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siehe Bildunterschrift

Nikolaus Lenau. Portrait von Friedrich von Amerling

Nikolaus Lenau.

Nikolaus Lenau's sämmtliche Werke, herausgegeben von Anastasius Grün, 1. Band (Stuttgart, Cotta, 1855). Lenau's Leben, großentheils aus des Dichters eigenen Briefen. Von seinem Schwestermanne A. X. Schurz (2 Bde. Stuttgart, Cotta, 1855). Lenau in Schwaben von Emma Niendorf (Stuttgart 1853).


Die Vorfahren des großen Lyrikers spielen als Patrizier in der Geschichte der Stadt Strehlen in Preußisch-Schlesien keine unbedeutende Rolle, und der Name »Niembsch« ( niemetz nennt der Slave den Deutschen) deutet auf deutsches Blut. Kaiser Franz I. erneuete, um das Verdienst des tapferen Joseph von Niembsch zu ehren, der als Rittmeister 1793 tapfer gegen die Franzosen gefochten hatte und sich bis zum k. k. Obersten aufschwang, den Familienadel unter dem Prädikat: Edler »Niembsch von Strehlenau«; einen noch höheren Glanz verlieh der Familie der Enkel dieses Obersten, unser Nikolaus, der unter dem Namen »Lenau« den deutschen Parnaß bestieg und dort mit unvergänglichen Lorbeeren geschmückt thronen wird, unsterblich wie Göthe und Schiller.

Der Großvater unsers Dichters war ein wackerer Mann, hatte sich aber in der unruhigen Kriegszeit nicht viel um die Erziehung seines Sohnes Franz bekümmern können; seine Gemahlin, eine geborene Freiin Katharina von Kellersberg, war eine sehr kluge, aber auch sehr heftige Frau, die, wenn sie einmal am Taroktische saß, ihr »Fränzchen« nach Belieben schalten ließ, wofern sie nur nicht in ihrem Spiel gestört wurde. So wuchs der aufgeweckte und sehr fähige Knabe unter Offizieren und Kadetten in den lockersten Verhältnissen auf, und kaum erwachsen, stürzte er sich in den Strudel des Vergnügens, worin er früh seinen Untergang fand. Schon als Kadett hatte er sich mit einer braven Bürgerstochter, Therese Maigraber aus Ofen versprochen, und um sie heirathen zu können, war er zur Kameralverwaltung übergegangen. Seiner Spielwuth halber hatten ihm die Eltern ihre Unterstützung entzogen; die junge Frau gerieth in die höchste Noth, alle ihre Thränen und sanften Vorwürfe kümmerten aber den leichtsinnigen Gatten nicht. Unter solchen Verhältnissen wurde zu Anfang des Jahres 1803 zu Csatad (spr. Tschatad), einem Dorfe bei Temesvar, wohin der unruhige Niembsch übergesiedelt war, sein drittes Kind Nikolaus geboren. Auf diesen Knaben richtete sich nun die ganze Zärtlichkeit der Mutter, die in ihrem heißgeliebten »Niki« Ersatz suchte für die Untreue ihres Gatten. Die einzige Erinnerung, die Lenau von seinem Vater (der bald an der Auszehrung starb) behalten, ist folgende. Einmal, da der lebhafte Kleine zu viel Lärm machte und der Vater umsonst Ruhe gebot, sprang er aus dem Bette und gab dem Schreihals eine derbe Maulschelle. Noch als Mann sah Lenau die furchtbare weiße Gestalt mit drohend erhobener Hand vor dem Auge seiner Phantasie.

Nikolaus war noch nicht fünf Jahre alt, als der Vater starb. Die sehr wohlhabenden Großeltern wollten ihn und die ältere Schwester Therese zu sich nehmen; im Jahre 1809 besuchten sie die Familie in Pesth, aber der siebenjährige Niki trat ziemlich spröde und selbstständig seinen Großeltern entgegen, denn er war von der Mutter und Großmutter mütterlicherseits sehr verwöhnt worden, und im Vergleich zur gefühlsheißen Mutter, die ihr Kind anbetete, erschien ihm die gnädige Frau Großmama allzu kalt und vornehm. Wie hätte auch der von Allen gehätschelte Niki Lust bezeigen sollen, einen Lebenskreis zu verlassen, in welchem er der Mittelpunkt war? Während die beiden Schwesterchen zum Frühkaffee die gewöhnliche schwarze Semmel bekamen, verspeiste Niki jeden Morgen sein weißes pflaumiges Kipfel, und an Backwerk ließen es die guten Frauen auch nicht mangeln. Und wo in aller Welt hätte auch eine bessere liebere Hausmagd sich finden sollen, als die alte Schwäbin Walburga, deren Augapfel der kleine Niki war!

Es ward also das Verlangen der Großeltern abgeschlagen. Unterdessen wuchs aber Noth und Sorge um die Existenz, und der Wohlfeilheit willen bezog die Familie die sogenannte Generalswiese bei Ofen, wo eine frühere Gottesackerkapelle zum Wohnhaus eingerichtet war. Dieser Wohnort hatte etwas Schauerliches. Doch die Kinder ließen sich's da ganz wohl sein. In ihrer Verlassenheit entschloß sich die junge Wittwe, einem Arzt Dr. Vogel die Hand zu reichen. Niki ward in die Pesth-Josephstädter Pfarrschule geschickt, und der dortige Lehrer, Namens Czerny, gab ihm auch Unterricht auf der Geige. Aber der Meister war zu barsch und ungeduldig, und sein hitziges Wesen verleidete dem Knaben das Spiel, obwohl er dazu die entschiedenste Anlage und Neigung hatte. Desto bessere Fortschritte machte Nikolaus im Guitarrespiel, in welchem ihm ein junger freundlicher Halbwälschmann aus Friaul, Namens Godenberg, Anweisung gab. Dieser, ein großer Freund des Vogelfangs, nahm den Knaben auch mit in Wald und Feld, lehrte ihn die verschiedenen Sangweisen der Vögel kennen und nachahmen, und bald gewann Niki im Lippenpfiff eine so große Fertigkeit, daß Alles ob der seelenvollen Töne erstaunte. Diese Ausflüge in Gottes freie Natur regten mächtig des Knaben Sinn und Gedanken an; zuweilen gab er sich ganz seinem frohen Naturgefühl hin, streckte sich in's Gras, und überließ sich stundenlang seinen Träumereien. Dabei war er überaus fromm, betete stets mit Inbrunst sein Morgen- und Abendgebet, las auch zuweilen vor einem zum Altar hergerichteten Stuhle die Messe, wobei ihm die 1½ Jahr ältere Schwester ministriren mußte. Manchmal predigte er – und das Spiel war ihm dann tiefer Ernst – so ergreifend, daß seiner Mutter und noch mehr der alten Walburga die hellen Thränen über die Wangen rollten. Das tiefe religiöse Gefühl klang später wieder an, als Lenau den Savonarola und die Albigenser dichtete. Er erinnerte sich noch mit Wonne an jene Zeit, als er das erste Mal »rein wie ein Engel« von der Beichte ging.

