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siehe Bildunterschrift

George Noël Gordon, Lord Byron. Portrait von Richard Westall

Lord Byron.

Briefe und Tagebücher des Lord Byron mit Notizen aus seinem Leben. Von Thomas Moore. In 4 Bänden. Aus dem Englischen (Braunschweig, Meyer 1830-1831). Conversation of Lord Byron by Capt. Thomas Medwin (London, 1824). Deutsch: Gespräche mit Lord Byron. Ein Tagebuch etc., Stuttgart 1825. Lord Byron en Italie et en Grèce etc. par le Marquis de Salvo (dem Vertrauten des Lords), London 1825. Lord Byron and some of his contemporaries etc. by Leigh Hunt, woraus im Morgenblatt 1856, Nr. 5. 6. 7. sehr schätzenswerthe Mittheilungen sich finden.


George Noël Gordon, Lord Byron, stammte väterlicher Seits aus einer Familie, deren Stammbaum bis in die Zeiten Wilhelms des Eroberers hinaufreicht; von mütterlicher Seite stand er mit der schottischen Königsfamilie in verwandtschaftlicher Beziehung. Sein Großvater, John Byron, war der bekannte Admiral, der durch seine kühnen Seereisen und seine Unglücksfälle die allgemeine Theilnahme erregte. Der Großoheim, Lord William Byron, ein sehr heftiger Mann, ward 1765 von dem Hause der Pairs in Untersuchung gezogen, weil er in einem Duelle seinen Verwandten und Nachbar Chaworth getödtet hatte. Byrons Vater, John Byron, Kapitän der königlichen Garde, entführte dem Lord Carmarthen die Gemahlin nach dem Kontinente und heirathete sie, nachdem jener Lord die Ehescheidung erlangt hatte. Doch schon 1784 starb dem Kapitän diese seine Frau, und da er wegen seiner vielen Schulden in sehr mißlichen Umständen war, warf er sein Auge auf Miß Katharine Gordon, einziges Kind und Erbin von Georg Gordon Esq. von Gigth. Die schottische Dame hatte ein gutes Herz, war aber geneigt zu leidenschaftlichster Erregung des Gefühls. Eines Abends, als sie im Edinburger Theater die Rolle der Elisabeth (in Otway's »Gerettetem Venedig«) von der Miß Siddons darstellen sah, war sie von der hinreißenden Kunst dieser großen Schauspielerin so sehr ergriffen, daß sie gegen das Ende des Stücks in heftige Nervenkrämpfe fiel und unter dem lauten Ausruf: »O, mein Byron, mein Byron!« fortgebracht wurde. Bei Gelegenheit ihrer Verheirathung erschien, von einem schottischen Reimsänger verfaßt, die Ballade:

Miß Gordon von Gigth.

Wohin bist Du gegangen, Miß Gordon so schön,
Wohin bist Du gegangen, Du wackere Maid?
Ach, vermählt Dich, vermählet mit Byron zu seh'n,
Der die Güter von Gigth so bald zerstreut!

Von England kam er, der ruchlose Mann,
Der Schotte weiß nichts von seinem Haus',
Er hält Weiber, um Geld geht die Pächter er an,
Bald ist's mit den Gütern von Gigth da aus.
Wohin bist Du gegangen etc.

Das Knallen der Büchsen, der Trommeln Schall,
Des Spürhunds Gebell, das Heulen der Jagd,
Das Horn in dem Wald, die Pfeife im Saal –
Bei den Tönen ist Gigth bald durchgebracht.
Wohin bist Du gegangen etc.

Es dauerte nur zwei Jahre, bis die Worte des Balladensängers sich erfüllten. Im Jahre 1785 war die Hochzeit, im Sommer 1786 ging das Ehepaar nach Frankreich, im Jahre 1787 wurden die Besitzungen von Gigth nebst Zubehör verkauft »von Gerichtswegen«, und Byrons Gattin sah sich aus ihrem Ueberflusse plötzlich auf ein jährliches Einkommen von 150 Pfund herabgebracht. Mit schwerem Herzen kehrte sie am Ende des Jahres 1787 nach England zurück, und bald nachher, am 22. Januar 1788, gebar sie ihr erstes und einziges Kind, George Gordon Byron.

Die arme Frau sah sich genöthigt, aus dem theuren London nach dem wohlfeileren Aberdeen in Schottland zu ziehen, wohin ihr der Kapitän folgte, nicht um sie zu trösten, sondern noch das letzte Geld von ihr zu erpressen, dessen er habhaft werden konnte. Mistreß Byron, obwohl sie den ungetreuen Gemahl noch immer zärtlich liebte, kam aus einem Verdruß in den andern und konnte ihren Unmuth doch nur an ihren Hauben und Kleidern auslassen, die sie in ihrer leidenschaftlichen Aufregung oft zerriß, welches Experiment ihr der kleine Geordie (wie man das Kind nannte) bald nachzuahmen verstand. Als er einst von seiner Amme heftigen Tadel erfuhr, daß er sein neues Kleid beschmutzt, überfiel ihn jene »schweigende Wuth«, wie er selbst sie nennt; er ergriff das Kleid mit beiden Händen, zerriß es von oben bis unten und stand da, dem Zorn seiner Tadlerin die Stirn bietend, in trotzigem Schweigen.

Durch einen Zufall war der Knabe von seiner Geburt an mit einem Fußübel behaftet, das für ihn eine Quelle vieler Schmerzen und Beschwerlichkeiten ward. Der kranke Fuß ward zwar geheilt, aber das Hinken blieb. Die treue Amme sang den kleinen Patienten, wenn ihm die Maschinen oder Verbände angelegt wurden, oftmals in Schlaf, oder erzählte ihm auch allerlei Märchen und Geschichten, an denen er gleich den meisten Kindern großen Gefallen fand. Sie lehrte ihn auch früh eine Menge Psalmen hersagen; der erste und dreiundzwanzigste waren die ersten, die gelernt wurden. Unter der Leitung des sehr achtungswerthen Frauenzimmers wurde er früher, als es sonst bei der Jugend der Fall ist, mit der heiligen Schrift vertraut, und das Lesen des Buches der Bücher war ihm so zum Bedürfniß geworden, daß er noch 1821 an seinen Buchhändler Murray aus Italien schrieb, er wünsche mit erster Gelegenheit eine Bibel zu erhalten. »Vergessen Sie es nicht, denn ich bin ein großer Verehrer dieses Buches, in welchem ich häufig lese; – ich hatte es von Anfang bis zu Ende, ehe ich acht Jahre alt war, gelesen, d. h. das alte Testament, denn dieses zog mich an als ein Vergnügen, während die Lektüre des neuen nur den Reiz eines Unternehmens für mich hatte.« Immerhin ein psychologisch merkwürdiger Zug, wie ein dem Kinde lieb gewordenes Buch noch bei einem durchaus weltlichen, wüsten Leben des Mannes seine Anziehungskraft behaupten konnte.

Durch ihr zugleich festes und frommes Wesen gewann die Amme und ihre im Dienst ihr folgende Schwester bald mehr Einfluß und Ansehen bei dem Kinde, als die Mutter, deren launenhafte Ausbrüche von Verdruß und Zärtlichkeit stets wechselten. Jedes körperliche Uebel, wenn es sonst nicht nachtheilig auf das Gehirnleben wirkt, zeigt die Entwickelung der Seelenkräfte; dies war auch bei Byron der Fall, dem der kranke mißgestaltete Fuß früh das Selbstbewußtsein weckte. Als einst seine Amme mit einer andern auf dem Spaziergange zusammentraf, sagte letztere: »Was für ein hübsches Kind doch der Byron ist! Schade, daß er ein solches Bein hat!« Bei dieser Erwähnung seiner Schwäche funkelten die Augen des Kindes vor Zorn, es schlug nach der Person mit einer Peitsche und rief: »Sprich nicht davon!« Indessen gewann bald sein Geist solche Ueberlegenheit, daß er selber über seine Lahmheit scherzte, und als er einst mit einem Knaben zusammentraf, der an dem gleichen Fehler litt, rief er lachend: »Kommt und sehet die beiden jungen Herren, wie sie mit ihren Krummfüßen die breite Straße hinauf gehen!«

Eines Abends nahm die Amme ihren Pflegebefohlenen mit in's Theater, wo Shakespeare's Lustspiel »die gezähmte Zanksüchtige« gegeben wurde. Eine Zeit lang folgte der Kleine dem Stücke mit schweigender Aufmerksamkeit, als aber in der Szene zwischen Katharina und Petruchio die folgende Stelle kam:

Kath. Ich weiß, es ist der Mond!
Petr. O nein, ihr lügt, es ist die liebe Sonne!

fuhr Geordie von seinem Sitz auf und rief keck: »Ich sage aber doch, es ist der Mond, Herr!«

Kapitän Byron war wieder nach Frankreich gegangen, nachdem er seine Frau zur Bettlerin gemacht hatte. Diese lebte zwar schon in Aberdeen getrennt von ihm, konnte aber doch nicht umhin, von Zeit zu Zeit die Geldforderungen des Verschwenders zu befriedigen. Er starb zu Valenciennes 1791; bei der Nachricht von seinem Tode sollen die Aeußerungen des Schmerzes der Mrs. Byron bis fast zur Geistesverwirrung gegangen und ihr Geschrei so laut geworden sein, daß es in den Straßen gehört wurde.

