Längst im In- und Ausland als einer der größten Instrumental-Komponisten geehrt, feierte bei diesen Aufführungen Herr van Beethoven seinen Triumph. Ein zahlreiches Orchester, durchaus mit den ersten und vorzüglichsten hiesigen Tonkünstlern besetzt, hatte sich wirklich aus patriotischem Eifer und innigem Dankgefühl für den gesegneten Erfolg der allgemeinen Anstrengungen Deutschlands in dem gegenwärtigen Kriege zur Mitwirkung ohne Entschädigung vereinigt Kapellmeister Salieri gab den Trommeln und Kanonaden den Takt, Hummel hatte sich selber an die große Trommel gestellt, Spohr geigte im Orchester., und gewährte, unter der Leitung des Komponisten, durch sein präcises Zusammenspiel ein allgemeines Vergnügen, das sich bis zum Enthusiasmus steigerte. Vor Allem verdiente die neue Symphonie jenen großen Beifall und die außerordentlich gute Aufnahme, die sie erhielt. Man muß dieß neueste Werk des Genies Beethovens selbst, und wohl auch so gut ausgeführt hören, wie es hier ausgeführt wurde, um ganz seine Schönheiten würdigen und recht vollständig genießen zu können. Das Andante (später Allegretto genannt) mußte jedes Mal wiederholt werden und entzückte Kenner und Nichtkenner. – Was sodann die Schlacht betrifft: will man sie nun einmal durch Töne der Musik auszudrücken versuchen, so wird man wenigstens es eben auf die Art machen müssen, wie es hier geschehen. Einmal in die Idee eingegangen, erstaunt man freudig über den Reichthum und noch mehr über die genialische Verwendung der Kunstmittel zu jenem Zweck. Der Effekt, ja selbst die recht eigentliche Täuschung ist ganz außerordentlich, und es läßt sich wohl ohne alles Bedenken behaupten, es existire gar nichts im Gebiete der malenden Tonkunst, das diesem Werke gleich käme.«

Natürlich war so etwas Pikantes und Leichtfaßliches, wie es in der Schlacht-Symphonie sich darbot, den Wienern höchst willkommen.

Am 27. Februar 1814 brachte der Meister schon wieder eine große Symphonie, die achte (aus F-dur) zur Aufführung vor einer Versammlung von 5000 Zuhörern. Am 23. Mai erfolgte die Darstellung der umgearbeiteten Oper Fidelio im kaiserlichen Opern-Theater. Der für Beethoven glanzvollste Tag des Jahres war aber der 29. November. Die verbündeten Monarchen waren mit ihren Ministern und glänzendem Gefolge in Wien zu einem Kongresse zusammen getreten. Auf den Wunsch des wiener Magistrats und hoher Kunstfreunde entschloß sich Beethoven, zur Bewillkommnung der erlauchten Gäste, seine neuesten Kompositionen zur Aufführung zu bringen. Er hatte die von Dr. Weißenbach gedichtete Kantate »der glorreiche Augenblick« in Musik gesetzt und brachte sie nebst der A-dur Symphonie und der Schlacht von Vittoria im großen kaiserlichen Redouten-Saale vor einer eben so zahlreichen als glänzenden Zuhörerschaft zur Aufführung. »Die Stimmung der nahezu aus 6000 Zuhörern bestehenden Versammlung« berichtet Schindler, »aber auch der im Chor und Orchester Mitwirkenden läßt sich nicht beschreiben. Die ehrfurchtsvolle Zurückhaltung von jedem lauten Beifallszeichen verlieh dem Ganzen den Charakter einer großen Kirchenfeier. Jeder schien zu fühlen, ein solcher Moment werde in seinem Leben nie wiederkehren. Nur Eins hatte der Feier gefehlt: die Anwesenheit Wellingtons. Der siegreiche Feldherr kam erst nach beendigter Feier in Wien an.« Die fremden Souverains, von Beethoven persönlich eingeladen, waren alle zugegen und von mehreren derselben empfing der Meister ansehnliche Geschenke.