»Auch gute Schauspieleranlagen und eine reiche Dichterader ließ Lenau schon als heranwachsender Knabe durchblicken. Er wußte die Hausleute in Gebehrden, Ton und Ausdruck treffend nachzuäffen, und ließ sie ganze Auftritte, geschehene und geschehbare untereinander, zur allgemeinen Heiterkeit der unentgeltlich anwohnenden Zuschauer abspielen. Eigentliche Gedichte zu machen fiel ihm aber damals noch nicht ein. Uebrigens las er sehr gern zu seiner Unterhaltung, aber ausschließlich nur Ritter-, Räuber-, Mord- und Gespenstergeschichten; je grausenhafter, desto unterhaltender für ihn. Er verwunderte sich sehr über seine ältere Schwester Tertsch (Theres), die gar emsig sanfte und schwärmerische Gedichte las, wie sie doch nur aus so seichtem und schmacklosem Borne schöpfen möchte.« Schurz, a. a. O.

In den Jahren 1812-15 absolvirte Lenau mit großem Erfolg die vier Jahrgänge am Gymnasium der Piaristen in Pesth; das fleißige Lernen hinderte jedoch nicht, daß der angehende Student mit einem lieben Schulfreunde des Abends bei Mondschein spazieren ging und die Töne seiner Guitarre sogar einmal auf der Donau bei nächtlicher Fahrt erklingen ließ, welche Kühnheit die Mutter dadurch strafte, daß sie dem verführerischen Instrument auf längere Zeit – Hausarrest gab.

Da der Stiefvater, Dr. Vogel, bei der Menge von Aerzten in Pesth wenig verdiente, ward eine Uebersiedelung nach Tokai beschlossen, wodurch freilich für Niki der Gang seiner Studien auf bedenkliche Weise unterbrochen wurde. Die Großeltern erneuerten ihr Verlangen, schrieben dringend an Dr. Vogel, dessen Familie sich auch vermehrt hatte, daß sie dem Nikolaus in Wien die beste Erziehung verschaffen wollten, aber die Mutter sagte, die drei Kinder weggeben hieße ihr das Herz dreimal aus dem Leibe reißen. So gings nach Tokai und der junge Lenau verlebte hier sein fünfzehntes und sechzehntes Lebensjahr in der wunderherrlichen Gegend am Zusammenflusse der Theiß und Bodrog, wo die Weinberge mit den Rosen und Nachtigallen, die Husaren mit den Zigeunern wetteiferten, dem ahnungsvollen Gemüth des heranwachsenden Jünglings die Poesie des Lebens in schönster Fülle zu offenbaren.

Ein etwas älterer Student, Joseph von Kövesdy, wurde bewogen, nach Tokai herüberzukommen und die ferneren Studien von Nikolaus zu leiten, der im nächstgelegenen Gymnasium auch recht gut seine Prüfung (für die 1. Humanitätsklasse) bestand. Doch Kövesdy eilte nach Pesth, um dort seine eigenen Studien zu vollenden; Niki schrieb seinem Lehrer und Freund einen Brief, der in seiner geistreichen Fassung einen solchen Eindruck auf Kövesdy machte, daß dieser sogleich wieder an die Mutter schrieb und ihr die künftige Größe des Sohnes prophezeite. Nun aber mußte Lenau, um den philosophischen Kurs durchzumachen, doch nach Wien, und die Nothwendigkeit siegte endlich über die allzugroße Zärtlichkeit der Mutter. Die Großeltern wohnten in Stockerau, und dort verlebte ihr Enkel nun seine Ferienzeit, nachdem er im Herbst 1819 seinen Kursus in Wien begonnen hatte. Auch die geliebte Schwester Resi folgte nach Stockerau, wo sie der spätere Rechnungsrath und Biograph Lenau's, Anton Xaver Schurz, kennen lernte und lieb gewann. Um aber ihren Kindern näher zu sein, vermochte die gefühlvolle Mutter ihren Mann, dem es sehr gut in Tokai gefiel, zu einer abermaligen Uebersiedelung nach Preßburg.

Einer von Lenau's Studiengenossen, J. G. Seidl, berichtet von jener Zeit: »Der blasse, dunkelhaarige, schon damals düsterschauende Niembsch war nicht Student, wie wir Uebrigen, die wir einen praktischen Lebenszweck vor Augen hatten und daher mit gewissenhafter Aengstlichkeit innerhalb der ausgesteckten Grenzen uns bewegten, sondern mehr als Liebhaber oder als Gast, der nur das, was ihm eben mundet, mit vollen Zügen schlürft, und Alles, was ihn anekelt, mit unverholenem Mißbehagen bei Seite schiebt.« Nach dem Wunsche der Großeltern sollte Lenau die Rechte studiren und für ein Staatsamt sich vorbereiten; aber fünf saure Lehrjahre in Wien, und noch dazu in den hergebrachten pedantischen Formen, erschienen dem jungen Mann höchst abschreckend. Dazu kam ein unangenehmer Auftritt mit der gnädigen Frau Oberst, in deren Zimmer einst Niki, der auf dem Vogelherd gute Beute gemacht hatte, mit beschmutzten Stiefeln und froher Laune hineinstürmte, so daß die Großmama in höchstem Zorn sich erhob und in ihrer schneidenden Weise ausrief: »Aber gerade wie ein Bauer!« Da empörte sich auch der nicht geringe Stolz des Studenten, er packte seine Sachen zusammen und eilte in die immer offenen Arme der geliebten Mutter, mit dem Entschluß, in Pesth das ungarische Recht zu absolviren. Doch kaum hatte er begonnen, so war es ihm auch wieder verleidet, und er glaubte in der Landwirthschaft einen lohnenden Beruf zu finden, ging deshalb an die vom Erzherzog Karl eingerichtete Ackerbauschule zu Ungarisch-Altenburg, in dessen Nähe ihm die treue Mutter bald nachfolgte. Nach Jahresfrist wandte er sich, wie leicht vorauszusehen war, von der Oekonomie ab und den deutschen Rechtsstudien wieder zu, und kehrte in Begleitung seiner Mutter nach Wien zurück.