Der junge Byron ward in seinem fünften Jahre in die Schule von Aberdeen geschickt, wo er jedoch das zu Lesende viel eher auswendig lernte, als daß ihm die Buchstaben geläufig wurden. Er machte sehr langsame Fortschritte in den Schulwissenschaften, zeichnete sich aber desto mehr in allerlei gymnastischen Uebungen aus, und als die Mutter im Jahre 1796 mit ihm nach den schottischen Hochlanden zog, wirkte die gesunde Bergluft zusehends auf die Gesundheit des Leibes und der Sinne. Der Anblick der Berge trug gewiß viel dazu bei, die in der jungen Seele vorhandenen Keime der Dichtkunst zu wecken und das Gemüth mit den Bildern des Großen und Erhabenen zu erfüllen.

Dort irrt' ich als Kind in früheren Stunden,
Die Mütz' auf dem Haupt, um die Schultern den Plaid,
Ich dacht' an die Führer, schon lange entschwunden,
In die Schatten gestreckt, die der Fichtenwald beut.
Heim kehrt' ich nicht, eh' nicht die Sonne gesunken,
Die dunkelnde Luft der Polarstern erhellt,
In Sagen des Ruhms war die Seele versunken
Von Loch-na-Gars rauhen Bewohnern erzählt.

Die Bergwelt an sich macht keine Seele poetisch, die es nicht schon ist; aber sie zieht poetische Gemüther unwiderstehlich an und plötzlich treten dann die Jugendeindrücke, auch wenn sie Jahre lang zu schlafen schienen, in aller ihrer Glorie hervor. »Nie vergesse ich« – schrieb Byron später – »den Eindruck, den einige Jahre nach meiner Ankunft in England, nachdem ich seit so langer Zeit nichts gesehen hatte, was einem Berge auch nur en miniature ähnlich war, die Malvernberge auf mich machten. Seit meiner Rückkehr nach Cheltenham war ich gewohnt, sie jeden Abend nach Sonnenuntergang zu betrachten, wobei mich Gefühle bewegten, die zu beschreiben ich unfähig bin.«

Auch während seines Aufenthaltes zu Aberdeen pflegte der Knabe Byron nicht selten sich vom Hause ganz heimlich zu entfernen und seinen Weg nach dem Meere zu nehmen, das er ebenso liebte wie die Berge. Einmal nach langem und ängstlichem Rufen fand man den abenteuernden kleinen Schwärmer in einem morastigen Bruche stecken, aus dem er sich selbst nicht hatte wieder emporarbeiten können.

Früher noch als Dante, der in seinem neunten Jahre Beatrice liebte, faßte Byron, da er kaum das achte Jahr erreicht hatte, eine zärtliche Neigung für seine Kousine, Mary Duff, und eine Stelle aus seinem Tagebuche vom Jahre 1813 zeigt, wie lebendig sich diese seine erste Liebe in der Erinnerung festgesetzt hatte.

»Ich habe mich in der letzten Zeit recht viel in Gedanken mit Marie Duff beschäftigt. Wie seltsam, daß ich die innigste hingebendste Zärtlichkeit für dieses Mädchen in einem Alter fühlte, wo ich weder Leidenschaft empfunden, noch selbst die Bedeutung des Wortes verstehen konnte. Meine Mutter pflegte mich immer mit dieser kindischen Liebe aufzuziehen; zuletzt, lange Zeit nachher, als ich sechszehn Jahre alt war, sagte sie mir eines Tages: ›Byron, ich habe einen Brief aus Edinburg von Miß Abercromby erhalten; deine alte Geliebte, Marie Duff, hat sich mit einem Herrn C. verheirathet.‹ Was war meine Antwort? Ich kann die Gefühle, die in jenem Augenblick mich bewegten, nicht auseinandersetzen; aber es fehlte wenig, daß sie mir Krämpfe zuzogen, wobei meine Mutter so erschrak, daß, als ich hergestellt war, sie gänzlich vermied, den Gegenstand wieder zu berühren, und sich damit begnügte, ihn allen ihren Bekannten zu erzählen.«

Obgleich seine Aussicht, zu dem Titel seiner Vorfahren zu gelangen, anfangs sehr ungewiß war, da ein Enkel des damals noch lebenden Lord Großoheims vorhanden war, so hegte doch Mrs. Byron von der Geburt ihres Sohnes an die feste Zuversicht, daß derselbe nicht nur dereinst Lord, sondern auch ein großer Mann werden würde. Vielleicht hatte ein Dorfwahrsager – denn sie war sehr abergläubisch – ihr so etwas prophezeit, da sie ihre Hoffnung gerade auf die Lähmung des Knaben gründete, und solche Schwächen in der Regel von den Wahrsagern benutzt werden, um eine Ausgleichung von Seiten des Schicksals damit in Verbindung zu bringen. Doch schnell genug ging die Hoffnung in Erfüllung.

Jener Enkel des Lords Byron starb, bald darauf der Lord selbst zu Newstead-Abbey, und George Byron ward Erbe von Rang und Eigenthum. In das unverhoffte Glück konnte sich der Knabe anfangs selber kaum finden; er soll zu seiner Mutter gelaufen sein und sie gefragt haben: »ob sie an ihm wohl irgend einen Unterschied wahrnehme, seit er Lord geworden sei, denn er könne keinen bemerken.« Daß jenes kurze Wort eine zauberähnliche Veränderung hervorbringen müsse, hatte das Kind nur zu richtig geahnt; es war ein Wendepunkt in seinem Leben, der diesem nun eine ganz andere Richtung gab. Als sein Name in der Schule zum ersten Mal mit dem Titel Dominus aufgerufen wurde, war er unfähig, die übliche Antwort » adsum« (bin gegenwärtig) auszusprechen; er stand schweigend da, ringsum von seinen Mitschülern angestarrt, und brach zuletzt in Thränen aus.

Es war im Sommer des Jahres 1798, als der eilfjährige Lord Byron mit seiner Mutter und ehemaligen Amme Schottland verließ, um von dem alten Wohnorte seiner Ahnen Besitz zu nehmen. Sie waren schon bei der Zollschranke von Newstead angelangt und sahen die Waldungen der Abtei vor sich ausgebreitet, als Mrs. Byron, sich stellend, als ob ihr der Ort unbekannt sei, die Bewohnerin des Zollhauses fragte, wem der Rittersitz gehöre? Sie erhielt zur Antwort, daß der Eigenthümer, Lord Byron, vor einigen Monaten gestorben sei. »Und wer ist der nächste Erbe?« fragte die stolze und glückliche Mutter. »Man sagt, es sei ein kleiner Knabe, der zu Aberdeen wohnt.« »Dies ist er, Gott erhalte ihn!« rief die Amme, die sich nicht länger halten konnte, und den jungen Lord mit Entzücken küßte, der auf ihrem Schooße saß.

Wäre der Knabe zehn Jahre später ein »Herr« geworden und seine Erziehung nur einigermaßen folgerecht gewesen, so würde bei seiner Begeisterung für alles Edle und Große wahrscheinlich auch ein sittlich großer Mann aus ihm geworden sein. Nun aber war seine Person plötzlich mit einem Glanze umgeben, der den Stolz und Eigenwillen steigern mußte; die Mutter, launenhaft und leidenschaftlich, zu unrechter Zeit streng und wieder nachsichtig, wirkte geradezu verderblich auf die Charakterbildung ihres Sohnes. Wollte sie zuweilen in ihrer Wuth einen Versuch machen, den ungezogenen Buben zu züchtigen, so war dieser, trotz seiner lahmen Füße, viel schneller als die kleine und sehr korpulente Mutter, und lachte sie aus. Dann rief sie wohl, von Leidenschaft geblendet: »Du lahmer, hinkender, ungezogener Junge!« und solche Demüthigung schlug dem bei aller Wildheit doch zarten Gemüthe Byrons tiefe Wunden. Er behielt die Mutter wohl lieb, ohne sie eigentlich achten zu können. Und sonst war Niemand, der dem Knaben fest entgegentrat.