Da mit seinem zunehmenden Ruf auch die Honorare seiner Kompositionen sich mehrten, hätte Beethoven wohl seine Geldverhältnisse verbessern können; aber auf das Eintheilen und Haushalten verstand er sich nicht und das oben erwähnte Jahrgeld ging leider verloren. Zu dieser Verwirrung gesellte sich – da kein Uebel allein kommt – noch ein Prozeß, den Beethoven mit der Wittwe seines Bruders Karl führen mußte, der ihn zum Vormund seines hinterlassenen Sohnes bestellt hatte. Zuerst ward Beethoven wegen des holländischen »van«, das man mit dem deutschen »von« verwechselte, an das Adelsgericht verwiesen; da man nach seinen Adelsbriefen fragte, wies er mit der Hand auf Stirn und Brust. In der That hatte auch der hochbegabte Mann die Ansicht: ein überlegener Geist wie der seinige dürfe nicht bürgerlich behandelt werden! Doch das Gericht fragte nicht nach dem Genie und verwies ihn an den wiener Magistrat.

Nun begannen die Verhöre, Protokolle, Unkosten aller Art, so daß der arme Beethoven sich fast zu Tode ärgerte. Doch was er einmal angefangen hatte, wollte er nun auch durchführen; er schrieb alles Nöthige mit eigener Hand, und in einer Appellation (vom 7. Januar 1820) finden sich die schönen Worte: »Ich kenne keine heiligere Pflicht, als die der Obsorge bei der Erziehung und Bildung des Kindes. Nur darin kann die Pflicht der Obervormundschaft bestehen, das Gute zu würdigen und das Zweckmäßige zu verfügen.« Zum Glück bekam der Künstler einen wackeren Advokaten, Namens Bach, der, die Eigenthümlichkeit seines Klienten beachtend, den im Schreiben für seinen Mündel unermüdlichen Beethoven nicht stören mochte, und sich sehr bezeichnend also aussprach: »Kein Zug dieser großen Seele durfte verloren gehen, weil er beweiset, daß mit einem unerschöpflichen Geiste zugleich ein edles Gemüth verbunden sein kann.«

Beethoven wollte den Sohn seines Bruders in sein eigenes Hauswesen aufnehmen, da dessen Mutter sich einem lockeren Leben hingab, wollte ihm zu Lieb eine Köchin miethen und sparte das Geld, wo er nur konnte, nicht für sich, sondern für den Neffen. Und dieser junge Mensch, auf den sich des großen Mannes Zärtlichkeit und Liebe konzentrirte, lohnte seinem Wohlthäter mit Undank und verbitterte ihm sein ganzes noch übriges Leben. Wie hatte sich das Herz des guten Oheims gelabt, als der Jüngling die Universität bezog; aber wie ein Donnerschlag traf ihn dann die Nachricht, der liederliche Neffe sei relegirt worden und unter die Soldaten gegangen!

Beethoven war bei dem hohen Adel gern gesehen und wie zu Hause. In Momenten des Frohsinns entschloß er sich auch wohl, auf einem Balle mit zu tanzen, aber merkwürdiger Weise brachte er es in dieser Kunst nicht weit, da er nicht Takt hielt. Manche Sonderbarkeiten wurden dem großen Manne gern nachgesehen, und der Erzherzog Rudolph ging in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voran. Beethoven hatte sich's bei Uebernahme des Unterrichts ausbedungen, allein mit dem Prinzen zu verkehren, und so mußte die gewöhnliche Begleitung zurückbleiben. Nur den Erzherzog Karl, den Sieger von Aspern, traf Beethoven zuweilen, da Erzherzog Rudolph wußte, daß der Meister diesen Helden hoch verehrte. Schrieb der Erzherzog seinem Lehrer ein Billet, so unterzeichnete er sich stets: »Ihr freundwilliger Schüler«.