Noch hatte Lenau nichts gedichtet, aber der Umgang mit gleichstrebenden jungen Männern weckte sein Talent, und namentlich mag sein Schwager Schurz, der schon nach Stockerau öfters ein Gedicht mitbrachte und viel Sinn für Poesie hatte, viel dazu beigetragen haben, daß der Genius des bis dahin über sich selbst brütenden jungen Mannes Gestalt annahm und hervortrat. Im Neuner'schen Kaffeehause, auch das »silberne« genannt, kamen damals die tüchtigsten und strebsamsten Geister zusammen; Bauernfeld, Dräxler-Manfred, Seidl, Auersperg (Anastasius Grün), der Pole Boloz v. Antoniewicz, dessen »Abschied aus Galizien« Lenau in's Deutsche übertrug u. A. Da saß denn oft, mitten unter den plaudernden Tischgenossen, der junge Faust, bald die Stirn runzelnd, bald die Mundwinkel zu einem ironischen Lächeln verziehend, und plötzlich, als ob er aus einem Traume erwachte, sprang er auf und rief in wilder Lustigkeit einem Freunde zu: » Allons, eine Partie!« Das Queue, das er meisterlich handhabte, war dann wie ein Zauberstab, der die bösen Geister in ihm bannte.

Und in der That waren bereits die Dämonen des Unmuthes, des Zweifels, der bittern Traurigkeit in seine Seele gezogen. Es war eine große Verirrung, daß er mit einem armen, schönen Mädchen ein Liebesverhältniß begann und sich darin berauschte, obwohl er mit leichter Mühe sich hätte überzeugen können, daß dieses Mädchen sammt seiner Mutter leichtfertige Personen waren, mit denen er in gar keine Berührung hätte kommen sollen. Er brach den Umgang ab, aber derselbe schlug seinem nur allzureizbaren Gemüth eine Wunde, die nimmer ganz verharschte.

»Was einmal tief und wahrhaft dich gekränkt,
Das bleibt auf ewig dir in's Mark gesenkt!«

Das zweite traurige Ereigniß, das die Melancholie förderte, war die schmerzhafte Krankheit der geliebten Mutter, an deren Folterbett der Sohn manche Stunde zubrachte, ohne helfen zu können. In christlicher Ergebung trug die Frau ein schweres Leid, ja sie gewann es über sich, wenn der geliebte Sohn eintrat, heiter zu lächeln und von ihren Schmerzen nichts zu verrathen. Sie starb im Oktober 1829. Der Sohn hat das Andenken der Mutter in manchem Gedicht gefeiert (man vergl. »der Seelenkranke«, »Zuflucht«, »der offene Schrank«, dann im »Faust« die Szenen: »der Abschied«, »der Traum«), – aber den Ruhm des Sohnes zu erleben war ihr nicht vergönnt.

Die ersten Gedichte (in Seidl's Aurora für 1828, »die Jugendträume« überschrieben, und »Glauben, Wissen und Handeln« durch Vermittlung von Anastasius Grün in der »Damenzeitung« [1830] abgedruckt) erinnern noch an ältere Vorbilder, und namentlich an Hölty, der nebst Klopstock viel zur Bildung des Dichters beitrug. Es war die Sehnsucht nach Freiheit, nach dem Genuß der reinen unverdorbenen Natur im Konflikt mit den Widersprüchen einer unfreien Kultur, was des jungen Dichters Herz bewegte. Aber je mehr er das Leben kennen lernte, je tiefer sein Gefühl aufgeregt ward, desto schwerer ward es ihm auch, den Inhalt seines Gemüths in hergebrachte Formen zu schütten. Das unendliche Sehnen, den Schmerz des Menschenlebens, die Freude der Wehmuth, das sprach ihm nur Ein Mann vollkommen aus – aber in Tönen; und dieser Einzige war Beethoven, dessen Einfluß auf das Gemüthsleben des Dichters nicht hoch genug anzuschlagen ist. Dann fand sich aber auch der Trieb in's Weite, zum Großen, Erhabenen, mächtig erregt durch die Ferienreisen in die österreichischen Alpen. Auf diesen Wanderungen machte Lenau die Bekanntschaft mit dem natursinnigen ehrwürdigen Schleicher, dem »Dichterpatriarchen« in Schloß Orth am westlichen Ufer des Traunsees, und dort verlebte er öfters schöne, erhebende Tage.

Den drei Jahrgängen (1824-1826) des Rechtsstudiums waren nach plötzlicher Sinnesänderung vier Jahre des medizinischen Studiums gefolgt (1827-1830), in welche Kurse freilich oft sehr lange Pausen fielen, nach welchen dann Lenau wieder arbeitete, daß ihm »der Kopf dampfte«. So bewegte er sich in Extremen, die gleicherweis die physische wie die geistige Kraft erschöpften. Eine Reise in die Berge mußte dann immer zur Erholung dienen.

Im Jahre 1830 verlor Lenau seine 86jährige Großmutter Katharina v. Niembsch, die nach dem Tode ihres Gemahls in einer Vorstadt Wiens ihren bleibenden Wohnsitz genommen hatte. Durch diesen Todesfall gelangte er in den Besitz von etwa 10,000 Gulden, durch welche Summe (die freilich durch das Sinken der Staatspapiere auch bald sank) er für die nächste Zeit sicher gestellt wurde. Sogleich tauchten seine alten Pläne einer Auswanderung nach Amerika wieder auf, doch wollte er, dem Rathe der Freunde folgend, zuvor auf einer deutschen Universität das Doktorat erwerben. Er beschloß, zunächst nach Stuttgart sich zu wenden, wo er zugleich den Versuch machen wollte, seine Gedichte bei Cotta in Verlag zu geben. Mit schwerem Herzen schied er von den Seinen; seine Schwester Therese weinte, als habe sie ihren Bruder verloren. Dieser schickte ihr ein tröstendes Briefchen: »Ich verspreche Dir, daß ich nichts Außerordentliches unternehmen werde, daß ich mein Vaterland nicht auf immer verlasse, so lange Du darin lebst, und daß ich die Erde nicht verlassen möchte, ging' es mir auch noch so schlecht, so lang' Du sie mir durch Deine Liebe verschönst.«

In dem herrlichen Gmunden heiterte sich das Gemüth des Dichters auf, er bestieg mit wahrer Lust den Traunstein und schrieb seinem Schwager Schurz ( dd. 3. Juli 1831):

»Bruder, ich umarme Dich herzlich in Gmunden, unserem geliebten! Wie schön ist es hier, wie schnell sind mir die Tage vergangen! Wenn nur Du hier wärst! jeder Busch, jeder Stein, jede Welle scheint mich nur mit halber Freundlichkeit zu grüßen und zu fragen: hast Du den nicht mitgebracht, der uns so schön besungen? Auch die Menschen haben so gefragt, besonders unsere trauten Wirthe zu Orth. Da wurden denn wieder Pfannenkuchen gemacht und frohe Gesichter, wenn ich weidlich einhieb in diese wahrhaft klassischen Rollen, bullao aureao.