Der Vormund, Lord Carlisle, hatte nie Gelegenheit gehabt, den Knaben näher kennen zu lernen, und übernahm sein Geschäft nur mit Widerstreben. Das heftige Wesen der Mrs. Byron kannte er wohl, und hütete sich deßhalb um so mehr, mit ihr in nähere Berührung zu kommen. Das Einzige, was dem jungen Lord Byron imponirte, war – der verstorbene Großoheim. Von diesem gingen allerlei seltsame Geschichten unter den Leuten um, da er nach den letzten Ausbrüchen seiner Leidenschaften ganz einsam gelebt hatte. Wenn er sich aber sehen ließ, dann zitterten die Landleute vor ihm. Auf die leicht entzündbare Phantasie seines Nachfolgers wirkte dieß höchst eindringlich. Der junge Lord folgte sogleich dem Großoheim in der Sitte, beständig Waffen mit sich zu führen; er hatte gewöhnlich die Seitentaschen mit kleinen geladenen Pistolen versehen und übte sich frühzeitig im Schießen, um später die Duelle, auf welche er sich schon freuete, gut ausfechten zu können.

Die Mutter hatte immer noch Hoffnung, den Fußschaden ihres Sohnes geheilt zu sehen und brachte den Knaben nach Nottingham zu einem Heilkünstler, Namens Lavender, der ein roher Empiriker war; er rieb den Fuß eine Zeit lang mit vielem Oel ein, drehte das Glied gewaltsamer Weise um und zwängte es in eine hölzerne Maschine ein. Damit der Patient indeß nicht in seinen Schulkenntnissen zurückkomme, erhielt er von einem achtungswerthen Lehrer, Rogers, in der lateinischen Sprache Unterricht und lernte den Virgil und Cicero kennen. Während der Unterrichtsstunden litt er oft, wegen der gewaltsamen Stellung seines Fußes, heftige Schmerzen, weshalb der Lehrer ihm einstmals sagte: »Es thut mir sehr leid, Mylord, Sie da so in Schmerzen zu sehen, denn ich weiß, daß Sie leiden.« »Thut nichts,« antwortete der Schüler, »Sie sollen davon bei mir keine Spur erblicken.« Den Lehrer Rogers hatte er sehr lieb, seinen Quäler Lavender, dessen Quacksalberei er durchschauete, verachtete er. Um seine Unwissenheit lächerlich zu machen, schrieb er einstmals eine Reihe sinnloser Wörter auf ein Blatt Papier, brachte solches dem »Alles wissenden« Herrn und fragte, was für eine Sprache das sei? Der dumme Medikus, welcher seine Unwissenheit nicht eingestehen wollte, antwortete voll Zuversicht: »das ist italienisch!« – unter triumphirendem Gelächter des jungen Satyrikers.

Da die Heilversuche des Nottinghamer Arztes ohne Erfolg blieben, ging Mrs. Byron mit ihrem Sohne nach London, wo der Dr. Baillie die Kur übernahm und der Schulunterricht im Institut des Dr. Glennie zu Dulwich fortgesetzt wurde. Der kranke Fuß ward abermals in eine künstliche Form eingezwängt und sehr mäßige Bewegung vorgeschrieben. Dr. Glennie hatte aber große Noth, dieser Vorschrift Gehorsam zu verschaffen; denn so ruhig sich auch der junge Lord beim Lernen verhielt, um so ausgelassener war er, wenn es zum Spiel ging; er wollte es in Leibesübungen allen Mitschülern zuvor thun.

In den Mittheilungen, die Dr. Glennie später über seinen Zögling machte, heißt es: »Er war fröhlich, gutmüthig und von seinen Mitschülern geliebt. Seine Bekanntschaft mit der Geschichte und Poesie ging weit über die gewöhnlichen Grenzen seines Alters hinaus und in meinem Studirzimmer (wo ihm sein Bett eingeräumt war) fand er manches Buch, um seinen Geschmack zu bilden und seine Neugierde zu befriedigen; unter andern eine Reihenfolge von Dichtern von Chaucer bis zu Churchill, von denen ich behaupten möchte, daß er sie mehr als Ein Mal von Anfang bis zu Ende durchgelesen hat. Mit dem historischen Theile der heiligen Schrift zeigte er schon in diesem Alter eine vertraute Bekanntschaft; er war höchlich erfreut, sich über selbige mit mir, insbesondere nach unseren Religionsübungen am Sonntag Abend, unterhalten zu können, und sprach dann über die Gegenstände der Bibel mit jedem Anzeichen der Ueberzeugung von den in ihr enthaltenen Wahrheiten. Daß die auf solche Weise in seinem Knabenalter empfangenen Eindrücke sich ungeachtet der Unregelmäßigkeiten seines nachherigen Lebens tief seinem Herzen eingeprägt hatten, das – setzt der Erzähler hinzu – muß jedem aufmerksamen Leser, der seine Werke im Ganzen betrachtet, unbezweifelt erscheinen, und ich habe mich niemals von der Ueberzeugung trennen können, daß bei den befremdenden Verirrungen, die seine spätere Lebensbahn so unglücklich bezeichnen, es ihm sehr schwer gefallen sein müsse, die besseren in früher Jugend eingesogenen Grundsätze zu verletzen.

Die Mutter hätte dem tüchtigen Pädagogen die Erziehung ihres Sohnes überlassen sollen, statt dessen ließ sie ihn, dem Willen des Dr. Glennie entgegen, vom Sonnabend bis Montag in ihre Wohnung zu London kommen, ja behielt ihn nach Laune wohl eine ganze Woche bei sich, ließ ohne Auswahl Gespielen kommen und sorgte für allerlei Kurzweil. Zuweilen trat der Lord Carlisle dazwischen, und durch ihn ermuthigt, versuchte Dr. Glennie, sich den Sonnabendsbesuchen zu widersetzen. Aber dann kam Mrs. Byron wie eine Furie in seine Anstalt und brachte Alles in Allarm, so daß selbst ein Mitschüler zu dem Sohne sagte: »Byron, Deine Mutter ist eine Närrin!« »Ich weiß es,« antwortete dieser finster.