Seinen einfachen Tisch im Wirthshause zog Beethoven dem glänzendsten Diner vor, zu welchem ihn seine Freunde einluden, denn er durfte sich hier gehen lassen und auf Niemand Rücksicht nehmen. Man kannte auch in Wien den kleinen finstern Mann im grauen Oberrock, der zuweilen mitten auf der Straße stehen blieb, wenn eine neue Idee ihn erfaßte, oder von der Tafel aufstand und nach Hause ging, ehe er noch gegessen hatte. Seine zunehmende Gehörschwäche machte ihn immer melancholischer und mißtrauischer, er wollte gar kein Konzert mehr geben, und als einstmals seine Verehrer, der Graf Lichnowsky, der Violinist Schupanzigh und sein späterer Biograph Schindler sich verabredet hatten, ihn auf eine gute Manier zu einem solchen zu bewegen: so ging er zwar darauf ein, als sie aber fort waren, merkte er die List, die doch so gut gemeint war, und schrieb folgende drei Billete:

 

An den Grafen Lichnowsky.
Falschheiten hasse ich. Besuchen Sie mich nicht mehr. Akademie hat nicht Statt.

An Herrn Schupanzigh.
Besuche er mich nicht; ich gebe keine Akademie.

An Herrn Schindler.
Besuchen Sie mich nicht mehr, bis ich Sie rufen lasse. Keine Akademie.

 

Beethoven war gegen das ganze wiener Publikum erzürnt, weil es den leichteren italienischen Weisen Rossini's zujauchzte und die ernstere deutsche Musik vernachlässigte. Seine Reizbarkeit hatte mit dem Gehörleiden zugenommen, das sich seit 1797 bemerkbar machte. Wir lesen in einem an seinen Freund, den Doktor Wegeler adressirten Brief (vom Juni 1800): »Mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer. Im Theater muß ich mich an's Orchester lehnen, um den Schauspieler zu verstehen. Die hohen Töne von Instrumenten und Singstimmen höre ich nicht, wenn ich etwas weit weg bin. Ich habe oft mein Schicksal verflucht. Plutarch hat mich zur Resignation geführt. Ich will meinem Schicksale trotzen, obschon es Augenblicke geben wird, wo ich das unglücklichste Geschöpf Gottes sein werde.«

So lange es gehen wollte, verheimlichte der so schwer vom Schicksal Heimgesuchte sein Uebel; erst wurde das rechte Ohr taub, dann auch das linke immer schwächer und schwächer. Der Meister wollte sich die Leitung der Aufführung seiner Kompositionen nicht nehmen lassen, als er schon nicht mehr im Stande war, das Orchester zu dirigiren; er ward dann, wenn es nicht recht vorwärts wollte oder die Stimmen auseinander kamen, sehr zornig und vergaß, daß die Schuld an ihm selber lag. Das gab manche theils komische, theils ärgerliche Szenen. Als zum Besten der berühmten Schauspielerin Wilhelmine Schröder nach achtjähriger Pause Beethovens Oper Fidelio aufgeführt werden sollte (worin die Schröder als Leonore sang), wollte der Meister wiederum das Ganze leiten. Die Ouvertüre ging (in der Hauptprobe) vortrefflich, trotz mancher unsicheren Zeitangaben des Dirigenten, allein schon bei der ersten Nummer, dem Duett zwischen Marcelline und Jacquino, ward es merklich, daß Beethoven von dem, was auf der Bühne vorging, gar nichts hörte. Während die Sänger vorwärts eilten, hielt er das Orchester zurück und bald fiel Alles auseinander. Nach einigen Verweisen, an die Sänger gerichtet, rief Beethoven da capo! Das Duett begann und endete abermals in Uneinigkeit. Der Kapellmeister Umlauf, dem von vornherein die Leitung von Beethoven hätte überlassen werden sollen, stand neben ihm, wagte aber nicht, das Wort auszusprechen: Es geht nicht, verzichte! Beethoven, auf seinem Sitze unruhig geworden, blickte nach rechts und links und suchte aus den Mienen der Anwesenden zu lesen, was eigentlich der Grund der Störung sei. Beklommenes Schweigen überall. Da rief er seinen getreuen Pylades Schindler herbei, reichte ihm sein Taschenbuch mit der Weisung, zu schreiben. Schindler schrieb: Bitte, fahren Sie nicht fort. Zu Hause das Weitere! Kaum hatte Beethoven das Wort gelesen, so sprang er in das Parterre und sagte bloß: Geschwind hinaus! Ohne sich aufzuhalten, lief er den weiten Weg nach seiner Wohnung, warf sich auf das Sopha, bedeckte mit beiden Händen das Gesicht und verblieb in dieser Lage, bis es zu Tische ging. Während des Essens kam kein Laut aus seinem Munde, die tiefste Niedergeschlagenheit war in seiner Haltung und seinen Mienen.