»Vorgestern hab' ich den Traunstein bestiegen. Um 6 Uhr des Morgens fuhr ich von Gmunden zu Wasser ungefähr 5/4 Stunden nach der Lanauerstiege. Meine Begleiter waren Hansgirgel und seine Schwester Nani; er ein rüstiger Gemsenjäger, sie eine hübsche blauäugige Dirne. Wir stiegen aus und die steilen Stufen hinan. Schon am Fuße des Berges hat mich eine Art Freudenrausch ergriffen, denn ich ging voraus und kletterte die Stiege mit solcher Eilfertigkeit hinauf, daß mir der Jäger oben sagte: »Das ist recht so halt! weil Sie da herauf so gut kommen sind, werden Sie auf den Traunstein wie ein Hund hinauflaufen!« Und es ging trefflich; in drei Stunden waren wir oben. Welche Aussicht! Ungeheure Abgründe in der Nähe, eine Riesenkette von Bergen in der Ferne und endlose Flächen. Das war einer der schönsten Tage meines Lebens, mit jedem Schritte bergan wuchs mir Freude und Muth! Ich war begeistert. Wenn mir mein Führer sagte: ›jetzt kommt eine gefährliche Stelle!‹ so lachte ich, und hinüber ging's mit einer Leichtigkeit, die ich bei kaltem Blut nimmer zusammenbrächte, und die mir jetzt am Schreibtisch unbegreiflich vorkommt. Meine Zuversicht stieg mit jedem Schritt; ganz oben trat ich hinaus auf den äußersten Rand eines senkrechten Abgrunds, daß die Nani aufschrie, mein Jäger aber frohlockte: ›das ist Kurasch: da ist noch keiner von den Stadtherren außitreten.‹ Bruder, die Minute, die ich auf jenem Rande stand, war die allerschönste meines Lebens; eine solche mußt Du auch genießen. Das ist eine Freude! Trotzig hinabschauen in die Schrecken eines bodenlosen Abgrunds und den Tod heraufgreifen sehen bis an meine Zehen, und stehen bleiben und so lange der furchtbar erhabenen Natur in's Antlitz sehen, bis es sich erheitert, gleichsam erfreut über die Unbezwinglichkeit des Menschengeistes, bis es mir schön wird, das Schreckliche – das ist ein Vorgeschmack von den Freuden des Schlachtfeldes.«

(Aus Karlsruhe, den 22. Juli.) »Das Land wurde auf meiner Reise je weiter gegen Baden desto schöner. In Würtemberg weht bereits eine mildere Luft als in Baiern, der Himmel hat ein schöneres Blau, die Menschen sind wärmer. Eine Kultur hat der Boden in Würtemberg und Baden, wie ich noch nicht gesehen. Freundlich ist der Anblick eines so gut bebauten, überall fruchtbaren Landes allerdings und erfreulich für's Herz, denn man denkt sich auch gleich die Menschen hinzu, die das Alles genießen werden und froh sein; aber, lieber Bruder, ich konnte mich eines gewissen Eindrucks des Kleinlichen doch nicht erwehren, und armselig kam mir der Mensch vor, der, wie ein Bettler, ein zudringlicher, seine Hand auf jeden Stein reckt, in jedes Loch steckt, daß ihm die Natur was hineinwerfe. Sieh', lieber Alter, da spricht wieder der Ungar aus mir. Die Nachlässigkeit hat doch was Edles, mit welcher der Bauer Pannoniens sein Korn in die seichte Furche wirft, und seinen Weinstock mit ein Paar Schnitten abfertigt, und dann unbekümmert nach Hause geht und Tabak raucht. Die schönen Tokaierweinberge (jetzt seh' ich Dich lachen) in ihrer Ungezwungenheit, mit ihren weit von einander abstehenden Weinstöcken, mit ihren dazwischen gepflanzten Obstbäumen sehen viel besser aus als die badischen mit ihren terrassenförmigen Abstufungen und enge zusammengedrängten Reben. In Ungarn ist der ganze Landbau eine bescheidene Anfrage an die Natur, eine ganz und gar nicht heftige Einladung, daß sie kommen möge mit ihren köstlichen Gaben; die Faust des Deutschen packt die gute Frau gleich an der Gurgel, daß ihr das Blut aus Nas' und Ohr hervorquillt.«