Aus dem stillen Dulwich kam der Knabe nach dem Harrow-Gymnasium, in das Geräusch einer öffentlichen Schule, das ihn anfangs beängstigte. Der damalige Vorsteher, Dr. Drury, berichtet: »Der Geschäftsträger Lord Byrons überwies diesen meiner Aufsicht, als er 13½ Jahre alt war; er bemerkte, daß seine Erziehung vernachlässigt und er zum Eintritt in eine öffentliche Schule nicht gehörig vorbereitet sei, daß er jedoch Spuren eines hellen Verstandes zu verrathen scheine. Als er weggegangen war, nahm ich meinen neuen Schüler in mein Studirzimmer, und versuchte es, ihn durch Erkundigungen nach seinen bisherigen Unterhaltungen, Beschäftigungen und Bekannten gesprächig zu machen, hatte aber wenig Erfolg und sah bald, daß ein wildes Gebirgsfüllen meiner Führung übergeben war. Aber es lag Geist in seinen Blicken. Vor allen Dingen war es erforderlich, ihn mit einem älteren Knaben vertraut zu machen, um ihn an seine Umgebungen und einige Theile des Systems, in dessen Kreisen er sich bewegen mußte, zu gewöhnen. Die Auskunft aber, die er von seinem Führer erhielt, befriedigte ihn wenig, als er von den Fortschritten einiger Schüler, die jünger als er selbst waren, hörte, und aus seiner eigenen Schwäche abnahm, daß er unter sie gesetzt und dadurch gedemüthigt werden würde. Als ich dieß sah, ordnete ich ihn unter die besondere Aufsicht eines Lehrers und gab ihm die Zusicherung, daß er nicht eher seinen Platz erhalten sollte, als bis er durch Fleiß in den Stand gesetzt sei, mit seinen Altersgenossen es aufzunehmen. Dieß gefiel ihm und er befand sich nun mit seinen Mitschülern auf einem besseren Fuße, doch blieb bei ihm noch geraume Zeit eine gewisse Scheu zurück. Sein Betragen und sein Temperament halfen mir bald zu der Ueberzeugung, daß es leichter sein werde, ihn an einem seidenen Faden als an einem Ankertau zu lenken – und danach verfuhr ich.« Byron selber erzählt von seiner Schulzeit zu Harrow, daß er beim Spiel oder Anstiften von Unfug wohl thätig gewesen sei, auch gern die Werke der neueren englischen Literatur gelesen habe, »in jeder anderen Hinsicht aber faul gewesen sei.« »Zu streng anhaltenden Arbeiten konnte ich mich nicht entschließen. Meine Fähigkeiten waren mehr oratorisch und martialisch als poetisch, und Dr. Drury, unser erster Lehrer und mein großer Gönner, hegte nach der Geläufigkeit meines Vortrags, meinem stürmischen Wesen, meiner Stimme, meiner Fülle der Darstellung, eine starke Vermuthung, daß ich einst Redner werden würde.« Der berühmte Staatsmann und Redner Sir Robert Peel war mit Lord Byron in Einer Klasse, und letzterer erzählt, daß sie mit einander auf gutem Fuße standen. »In gelehrtem Wissen war er mir bei Weitem überlegen, in der Deklamation und Aktion stellte man mich ihm wenigstens an die Seite; als Schüler war ich, außer der Schule, beständig in Händel verwickelt, er nie; in der Schule wußte er seine Lektion immer, ich selten.« Einst fiel es einem älteren Schüler ein, den kleinen Peel als seinen Fuchs zu behandeln und ihn zu allerlei Dienstleistungen zu zwingen. Peel weigerte sich und leistete Widerstand, doch vergeblich. Der Große bezwang ihn nicht allein, sondern machte sich auch gleich daran, den rebellischen Unterthan auf eine empfindliche Weise zu züchtigen. Er ertheilte nämlich dem inneren fleischigen Arme des Knaben eine Art von Bastonade, wobei er selbigen mit ordentlich kunstmäßiger Geschicklichkeit herumzwängte, um den Schmerz noch empfindlicher zu machen. Während ein Schlag auf den andern folgte und der arme Peel sich unter denselben krümmte, kam Byron und sah die klägliche Lage seines Freundes. Obgleich er wohl wußte, daß er viel zu schwach sei, um den Grausamen mit Erfolg angreifen zu können, ja daß es gefährlich sei, in dem Momente sich ihm zu nähern, trat er doch hinzu und fragte mit dem Erröthen der Wuth und mit einer vor Entsetzen und Unwillen zitternden Stimme, »wie viel Schläge jener noch zu geben gesonnen sei?« »Was, kleiner Schlingel – lautete die Antwort – geht Dich das an?« »Weil ich – antwortete Byron und streckte seinen Arm aus – mir die Hälfte davon ausbitten wollte.«

Th. Moore bemerkt sehr wahr: »In diesem kleinen Zuge liegt eine Mischung von Einfachheit und Seelengröße, die wahrhaft heroisch ist; und wie wir auch auf die Freundschaft unter Knaben herablächeln mögen, selten findet sich Freundschaft unter Männern, die auch nur die Hälfte von jenem zu thun im Stande wäre.«

Stoßweise machte wohl Byron einige Anstrengungen des Fleißes, dann fiel er aber schnell wieder in die liebgewordene Träumerei, die oft selbst das Schauerliche suchte. Auf dem Kirchhofe von Harrow zeigt man ein Grab, von wo aus man einen schönen Blick auf Windsor hat, das, als sein Lieblingsplatz bekannt, »Byrons Grab« genannt wurde; dort konnte er stundenlang sitzen, brütend über den ersten Regungen der Leidenschaft und des Genius in seiner Seele, vielleicht auch in Gedanken künftigen Ruhmes versunken, wie er denn, nach kaum zurückgelegtem 15. Lebensjahre, die bemerkenswerthen Verse schrieb:

Mein Grabstein soll mein Name sein!
Ist's Ehre nicht, die meinen Staub bedeckt,
O daß kein andrer Ruhm mich dann befleckt!
Er soll des Ortes Merkmal, er allein
Mit ihm gedacht, wo nicht, vergessen sein.

Im Herbst 1802 machte er einen Ausflug nach Bath, wo sich seine Mutter aufhielt, und an diesem luxuriösen Orte nahm er an allen Lustbarkeiten Theil, erschien auf einer Maskerade in der Tracht eines türkischen Knaben, und war höchst lustig. Den Tod seiner zärtlich geliebten Kousine, Miß Margareth Parker, die in Folge eines Falles, der ihr Rückgrat verletzte, gestorben war, hatte er längst vergessen, obwohl ihre zarte Schönheit ihn ganz bezaubert und, wie er selber sagt, seinen ersten poetischen Aufschwung veranlaßt hatte. Im Jahre 1803, wo er sein Erbgut Newstead-Abbey besuchte, wandte sich sein Herz der Miß Mary Chaborth zu, deren Vater von Lord William, wie schon erwähnt, im Duell getödtet worden war. Das einige Jahre ältere Mädchen, eine reiche Erbin und im Begriff, sich zu verloben, neckte den jungen Thoren, und einst mußte der verliebte Byron es selber hören, wie sie zu ihrem Kammermädchen sagte: »Kannst Du glauben, daß ich für den lahmen Jungen das Mindeste empfinde?« Das war ein Stich in sein Herz, den er sein Lebelang empfunden hat.

Im Jahre 1805 verließ Lord Byron die Schule zu Harrow und bezog die Universität Cambridge, wo er in das Trinity-College eintrat. Zur großen Unzufriedenheit der Lehrer ging er dort ganz seinen eigenen Weg, that für das Studium der alten Klassiker und der Mathematik (die ihm vollends zuwider war) außerordentlich wenig, desto mehr dagegen für seine Ausbildung im Fechten, Schießen, Schwimmen, Reiten und – in der Kenntniß der neueren englischen Dichter. Er selber übte sich nun öfters im Dichten, und die Darstellungen eines Privattheaters machten ihm das größte Vergnügen. Auch die Lektüre historischer Schriften zog ihn sehr an und er besaß in diesem Fache eine große Belesenheit. Ein im Dezember 1806 (wo er also das 19te Jahr noch nicht vollendet hatte) verfaßtes Gedicht, »das Gebet der Natur« überschrieben, zeigt, daß schon damals der Zweifel seinen religiösen Glauben angegriffen hatte und wie er nun versuchte, den »Gott in der Natur« zu finden und festzuhalten. Der Anfang des Gedichts lautet:

Vater des Lichts! Gott in der Höh'!
Hörst du des Zweifels Ruf in der Huld?
Wird uns verziehn die Sünde je,
Sühnt das Gebet des Lasters Schuld?
Vater des Lichts im Sternenzelt,
Du kennst des Herzens tiefe Noth,
Du, ohne den kein Sperling fällt,
Nimm ab von mir der Sünde Tod!

In melancholischen Anwandlungen kamen ihm oft Todesgedanken, wie denn überhaupt die Gegensätze zwischen Trauer und Lust sehr schroff bei ihm hervortraten. Zu seinen Sonderbarkeiten gehörte auch das System der Abmagerung, das er seit seinem Eintritt in Cambridge angenommen hatte. In der Furcht, zu wohlbeleibt zu werden, wozu er von Natur Anlage hatte, vereinfachte er seine Diät, unterzog sich den heftigsten Leibesbewegungen und nahm häufig warme Bäder. »Seit unserem letzten Beisammensein,« schrieb er einem Freunde, »habe ich mich durch heftige Bewegung, viel Arznei und heiße Bäder von 14 Stein 6 Pfund auf 12 Stein 7 Pfund reduzirt. Zusammen habe ich 27 Pfund verloren. Bravo. Was sagen Sie?« Im nahen Southwall machte er öfters Besuche, und war dann besonders ergriffen, wenn einfache Balladen zum Pianoforte gesungen wurden. Obwohl er selber wenig Geschick als ausübender Musiker zeigte, so war doch sein Gemüth den Eindrücken der Musik jeder Zeit offen. Dieß, und die pünktliche Korrespondenz im Briefwechsel mit seinen Freunden bildete auch einen wesentlichen Zug seines Charakters. An seinen Jugendfreunden hing er stets mit aller Treue, was ihn jedoch nicht abhielt, zuweilen auch seine satyrische Laune über sie ergehen zu lassen. Denn für alles Lächerliche hatte er den schärfsten Blick, und die Kraft seiner Satyre mußten auch die Professoren von Cambridge erfahren. Als er die Universität verließ, ließ er in seiner Wohnung seinen jungen Bären zurück, damit dieser, wie er sich ausdrückte, bei der nächsten offenen Stelle eines Kollegienmitgliedes als Kandidat auftreten möchte.