Doch sollte selbst dem tauben Meister der Töne noch ein schöner Triumph zu Theil werden. Es war seinen Freunden ein tiefer Verdruß, wenn sie die Gleichgültigkeit sahen, mit welcher man die klassischen Kompositionen Beethovens in Wien behandelte. Sie beschlossen, ein Konzert zu veranstalten und darin Theile der Missa solemnis, welche der Meister zur Feier der Einsetzung des Erzherzogs Rudolph zum Erzbischof von Olmütz komponirt hatte, und ferner die neunte Symphonie, die letzte, schwierigste und eigenartigste, zur Aufführung zu bringen. Das musikalische Fest kam nach zwei vorhergegangenen Proben am 7. Mai 1824 zu Stande; das Haus war gedrängt voll und zum Schluß der Aufführung brach die Zuhörerschaft in stürmischen Beifall aus – Beethoven aber, der von dem Jubel nichts merkte, kehrte der Versammlung den Rücken zu. Da faßte ihn die Sängerin Caroline Unger und wendete den Meister nach dem Proscenium zu, damit er doch wenigstens das Hüte und Tücher schwenkende Publikum sehen möchte. Dieser Moment steigerte gewaltig die Theilnahme für den leidenden Beethoven und ein lange nicht enden wollender Enthusiasmus erfüllte das Haus.

Leider setzte sich auch sein Unterleibsleiden immer fester. Eine Kur in Teplitz brachte Linderung nur für kurze Zeit. In dem böhmischen Bade machte er die persönliche Bekanntschaft Göthe's, dessen Lieder er hoch hielt. Er war überhaupt mit der neuen deutschen Literatur nicht unbekannt; vorzüglich labte er sich aber an den alten Klassikern, die er in deutschen Übersetzungen las, und die er gerade deßhalb, weil er sich nicht mit kleinlichen Hindernissen der Uebersetzung zu befassen brauchte, in ihrer Ganzheit und Fülle auf seine Seele konnte wirken lassen. Der Wiener Kongreß, während dessen er die höchsten Würdenträger in der Nähe hatte, dem Kaiser von Rußland und dem König von Preußen vorgestellt wurde, überhaupt die ganze bewegte Zeit wirkten lebhaft auf sein Gemüth, und er verfolgte die Welthändel mit größtem Interesse. Die Augsburger Allgemeine Zeitung war die regelmäßige Abendlektüre, die niemals ausgesetzt wurde.

Ein einziges Mal unternahm Beethoven eine Reise nach Berlin, sonst ist er nie über Wien und die nächste Umgebung hinausgekommen; im Sommer hielt er sich gern in Baden, oder im Dorfe Mödling auf. Seine Lebensweise war höchst einfach; das Fleisch, das Mittags übrig geblieben war, wurde Abends als kalte Küche verzehrt und dazu ein Glas Bier getrunken und eine Pfeife Tabak geraucht. Mittags kam wohl ein Glas Ofener auf den Tisch. Doch auf einen Gegenstand richtete sich die größte Sorgfalt des merkwürdigen Mannes – auf den Kaffee. Dieser mußte sehr stark sein, und auf die Tasse wurden 60 Bohnen genommen, die er stets sorgfältig abzählte. Nur Vormittags wurde komponirt, der Nachmittag war der Lektüre gewidmet.