Am 9. August 1831 traf Lenau in Stuttgart ein. Ueber sein erstes Erscheinen daselbst berichtet die schwäbische Chronik vom 16. Oktober 1850 also: »Im Sommer 1831 erhielt der damalige Redakteur des poetischen Theils des stuttgarter Morgenblattes, Professor G. Schwab, eine einfache Zuschrift mit dem unbekannten Namen ›Nikolaus Lenau‹ und einigen Gedichten, die der Einsender jener Zeitschrift anbot. Ehe Schwab, der viel Mittelmäßiges für das Blatt erhielt und zu sichten hatte, die angeschlossenen Blätter entfaltete, trat, als eben der junge Dichter Gustav Pfizer sich bei ihm befand, der Verfasser selbst, von einem Lohnbedienten geleitet, in das Zimmer und wollte die Antwort, die etwa seit einer Woche zögerte, abholen. Der Redakteur eilte verlegen in seine Studirstube, um einen Blick in die anvertrauten Papiere zu werfen. Nach den ersten Zeilen verbreitet sich dem Leser jener Glanz über das Papier, der, nach dem Worte des römischen Lyrikers, aus dem Anlächeln der Muse quillt, und er eilte vergnügt zu seinem Besuche zurück, gab der Freude über den unerwarteten Dichterfund beredte Worte und erklärte die Zusendung für höchst willkommen. Der Abend vereinigte die drei Dichter. Lenau las immer herrlichere eigenthümliche Gedichte aus den herbeigeholten Blättern: die Heidebilder, die Werbung, den Schifferknecht, den Invaliden. Alle trugen das unverkennbare Gepräge einer, in ungewohnten Kreisen dichterischer Anschauung heimischen, in unsere Literatur frisch eintretenden poetischen Persönlichkeit. Lange nach Mitternacht schieden die Freunde Gewordenen als Brüder. Vor Tagesanbruch reiste Niembsch nach München, aber schon nach acht Tagen schrieb er von dort an Schwab, daß das neue Freundesbündniß ihn unwiderstehlich zurückziehe, und auf eine herzliche Einladung fand er sich an dem Herde seines neuen Gastfreundes ein, den er, ab- und zureisend, vier Monate lang als seine Heimath betrachten durfte, und wo er in die innigsten Beziehungen zu der Familie trat.« Aber auch außer der Schwab'schen Familie bildete sich ein inniges Freundschaftsverhältniß mit dem Professor Reinbeck und dessen Gattin Emilie, der trefflichen Landschaftsmalerin, mit dem greisen Geheimenrath Hartmann, mit dem zartsinnigen Dichter Oberamtsrichter Karl Meyer, mit dem ritterlichen Grafen Alexander v. Würtemberg, mit dem gemüthlichen Justinus Kerner in Weinsberg und dem biedern Ludwig Uhland in Tübingen. Die Persönlichkeit des jungen Dichters, der mit sinnendem deutschen Ernst und echt schwäbischem Gemüth die natürliche und naturwüchsige Frische des Oesterreichers und das Feuer und den Schwung des Ungarn vereinte, während der Schleier der Schwermuth, der über sein Wesen ausgebreitet war, die Theilnahme für diese Eigenthümlichkeit noch erhöhte: das Alles war ganz geeignet, die Herzen der Männer zur Freundschaft, die Herzen der Frauen zur Liebe zu stimmen.

Es begann ein wahrer Lenau-Kultus, der, wenn er auch auf der einen Seite dazu beitrug, das Gefühl des Dichters allzu weich zu stimmen, doch in seiner wohlthuenden Wärme das Mittel war, daß sich der reiche Dichtergeist ebenso schnell als schön entfaltete. Hätte er nur mit sicherer Entschiedenheit seine Vergangenheit, die den Zwiespalt in ihm hervorgerufen, von sich werfen und den Blick fest auf eine segensreiche Zukunft richten mögen! Das Glück trat an ihn heran in der Person des schönsten, edelsten, liebenswürdigsten Fräuleins, Charlotte mit Vornamen; die Freunde, welche Lottens Zuneigung und den Eindruck, den sie auf Lenau gemacht, bald gemerkt hatten und sehnlichst die Verbindung der Liebenden wünschten, redeten dem Dichter auf die zarteste Weise zu, einen Schritt zu thun, von welchem das Glück seines Lebens abhängen würde. Aber Lenau glaubte nicht mehr an sein Glück, er fand nicht die Auflösung einer ihn unaufhörlich marternden Dissonanz, und verschloß die kaum erwachte Liebe tief in der Brust. Die trefflichen »Schilflieder« sind der Lotte gewidmet, weshalb man sie auch »Schilflottchen« nannte. In einem an den Schwager Schurz gerichteten Briefe heißt es u. A. von ihr: »Edles, deutsches, frommes Gesicht, tiefe blaue Augen mit unbeschreiblichem Liebreiz der Brauen; besonders aber ist die Stirn kindlichfromm-gütig, und doch so geistig. Marsch mit der dummen Beschreibung! Sie ist ein sehr liebes Mädchen, aber ich werde diesem Mädchen entsagen, denn ich fühle so wenig Glück in mir, daß ich Andern keines abgeben kann. Meine Lage ist auch zu beschränkt und ungewiß. Werd' ihr entsagen. Aber ich fühle mich jetzt geschlagener denn je. Das ganze Leben in Stuttgart, diese Reihe von Wonnetagen, ein ewiges Freudenfest, das ist mir verdächtig. Ich möchte mir fast einen nahen Tod daraus prophezeien. Das waren vielleicht die Ferialtage des Abschieds, und mir vom Schicksal gegeben, daß ich mit einem bessern Begriffe von seiner Gastfreundlichkeit von dannen gehe. Auch noch ein Sonnenblick der Liebe! Bruder, das ist mir verdächtig!«

Um seine medizinischen Studien zu vollenden, wandte sich Lenau noch im November 1831 nach Heidelberg. Dort führten ihn die Fragen des leiblichen Lebens auf das geistige, er vertiefte sich wieder in die Philosophie alter und neuer Zeit, und seiner Skepsis (Zweifelsucht) war jetzt Spinoza willkommen. Seit den Knabenjahren In Alt-Ofen besuchte er oft seinen Oheim Mihitsch, den Husaren, und schlief in dessen Zimmer. Dieser las dann dem jungen Burschen »Voltaire's Briefwechsel mit Friedrich« vor und suchte ihn aufzuklären. So konnte er ihn wohl um Mitternacht wecken mit der Frage: »Schläfst Du?« – »Nein, Herr Onkel!« – »Es giebt doch keinen Gott!« sagte er dann lateinisch, wie er gern mit dem Neffen reden mochte., nachdem ihn der naive Glaube verlassen hatte, waren die großen Probleme über das höchste Wesen und die persönliche Fortdauer des Menschen wie dunkele Gestalten vor seinem Seelenauge gestanden, ohne zu freundlichen Trösterinnen zu werden. Auch in Heidelberg ward der alte Zwiespalt nicht gelöst, dagegen die Sehnsucht nach dem »freien Amerika« um so lebhafter. In dem Gedicht »der Unbeständige« stellte der Dichter das rastlose unbefriedigte Suchen der wissenschaftlichen Lösung dar. Indeß trugen Ausflüge zu den Freunden und der Verkehr mit den »Burschen« in Heidelberg wieder zur Erheiterung des Sinnes bei, und manche schöne Gedichte (»die Wurmlingerkapelle«, »In der Schenke«, »die Heidelberger Ruine«) stammen aus dieser Zeit.