Auf Zureden seiner Freunde hatte er eine Sammlung derjenigen Gedichte veranstaltet, die in vertrauten Kreisen Interesse erregten; sie erschienen 1807 unter dem Titel: »Stunden der Muße«. Die Rezensenten fielen darüber her, und namentlich das Edinburg-Review unterwarf sie einer schonungslosen Kritik. Byrons Stolz war bis in das Innerste seiner Seele verwundet und sein Ehrgeiz schmerzlich gedemüthigt; doch dauerte dieß Gefühl der Erniedrigung nur einen Augenblick. Bald erhob ihn der Angriff wieder zum vollen Bewußtsein seiner Kraft und die Schaam der Beleidigung ward verdrängt durch das stolze Gefühl einer sicheren Rache. Er erzählte später, daß an dem Tage, als er jene Kritik gelesen, er nach der Mittagstafel drei Flaschen Wein trank; daß aber nichts ihm Erleichterung verschaffte, als bis er seinem Unwillen in satyrischen Versen Luft gemacht, und daß er nach den ersten zwanzig Zeilen sich beträchtlich wohler gefühlt habe. Dann war aber seine Sorge mit kindlicher Liebe darauf gerichtet, die Empfindlichkeit der Mutter zu lindern, die den Angriffen auf seinen Ruhm hülfloser als er selbst ausgesetzt war, weil sie nicht dasselbe Gegengewicht in die Waagschale werfen konnte. Lord Byrons Satyre erschien unter dem Titel: »Englische Barden und Schottische Kritiker«; er hatte sich furchtbar an seinen Rezensenten gerächt, dabei freilich auch manchen ehrenwerthen Mann angegriffen, was ihm nachher wieder leid that.

Er theilte nun seine Zeit zwischen den Zerstreuungen von London und Cambridge; in der Weltstadt gerieth er bald in schlechte Gesellschaft und stürzte sich in den Strudel des sinnlichen Vergnügens. Das beseligende Gefühl seiner kindlichen Unschuld war bald dahin geschwunden, und je mehr er den Mangel fühlte, desto mehr suchte er ihn durch Genüsse zu ersetzen, die ihn bald anekelten. »Es war eins der schmerzlichsten Gefühle,« sagt er selbst, »zu fühlen, nicht mehr Knabe zu sein. Von dem Augenblicke an schätzte ich mich alt und nach meiner Ansicht ist das Alter nicht schätzenswerth. Ich machte mit großer Schnelligkeit Fortschritte im Laster, obgleich dieß nicht eigentlich mein Geschmack war.« Die Mutter verstand es nicht, den stürmischen Sohn zu leiten, und sonst hatte er keinen Verwandten, der ihn unter seine Fittige hätte nehmen können.

Eine Zeit lang hauste er in Newstead-Abbey, wo er sich nach seinem Geschmack einrichtete. Sein Arbeitszimmer hatte die Aussicht auf den Garten, war mit antiken Büsten und einer gewählten Bibliothek geziert. Es hing darin noch seit alter Zeit ein vergoldetes Kruzifix und ein Schwert mit einer vergoldeten Scheide; zwei wohlpolirte Schädel standen in der Ecke des Zimmers auf fein gearbeiteten silbernen Gestellen. In der Vorhalle waren eine Menge von Thierstücken aufgehangen; auf der rechten Seite der Treppe logirte ein Bär, auf der linken Seite ein Wolf. Im Bedientenzimmer stand ein steinerner Sarg, der einen Vorrath von Fechthandschuhen und Rappieren enthielt. Der Weinkeller war mit den besten Weinsorten versehen. Für Maskeraden und sonstige gesellige Belustigungen waren aus einem Kleidermagazine verschiedene Mönchskleider angekauft worden; die Gäste saßen dann zuweilen in ihren Klosteranzügen bis tief in die Nacht hinein, tranken tüchtig Champagner und ließen den edlen Burgunderwein in einem zum Trinkgeschirr zugerichteten Menschenschädel herumgehen. Ein Gast Byrons berichtet in einem Briefe: »Ich, der ich gewöhnlich zwischen 11 und 12 Uhr aufstand, war jederzeit, selbst während meines Unwohlseins, der Erste in der Gesellschaft und wurde als ein Wunder des frühen Aufstehens betrachtet. Oft war es 2 Uhr vorüber, ehe die Frühstücksgesellschaft aufbrach. Dann unterhielt man sich für den Morgen mit Lesen, Fechten, Federballspiel, Stockfechten im großen Zimmer, mit Pistolenschießen in der Halle, Spaziergehen, Reiten, Ballspiel, Schiffen auf dem See, Spielen mit dem Bären und Abrichten des Wolfs. Zwischen 7 und 8 Uhr aßen wir Mittag und der Abend dauerte dann bis ein, zwei, auch drei Uhr.« Byron wurde bei diesen Gelagen als »Abt« titulirt. Auch bei diesem wilden Treiben hatte er Stunden, wo er am liebsten allein war und nur mit seinem großen Newfoundländer Hunde, Namens Boatswain, verkehrte. Als er das treue Thier 1808 durch den Tod verlor, setzte er ihm ein Denkmal und verfaßte eine besondere Grabschrift.

Nachdem er des Aufenthaltes in den gothischen Hallen seines Schlosses allgemach überdrüssig geworden war, beschloß er, eine Reise nach Griechenland zu unternehmen; sein Freund Hobhouse, ein Mann von vielseitiger Bildung, begleitete ihn. Sie gingen zuerst nach Lissabon, wo sie eine Zeit lang verweilten; dann über den Bergrücken, der die Provinz Alentejo theilt, an die Ufer der dunkeln Guadiana und in die sonnigen Ebenen von Andalusien. Von Sevilla begaben sie sich nach Cadix, von wo sie sich auf einer englischen Fregatte nach Albanien einschifften, unterwegs Sardinien, Sicilien und Malta berührend. In Janina, der Hauptstadt Albaniens, wurden die Reisenden dem Ali Pascha von Janina vorgestellt, und von diesem mit der größten Auszeichnung empfangen. Byron erzählt von seiner ersten Audienz bei diesem Fürsten: »Ali Pascha sagte zu mir, er sei überzeugt, daß ich von hoher Geburt sei, da ich kleine Ohren, gelocktes Haar und kleine weiße Hände habe Auf seine kleinen weißen Hände war L. Byron ganz besonders eitel. Er suchte, wie Leigh Hunt bemerkt, die Aufmerksamkeit durch Ringe auf sie zu ziehen. »Eine solche Hand hielt er fast für das Einzige, wodurch sich gegenwärtig noch ein Gentleman unterscheiden könne. Er ließ sich oft mit einem Schnupftuch sehen, in welches seine beringten Finger eingebettet lagen wie auf einem Gemälde.«, drückte mir sein Wohlgefallen über meine Person und Kleidung aus, und bat mich, ich solle ihn, so lange ich in der Türkei verweile, als seinen Vater betrachten; er sehe mich ganz als sein Kind an. Auch behandelte er mich wie ein Kind, denn er schickte mir wohl zwanzig Mal des Tags Sorbet, Früchte und Eingemachtes.«

Die Berge Albaniens erinnerten Lord Byron an die Hügel von Morven, wie die bunte Tracht der Albanesen an die Hochschotten. Er wurde von den stets wechselnden Szenen des Neuen und Schönen in eine freudige Begeisterung versetzt, und dichtete während der Reise die ersten Gesänge seines berühmten Werkes: »Ritter Harolds Pilgerfahrt«. Es war ein poetisches Tagebuch in großartigem Styl, in das er die empfangenen Eindrücke niederlegte. Mit einer Wache von 50 Albanesen setzte er seine Reise fort durch Akarnanien und Aetolien nach Morea. In Athen ward sein Unwille aufs Aeußerste erregt, als er sehen mußte, wie die eigenen Landsleute, und namentlich Lord Elgin, den Ort seiner schönsten Zierden beraubt und manches Kunstdenkmal muthwillig zerstört hatten. Dafür ward Lord Elgin im »Harold« als der Herostratus der Neuzeit nach Gebühr gezüchtigt. Nach einem Aufenthalt von zehn Wochen ging's von Athen weiter nach Smyrna in Kleinasien, wo Byron mit dem Homer in der Hand die klassischen Gefilde Troja's durchwanderte. Auf der Reise nach Konstantinopel, bei den Dardanellen angelangt, unternahm er das kühne Wagstück und schwamm, ein zweiter Leander, von Sestos nach Abydos hinüber binnen einer Stunde und zehn Minuten. Er war nicht wenig stolz auf dieses Heldenstück, das ihm freilich ein Fieber zuzog. Doch dieß trug er gern, wenn man nur von ihm redete und sein Name gefeiert ward.