Die letzten Jahre seines Lebens verlebte Beethoven ganz zurückgezogen, und an seinem Krankenbett wachte keine theilnehmende Seele. Sein Bruder Johann war Apotheker in Wien und verdankte sein Glück dem Ludwig, der ihn mit großer Freigebigkeit unterstützt hatte. Nachdem er aber wohlhabend geworden war und in eigener Equipage fuhr, besuchte er den »armen Komponisten« gar nicht mehr, sondern begnügte sich, ihm zum Neujahr eine Karte zu schicken, worauf bloß die Worte standen: »Johann van Beethoven, Gutsbesitzer.« Ludwig schrieb auf die Rückseite: »Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer« und schickte sie dem eiteln Menschen zurück. Eine alte Magd war die einzige Pflegerin des großen Mannes, denn auch der Neffe hatte sich schnöde von ihm abgewandt. Auf eine Lungenentzündung folgte die Wassersucht, und viermal mußte dem Kranken das Wasser abgezapft werden, der mit aller Geduld die Operation aushielt und lakonisch sich äußerte: »Besser Wasser aus 'm Bauch, als aus der Feder.« Die Freunde hatten ihm Dr. Wawruch in's Haus gesandt, der ihn nicht richtig behandelte und die Hülfe des berühmten Malfatti kam zu spät; Beethoven unterlag seinem Uebel am 26. März 1827. Nun erwachte die allgemeine Theilnahme der Bewohner Wiens, die sich um den kranken Künstler nicht bekümmert hatten, und durch ein feierliches Leichenbegängniß ihre Schuld zu tilgen suchten.

* * *

Beethoven war trotz mancher Schwäche und Uebertreibung ein streng sittlicher Charakter, stets erfüllt mit den erhabensten und reinsten Gedanken. Nach einer heftigen Krankheit, die ihn zuerst im Jahre 1802 überfallen hatte, verfaßte er ein Testament, das er an seine Brüder richtete und worin sich folgende Stelle findet: »Empfehlt euren Kindern Tugend – sie nur allein kann glücklich machen – nicht Geld. Ich spreche aus Erfahrung. Sie war es, die mich selbst im Elende gehoben; ihr danke ich, nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen Selbstmord mein Leben endigte.«

Von Wuchs war Beethoven klein, aber gedrungen und untersetzt. Sein Kopf war außerordentlich groß, und der dichte Haarwuchs, der ganz der Natur überlassen blieb, gab diesem Kopfe etwas Furchtbares. Die Miene war finster, aber wenn Beethoven einmal lächelte, so soll das einen unbeschreiblich wohlthuenden Eindruck gemacht haben. Die kleinen grauen Augen schossen Blitze, wenn die Hochgedanken im Innern seiner Seele ihr Spiel zu treiben begannen. Die Stirn war offen und wahrhaft majestätisch; Beethoven war aber auch so stolz auf diese Stirn, daß er, als in einer Gesellschaft eine Dame dieselbe nach Würden pries, er sich erhob und sprach: »Wohlan, so küssen Sie diese Stirn!« und die weibliche Anmuth belohnte auf der Stelle das männliche Selbstbewußtsein.

Eitel konnte ein Beethoven nicht sein, dazu war sein Geist zu groß und gewaltig; aber sein stolzes Selbstbewußtsein äußerte sich mitunter auf übertriebene Weise, wie denn der originelle Mann sehr zu Extremen geneigt war. Neben abstoßender Schroffheit und scheinbar kältester Härte lagen Momente weichster Empfänglichkeit und Rührung, neben melancholischem Trübsinn Momente der Freude und Harmlosigkeit einer Kinderseele, die sich ganz mittheilt und gibt wie sie ist, die allen Schmerz des Lebens hinweglächelt, mit der Gegenwart spielt und hoffnungsselig in die Zukunft schauet. Starr und unbeugsam in seinem Willen, in seinen Vorsätzen und Vorurtheilen, und kühn über das Urtheil der Menge sich hinwegsetzend, war er in Zeiten der Unentschlossenheit und Abspannung doch wieder ganz von seiner Umgebung abhängig und fast willenlos lenksam. Als Idealist den Blick auf die höchsten Aufgaben des Lebens richtend und Alles nach idealem Maaßstabe messend, ward er doch durch den neckischen Humor des Schicksals, der in sein Leben hineinspielte, wieder so hart auf die gemeine Wirklichkeit der Dinge gestoßen, daß er die realistische Unzulänglichkeit seiner Existenz auf das Bitterste empfand. Zum Beispiel da ihm seine Köchinnen viel zu schaffen machten, entweder selbst aus dem Dienst liefen oder von ihm fortgejagt wurden: so band er eines schönen Tages selbst die Küchenschürze vor, um das Diner, zu welchem er seine Freunde eingeladen hatte, in höchsteigener Person zu kochen.