Im Mai des folgenden Jahres (1832) wurde, trotz allen Abmahnungen der Freunde, die Reise nach Amerika wirklich angetreten. Auf einem Rheinschiffe ging's in einer Gesellschaft von Auswanderern, die Lenau als ihren Chef betrachteten, den Rhein hinab nach Holland; aber an der holländischen Grenze ward der Paß für ungenügend befunden und der Herr Bürgermeister in Lobith machte schon Miene, den Inhaber zurückzuschicken, als Lenau's Geigenspiel den Knoten löste. »Ein Zollbeamter,« schreibt Lenau, »ein enthusiastischer Musiker schnappte nach mir wie nach einem Leckerbissen. Ich mußte mich schon bequemen, die scheußlichsten Duetten für Violin' und Klarinett' mit dem Kerl täglich mehrere Stunden durchzuhumpeln; dafür empfahl er mich dem Bürgermeister. Es wurde eine musikalische Abendunterhaltung gegeben, wobei Seine bürgermeisterlichen Gnaden zugegen und über meine Passagen auf der Geige dermaßen entzückt zu sein beliebten, daß sie mir die Passage über die Grenze durch die Finger sahen.«

Die Fahrt über den atlantischen Ozean ging ohne Unfall von Statten. Lenau schrieb an seinen Schwager Schurz aus Baltimore den 16. Oktober 1832: »Nach einer sehr langen Reise, durch zehn Wochen, bin ich endlich in Amerika angekommen. Ich bin jetzt um ein Gutes reicher, daß ich auch das Meer kennen gelernt habe. Die nachhaltigste und beste Wirkung dieser Seereise ist ein gewisser feierlicher Ernst, der sich durch den langen Anblick des Erhabenen in mir befestigt hat. Das Meer ist mir zu Herzen gegangen. Das sind zwei Hauptmomente der Natur, die mich gebildet haben: dies atlantische Meer und die österreichischen Alpen; doch möcht' ich mich vorzugsweise einen Zögling der letztern nennen. Ich kann Dir nicht beschreiben, wie mir zu Muthe war, wenn auf der See jedes Lüftchen schwieg, jede Welle ruhte, der müde Himmel sich auf's Meer legte, und jedes Leben, jede Bewegung sich von unserem Schiffe zurückgezogen hatte, in dieser tiefen, grenzenlosen Einsamkeit; mit welcher Sehnsucht ich da zurückdachte an meine lieben Berge, meine lieben Menschen in der Ferne. Ich möchte fast behaupten, das stille Meer ist größer, als das bewegte, wie es denn schon dem Auge ausgedehnter erscheint. Es hat sich mir aber auch das Meer in seiner Leidenschaft gezeigt. Starke Winde und ungeheure Wellen nahmen das Schiff oft in ihre Mitte und schleuderten sich's verächtlich in die Hände. Das war ein Schwanken, daß ich nicht aufrecht stehen konnte; doch eben darin mag das Heilsame liegen, das Seereisen für den Charakter des Menschen haben. Wenn ich in meiner Kajüte stand und plötzlich an die Wand geworfen wurde wie eine willenlose Kleinigkeit, so empörte das meinen Stolz auf's bitterste, und je weniger mein äußerer Mensch aufrecht stehen konnte, desto mehr that es der innere.« Ueber die Amerikaner und ihr Land wurde der Dichter aber völlig enttäuscht, so daß er gar nicht den Frühling des folgenden Jahres mehr abwarten mochte. Nachdem er in Crawford-County 400 Morgen Urwald an Staatsländereien sich angekauft und einen Pächter für die Bebauung gewonnen hatte, kehrte er zurück, und war schon im Juni 1833 wieder in Bremen! Er hatte aber des Niagarafalles und des Urwaldes sich gefreut. Den »Niagara«, »Urwald«, »Indianerzug«, »die drei Indianer«, »An einen Baum« (als Erinnerung an den edlen Greis Geheimrath Hartmann in Stuttgart) und die schönen »Atlantika« verdanken wir der amerikanischen Reise. Aus letzteren möge nur das ebenso frische als liebliche warme Bild, »Seemorgen« überschrieben, hier in Erinnerung gebracht werden:

Der Morgen frisch, die Winde gut,
Die Sonne glüht so helle,
Und brausend geht es durch die Fluth,
Wie wandern wir so schnelle!

Die Wogen stürzen sich heran,
Doch wie sie auch sich bäumen,
Dem Schiff sich werfend in die Bahn,
In toller Mühe schäumen:

Das Schiff, voll froher Wanderlust,
Zieht fort, unaufgehalten,
Und mächtig wird von seiner Brust
Der Wogendrang gespalten;

Gewirkt von goldner Strahlenhand
Aus dem Gesprüh der Wogen,
Kommt ihm zur Seit' ein Irisband
Hellflatternd nachgeflogen.

So weit nach Land mein Auge schweift,
Seh' ich die Fluth sich dehnen,
Die uferlose, mich ergreift
Ein ungeduldig Sehnen,

Daß ich so lang euch meiden muß,
Berg, Wiese, Laub und Blüthe! –
Da lächelt seinen Morgengruß
Ein Kind aus der Kajüte.

Wo fremd die Luft, das Himmelslicht,
Im kalten Wogenlärme,
Wie wohl thut Menschenangesicht
Mit seiner stillen Wärme!

Der Dichter hatte einen weiteren und tieferen Blick in's Leben gewonnen und die rechte Stimmung, um bald darauf die drei größeren Gedichtkreise: den Faust, Savonarola und die Albigenser zu schaffen. Im Herbst 1833 kam er in sein liebes heimathliches Oesterreich zurück, nachdem er einen von reinster Liebe und Freundschaft gewürzten Sommer in seiner zweiten Heimath Schwaben verlebt hatte, und ward nun hoch gefeiert und froh begrüßt. Von Wien aus schrieb er an K. Mayer (17. Oktober 1833): »Ich muß lachen darüber, daß ich habe in's Ausland reisen müssen, um Werth und Bedeutung zu Hause zu bekommen. Es geht mit Dichtern in Oesterreich, wie in Bremen mit Cigarren. Die in Bremen gemachten Cigarren werden nach Amerika geschickt, dort bekommen sie die ausländische Signatur und wandern dann wieder heim, und Alles wundert sich über den charmanten Geruch, den sie jetzt haben, während sie früher keinem Teufel schmecken wollten.«