Indessen waren die Vermögensumstände daheim in eine große Verwirrung gerathen und Lord Byron mußte auf die Rückreise denken. An Mr. Dallas, dem er mit dem Ertrag mehrerer seiner Werke ein Geschenk machte, schrieb er den 28. Juni 1811: »Nach zweijähriger Abwesenheit (bis auf den Tag am 2. Juli, vor welchem wir nicht in Portsmouth anlangen werden), nehme ich meinen Weg nach England zurück. Ich komme mit wenig Aussicht auf häusliches Vergnügen, zugleich mit einem vom Fieber etwas angegriffenen Körper, indessen, wie ich hoffe, mit einem noch ungebrochenen Geiste. Meine Angelegenheiten scheinen beträchtlich verwickelt zu sein und es wird mit Advokaten, Kohlenhändlern, Pächtern und Gläubigern hinlängliche Geschäfte geben. Für einen Mann, der den Lärm so sehr wie einen Bischof haßt, ist dieß eine sehr ernste Sache.« Als ihn Dallas in London besuchte, zeigte er diesem ein Gedicht, eine Paraphrase von Horazens »Kunst zu dichten«, das er nun herauszugeben dachte. Jener wunderte sich, daß Lord Byron seine zweijährige Reise zu nichts Besserem benutzt habe, als zu solch einer Nachahmung. Da holte der Dichter noch seinen »Harold« hervor, von dem er aber nur eine geringe Meinung hatte, und nur mit Mühe gelang es den Freunden, die sich alsbald vom hohen Werth des Gedichts überzeugten, ihn zur Herausgabe desselben zu bewegen.

Der Erfolg war durchschlagend wie ein Blitz, aber nicht flüchtig, wie dieser, denn das Gedicht war voll hoher poetischer Schönheit; mit kühnen Pinselstrichen waren nicht nur treffend Länder und Leute gezeichnet, sondern selbst geschichtliche Ereignisse mit in die Darstellung verwoben; man fühlte den Sturm und Drang der welthistorischen Gegenwart heraus; und daß der Dichter seine eigene Person selber vorgeführt und geschildert hatte, erhöhte nur das Interesse an seinem Werke. Mit Einem glücklichen Wurf war sein Dichterruf fest gegründet, das Glück war über Nacht gekommen, wie der Autor selber sagte: »Ich erwachte eines Morgens und fand mich berühmt.« Selbst die früheren Feinde des Autors begrüßten sein Gedicht mit Begeisterung; der Name »Lord Byron« war in Aller Munde, der Dichter-Lord in den vornehmsten Zirkeln gesucht.

Doch es war ihm nicht vergönnt, sich nun friedlich in der aufgegangenen Glückssonne zu wärmen, und in der Heimath festen Fuß zu fassen. Von einer Wahrsagerin war ihm einstmals prophezeit worden, sein 27stes und 37stes Lebensjahr würden unglücklich für ihn sein. In seinem 27sten Jahre vermählte er sich mit Miß Milbank, der einzigen Tochter des Baronets Sir Ralph Milbank Noël, die seine Hand bereits früher ein Mal ausgeschlagen hatte. Gerade dieß hatte aber die Eitelkeit Byrons angeregt, so daß er sich vorgenommen hatte, sich durch neue Bewerbung zu rächen. In ähnlicher Weise mochte die Eitelkeit der Miß Milbank in's Spiel kommen, die, von strengsittlichen Grundsätzen, zwar immer ein gewisses Mißtrauen gegen den leichtsinnigen Lord gehegt hatte, doch nun der Versuchung nicht widerstand, den allgemein Gefeierten zum Manne zu haben. Es war von beiden Seiten ein unüberlegter Schritt, denn die Dame irrte sich sehr, wenn sie meinte, der junge Ehemann solle nun ausschließlich ihr huldigen und seine ganze freie Zeit ihr widmen. Schon das unabweisbare Bedürfniß, das den Dichter nach öfterer Einsamkeit verlangen machte, stand dem entgegen. In Nachdenken versunken, blieb Byron nach erfolgter Trauung noch auf den Knieen und mußte erinnert werden, sich zu erheben. Dann nannte er in seiner Zerstreuung die Neuvermählte noch »Miß«, was auf die Angehörigen einen üblen Eindruck machte.

Dazu kam noch ein sehr fataler Umstand. Da das Gerede ging, Lord Byrons Gemahlin bringe ein reiches Heirathsgut mit, so meldeten sich nun auf Ein Mal alle Gläubiger, jeder Schuldenrest sollte nun bezahlt werden, und in das Haus des jungen Ehepaars wurden im Laufe des Jahres neun Mal Gerichtsdiener einquartiert, die sogar die Betten mit Beschlag belegten. Dieß Alles ertrug die Lady Byron mit Standhaftigkeit. Sie beglückte ihren Gemahl mit der Geburt einer Tochter. Aber bald nachher, in Folge eines über eine geringfügige Sache entstandenen Wortwechsels faßten beide Gatten den Entschluß, sich freiwillig von einander zu trennen. Dieß ward auch alsbald in's Werk gesetzt.

Doch nun erhob sich die öffentliche Meinung wider den »treulosen« Gatten, obwohl dieser keineswegs so schuldig war, als die Lästerzungen ihn ausschrieen. Es erschienen Spottgedichte auf Lord Byron, und selbst ehrenwerthe Damen konnten der Lust nicht widerstehen, beißende Verse auf den unglücklichen Dichter zu machen, der nun gereizt auch manche Aeußerungen that, die nicht geeignet waren, seine Gunst beim Publikum wiederherzustellen. Ergrimmt über das englische Volk und seine Einrichtungen beschloß er, dem Vaterlande auf immer den Rücken zu kehren; am 25. April 1816 verließ er England zum zweiten Mal.

Die Mutter war bald nach seiner Rückkehr von der ersten Reise gestorben, so plötzlich, daß er sie nicht einmal wiedersehen konnte. Aber merkwürdig, als so viel Ungemach auf ihn einstürmte und als sein häusliches Leben sich verfinsterte, schrieb er seine »Belagerung von Korinth« und die »Parisina«, die kurz vor seiner zweiten Abreise erschienen. Wie ein genialer Verschwender hatte er während des kurzen Zeitraums einen Reichthum von Gedichten in's Publikum geworfen; außer und vor den beiden letztgenannten »die Braut von Abydos«, »den Korsar«, die »Ode auf Napoleon«, »Lara«, »hebräische Melodieen«. »Es ist seltsam,« bekannte er selber, »aber ein Hetzen und Ringen jeder Art erweckt die Schnellkraft meines Geistes, und macht mich jedes Mal zu dem, was ich sein muß.« Er suchte in der Poesie die höhere Gerechtigkeit, jenen Schutz vor den Anfeindungen Anderer, ja vor seinen eigenen Gedanken und Empfindungen. Mit finsterem Groll und trüber Schwermuth blickte er auf das Land seiner Jugend zurück, wo nur wenige Freunde und nur eine Freundin, seine Halbschwester Auguste, ihm lebten.

Seine Reise ging dießmal zunächst nach Belgien; er besuchte das Schlachtfeld von Waterloo, wo »das Kaiserreich in Staub begraben« lag. Die schönen Rheingegenden entzückten ihn. Er schrieb an Mr. Murray, seinen Londoner Verleger: »Mein Weg durch Flandern und den Rhein entlang nach der Schweiz hat meine Erwartungen nicht allein erfüllt, sondern sogar übertroffen. Ich habe, die Heloise vor mir, das ganze Territorium von Rousseau durchstreift, und die Kraft und Genauigkeit seiner Schilderungen, und die Schönheit in ihrer wahren und treuen Darstellung hat einen unbeschreiblichen Eindruck auf mich gemacht. Meillerie, Clarens, Vevey und das Schloß von Chillon sind Plätze, von denen ich wenig sagen werde, weil Alles, was ich sagen könnte, doch bei Weitem nicht an das reichen würde, was der Betrachtende dabei empfindet.« Am Genfersee wurde der dritte Gesang des Harold gedichtet, worin fast mit noch glühenderem Feuer, als in den ersten Gesängen, die Eindrücke der neuen Reise niedergelegt wurden und der Dichter sich ohne Maske nun selber als den abenteuerlichen Helden darstellte. In Coppet besuchte er Frau v. Staël, deren Bekanntschaft er bereits in England gemacht hatte. Als er in das Gesellschaftszimmer eintrat, soll eine der anwesenden Damen bei seinem Erscheinen ohnmächtig geworden sein, und eine andere wegen seines Hinkens geglaubt haben, daß Seine satanische Majestät selber in den Saal getreten wäre. Die Staël bot alle ihre Beredsamkeit auf, den Dichter zu bewegen, Schritte zur Aussöhnung mit Lady Byron zu thun; der Lord versprach es auch und versuchte eine Annäherung, aber vergeblich.