Alle Charaktereigenschaften Beethovens treten uns, obwohl künstlerisch verklärt, in seinen Werken entgegen. Da sind die schärfsten Kontraste hart aneinander gerückt, titanisches Ringen und wehmuthsvolle Entsagung, die höchste Lust und der tiefste Schmerz. Die lieblichen Blumen des Lebens stehen nicht wie bei Haydn im heiter umfriedigten Garten mit seinen Jasminlauben und wohlgebahnten Wegen, – sie wachsen auf den grünen Alpwiesen in tief gesättigter Farbengluth des goldenen Löwenzahn, der blauen Enziane und der glühenden Alpenrose, und die Umzäunung bilden himmelanstrebende Schneepyramiden und Felsenhörner. Der Genius Beethovens führt uns hart an die grausigen Schründe und Abgründe, wir schauen mit Schrecken in die Tiefe und an den senkrechten Bergwänden hinauf, der Pfad ist verschwunden, wir zagen und zittern: da trägt er auf Adlerfittigen leicht und sicher uns hinüber und senkt sich mit uns in's lachende warme Thal hinab.

Mozart ist weltfroh und weltselig, erfaßt das Leben, wie es sich bietet, ohne sich darüber Skrupel zu machen, wie es sein sollte. Das ist dem Idealisten Beethoven unmöglich; sein Geist rüttelt an den Schranken seiner Existenz und kann sie doch nicht durchbrechen. Er strebt ohne Unterlaß nach dem, was höher ist als die Wirklichkeit, nach einem Glück, das die Erde nicht hat und nicht geben kann. Sein Idealismus ist unendliche Sehnsucht. Aber auch unendlicher Freiheitsdrang, der mit festem Blick auf das Unbedingte sich von keinem irdischen Bande fesseln läßt. Wie Schiller in seinen Romanzen und Dramen das Lied der Freiheit gesungen, so Beethoven in seinen Tonwerken. Seine einzige Oper Fidelio steht auch unter allen Opern überhaupt einzig da mit ihrem erhabenen Schmerz, der sie durchzittert, mit der idealen Liebe, die in ihr pulsirt, mit ihrer Sehnsucht nach Freiheit, die sich in dem Chore der Gefangenen so mächtig konzentrirt. Leichtfertige Liebesgeschichten zu komponiren, wie es von Mozart geschah, war dem strengen Idealisten Beethoven unmöglich. Weil er mit den Dingen der Endlichkeit keine Brüderschaft schließt, sondern immer von Außen nach Innen gehend sich in die Tiefen seines Gemüthes zurückzieht, ist er nicht allseitig, wie Mozart, aber dafür um so größer in seiner Eigenart. Er ist nicht wie Mozart gleich fruchtbar und meisterhaft in der Vokal- und Instrumentalmusik. Die bunte Opernwelt war ihm eigentlich widerwärtig. So schöne Lieder er komponirt hat, so war seine Musik doch zu selbständig, um die Fessel des Worts zu ertragen – er offenbarte seine Gedanken und Gefühle am liebsten in der freien Instrumentalmusik und er wußte die einzelnen Instrumente mit solcher Meisterschaft zu behandeln, daß sie wie selbständige Wesen zu uns reden und in den Symphonien zumal wie handelnde Charaktere der Oper ihre Arien und Recitative, Duetten und Chöre singen.