Nun wäre der Zeitpunkt gewesen, wo der Dichter sich nach einer festen bürgerlichen Stellung hätte umsehen müssen, um sein schwankendes Lebensschifflein an einem sichern Anker zu befestigen. Er, der so viel Sinn hatte für das Familienleben und sein stilles Glück, für ein geordnetes Staats- und Gemeinwesen – denn bei allem Freiheitsdrang lag ihm alles Umwälzerische fern – der nicht bloß ein so feines, ästhetisches, sondern auch ein so zartes, sittliches Gefühl hatte, und damit den durchdringendsten Verstand und den gewandtesten Geist vereinte: er fand leider nicht den schützenden Hafen, weil er es nicht zum festen Entschluß bringen konnte, sein Schiff hineinzulenken. Die Freunde wünschten, Niembsch möchte sich um die eben erledigte Professur der Aesthetik am k. k. Theresianum in Wien bewerben, und er wäre zu dieser Stelle durchaus geeignet gewesen; der Dichter Lenau war aber zu stolz, um sich zu bewerben, er wollte berufen sein, und so ward aus der Sache nichts. Er theilte fortan seine Zeit zwischen dem Aufenthalt in Wien und in Würtemberg, war fast immer auf Reisen, dabei in steter Aufregung; er hatte das Dichten zu seinem Lebensberuf erwählt, und wenn er dann die Unmöglichkeit fühlte, immer produktiv zu sein, immer dem Gefühl und der Stimmung zu gebieten, dann überfiel ihn der Dämon der Melancholie, der Verzweiflung an seinem Glück. Gewohnt, daß die Hände der Freunde sich überall für ihn regten, sein äußeres Leben angenehm zu machen, verlor er endlich die Kraft, auch das physische und praktische Leben von der rechten Seite anzufassen.

Der durch und durch praktische Göthe befreite sich in seinen Gedichten von dem, was ihn ängstigte und drückte, er fand in seinen Werken die Lösung des innern Zwiespalts und damit die Stufen, auf welchen er in seiner Lebensbahn sicher emporstieg; Lenau blieb in seiner Individualität stecken, er brachte sich selbst seinen Gedichten zum Opfer. Darum ist aber auch seine Natursymbolik so großartig kühn und tief ergreifend, weil er sie mit seinem Herzblut geschrieben hat. Schon vor seiner Reise nach Amerika hatte er sich geäußert: »Künstlerische Ausbildung ist mein höchster Lebenszweck; alle Kräfte meines Geistes, das Glück meines Gemüthes betracht' ich als Mittel dazu! Erinnerst du dich an das Gedicht von Chamisso, wo der Maler einen Jüngling an das Kreuz nagelt, um ein Bild vom Todesschmerz zu haben? Ich will mich selber an's Kreuz schlagen, wenn's nur ein gutes Gedicht gibt.« Lenau's »Faust« ist freilich ohne ein Gretchen und ohne den über den Gegensätzen schwebenden versöhnenden Humor; sein christlicher »Savonarola« ist im Grunde der Philosoph Lenau, der mit seinem Gefühl den Heiland umfassen möchte, während der Verstand vom Pantheismus nicht lassen kann; in den Albigensern ist der Held – »der Zweifel«, der von Innozenz blutig gejagte und in Ketten geschlagene, den aber das »Klirren seiner Ketten und deren harter Druck nicht einschlafen ließen.« Was der Dichter des Savonarola durch den Glauben hatte finden wollen und nicht fand, nämlich den Frieden und die Freiheit, das suchte er im andern Extrem in den Albigensern durch den Unglauben und die kühne Skepsis zu erobern, aber eben so vergeblich. Dann ergriff er mit fieberischer Hast das Thema des Don Juan, als seine Kräfte bereits zu sinken begannen.

Bald nach seiner Rückkehr aus Amerika hatte er in Wien die Bekanntschaft einer jungen, ebenso geist- als charaktervollen Frau gemacht, die, glücklich als Mutter und als Gattin in den angenehmsten Verhältnissen lebend, den nun gereiften Mann mächtig anzog, der sie als Mädchen nur flüchtig gesehen und wenig beachtet hatte. Die Persönlichkeit dieser ausgezeichneten Frau wirkte fortan mächtig auf den Dichter Viele der schönsten Gedichte sind ihr gewidmet, so die »An *«, »Zueignung«, »Der schwere Abend«, »Frage nicht«, »Meine Furcht«, »Wunsch«, »An den Wind«, »Tod und Trennung«., sie stand wie ein heller Morgenstern vor seiner Seele und begeisterte ihn zu allem guten Werk. Ihr theilte er Alles mit, was er auf dem Herzen hatte und seine Briefe »an Sophie« sind wahre Perlen aus der Geschichte seines Seelenlebens. Aber wenn er von dieser lichten Gestalt in sein eigenes zerrissenes Leben zurückblickte, dann ward ihm dies um so dunkler, seine Schwermuth um so größer. Dazu kam die öftere Geldverlegenheit und das Mißlingen der auf den Ankauf in Amerika bezüglichen Projekte. Es stellten sich immer deutlichere Symptome einer beginnenden Gemüthskrankheit ein; Lenau's Menschenscheu wurde immer ärger, sein einsames Violinspiel immer wilder. Die sonst gute Verdauung ward immer unregelmäßiger, auch stellten sich heftige Nachtschweiße ein.

Im September 1843 schrieb der Dichter an seine mütterliche Freundin Emilie Reinbeck in Stuttgart: »Mir geht es wieder einmal ganz schlecht, was die Stimmung meines Gemüths betrifft. Ich habe neulich ein Wort im Homer gelesen, das meinen Seelenzustand treffend bezeichnet: αμφιμελας d. h. ringsum schwarz. Ja, um und um schwarz ist meine Seele, wenn mich der Hypochonder packt, und der packt mich diesen Winter öfter und fester als je. – Ein Dichter kann heutzutage nicht glücklich sein, denn die Zeit will nichts von ihm. Ein Dichter, der überdieß kein Familienleben, ja nicht einmal eine gesicherte Existenz hat und körperlich zur Melancholie im höchsten Grade disponibel ist, wie ich – ein solcher hat Stunden, wo jenes homerische Beiwort auf seine Seele paßt.« Und auf einen Glückwunsch zum neuen Jahr antwortet er derselben Freundin (vom 9. Januar 1844): »Schönen Dank für Ihre freundlichen Wünsche zum neuen Jahre. Ich erwarte von diesem nicht viel Gutes; schon die Zahl 44 ist so vierschrötig, daß ich allerlei Impertinenzen mit Sicherheit entgegen sehe.«