Auf andere Weise ward er durch das Zusammentreffen mit dem jungen »atheistischen« Dichter Shelley angeregt, dessen kühne Gedanken ihn fesselten, obwohl er nie ganz mit solch hohler und abstrakter Phantasie sympathisiren konnte; Byron blieb auch in seinen Verirrungen und Ueberschwenglichkeiten immer noch eine positive Natur und den Gottesglauben konnte ihm auch seine »Naturreligion« nicht gänzlich rauben. Sein dichterischer Genius war auf der Schweizerreise in höchster Thätigkeit. Die beiden ersten Akte des dramatischen Gedichtes »Manfred«, »der Gefangene von Chillon«, traten hervor nebst den beiden sehr ernsten Gedichten »Finsterniß« und »der Traum«, von denen das letztere ihm beim Schreiben manche Thräne kostete, da es wirklich die ergreifendste Schilderung »eines herumziehenden Lebens« ist. Auch jene Verse, »der Zauber« betitelt, die nachher ohne Weiteres in den »Manfred« geschoben wurden, entstanden in dieser Zeit – ein Herzenserguß nach dem letzten fruchtlosen Versuche der Versöhnung.

Im Oktober 1816 brach er aus der Schweiz auf nach Italien, und nahm seinen Weg über Mailand und Verona nach Venedig, wo er den Winter zubrachte; im folgenden Jahre machte er eine Reise über Florenz nach Rom und kehrte dann wieder nach Venedig zurück, ganz in dem wüsten ausgelassenen Leben der »lustigen italienischen Gesellschaft« sich austobend. Der originelle englische Lord machte bei den Italienern nicht geringes Aufsehen. Schon seine Reiseequipage war ziemlich sonderbar und lieferte der Dogana ein wunderliches Verzeichniß: sieben Bedienten, fünf Wagen, neun Pferde, ein Affe, ein Bullenbeißer und eine englische Dogge, zwei Katzen, drei Pfauen und einige Hennen machten seinen Haushalt aus; diese und alle seine Bücher, eine ziemlich große Bibliothek neuerer Werke (denn er kaufte alle die besten, welche herauskamen) zusammengenommen mit einer Menge Hausgeräth konnten wohl mit Cäsars Ausdruck » impedimenta« genannt werden.

Im Juni 1819 zog er nach Ravenna, und lebte dort mit der schönen Gräfin Guiccioli in einem sehr vertrauten Verhältnisse. Sie war in ihrem 16ten Jahre mit einem 60jährigen Manne, dem Grafen Guiccioli, vermählt worden; lebhaft, muthig, veränderlich, schien sie ganz für Byron geschaffen und nahm fast an allen seinen Vergnügungen und öfteren Seefahrten Theil. Als Byron, ohne Jemand ein Wort zu sagen, nach Ithaka gesegelt war, um die Heimath des Odysseus zu sehen, folgte ihm die Gräfin, von einem Knaben begleitet, trotz dem sehr stürmischen Wetter, auf einem leichten Fahrzeuge nach jener Insel, wo sie den flüchtigen Barden erreichte, der nicht wenig über ihre Unerschrockenheit erstaunte. Byrons Leben war ganz geeignet für das große Gedicht »Don Juan«, das er nun hervorbrachte als einen außerordentlichen, aber auch traurigen Spiegel der leidenschaftlichen, wildaufgeregten Welt, in der er sich bewegte. Auch die »Ode auf Venedig«, »der Mazeppa« und »Tasso's Klage« entstanden um diese Zeit.

Als die Grafen Gamba, Vater und Bruder der Gräfin Guiccioli, wegen carbonarischer Umtriebe aus Ravenna verbannt wurden, nahm Lord Byron die ganze Familie in seinen Schutz und ging mit ihr nach Pisa; als die Gamba auch dort nicht mehr sicher waren, führte sie Byron nach Genua. Trotz all den Wirren hatte er noch drei dramatische Dichtungen: »Kain«, »Sardanapalus« und die »beiden Foscari« verfaßt, ohne daß ihn diese Werke befriedigt hätten. Seine Theilnahme an der »Befreiung Italiens« war erfolglos geblieben; nun faßte er den Entschluß, all' sein Vermögen und seine Kräfte der Sache Griechenlands zu weihen, wo ein herabgekommenes, aber heldenmüthiges kleines Volk Unterstützung von Europa forderte. Im Frühling 1823 ward die Reise nach Griechenland in's Werk gesetzt. In Livorno ward er noch freudig von einem Gedicht Göthe's überrascht Göthe's Verse lauteten:
Ein freundlich Wort kommt eines nach dem andern (Der englische Dichter hatte dem deutschen sein Trauerspiel »Werner« zugeeignet und wiederholt freundliche Grüße gesandt.)
Vom Süden her und bringt uns frohe Stunden;
Es ruft uns auf zum Edelsten zu wandern,
Nicht ist der Geist, doch ist der Fuß gebunden.

Wie soll ich dem, den ich so lang begleitet,
Nun etwas Traulich's in die Ferne sagen?
Ihm, der sich selbst im Innersten bestreitet,
Stark angewohnt, das tiefste Weh zu tragen.

Wohl sei ihm doch, wenn er sich selbst empfindet,
Er wage selbst, sich hoch beglückt zu nennen,
Wenn Musenkraft die Schmerzen überwindet;
Und wie ich ihn erkannt, mög' er sich kennen.
, welches sogleich – der Eile willen in Prosa – beantwortet wurde.

Byrons Antwort lautete:

Livorno, den 24. Juli 1823.

Verehrungswürdiger,

Ihnen nach Gebühr für Ihre mir durch meinen jungen Freund, Herrn Sterling, zugeschickten Verse zu danken, vermag ich nicht; und es würde mir nur schlecht anstehen, wenn ich mit dem Manne einen poetischen Tausch treiben wollte, der seit 50 Jahren der unbestrittene Gebieter der europäischen Literatur gewesen ist. Sie müssen daher meine herzlichen Danksagungen in Prosa – und noch dazu in eilig hingeworfener Prosa hinnehmen; denn ich bin jetzt auf einer abermaligen Reise nach Griechenland begriffen und von einem Wirrwarr und Getümmel umgeben, wovor selbst Dankbarkeit und Bewunderung kaum einen Augenblick dazu kommen können, sich auszusprechen. Ich segelte vor einigen Tagen von Genua ab, wurde aber durch einen Windstoß wieder zurückgetrieben; darauf stach ich wieder in See und bin diesen Morgen hier in Livorno angekommen, um einige Griechen, die mit dieser Gelegenheit in ihr kämpfendes Vaterland zurückkehren wollen, an Bord zu nehmen.

Hier habe ich auch Ihre Verse und den Brief des Herrn Sterling gefunden, und eine günstigere Vorbedeutung, eine angenehmere Ueberraschung hätte mir nicht zu Theil werden können, als ein eigenhändig geschriebenes Wort von Göthe.

Ich will wieder nach Griechenland gehen, um zu sehen, ob ich dort vielleicht einen geringfügigen Nutzen stiften kann; komme ich je zurück, so will ich meinen Besuch in Weimar abstatten, um Ihnen die herzlichsten Huldigungen Eines von den vielen Millionen Ihrer Bewunderer darzubringen. Ich habe die Ehre, stets und innigst zu sein

Ihr gehorsamster
Noël Byron.

 

Nach zehn Tagen ging das Schiff bei Argostoli in Cephalonien vor Anker. Die Ankunft eines so berühmten Mannes erregte unter den Griechen sowohl wie unter den Engländern eine lebhafte Sensation, und namentlich die Landsleute wurden ganz bezaubert von dem freundlich offenen Wesen des Mannes, den sie sich als finstern Menschenhasser gedacht hatten. Die griechische Regierung gab dem Lord Byron den Wunsch zu erkennen, daß er unverzüglich nach Morea abgehen möchte; der Gouverneur von Missolunghi, Metaxa, bat ihn, zum Entsatz dieser Stadt herbeizueilen. Kolokotroni lud ihn ein zur Theilnahme am Kongreß von Salamis, und Maurokordato lag ihm an, sich nach Hydra zu begeben. Jede Partei wollte ihn in Beschlag nehmen und ihn zu ihrem Vortheil ausbeuten. Um sich über den Stand der Dinge aufzuklären, machte er sich ein Vergnügen daraus, die Agenten der verschiedenen Parteien zusammenkommen zu lassen; da ward ihm alsbald der gefährliche Zwiespalt des griechischen Volkes klar, der nicht gerade geeignet war, Hoffnungen auf einen glücklichen Erfolg des Aufstandes zu nähren. Doch Lord Byron ließ sich keineswegs abschrecken; er kannte die Griechen von früher her, hatte den traurigen Druck in der Nähe gesehen, unter dem sie schmachteten, wußte wohl, daß man in Hellas keine homerischen Helden suchen dürfte, vertraute aber auf den hingebenden Muth des armen Völkchens. Er vertheilte sofort ansehnliche Summen unter viele griechische Flüchtlinge zur Anschaffung von Kriegsbedürfnissen, und ging dann über Zante nach Missolunghi ab, das er am 4. Januar 1824 erreichte. Bei seiner Ankunft ward er mit freudiger Begeisterung empfangen; die Kanonen der Festung salutirten; der Prinz Maurokordato, alle Würdenträger, die Truppen und Bürger geleiteten ihn im festlichen Zuge zu seiner Wohnung.