Die Symphonie ist ein Kind der modernen Tonkunst, welche die eigentliche Konzertmusik zu vollster Entwickelung brachte. Concertare heißt streiten, mit einander kämpfen. Was wir jetzt gewöhnlich ein »Konzert« als Kompositionsart nennen, ist ein Stück, in welchem Ein Tonwerkzeug, sei es Cello, Geige, Pianoforte, Klarinette etc. eine hervorragende Rolle spielt. In der »Symphonie« aber muß jedes einzelne Instrument nach seiner eigenthümlichen Natur zur Geltung gebracht und vom Komponisten so behandelt werden, daß es mit allen übrigen Instrumenten ebenso in Gegensatz tritt, wie es sich ihnen und dem Ganzen als willig dienendes Glied unterordnet und als Mitkämpfer mit allen übrigen zu Einem Ziele zusammenwirkt. Erst da ist »Konzertmusik« im vollen Sinne des Wortes. Die Symphonie giebt ein Weltbild in Tönen, sie stellt das Leben dar, wie es in der Gefühlswelt des Komponisten sich spiegelt, von seiner Phantasie angeschauet wird. Je tiefer das Gemüthsleben, je mehr innere Kämpfe und je schroffere Gegensätze in der geistigen Strömung des eigenen Selbst: desto mehr Streit und Kampf, desto tiefer gehende Strömungen, desto mannigfaltigere Reibungen und Kontraste in den Symphonien.

Von den neun Symphonien Beethovens ist jede eine Welt für sich, jede hat ihren besondern Styl, ihren eigenthümlichen Humor und Geist. Die beiden ersten sind noch nach Haydn-Mozarts Weise komponirt, haben noch die heitere Unbefangenheit und Klarheit des rein lyrischen Gefühlsausdruckes, der, in die tiefen Widersprüche des Lebens noch nicht eingehend, auch noch nicht die eigenthümlich Beethoven'schen Licht- und Schattenpartieen und den eigenthümlichen Beethoven'schen Humor entwickelt. Dieser einfachere Styl dient ihm nur zum Ausgangspunkt für die dann folgenden groß und kühn angelegten und kunstvoll ausgeführten Tongemälde, die mit der lyrischen Gefühlserregung die epische und dramatische Schilderung vereinen, sei es, daß uns der Komponist auf das Schlachtfeld führt, wo Helden fallen und Hoffnungen der Völker in den Staub sinken, oder auf die gemüthliche Dorfflur zu Bauern und Hirten, wo wir am Bach uns lagern, – oder in ein wildes Bacchanal mit seiner übermüthig sprühenden Lust. Wie aber in die idyllische Szene »am Bach« das Gewitter einschlägt und in das ruhige Stillleben die Unruhe bringt: so tritt in die lustige Tanzsymphonie A-dur gleich im zweiten Satz der Ernst des Lebens hinein, der, anfangs ein leichtes Wölkchen, sich immer mehr zur dunkeln drohenden Gewitterwolke entwickelt; in der großartigen C-moll Symphonie klopft von vornherein »das Schicksal« an die Pforte und weckt seinen Helden aus süßem Jugendtraum zu harten schweren Kämpfen. Aber es fehlt auch nicht das Lob- und Danklied der Landleute nach glücklich vorübergegangenem Gewitter, aus dem mit Blut gedüngten Schlachtfeld, auf dem so viele Tapfere fielen, wächst und blüht ein neuer Völkerfrühling hervor und dem beharrlich ringenden Erdenwaller singen Engelchöre Jubelpsalmen. Und noch in der neunten und letzten Symphonie flocht der Meister, da er schon völlig taub geworden und mit dem Leben zerfallen war, Schillers Lied an die Freude wie einen Engelchor in den Ringkampf der Instrumente; es ist auch in diesem letzten Riesenwerke das Beethovensche per aspera ad astra, das Emporstreben durch Nacht zum Licht, durch irdische Wirrsal zum himmlischen Frieden, das Ringen nach einer Freude, die durch den Schmerz hindurchgegangen und geheiligt worden ist.


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