Ende März desselben Jahres reiste Lenau wieder nach Stuttgart und fand wie immer freundliche Herberge im Reinbeckschen Hause. Die Reise hatte ihn sehr angegriffen, dennoch war er sehr thätig in Besorgung der siebenten Auflage seiner Gedichte, der zweiten Auflage des Savonarola und in der Fortführung seiner Don-Juan-Dichtung. Im Mai reisten seine edeln Wirthe nach Lichtenthal bei Baden-Baden, und ihr Freund ließ sich's nicht nehmen, sie zu begleiten. Doch schneller, als man es sonst von dem freilich wandelbaren Lenau erwartet haben mochte, verließ er den ihm zu stillen Aufenthalt und ging nach dem glänzenden geräuschvollen Baden, wo er mit Berthold Auerbach zusammen traf. »Eines Morgens,« erzählt dieser Prutz, deutsches Museum I, 1., »kam Lenau ganz verjüngt und wonnestrahlend zu mir, ich mußte mit ihm zum Schloßgarten, und dort bei der großen Linde erzählte er mir, wie er gestern zum Nachtessen zum englischen Hof gegangen war: im Saale waren außer ihm nur noch drei Damen, er kam neben die jüngste zu sitzen und auf die unbefangenste Weise knüpfte sich ein Gespräch an, in dem seine ganze Seele aufging. Er ergoß sich in den überschwenglichsten Ausdrücken und dann sprach er wieder jedes einfache Wort mit einem Ausdruck, in den der tiefste Seelenjubel eingepreßt war. Eine innere Zuversicht sagte ihm, daß auch das Mädchen, das bereits in die reiferen Mädchenjahre eingetreten war, sich ihm zugeneigt habe. Er sprach es wiederholt mit einem frohen Selbstgefühl aus, daß sie nicht wisse, wer er sei, sie habe an ihm ganz allein ohne alle Zuthat des Talents und der Stellung Wohlgefallen gefunden. Das war's, was er schon lange sich heiß ersehnte, was er ewig verloren glaubte, und jetzt war's da wie ein leuchtendes Gnadengeschenk.« Es kam zur Erklärung, zur Verlobung; die Braut, eine Frankfurterin, war protestantisch, aber was kümmerte diese Verschiedenheit die entzückte Dichterseele! Lenau eilte zu seinem Verleger Freiherrn v. Cotta, versprach diesem alle seine noch erscheinenden Werke und erhielt darauf eine Anwartschaft zugesichert auf ein Kapital von 20,000 Gulden. In freudiger Hast trat er dann seine Rückreise nach Wien an; die Freunde hatten bereits Alles in den Zeitungen erfahren und waren nicht wenig erschrocken über einen Schritt, vor dem sich sonst der besonnene Lenau immer gescheut hatte. Noch mehr erweckte das aufgeregte Wesen des Rückkehrenden ihre Besorgniß. Als dann Lenau vor seine Freundin Sophie trat, mit der er so viele Jahre die innigste Gemeinschaft der Seelen gepflogen hatte, kam plötzlich wieder der Zweifel in sein Herz; als ihn dann sein Schwager Schurz darauf aufmerksam machte, wie der mit Cotta geschlossene Vertrag keineswegs glänzend sei und genügende Bürgschaft gebe für die Begründung einer eigenen Familie; als endlich sich herausstellte, daß auch die Vermögensumstände der Braut keineswegs der Art waren, wie sie der Bräutigam sich gedacht hatte: da zogen wieder die alten Dämonen in die aufgeregte Seele. Mit schwerem Herzen begab er sich auf die – Hochzeitsreise, und kam den 20. September in Stuttgart nervös aufgeregt und körperlich wie gemüthlich leidend an. Eines Morgens, da er am Kaffeetische mit seinen Freunden sich über seine Lage und Aussichten unterhielt, stieß er plötzlich mit einem lauten Schrei die Tasse von sich, sprang auf in der heftigsten Gemüthserregung, denn ein Riß war ihm durch's Gesicht gegangen, der ihm die eine Hälfte gänzlich gelähmt hatte. Es war ein partieller Nervenschlag; zwar verlor sich die Gesichtslähmung allmälig, aber dieser Zufall mußte doch erschütternd auf Lenau wie auf seine Freunde wirken. Er hielt sich für einen dem Tode Geweihten, machte sich selber Vorwürfe, wie er so thöricht gewesen sei, ein Glück begründen zu wollen, das ihm hienieden versagt sei, und daß er nun ein geliebtes Wesen unglücklich machen müsse. Es begann ein furchtbarer Sturm im Gemüth; Lenau bot alle seine Kraft auf, ihn zu beschwichtigen, holte seine Gedichte, um sie vorzulesen, erzählte von Steiermark, von seinen Reisen; zuweilen brach er in heftiges Weinen aus. Dem Kundigen war es nicht mehr zweifelhaft, daß eine noch schrecklichere Katastrophe im Anzuge sei; nachdem ein Aderlaß ihm einige Erleichterung verschafft hatte, sprang er am Morgen des 20. Oktober durch's Fenster in die Friedrichsstraße, und schrie: »Aufruhr! Freiheit! Hülfe! Feuer!« und nun folgte durch sechs lange schwere Leidensjahre ein unheilbarer Wahnsinn, nur mit einzelnen Lichtmomenten unterbrochen. In der Irrenheilanstalt zu Winnenthal hegte man noch Hoffnung, den Kranken wiederherzustellen; als aber diese sich als eitel erwies, brachte man ihn im Mai 1847 nach Döbling bei Wien, wo ihn endlich am 22. August 1850 der Tod von seinem Leiden erlöste. – Hell und deutlich hatte das prophetische Dichterauge oft genug auf das Schreckliche hingedeutet, auf den Strom, der mit dämonischer Macht seinen Lebensnachen hinabzog zu den Alles zermalmenden Wasserfällen, die aus weiter Ferne mit ihrem Brausen den Wanderer warnen; aber in den Stromschnellen selber war das Ohr betäubt, daß es nichts mehr vernahm.

Die Stromschnellen stürzen, schießen,
Donnern fort im wilden Drang,
Wie von Sehnsucht hingerissen
Nach dem großen Untergang.

Den der Wandrer fern vernommen,
Niagara's fernen Fall
Hört er nicht, herangekommen,
Weil zu laut der Wiederhall.

Und so mag vergebens lauschen
Wer dem Sturze näher geht;
Doch die Zukunft hörte rauschen
In der Ferne der Prophet.


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