Er errichtete sogleich eine Truppe von 500 Sulioten, die er bei dem beabsichtigten Sturme auf die Festung Lepanto mit dem jungen Grafen Gamba, der ihn begleitete, kommandiren wollte. Von der Regierung erhielt er sein offizielles Patent als Befehlshaber der Expedition. Trotzdem nun aber, daß er seine Sulioten aus eigenen Mitteln besoldete, stellten sie, von dem eifersüchtigen Kolokotroni aufgewiegelt, höchst unbillige Forderungen an den Lord. Sie verlangten, daß aus ihrer Mitte zwei Generäle gewählt würden; eine große Zahl (150) wollten gar nicht als Gemeine dienen. Zwar wurde dieser Zwiespalt bald ausgeglichen, aber auf Byrons Gemüth hatte der Vorfall sehr niederschlagend gewirkt. Ein lang anhaltendes Regenwetter hatte ihn an der gewohnten Leibesbewegung gehindert, sein Gemüth war verstimmt und es stellten sich plötzlich Krampfanfälle ein, die ernstliche Besorgniß erregten.

Kaum hatte sich sein Gesundheitszustand etwas gebessert, so zog er sich auf einem stürmischen Spazierritt von Neuem durch eine Erkältung ein heftiges Katarrhalfieber zu. Ihm mußte wiederholt zur Ader gelassen werden, es stellten sich abwechselnd Ohnmachten und wilde Phantasieen ein; die Aerzte, die wenig verstanden, seine Umgebung, die in verschiedenen Sprachen redete und die Verwirrung vermehrte, machten den Kranken so ungeduldig, daß er auf die Fragen der Aerzte gar nicht mehr antworten wollte. Als er sein Ende nahe fühlte, sprach er: »Ich habe Griechenland meine Zeit, mein Vermögen, meine Gesundheit geopfert – und nun gebe ich ihm auch mein Leben hin! Konnte ich mehr thun?« In lichten Augenblicken gedachte er mit Rührung seiner Gemahlin und seiner Tochter. Am 18. April Abends 6 Uhr sagte er: »Jetzt will ich schlafen gehen!« wandte sich um, und blieb wie ohne Besinnung; am andern Morgen öffnete er die Augen noch einmal, schloß sie aber sogleich wieder, um sie nie mehr zu öffnen.

»Er starb – sagt Graf Gamba – in einem fremden Lande und unter fremden Menschen; aber mehr geliebt und aufrichtiger beweint hätte er nirgend werden können, wo er auch verschieden wäre. Die mit einer Art von Ehrfurcht und Begeisterung gemischte Anhänglichkeit, die er denen, die um ihn waren, einflößte, war so groß, daß nicht ein Einziger unter uns war, der für ihn nicht bereitwillig jeder Gefahr Trotz geboten hätte.«

Sein Kammerdiener Fletcher, indem er den Todesfall in einem Briefe an Murray berichtet, sagt: »Entschuldigen Sie gütigst alle Mängel dieses Schreibens, denn ich weiß wirklich nicht, was ich sage oder thue; denn Mylord war mir seit den zwanzig Jahren, die ich bei ihm diente, mehr als ein Vater, und ich bin zu tief gebeugt, um jetzt einen genauen Bericht von jedem einzelnen Umstande geben zu können.«

Ganz Griechenland trauerte; in der Nikolaikirche zu Missolunghi ward eine rührende Todtenfeier gehalten. Umgeben von seiner Brigade, von den Truppen der Regierung und der gesammten Volksmenge, auf den Schultern der Offiziere seines Korps, die gelegentlich von anderen Griechen abgelöst wurden, ward der köstlichste Theil seiner sterblichen Reste in die Kirche getragen, wo die Leichen des Marko Bozzari und des Generals Normann liegen. Da wurde der Sarg, eine roh zusammengefügte hölzerne Kiste, niedergesetzt; ein schwarzer Mantel diente statt des Leichentuchs; darüber ward ein Helm, ein Degen und eine Lorbeerkrone gelegt. Diesen einfachen Akt hätte keine Pracht feierlicher machen können, als er war. Das Elend und die Trostlosigkeit des Ortes selbst, die halbwilden Krieger rings umher, die nun schmerzlich fühlten, was für einen Wohlthäter sie verloren hatten, die traurigen Ahnungen, die auf jedem Antlitz zu lesen waren – Alles das trug dazu bei, eine tief ergreifende Szene zu bilden.

Die Leiche ward nach England gesandt und die Asche fand in dem Erbbegräbnisse der Ahnen ihre Ruhestätte, wo die Schwester, Freifrau Marie Auguste Leigh – hinter dem Altar der Kirche zu Hucknell – ihm auf weißer Marmortafel eine einfache Denkschrift setzte.

Lord Byron war an seinem fieberhaften Ehrgeize, der ihn ohne Unterlaß peinigte, zu Grunde gegangen, ohne den sittlichen Schwerpunkt eines praktischen Lebens gefunden zu haben.

Eine so übermächtige Phantasie, ein so heißes, übersprudelndes Gefühl, verbunden mit einer ebenso heftigen als schwankenden, durch die erste Erziehung falsch geleiteten Willenskraft und einem brennenden Durst nach Auszeichnung konnte kein in sich befriedigtes harmonisches Leben erzeugen; es mußten jene Kontraste entstehen von idealem Aufschwung, geistiger, ja sittlicher Erhabenheit und Zartheit des Herzens einerseits und von cynischer Gemeinheit, verzweiflungsvoller Abspannung und Kleinmüthigkeit andrerseits. Wie in Apriltagen begegnen sich liebliche Sonnenblicke von kindlichem Glauben und innigem Gottesgefühl mit kalten Hagelschauern des Zweifels und vermessener Auflehnung wider alles Höhere und Uebersinnliche. Die »Poesie der Zerrissenheit« hat in Lord Byron ihren glänzendsten Repräsentanten gefunden, aber das Gemüth erheitern und stärken, das Herz befriedigen vermag eine solche in der leidenschaftlichen Stimmung des Subjekts beruhende Dichtkunst nicht. Wohl aber kann sie dem gereiften Manne, indem sie in scharfen Lichtern und Schatten die Gegensätze des Lebens erkennen lehrt, einen tiefern Blick in die Natur und Menschenwelt eröffnen, und ihm Manches sagen, was nur in und mit der Leidenschaft gesagt werden kann.

Lord Byrons Poesie, mit der unsers Lenau verglichen, ist glänzender, hinreißender, pikanter; aber Lenau's Lyrik ist reiner, inniger, vollendeter. Byron war zu sehr Engländer, um eine Lyrik frei und rein hervor zu bringen, wie sie in Deutschland erblüht ist; er war wiederum zu sehr lyrisch, um als epischer und dramatischer Dichter die Mannigfaltigkeit des Lebens treu abspiegeln zu können. Auch Byron rettete sich wie Lenau in die Natur, wenn ihn das Menschenleben drückte, aber doch nur, um sich an ihrem Glanze, ihrer Kraft wieder aufzufrischen, aus einem egoistischen Triebe; Lenau suchte und fand in der Natur das Symbol für die Gemüthswelt des Denkers, und vermochte selbst die absterbende Natur zu lieben, weil er in ihr das Befreiende, Versöhnende und Beseligende des Todes erblickte. Wir finden bei Lenau eine größere Pietät vor der Idee. Auch er hat es zwar nicht vermocht, an der objektiven Gestaltung des Lebens sich zu betheiligen und aus dem Bann seiner Subjektivität herauszugehen; aber er ist frei geblieben von jenem maaßlosen Ehrgeiz und jener eiteln Effekthascherei des englischen Lord, dem zuletzt die Verherrlichung des eigenen Selbst doch der Götze war, den er anbetete.


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